Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen:
Beschluss vom 14. September 2001
Aktenzeichen: 19 E 267/01

(OVG Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 14.09.2001, Az.: 19 E 267/01)

Tenor

Der Antrag wird auf Kosten des Klägers abgelehnt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde ist abzulehnen, weil die Voraussetzungen für eine Zulassung auf Grund des allein geltend gemachten Zulassungsgrundes nach § 146 Abs. 4 iVm § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht erfüllt sind.

Ernstliche Zweifel an der (Ergebnis-) Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses liegen nämlich nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren erster Instanz im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

Nach § 166 VwGO iVm § 114 ZPO setzt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe - neben der hinreichenden Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung - voraus, dass die Partei nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, weil der Kläger die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens vollständig durch Einsatz seines Vermögens aufbringen kann. Es kann daher dahin stehen, ob der Kläger mit seinem Antragsvorbringen hinreichend dargelegt hat (§ 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO), dass an der Richtigkeit der Rechtsauffassung des Verwaltungsgericht, das Klagebegehren biete derzeit keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, ernstliche Zweifel bestehen, bzw. ob gegen die im angefochtenen Beschluss ausgeführten tragenden Erwägungen durchgreifende Bedenken bestehen.

Die Kosten der Prozessführung erster Instanz werden - ausgehend von einem anzunehmenden Streitwert von 12.000 DM gemäß § 13 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) im Hinblick darauf, dass es dem Kläger um die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis der (früheren) Klassen 1 und 3 geht - auf etwa 5.600 DM zu veranschlagen sein. In dieser Summe sind 3,5 Gerichtsgebühren nach Ziffer 2110 und 2115 der Anlage 1 zu § 11 Abs. 1 GKG zuzüglich Auslagen für die Zustellung nach Ziffer 9002 sowie - unter Berücksichtigung einer Beweiserhebung - drei Rechtsanwaltsgebühren nebst Auslagen, Fahrtkosten und Abwesenheitsgeld für eine Terminswahrnehmung zuzüglich Umsatzsteuer gemäß §§ 11 Abs. 1, 25 Abs. 2, 26, 28, 31 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) enthalten. Ferner sind - als Auslagen für ein Sachverständigengutachten im Sinne von Ziffer 9005 der Anlage 1 zu § 11 Abs. 1 GKG - Kosten für ein nach dem Sach- und Streitstand voraussichtlich erforderliches, auch vom Kläger angeregtes, (medizinisch-)psychologisches (Ober-)Gutachten eingestellt, deren Höhe der Senat unter Berücksichtigung der fernmündlichen Auskunft der Obergutachterstelle für das Land Nordrhein-Westfalen zur Beurteilung der Eignung von Kraftfahrzeugführern vom 12. September 2001, an deren Richtigkeit zu zweifeln kein Anlass besteht, mit höchstens 2.200,-- DM ansetzt.

Die vom Kläger in seiner Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zum Prozesskostenhilfeantrag gemachten Angaben lassen die Einschätzung zu, dass er diese voraussichtlichen Kosten der Prozessführung durch zumutbaren Einsatz seines Vermögens im Sinne von § 115 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit § 88 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) wird aufbringen können. Ein vom Kläger angegebenes Guthaben auf einem Sparbuch bei der Sparkasse H. beläuft sich auf 3.000,-- DM. Ferner hat er angegeben, Inhaber eines Bausparkontos mit einem Guthaben von 3.200,-- DM und Versicherungsnehmer einer "Lebensversicherung N. Rentenversicherung" mit einem Guthaben bzw. Verkehrswert von 4.000,-- DM zu sein. Nach der ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zählt zum zumutbar verwertbaren Vermögen im Sinne von § 115 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit § 88 BSHG insbesondere der Rückkaufswert einer Kapitallebensversicherung bzw. die Möglichkeit, diese zu beleihen. Hierdurch entstehende steuerrechtliche Nachteile sind ebenso wie Zins- oder Prämiennachteile oder selbst das Zurückbleiben des Rückkaufswertes einer Lebensversicherung hinter den erbrachten Eigenleistungen nach § 115 Abs. 2 ZPO zumutbar. Anderenfalls würde durch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe in nicht hinzunehmender Weise derjenige, der sein Geld so anlegt, dass es ihm vor Ablauf bestimmter Fristen nur bei gleichzeitiger Inkaufnahme finanzieller Nachteile zur Verfügung steht, auf Kosten der Allgemeinheit gegenüber demjenigen begünstigt werden, der vorsorglich für Notfälle, zu denen ein erforderlich werdender Prozess ebenso gehört wie z. B. eine überraschend nötige teure Anschaffung oder Reparatur im Haushalt, Teile seines Vermögens mit der Folge geringerer Rendite nur sofort verfügbar anlegt.

