Bundespatentgericht:
Beschluss vom 12. August 2009
Aktenzeichen: 35 W (pat) 416/08

(BPatG: Beschluss v. 12.08.2009, Az.: 35 W (pat) 416/08)

Tenor

1.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen.

2.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.

1. Die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin S... AG ist Inhaberin des deutschen Gebrauchsmusters 200 23 180 mit der Bezeichnung

"System aus einem Material und einer einkomponentigen Dichtmasse auf Basis einer Dispersion von Vinylpolymeren".

Das Streitgebrauchsmuster ist durch Abzweigung aus der deutschen Patentanmeldung 100 00 940.9 entstanden und hat den 12. Januar 2000 als Anmeldetag. Es wurde am 17. April 2003 mit 20 Schutzansprüchen in das Gebrauchsmusterregister beim Deutschen Patentund Markenamt eingetragen.

Die eingetragenen Schutzansprüche 1 bis 20 haben folgenden Wortlaut:

"1. System, bestehend aus einem Material, das im Baubereich im Dachbereich anzuschließen und/oder abzudichten ist, und aus einer einkomponentigen Dichtmasse auf Basis einer Dispersion von Vinylpolymeren in einem wässrigen Medium, wobei die Dichtmasse im Nasszustand im wesentlichen frei von flüchtigen organischen Verbindungen (VOC) und im Trockenzustand selbstklebend ist.

2.

System nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das Material ein Polyolefin-Material ist.

3.

System nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das Material ein Polyamid-Material ist.

4.

System nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das Material ein Polyester-Material ist.

5.

System nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das Material ein Vlies-Material ist.

6.

System nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das Material ein Papier-Material ist.

7.

System nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass das Material eine Folie ist.

8.

System nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Dichtmasse im Trockenzustand eine Schälhaftung auf polyolefinischen Materialien von wenigstens 5 N/25 mm (nach DIN EN 1939) bei sowohl 5¡ C als auch bei 23¡ C hat.

9.

System nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Dichtmasse im Trockenzustand eine Schälhaftung von wenigstens 5 N/25 mm zwischen etwa 5 und etwa 50¡ C auf beispielsweise Polyolefin-Materialien hat.

10.

System nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Dichtmasse im Trockenzustand ein Schubmodul G' im Bereich von etwa 5 105 Pa bis etwa 5 103 Pa bei 25¡ C, von weniger als etwa 5 105 Pa bei Temperaturen tiefer als -10¡ C und von mehr als etwa 5 103 Pa bei Temperaturen höher als 60¡ C hat.

11.

System nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Dichtmasse im Trockenzustand aus wenigstens einer Phase besteht, deren Glasübergangstemperatur Tg unter etwa 10¡ C liegt.

12.

System nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Dichtmasse im Nasszustand, jeweils bezogen auf 100 Gewichtsteile Dichtmasse, mit etwa 0 bis etwa 80 Gewichtsteilen Additiven modifiziert ist, wobei die Additive weniger als etwa 3 Gewichtsteile flüchtige organische Verbindungen (VOC) umfassen.

13.

System nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Dichtmasse im Nasszustand eine Viskosität von wenigstens 50 Pa s bei 23¡ C hat.

14.

System nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Vinylpolymeren der Dichtmasse ein Polymer auf Basis von wenigstens Acrylatund/oder Methacrylat-Monomeren enthalten.

15.

System nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Dichtmasse im Nasszustand etwa 15 bis etwa 90 Gew.-% Vinylpolymere, bezogen auf 100 Gew.-% Dichtmasse, enthält.

16.

System nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Dichtmasse im Nasszustand etwa 25 bis etwa 80 Gew.-% Vinylpolymere, bezogen auf 100 Gew.-% Dichtmasse, enthält.

17.

System nach einem der Ansprüche 12 bis 16, dadurch gekennzeichnet, dass die Additive der Dichtmasse wenigstens eine Verbindung ausgewählt aus wasserlöslichen Verbindungen, anorganischen Füllstoffen, organischen Füllstoffen, Vernetzern, Haftvermittlern, Stabilisatoren, Entschäumern, Tensiden, Trocknungsadditiven und flüchtigen organischen Verbindungen (VOC) umfassen.

18.

System nach Anspruch 17, dadurch gekennzeichnet, dass die wasserlöslichen Verbindungen wenigstens eine Verbindung ausgewählt aus Natriumchlorid, Kaliumchlorid, Calciumchlorid, Natriumsulfat, Methanol, Ethanol, Propanol, Aceton, Ethylglykol und Propylenglykol umfassen.

19.

System nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Dichtmasse in einer Kartusche oder einem Kunststoffbeutel enthalten ist.

20.

