Bundespatentgericht:
Beschluss vom 15. Juli 2009
Aktenzeichen: 19 W (pat) 35/09

(BPatG: Beschluss v. 15.07.2009, Az.: 19 W (pat) 35/09)

Tenor

1.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

2.

Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

Gründe

I.

Das Deutsche Patentund Markenamt -Prüfungsstelle für Klasse G07D -hat die vorliegende Anmeldung mit der Bezeichnung

"Vorrichtung und Verfahren zum Automatischen Ausgeben oder Annehmen von Gegenständen"

durch Beschluss vom 19. Juli 2005 mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Patentanspruch 1 mangels erfinderischer Tätigkeit nicht gewährbar sei.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Anmelders.

Der geltende Patentanspruch 1 lautet mit einer eingefügten Gliederung:

a) Vorrichtung zum automatischen Ausgeben oder Annehmenvon Gegenständen b) mit einer Ausgabeoder Annahmeeinheit c) sowie mindestens einer Ausgabeoder Speichermaschine, d) wobei eine Transportschale sowohl zum Ausgeben oder Annehmen der Gegenstände als auch zum Transportieren der Gegenstände von der Ausgabeoder Annahmeeinheit zuder Ausgabeund Speichermaschine und umgekehrt vorgesehen ist unde) Mittel zum Fördern der Transportschale von der Ausgabeoder Speichermaschine zu der Ausgabeoder Annahmeeinheit vorgesehen sind, dadurch gekennzeichnet, f) daß die Ausgabeoder Annahmeeinheit (1) ein Bedienfeld aufweist, das höhenund/oder seitenverstellbar ist.

Der Anmeldung liegt die Aufgabe zugrunde, eine Vorrichtung zum automatischen Ausgeben oder Annehmen von Gegenständen zu schaffen, bei der eine kundenfreundlichere Ausgabe oder Annahme von Gegenständen nahezu beliebiger Menge und Art insbesondere von Geldscheinen oder Rollen, erfolgen kann (S. 3a und 4 übergreifender Absatz).

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Der Anmelder begründet seine Beschwerde im Wesentlichen wie folgt: Es sei für eine Patenterteilung nicht erforderlich, dass eine konstruktive Besonderheit vorliege, sondern § 4 PatG verlange lediglich, dass die Erfindung für den Fachmann sich nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergebe. Der entgegengehaltene Stand der Technik enthalte keinerlei Hinweis, welcher es dem Fachmann nahelegen würde, ein höhenoder seitenverstellbares Bedienfeld an einer Ausgabeoder Annahmeeinheit der erfindungsgemäßen Art vorzusehen, obwohl das Bedürfnis hierfür bereits seit langem bestand. Im Übrigen setzt er sich mit dem Ablauf des Prüfungsverfahrens auseinander und legt dar, warum aus seiner Sicht das rechtliche Gehör verletzt sei.

Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß mit Schriftsatz vom 9. September 2005, den Beschluss vom 19. Juli 2005 aufzuheben und dem Erteilungsantrag stattzugeben, sowie die Beschwerdegebühr zurückzuerstatten.

II.

Die formund fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, sie hat jedoch keinen Erfolg. Denn der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit und ist deshalb nach § 4 PatG nicht patentfähig.

Bei der vorliegenden Anmeldung geht es um eine Vorrichtung zum Ausgeben oder Annehmen -nach den Ausführungsbeispielen -von Geldscheinen oder Geldrollen. Im Anspruch ist allgemein von Gegenständen die Rede. Dabei ist eine Ausgabeoder Annahmeeinheit und eine Ausgabeund Speichermaschine vorgesehen, sowie eine Transportschale zum Transportieren der Gegenstände zwischen diesen beiden Einheiten. Als Besonderheit ist im geltenden Patentanspruch vorgesehen, dass die Ausgabeoder Annahmeeinheit ein Bedienfeld aufweist, das höhenund/oder seitenverstellbar ist (ursprünglicher Patentanspruch 5). Im Prüfungsverfahren wurde unter anderem die vorveröffentlichte Druckschrift EP 143 663 A2 genannt, der eine besondere Bedeutung zukommt. Daneben wurde im Beschwerdeverfahren seitens des Bundespatentgerichts noch auf die US 3 556455 DE 4430533A1 hingewiesen.