Vgl. Senatsbeschlüsse vom 16. November 1999 - 19 A 2343/99 - m.w.N. sowie vom 10. Februar 2000 - 19 B 49/00 -; BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 1997 - 5 C 7.96 -, FEVS Bd. 48/1998, 145.

Dieser Rechtsgedanke gilt grundsätzlich auch für Bausparguthaben.

Vgl. zu dieser Problematik: Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, Kommentar zur ZPO, 59. Aufl. 2001, § 114 Rdnr. 58; Zöller- Philippi, Kommentar zur ZPO, 22. Aufl. 2001, § 115 Rdnr. 54, 60.

Wird zunächst nur das Bausparguthaben angerechnet, beträgt das Geldvermögen des Klägers etwa 6.200,-- DM. Hiervon ist ein bestimmter Teilbetrag als "kleiner Barbetrag" nach § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG vom Einsatz zur Bestreitung der Prozesskosten freizustellen, der sich nach § 88 Abs. 4 BSHG in Verbindung mit § 1 der Verordnung zur Durchführung des § 88 Abs. 2 Nr. 8 des Bundessozialhilfegesetzes (im Folgenden: VO) bestimmt. Der Freibetrag beläuft sich entweder nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 a) VO auf 2.500,-- DM oder nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 b) VO auf 4.500,-- DM. Anhaltspunkte dafür, dass der zu verschonende Barbetrag unter dem Aspekt gemeinsamen Vermögens des Klägers und seiner Ehefrau nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 VO zu erhöhen wäre, sind ebenso wenig ersichtlich wie Anhaltspunkte dafür, dass der Freibetrag wegen einer besonderen Notlage des Klägers (vgl. § 2 VO) zu erhöhen wäre. Danach ist in jedem Fall von dem Guthaben von 6.200,-- DM ein Betrag von 1.700,-- DM einzusetzen. Zur Aufbringung des dadurch nicht gedeckten Kostenbetrags von etwa 3.900,-- DM kann der Kläger, was nach dem Vorstehenden grundsätzlich zumutbar ist, den Vermögenswert seiner Lebensversicherung, den er mit 4.000,-- DM angegeben hat, jedenfalls durch Beleihung einsetzen.

Dass im vorliegenden Fall eine Beleihung der Lebensversicherung grundsätzlich nicht möglich oder für den Kläger unzumutbar ist, ist von ihm im Prozesskostenhilfeverfahren nicht dargetan und auch sonst nicht ersichtlich. Anhaltspunkte dafür, dass eine Beleihung für den Kläger eine besondere Härte im Sinne von § 115 Abs. 2 ZPO iVm § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG bedeuten würde, hat er nicht geltend gemacht und sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist nichts dafür aufgezeigt, dass seine angemessene Lebensführung durch die mit der Beleihung verbundene Zins- und Tilgungsbelastung im Sinne von § 115 Abs. 2 ZPO iVm § 88 Abs. 3 Satz 2 BSHG wesentlich erschwert würde. Denn für den Kläger ist es zumutbar, dafür sein Einkommen nach § 115 Abs. 1 ZPO einzusetzen. In diesem Zusammenhang kann im Hinblick darauf, dass nach den vom Kläger zum Prozesskostenhilfeantrag gemachten Angaben seine Ehefrau über deutlich höhere Einkünfte als er selbst verfügt und er gegenüber den zwei Kindern seiner Ehefrau nicht unterhaltspflichtig ist, lediglich auf seine Einkommensverhältnisse abgestellt werden. Danach verfügt der Kläger über ein monatliches Bruttoeinkommen von 2.800,-- DM. Nach Abzug der von ihm geltend gemachten monatlichen Belastungen an Steuern, Sozialversicherungsbeiträgen und Werbungskosten, die zu seinen Gunsten in Höhe von (200,-- DM + 540,-- DM + 70,-- DM =) 810,-- DM berücksichtigt werden, obschon sie nicht belegt sind, verbleibt ein einzusetzendes Einkommen von 1990,-- DM; der als sonstige Versicherungsbeiträge angegebene Betrag kann hingegen nicht abgesetzt werden, da jeglicher Anhalt für den Grund der Belastung fehlt. Nach weiterem Abzug des auf den Kläger (aktuell) entfallenden Freibetrags nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 ZPO von 689,-- DM und der von ihm getragenen Unterkunftskosten von 560,--DM ist gemäß § 115 Abs. 1 Satz 4 ZPO dem Kläger die Aufbringung von monatlichen Raten in Höhe von 270,-- DM zumutbar. Selbst bei Zugrundelegung von Zins- und Tilgungsbelastungen von 50 % für einen Kredit in Höhe der nicht durch das einzusetzende Barvermögen gedeckten voraussichtlichen Prozesskosten von etwa 3.900,-- DM ergibt sich aber nur eine monatliche Belastung von (3900,-- DM x 50% : 12 Monate =) 162,50 DM.