System nach Anspruch 19, dadurch gekennzeichnet, dass die Dichtmasse mit einer Presspistole verarbeitbar ist.

2. Hiergegen haben folgende Firmen S1... mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2003, Antragstellerin I, M... GmbH mit Schriftsatz vom 9. Juni 2005, Antragstellerin II und Beschwerdegegnerin I, K... GmbH mit Schriftsatz vom 16. Juni 2006, Antragstellerin III und Beschwerdegegnerin II, H... GmbH & Co. KG mit Schriftsatz vom 2. Juni 2006, Antragstellerin IV und Beschwerdegegnerin III, C... AG mit Schriftsatz vom 21. März 2007, Antragstellerin V und Bechwerdegegnerin IV, übereinstimmend die Löschung des Streitgebrauchsmusters wegen Schutzunfähigkeit beantragt. Als Gründe haben sie fehlende Ausführbarkeit, unzulässige Erweiterung, mangelnde Neuheit und mangelnden erfinderischen Schritt sowie offenkundige Vorbenutzung anhand verschiedener Handelsprodukte angeführt.

Die Antragstellerinnen haben ihr Vorbringen auf zahlreiche Druckschriften und Unterlagen gestützt sowie Zeugenbeweis für die im Zusammenhang mit der offenkundigen Vorbenutzung vorgebrachten Tatsachen angeboten.

Mit Schriftsatz vom 31. Mai 2005 hat die Antragstellerin I den Löschungsantrag gegen das angegriffene Gebrauchsmuster zurückgenommen, weil sich die Parteien verglichen haben. Sie ist damit am Verfahren nicht mehr beteiligt.

Die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin hat dem Vorbringen der Antragsstellerinnen in mehreren Schriftsätzen unter Bezugnahme auf eine Vielzahl von Dokumenten in allen Punkten widersprochen.

3.

Die einzelnen Gebrauchsmusterlöschungsverfahren sind durch Verbindungsbeschlüsse der Gebrauchsmusterabteilung I des Deutschen Patentund Markenamts vom 11. Januar 2007 und vom 7. November 2007 verbunden worden.

4.

Im Zwischenbescheid vom 3. Mai 2007 hat die Gebrauchsmusterabteilung I den Beteiligten ihre vorläufige Auffassung mitgeteilt, wonach die Löschungsanträge voraussichtlich in vollem Umfang Erfolg hätten, da der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters zumindest nicht auf einem erfinderischen Schritt beruhe. Hierzu hat sie folgende Dokumente herangezogen:

E1 Produktinformation PRIMUR, Preisliste vom 1. September 1997; (Prüfbericht des Fraunhofer Instituts für Bauphysik http-04/1999; Informationsblatt "Dampfbremsen luftdicht einbauen", mit Fax vom 12. Dezember 1997)

E2 DE 196 24 148 A1 E3 Technische Information Klebrohstoffe, ACRONAL 81 D, Mai 1996 E4 Technische Information Haftklebstoffe 3, September 1988 E5 DE 100 00 940 A1 (Ursprungsanmeldung)

E6 "Handbook of Pressure Sensitive Adhesives Technology", Donatas Satas, 1999, Seiten 396 bis 493 E7 Technische Information Klebrohstoffe, ACRONAL V 205, Juli 1992 E8 D. Urban, E. Wistuba, "Anwendungen in der Klebstoffindustrie" in D. Distler, "Wässrige Polymerdispersionen", 1999, Seiten 10 bis 32.

5. In der mündlichen Verhandlung vom 26. November 2007 haben die Antragstellerinnen zu II, zu III, zu IV und zu V die Löschung des Streitgebrauchsmusters beantragt.

Die Antragsgegnerin hat die Aufrechterhaltung des Streitgebrauchsmusters im Umfang des in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Hauptantrags und hilfsweise die Aufrechterhaltung des Streitgebrauchsmusters im Umfang des Hilfsantrages beantragt. Zur Begründung des erfinderischen Schrittes überreichte die Anstragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung eine Zusammenstellung mit entsprechenden "Beweisanzeichen" (vorgelegte Mappe).

Die Schutzansprüche 1 bis 20 gemäß Hauptantrag lauten (Änderungen gegenüber der eingetragenen Anspruchsfassung sind kursiv dargestellt):

"1. System, bestehend aus einem Material, das im Baubereich im Dachbereich anzuschließen und/oder abzudichten ist, und aus einer einkomponentigen standfesten, fließfähigen Dichtmasse auf Basis einer Dispersion von Polyacrylaten in einem wässrigen Medium, wobei die Dichtmasse im Nasszustandals Additive 0 bis 10 Gewichtsteile flüchtige organische Verbindungen (VOC) und 5 bis 80 Gewichtsteile Füllstoffe, jeweils bezogen auf 100 Gewichtsteile Dichtmasse, aufweist sowie 15 bis 90 Gew.-% Polyacrylate und 5 bis 50 Gew.-% wässriges Medium enthaltend Wasser und gegebenenfalls wasserlösliche Additive, jeweils bezogen auf 100 Gew.-% Dichtmasse, wobei der Rest Additive sind, enthält, undim Trockenzustand eine selbstklebende Eigenschaft aufweist, bei der der Weg einer laufenden Kugel bei Messung gemäß "Test Methods for Pressure-Sensitive Adhesives, 6th edition, Pressure sensitive tape council, Itasca III" weniger als 5 cm beträgt.