Aus der EP 143 663 A2 ist bekannt:

a) Vorrichtung zum automatischen (zwischen Einheiten 1 und 2) Ausgeben oder Annehmen von Gegenständen (Abstract)

b) mit einer Ausgabeoder Annahmeeinheit (1)

c) sowie mindestens einer Ausgabeoder Speichermaschine (2 mit 2a und 2b), d) wobei eine Transportschale (vessel 30 in carrier 3a S. 14 Z. 9-16) sowohl zum Ausgeben oder Annehmen der Gegenstände als auch zum Transportieren der Gegenstände vonder Ausgabeoder Annahmeeinheit zu der Ausgabeund Speichermaschine und umgekehrt vorgesehen ist unde) Mittel (3) zum Fördern der Transportschale von der Ausgabeoder Speichermaschine zu der Ausgabeoder Annahmeeinheit vorgesehen sind (Fig. 1).

Die US 3 556 455 (Fig. 1, Teil 32 i. V. m. Sp. 4 Z. 16-24) zeigt eine höhenverstellbare Bedieneinrichtung. Die DE 44 30 533 A1 betrifft verstellbare Versorgungseinrichtungen.

Wenn nun der Fachmann (Dipl.-Ing. FH Maschinenbau) die Ausgabeoder Annahme kundenfreundlicher machen soll, wird er sich mit den ergonomischen Gegebenheiten dieser Einheit auseinandersetzen und bemerken, dass sich für eine Vielzahl von Kunden aufgrund ihrer anatomischen Voraussetzungen oder Behinderungen die Ausgabeoder Annahmeeinheit nicht immer in der idealen Position befindet. Er kennt nun aus anderen, z. B. in den Druckschriften US 3 556 455 und DE 44 30 533 A1, gezeigten Anwendungen die Höhenverstellbarkeit von entsprechenden Einrichtungen. Er wird diese Eigenschaft auf die Vorrichtung nach der EP 143 663 A2 übertragen und so zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 gelangen ohne erfinderisch tätig werden zu müssen.

Der Patentanspruch 1 ist deshalb nicht gewährbar. Mit ihm fallen auch die auf ihn rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 5.

Dem Antrag des Anmelders, die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen, war aus Gründen der Billigkeit stattgegeben (§ 80 Abs. 3 PatG). Das Verfahren vor der Prüfungsstelle leidet an dem schwerwiegenden Verfahrensfehler der Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, §§ 48 Satz 2 i. V. m. 42 Abs. 3 Satz 2 PatG), von dem nicht auszuschließen ist, dass er für die Beschwerdeeinlegung ursächlich war.