Demgemäß konnte dem Kläger Prozesskostenhilfe unabhängig von den Erfolgsaussichten seiner Klage nicht bewilligt werden. Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin: Im Hinblick darauf, dass das Verwaltungsgericht unter Heranziehung von Senatsrechtsprechung den angeführten Gutachten, mithin auch dem Psychologischen Obergutachten der Obergutachterstelle für das Land Nordrhein-Westfalen vom 31. Dezember 1998, wegen der seit ihrer Erstellung vergangenen Zeit von mehr als einem Jahr keine hinreichende Aussagekraft für die Beurteilung der aktuellen Kraftfahreignung des Klägers beigemessen hat, dürfte eine weitere Sachverhaltsaufklärung durch ein (medizinisch-)psychologisches (Ober-)Gutachten angezeigt sein. Angesichts dessen kann die hinreichende Erfolgsaussicht der Klage nicht schon mit der Erwägung verneint werden, es sei Sache des Klägers als Fahrerlaubnisbewerber, das Sachverständigengutachten in Auftrag zu geben und beizubringen, weil das Vorliegen der Kraftfahreignung vom Gesetz positiv als Voraussetzung für die Fahrerlaubniserteilung gefordert sei und keine Eignungsvermutung mehr bestehe. Auch unter Berücksichtigung der Verpflichtung der Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken, bleibt es nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO Aufgabe des Gerichts, von sich aus den entscheidungserheblichen Sachverhalt zu ermitteln und von Amts wegen die erforderlichen Beweise zu erheben, soweit - wie hier - der Prozessstoff einschließlich des Vorbringens der Beteiligten hierzu hinreichenden Anlass bietet.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juni 1999 - 9 C 36.98 -, NVwZ 2000, 81 (82); Dawin, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 86 Rdnr. 8 ff., 28; Höfling/Breustedt, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 86 Rdnr. 12 ff.

Zu dem entscheidungserheblichen Sachverhalt, auf den sich die Amtsermittlungspflicht des Gerichts bezieht, gehören auch die anspruchsbegründenden Tatsachen, für die derjenige die Beweislast trägt, der aus ihnen eine günstige Rechtsfolge herleitet. Die Beweislast besagt aber nichts dazu, wer Beweis zu erheben hat; sie greift erst, wenn sich gegebenenfalls nach erforderlicher Sachverhaltsaufklärung im gebotenen Umfang die entscheidungserhebliche Tatsache als nicht erweislich herausstellt. Diese Maßgaben gelten auch in auf Erteilung der Fahrerlaubnis gerichteten gerichtlichen Verfahren; aus § 2 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) folgt nichts anderes. Das Vorliegen der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ist gesetzliche Voraussetzung für die Fahrerlaubniserteilung (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG); daraus folgt lediglich, dass der Fahrerlaubnisbewerber die Beweislast für das Vorliegen der die Kraftfahreignung begründenden Tatsachen trägt, die Nichtfeststellbarkeit der Eignung also zu seinen Lasten geht.

Vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 2 StVG Rdnr. 7.

Dies wird durch die Regelung in § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 StVG unterstrichen, wonach der Fahrerlaubnisbewerber u. a. das Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, also die Kraftfahreignung, nachzuweisen hat. Es liegt auf der Hand, dass durch diese Beweislastregelung die Amtsermittlungspflicht des Gerichts aus § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht in der Weise eingeschränkt wird, dass der Kläger anstelle des Gerichts ein Sachverständigengutachten über die strittige Eignungsfrage von sich aus einzuholen und dem Gericht vorzulegen hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).






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