2.

System nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das Material ein Polyolefin-Material ist.

3.

System nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das Material ein Polyamid-Material ist.

4.

System nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das Material ein Polyester-Material ist.

5.

System nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das Material ein Vlies-Material ist.

6.

System nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das Material ein Papier-Material ist.

7.

System nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass das Material eine Folie ist.

8.

System nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Dichtmasse im Trockenzustand eine Schälhaftung auf polyolefinischen Materialien von wenigstens 5 N/25 mm (nach DIN EN 1939) bei sowohl 5¡ C als auch bei 23¡ C hat.

9.

System nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Dichtmasse im Trockenzustand eine Schälhaftung von wenigstens 5 N/25 mm zwischen 5 und 50¡ C auf beispielsweise Polyolefin-Materialien hat.

10.

System nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Dichtmasse im Trockenzustand ein Schubmodul G' im Bereich von 5 105 Pa bis 5103 bei 25¡ C, von weniger als 5 105 Pa bei Temperaturen tiefer als -10¡ C und von mehr als 5 103 Pa bei Temperaturen höher als 60 ¡C hat.

11.

System nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Dichtmasse im Trockenzustand aus wenigstens einer Phase besteht, deren Glasübergangstemperatur Tg unter 10¡ C liegt.

12.

System nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Dichtmasse im Nasszustand, jeweils bezogen auf 100 Gewichtsteile Dichtmasse, mit bis zu 80 Gewichtsteilen Additiven modifiziert ist, wobei die Additive weniger als 3 Gewichtsteile flüchtige organische Verbindungen (VOC) umfassen.

13.

System nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Dichtmasse im Nasszustand eine Viskosität von wenigstens 50 Pa s bei 23¡ C hat.

14.

System nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Polyacrylate der Dichtmasse Acrylatund/oder Methacrylat-Monomere enthalten.

15.

System nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Dichtmasse im Nasszustand 25 bis 80 Gew.-% Polyacrylate, bezogen auf 100 Gew.-% Dichtmasse, enthält.

16.

System nach einem der Ansprüche 12 bis 15, dadurch gekennzeichnet, dass die Additive der Dichtmasse wenigstens eine Verbindung ausgewählt aus wasserlöslichen Verbindungen, anorganischen Füllstoffen, organischen Füllstoffen, Vernetzern, Haftvermittlern, Stabilisatoren, Entschäumern, Tensiden, Trocknungsadditiven und flüchtigen organischen Verbindungen (VOC) umfassen.

17.

System nach Anspruch 16, dadurch gekennzeichnet, dass die wasserlöslichen Verbindungen wenigstens eine Verbindung ausgewählt aus Natriumchlorid, Kaliumchlorid, Calciumchlorid, Natriumsulfat, Methanol, Ethanol, Propanol, Aceton, Ethylenglykol und Propylenglykol umfassen.

18.

System nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Dichtmasse in einer Kartusche oder einem Kunststoffbeutel enthalten ist.

19.

System nach Anspruch 18, dadurch gekennzeichnet, dass die Dichtmasse mit einer Presspistole verarbeitbar ist.

20.

System nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Dichtmasse eine selbstklebende Eigenschaft aufweist, bei der der Weg der laufenden Kugel weniger als 3 cm beträgt.

Der Hilfsantrag umfasst 19 Schutzansprüche, wovon der Schutzanspruch 1 wie folgt lautet (Änderungen gegenüber der Anspruchsfassung des Schutzanspruches 1 gemäß Hauptantrag sind kursiv dargestellt):