In einem ersten Bescheid vom 18. Dezember 2000 hat die Prüfungsstelle die -ursprünglichen -Patentansprüche 1 und 8 hauptsächlich im Hinblick auf die Druckschrift DE 89 05 653 U1 -unter lediglich ergänzendem Hinweis auf die Druckschrift EP 143 663 A2 -als nicht erfinderisch beanstandet. Damit fielen auch die Unteransprüche 2 bis 7 sowie 9 bis 12, deren aufgabenhafte Merkmale keine technische Besonderheit erkennen ließen. Auf die Erwiderung des Anmelders vom 27. März 2001 hat die Prüfungsstelle mit einem zweiten Bescheid vom 17. Juni 2004 abermals die mangelnde Erfindungshöhe der -ursprünglichen -Patentansprüche 1, 8 bzw. 10 moniert, unter ergänzendem Hinweis auf die neu eingeführte Druckschrift US 4 411 336. Bezüglich der Unteransprüche wird nur allgemein ausgeführt, dass diese keine das Vorliegen einer Erfindung stützenden technische Besonderheiten aufwiesen und auch bei einer Aufnahme von Merkmalen aus Unteransprüchen in den Hauptanspruch ein Erfolg der Anmeldung nicht in Aussicht gestellt werden könne. Die vom Anmelder beantragte Anhörung wurde als nicht sachdienlich erachtet. Daraufhin hat der Anmelder mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2004 neue Patentansprüche 1 bis 5 sowie eine geänderte Beschreibung eingereicht und sich im Einzelnen mit den drei eingeführten Druckschriften auseinandergesetzt, denen gegenüber nach seiner Auffassung insbesondere das aus dem ursprünglichen Unteranspruch 5 stammende Merkmal eines höhenund seitenverstellbaren Bedienfeldes in dem geltenden Patenanspruch 1 neu und erfinderisch sei. Ohne die erneut hilfsweise von dem Anmelder beantragte mündliche Anhörung durchzuführen oder mit einem weiteren Bescheid die mangelnde Patentfähigkeit der neu eingereichten Patentansprüche zu beanstanden, ist der die Anmeldung zurückweisende Beschluss der Prüfungsstelle vom 19. Juli 2005 ergangen.

Eine solche Vorgehensweise verstößt gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), der in §§ 48 Satz 2 i. V. m. 42 Abs. 3 Satz 2 PatG für das Patenterteilungsverfahren seinen Niederschlag gefunden hat. Danach darf die Zurückweisung einer Patentanmeldung nur auf Umstände gestützt werden, die dem Anmelder vorher mitgeteilt worden sind und zu denen er sich in angemessener Frist äußern konnte. Dies ist hier nicht in ausreichendem Umfang geschehen. Insbesondere ist dem Anmelder nicht mitgeteilt worden, aus welchen Gründen die Prüfungsstelle das in den neuen Patentanspruch 1 aufgenommene o. g. Merkmal für ungeeignet erachtet, die Patentfähigkeit der Anmeldung zu begründen. Die nur allgemeinen, formelhaften Ausführungen zu den ursprünglichen Unteransprüchen in den beiden vorgehenden Bescheiden der Prüfungsstelle, aus denen Art und Umfang der Beanstandung nicht eindeutig erkennbar wird, insbesondere nicht, welche -konkret recherchierten -Merkmale von Unteransprüchen i. V. m. Merkmalen der jeweiligen Hauptansprüche der Patentfähigkeit entgegenstehen (vgl. Schulte, PatG, 8. Aufl., § 45 Rdn. 16-17, m. Nw. aus der Rspr.), können insoweit nicht den Anforderungen an die Gewährung rechtlichen Gehörs genügen, zumal der Anmelder der Auffassung der Prüfungsstelle in seiner Eingabe vom 27. Dezember 2004 ausdrücklich widersprochen hat (vgl. Schulte, a. a. O., § 48 Rdn. 17, m. Nw. aus der Rspr.). Es hätte daher vor der Zurückweisung der Anmeldung eines weiteren konkreten Beanstandungsbescheids der Prüfungsstelle zu den neuen Patentansprüchen bedurft oder die fraglichen Ablehnungsgründe hätten dem Anmelder in einer von ihm beantragten und unter den dargelegten Umständen auch sachdienlichen mündlichen Anhörung (§ 46 PatG) mitgeteilt und mit ihm erörtert werden müssen. Da ohne die fehlerhafte Verfahrensbehandlung bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs die Beschwerdeeinlegung vermeidbar gewesen wäre, entspricht es der Billigkeit, dem Anmelder die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen (vgl. Schulte, a. a. O., § 73 Rdn. 135 und 138 m. Nw. aus der Rspr.).

Bertl Dr. Kaminski Kirschneck Groß

Fa






BPatG:
Beschluss v. 15.07.2009
Az: 19 W (pat) 35/09


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