"1. System, bestehend aus einer Bahn, die im Baubereich im Dachbereich anzuschließen und/oder abzudichten ist, und aus einer einkomponentigen standfesten, fließfähigen Dichtmasse auf Basis einer Dispersion von Polyacrylaten in einem wässrigen Medium, wobei die Dichtmasseim Nasszustand als Additive 0 bis 10 Gewichtsteile flüchtige organische Verbindungen (VOC) und 5 bis 80 Gewichtsteile Füllstoffe, jeweils bezogen auf 100 Gewichtsteile Dichtmasse, aufweist sowie 15 bis 90 Gew.-% Polyacrylate und 5 bis 50 Gew.-% wässriges Medium enthaltend Wasser und gegebenenfalls wasserlösliche Additive, jeweils bezogen auf 100 Gew.-% Dichtmasse, wobei der Rest Additive sind, enthält, undim Trockenzustand eine selbstklebende Eigenschaft aufweist, bei der der Weg einer laufenden Kugel bei Messung gemäß "Test Methods for Pressure-Sensitive Adhesives, 6th edition, Pressure sensitive tape council, Itasca III" weniger als 3 cm beträgt, wobei der Trockenzustand den Zustand bezeichnet, den die Dichtmasse 1 Stunde nach ihrem Auftrag auf Si-Papier bei einem Auftragsgewicht von etwa 300 g/m2 (trocken) bei 70¡ C erreicht und die Dichtmasse im Nasszustand eine Viskosität von wenigstens 150 Pa s bei 23¡ C hat.

Wegen der Schutzansprüche 2 bis 19 wird auf die Ansprüche 2 bis 19 gemäß Hauptantrag verwiesen.

6.

Mit Beschluss vom 13. Dezember 2007 hat die Gebrauchsmusterabteilung I das deutsche Gebrauchsmuster 200 23 180 vollständig gelöscht, weil der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters schutzunfähig sei. Er ergebe sich in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik gemäß E1 bis E8, insbesondere ausgehend von E1 bei Kenntnis von E2, und beruhe daher nicht auf einem erfinderischen Schritt (§ 1 Abs. 1 GebrMG i. V. m. § 15 Abs. 1 Nr. 1 GebrMG; zum Begriff "erfinderischer Schritt" vgl. BGH BlPMZ 2006, 321 - Demonstrationsschrank).

7.

Gegen den Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung I des Deutschen Patentund Markenamts vom 13. Dezember 2007, zugestellt am 18. Dezember 2007, hat die Gebrauchsmusterinhaberin (Beschwerdeführerin) mit Schriftsatz vom 17. Januar 2008, eingegangen am 17. Januar 2008 beim Deutschen Patentund Markenamt, gemäß § 18 Abs. 1 GebrMG Beschwerde eingelegt und beantragt, den Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung aufzuheben und das Gebrauchsmuster 200 23 180 aufrechtzuerhalten sowie eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.

In der Beschwerdebegründung vom 28. Oktober 2008 hat die Gebrauchsmusterinhaberin die Auffassung vertreten, der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters beruhe gegenüber einer Kombination von E1 mit der E2 auf einem erfinderischen Schritt, weil das beanspruchte System mit der selbstklebenden Dichtmasse durch diesen Stand der Technik nicht nahegelegt werde. So unterscheide sich PRIMUR gemäß E1 nicht nur bezüglich der Lösungsmittelbasis, sondern auch hinsichtlich der "Art" der Klebrigkeit von der selbstklebenden Dichtmasse des Streitgebrauchsmusters, denn bei PRIMUR handele es sich nicht um eine im Trockenzustand selbstklebende Masse, sondern um eine Masse, die zwar im Nasszustand klebe, aber im Trockenzustand ausgetrocknet sei und deshalb nicht mehr klebe. In der E2 finde sich nirgends eine Anregung, eine im Nasszustand klebende und im Trockenzustand nicht mehr klebende Dichtmasse (gemäß E1) so zu gestalten, dass sie im Trockenzustand selbstklebend sei, geschweige denn, dass diese eine Selbstklebrigkeit gemäß Anspruch 1 aufweise. Dies gelte umso mehr, als die einzige, in E2 explizit offenbarte Dichtmasse (Fugendichtmasse auf Seite 6, Zeilen 7 bis 12) im Trockenzustand nicht selbstklebend sei, wie auch von der Gebrauchsmusterabteilung anerkannt worden sei (vgl. Beschluss vom 13. Dezember 2007, Seite 8, letzter Absatz). Anders gesagt, es finde sich nirgends eine Anregung, eine Dichtmasse mit einer im Trockenzustand selbstklebenden Eigenschaft zu versehen. Um diesen Schritt zu gehen, habe es vielmehr eines erfinderischen Schrittes bedurft (vgl. Schriftsatz vom 28. Oktober 2008, Seite 2, Absatz 2 bis Seite 4, Absatz 1).

Darüber hinaus hat sie mit Schriftsatz vom 8. Juni 2009 die Hilfsanträge 2 und 3 eingereicht und mitgeteilt, dass der Hauptantrag und Hilfsantrag 1 gemäß Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung unverändert weiterverfolgt werden. Des Weiteren hat sie zwei Gutachten von Herrn Prof. Dr. R... von der Fachhochschule Aachen vorgelegt.

Der mit Schriftsatz vom 8. Juni 2009 vorgelegte Hilfsantrag 2 umfasst 16 Schutzansprüche, wovon die Schutzansprüche 1 und 2 folgenden Wortlaut haben (Änderungen gegenüber der Anspruchsfassung gemäß Hauptantrag sind kursiv dargestellt):

"1. System, bestehend aus einem Polyolefin-Material, das im Baubereich im Dachbereich anzuschließen und/oder abzudichten ist, und aus einer einkomponentigen standfesten, fließfähigen Dichtmasse auf Basis einer Dispersion von Polyacrylaten in einem wässrigen Medium, wobei die Dichtmasseim Nasszustand als Additive 0 bis 10 Gewichtsteile flüchtige organische Verbindungen (VOC) und 5 bis 80 Gewichtsteile Füllstoffe, jeweils bezogen auf 100 Gewichtsteile Dichtmasse, aufweist sowie 15 bis 90 Gew.-% Polyacrylate und 5 bis 50 Gew.-% wässriges Medium enthaltend Wasser und gegebenenfalls wasserlösliche Additive, jeweils bezogen auf 100 Gew.-% Dichtmasse, wobei der Rest Additive sind, enthält, undim Trockenzustand eine selbstklebende Eigenschaft aufweist, bei der der Weg einer laufenden Kugel bei Messung gemäß "Test Methods for Pressure-Sensitive Adhesives, 6th edition, Pressure sensitive tape council, Itasca III" weniger als 5 cm beträgt.

2. System nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das Material eine Bahn ist.

Die nachfolgenden Schutzansprüche 3 bis 16 entsprechen den Ansprüchen 7 bis 20 des Hauptantrages.

Der mit Schriftsatz vom 8. Juni 2009 vorgelegte Hilfsantrag 3 umfasst 20 Schutzansprüche, wovon der neue Schutzanspruch 1 folgenden Wortlaut hat (die Änderung gegenüber der Fassung des Anspruches 1 gemäß Hauptantrag ist kursiv dargestellt):

"1. System, bestehend aus einem Material, das im Baubereich im Dachbereich anzuschließen und/oder abzudichten ist, und aus einer einkomponentigen standfesten, fließfähigen Dichtmasse auf Basis einer Dispersion von Polyacrylaten in einem wässrigen Medium, wobei die Dichtmasse im Nasszustandals Additive 0 bis 10 Gewichtsteile flüchtige organische Verbindungen (VOC) und 10 bis 70 Gewichtsteile Füllstoffe, jeweils bezogen auf 100 Gewichtsteile Dichtmasse, aufweist sowie 15 bis 90 Gew.-% Polyacrylate und 5 bis 50 Gew.-% wässriges Medium enthaltend Wasser und gegebenenfalls wasserlösliche Additive, jeweils bezogen auf 100 Gew.-% Dichtmasse, wobei der Rest Additive sind, enthält, undim Trockenzustand eine selbstklebende Eigenschaft aufweist, bei der der Weg einer laufenden Kugel bei Messung gemäß "Test Methods for Pressure-Sensitive Adhesives, 6th edition, Pressure sensitive tape council, Itasca III" weniger als 5 cm beträgt.

Zu den nachfolgenden Schutzansprüchen 2 bis 20 wird auf die Ansprüche 2 bis 20 des Hauptantrages verwiesen.

Die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin beantragt, Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückweisung des Löschungsantrages im Umfang des Hauptantrages, hilfsweise im Umfang des Hilfsantrages 1, jeweils vom 26. November 2007, weiter hilfsweise im Umfang der Hilfsanträge 2 und 3, eingereicht mit Schriftsatz vom 8. Juni 2009.

Die Antragstellerinnen und Beschwerdegegnerinnen beantragen, jeweils Zurückweisung der Beschwerde.

Nach Auffassung der Beschwerdegegnerinnen liegt kein Grund vor, den angefochtenen Beschluss aufzuheben, vielmehr sei das Streitgebrauchsmuster in den verteidigten Fassungen zu löschen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien und weiterer Einzelheiten sowie der vollständigen Anspruchsfassungen gemäß den Hilfsanträgen wird auf den Aklteninhalt verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin (Beschwerdeführerin) ist nicht begründet. Denn der Löschungsantrag ist gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 GebrMG in vollem Umfang begründet. Das Gebrauchsmuster ist im Umfang der verteidigten Schutzansprüche gemäß Hauptantrag und gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 3 nicht im Sinne der §§ 1 bis 3 GebrMG schutzfähig, weil der Gegenstand der Schutzansprüche nicht auf einem erfinderischen Schritt im Sinne von § 1 Abs. 1 GebrMG beruht.

1. Nach den Angaben in der Gebrauchsmusterschrift betrifft das Streitgebrauchsmuster ein System, bestehend aus einem Material, das im Baubereich im Dachbereich anzuschließen und/oder abzudichten ist, und aus einer einkomponentigen Dichtmasse auf Basis einer Dispersion von Vinylpolymeren, wobei die Dichtmasse im Nasszustand im Wesentlichen frei von flüchtigen organischen Verbindungen ist und im Trockenzustand selbstklebend ist (Seite 1, Absatz 1).

Im übergreifenden Absatz der Seitenwende 1/2 ist ausgeführt, dass das Verbinden von Materialien allgemein in Kleben und Dichten unterteilt werde. Dichtstoffe hätten die Aufgabe, Bewegungen, die zwischen z. B. Bauteilen entständen, aufzufangen und die Fugen zu schließen. Fugen müssten abgedichtet werden, damit keine Feststoffe, Flüssigkeiten oder Gase am falschen Ort eindringen könnten. Dagegen ständen bei Klebstoffen die Herstellung eines Verbundes und dadurch ihre Hafteigenschaften und Festigkeit im Vordergrund. Man könne klebende und dichtende Massen zum Verbinden von Substraten nach ihrer Festigkeit differenzieren: fest, elastisch oder plastisch. Bei abnehmender Zugscherfestigkeit gehe die Dehnung der Masse durch ein Maximum, wobei die Masse von fest über elastisch in den plastischen Bereich übergehe. Die Festigkeit einer Masse bestimme, ob von einem Klebstoff (fest bis elastisch) oder einer Dichtmasse (elastisch bis plastisch) gesprochen werde. So müsse ein Klebstoff eine gewisse Zugfestigkeit besitzen, damit strukturelle Verklebungen erfolgreich ausgeführt werden könnten. Dagegen werden bei Dichtmassen grundsätzlich Massen mit elastischen Eigenschaften verwendet, die ein bestimmtes Ausdehnungsvermögen hätten, um Ausdehnungen und Schrumpfungen auffangen zu können, so dass keine Risse oder Brüche und damit Undichtigkeiten entständen. Die bekannten Dichtmassen hätten die Eigenschaft, dass sie nach ihrem Auftrag aushärteten, so dass kein Schmutz an der Oberfläche haften bleibe.

Zum Stand der Technik ist auf Seite 2, Absatz 2, nur ausgeführt, im Baubereich seien zur Abdichtung von Polyolefin-Materialien, z. B. Polyethylen-Folien, Dichtmassen bekannt, die lösungsmittelhaltig seien und damit flüchtige organische Verbindungen enthielten. Aufgrund von Umweltaspekten und auch wegen ihres starken Geruchs stießen derartige Dichtungsmassen auf immer größeren Widerstand und neuere Entwicklungen zielten auf im Wesentlichen lösungsmittelfreie Dichtmassen ab.

2.

Vor diesem technischen Hintergrund bezeichnet es die Gebrauchsmusterschrift im Absatz 3 auf Seite 2 als zu lösendes technisches Problem, eine Dichtmasse bereitzustellen, die möglichst wenig flüchtige organische Verbindungen enthält und eine wirksame Abdichtung von Polyolefin-Materialien erreicht.

3.

Zur Lösung dieser Aufgabe beschreibt der Schutzanspruch 1 gemäß Hauptantrag, nach Merkmalen gegliedert, ein M1 System, bestehend M2 aus einem Material, M2.1 das im Baubereich im Dachbereich M2.2 anzuschließen und/oder abzudichten ist, und M3 aus einer Dichtmasse, die M3.1 einkomponentig, M3.2 standfest, M3.3 fließfähig und M3.4 auf Basis von Polyacrylaten ist, M3.5 wobei die Polyacrylate als Dispersion in einem wässrigen Medium vorliegen;

M4 die Dichtmasse enthält im Nasszustand als Additive M4.1 0 bis 10 Gew.-Teile flüchtige organische Verbindungen (VOC), bezogen auf 100 Gew.-Teile Dichtmasse, und M4.2 5 bis 80 Gew.-Teile Füllstoffe, bezogen auf 100 Gew.-Teile Dichtmasse;

M5 die Dichtmasse enthält im Nasszustand M5.1 15 bis 90 Gew.-% Polyacrylate und M5.2 5 bis 50 Gew.-% wässriges Medium enthaltend M5.2.1 Wasser und M5.2.2 gegebenenfalls wasserlösliche Additive, M5.3 jeweils bezogen auf 100 Gew.-% Dichtmasse, M5.4 wobei der Rest Additive sind;

M6 die Dichtmasse weist im Trockenzustand M6.1 eine selbstklebende Eigenschaft auf, M6.2 wobei der Weg einer laufenden Kugel bei Messung gemäß "Test Methods for Pressure-Sensitive Adhesives, 6th edition, Pressure sensitive tape council, Itasca III" weniger als 5 cm beträgt.

Gemäß Hilfsantrag 1:

M2.3 Das Material ist eine "Bahn". M5.5 Die Dichtmasse hat im Nasszustand eine Viskosität von wenigstens 150 Pa s bei 23¡ C.

M6.2.1 Der Laufweg der Kugel beträgt weniger als 3 cm.

M6.3 Der Trockenzustand bezeichnet den Zustand, den die Dichtmasse 1 Stunde nach ihrem Auftrag auf Si-Papier bei einem Auftragsgewicht von etwa 300 g/m2 (trocken) bei 70¡ C erreicht.

Gemäß Hilfsantrag 2:

Gegenüber Anspruch 1 nach Hauptantrag wurde nur Merkmal M2 entsprechend dem neuen Merkmal M2.4 präzisiert:

M2.4 Das Material ist ein Polyolefin-Material.

Gemäß Hilfsantrag 3:

Gegenüber Anspruch 1 nach Hauptantrag wurde nur der Füllstoffanteil von 5 bis 80 Gew.-% (Merkmal M4.2) nun auf 10 bis 70 Gew.-Teile (neues Merkmal M4.2.1) begrenzt:

M4.2.1 Als Additive sind 10 bis 70 Gew.-Teile Füllstoffe vorgesehen.

3.

Hinsichtlich der Bestimmung des zuständigen Fachmannes ist nicht darauf abzustellen, welche Betriebe erfindungsgemäße Systeme bzw. "Dichtmassen" produzieren, verkaufen oder anwenden und welche Ausbildung die in diesen Betrieben damit betraute Fachkraft zufällig besitzt, sondern nur darauf, auf welchem technischen Gebiet die Erfindung liegt, so dass der maßgebliche Fachmann derjenige ist, dem üblicherweise die Lösung der gestellten Aufgabe übertragen wird ((BGH GRUR 78, 37 - Börsenbügel; BGH GRUR 62, 290 - Brieftaubenreisekabine I; vgl. Schulte, PatG, 8. Auflage, § 4 Rdn. 48).

Demzufolge ist auf dem vorliegenden technischen Gebiet der Klebstoffe und Dichtstoffe als zuständiger Fachmann ein Diplom-Chemiker der Fachrichtung Polymer-Chemie anzusehen, der aufgrund seiner Ausbildung und mehrjährigen Berufserfahrung, etwa in der Entwicklungsabteilung eines einschlägigen Unternehmens, über fundierte Kenntnisse auf dem Gebiet der Polymerklebund Polymerdichtstoffe verfügt und zugleich mit den Problemen und Anforderungen an solche Massen vertraut ist. Der hier maßgebliche Fachmann besitzt daher spezielle Kenntnisse nicht nur über die Entwicklung und Herstellung, sondern auch über die Anwendung von im Trockenzustand selbstklebenden Massen. Daraus resultiert aber auch ein ausgeprägtes Verständnis für ökonomische und ökologische Aspekte.

4.

Ständiger Rechtsprechung folgend setzt die Prüfung, ob der Gegenstand eines Gebrauchsmusters nach den §§ 1 bis 3 GebrMG schutzfähig ist, grundsätzlich die Ermittlung des Gegenstandes der Schutzansprüche voraus. Dazu ist der Schutzanspruch unter Heranziehung der Beschreibung und Zeichnungen aus Sicht des von der Erfindung angesprochenen Fachmannes auszulegen und festzustellen, was sich aus den Merkmalen des Schutzanspruches im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit als unter Schutz gestellte technische Lehre ergibt. Demnach ist bei der Bestimmung des Gegenstandes nicht allein der Wortlaut der Ansprüche oder dessen Verständnis im allgemeinen Sprachgebrauch zugrunde zu legen, sondern vielmehr das, was der fachkundiger Leser dem jeweiligen Anspruch, gegebenenfalls eben auch unter Heranziehung der Beschreibung, entnimmt. Der Schutzanspruch ist danach nicht wörtlich in philologischer Betrachtung, sondern seinem technischen Sinn nach aufzufassen, das heißt der Erfindungsgedanke muss unter Ermittlung von Aufgabe und Lösung bestimmt werden, wie sie sich in der Gebrauchsmusterschrift ergeben, welche im Hinblick auf die gebrauchten Begriffe ihr eigenes Lexikon darstellt (BGH GRUR 1999, 909, 912 -Spannschraube). Hierbei darf der Gesamtzusammenhang nicht aus dem Auge verloren werden, da Feststellungen zum Inhalt einzelner Merkmale stets nur dazu dienen, schrittweiseden allein maßgeblichen Wortsinn des Schutzanspruchs als einer Einheit zu ermitteln (BGH GRUR 2006, 311, 312 -Baumscheibenabdeckung m. w. H).

a) Diesen Grundsätzen folgend ergibt sich im vorliegenden Fall für den Fachmann unter Heranziehung der Beschreibung folgender Sachverhalt:

Im Schutzanspruch 1 des Streitgebrauchsmusters wird mit "System" ein Gegenstand unter Schutz gestellt, der - aus einem "Material", das im Baubereich im Dachbereich anzuschließenund/oder abzudichten ist, und - aus einer sog. "Dichtmasse" besteht.

Unter "Material" versteht das Gebrauchsmuster ein Material aus Polyolefin, Polyamid, Polyester oder Papier (vgl. Schutzansprüche 2 bis 4 und 6 der Streitgebrauchsmusterschrift) in Form eines Vlieses oder einer Folie (vgl. Schutzansprüche 5 und 7 der Streitgebrauchsmusterschrift). Hieraus erschließt sich für den Fachmann, dass die Dichtmasse auf dem Material aus Kunststoff oder Papier haften muss.

Maßgeblicher Ausgangspunkt der Erfindung sind aber nicht "Systeme", sondern lösungsmittelhaltige Dichtmassen, die flüchtige organische Verbindungen enthalten und starken Geruch bedingen. Aufgrund von Umweltaspekten (vgl. hierzu die Verordnung über die Lenkungsabgabe auf flüchtige organische Verbindungen (VOCV 814.018), einem Teil des schweizerischen Umweltschutzgesetzes aus 1997; Streitgebrauchsmusterschrift, Seite 6, Zeilen 18 bis 21) zielen neuere Entwicklungen deshalb auf im Wesentlichen lösungsmittelfreie Dichtmassen ab.

Nach der Erfindung des Streitgebrauchsmusters werde nun das Entweichen von flüchtigen organischen Verbindungen dadurch verhindert, dass eine Dichtmasse auf Basis einer Polyacrylat-Dispersion in einem wässrigen Medium bereitgestellt werde, die im Wesentlichen frei von flüchtigen organischen Verbindungen sei.

Das Streitgebrauchsmuster unterscheidet nun zwischen einer Dichtmasse im Nasszustand und einer Dichtmasse im Trockenzustand. Gemäß Seite 9, Zeilen 10 bis 15, soll der Begriff Trockenzustand den Zustand definieren, den die Dichtmasse eine Stunde nach ihrem Auftrag auf Si-Papier bei einem Auftragsgewicht von etwa 300 g/m2 (trocken) bei 70¡ C erreicht, während der Begriff Nasszustand den Zustand bezeichnet, in dem die Dichtmasse nach ihrer Herstellung erhalten wird und der bei ihrer Aufbewahrung, z. B. in einem Kunststoffbeutel oder in der Kartusche, erhalten bleibt. Auf Seite 11, Zeilen 9 bis 11, findet sich noch der Hinweis, dass im Trockenzustand die Dichtmasse etwa 0 bis etwa 20 Gew.-% Wasser, insbesondere etwa 0 bis etwa 10 Gew.-% Wasser, jeweils bezogen auf 100 Gew.-% der getrockneten Dichtmasse, enthält.

Zur Zusammensetzung der Dichtmasse im Nasszustand ist in der Gebrauchsmusterschrift ausgeführt, besonders geeignet seien Vinylpolymere auf Basis von wenigstens Acrylatund/oder Methacrylat-Monomeren, insbesondere U1. wegen deren Alterungsbeständigkeit (Seite 3, Zeilen 17 bis 19). Sie werden durch dem Fachmann bekannte Dispersionspolymerisation hergestellt. So enthielten kommerziell erhältliche Polyacrylat-Dispersionen üblicherweise etwa 30 bis etwa 60 Gew.% Wasser und etwa 40 bis etwa 70 Gew.-% Polyacrylate sowie ggf. Additive (Seite 3, Zeilen 26 bis 30). Auch die erfindungsgemäße Dichtmasse könne Additive, entweder allein oder als Gemisch, enthalten, und zwar in folgenden Mengen, jeweils bezogen auf 100 Gewichtsteile Dichtmasse im Nasszustand: Bei den jeweiligen Additiven handle es sich um dem Fachmann auf diesem Gebiet bekannte Additive, die jeweils keinen besonderen Beschränkungen unterlägen (Seite 4, Zeile 19 bis Seite 5, Zeile 8).

etwa 0 bis etwa 80 Gew.-% anorganische und/oder organische Füllstoffe, etwa 0 bis etwa 60 Gew.-% Weichmacher, etwa 0 bis etwa 80 Gew.-% Tackifier, etwa 0 bis etwa 80 Gew.-% oligomere und/oder polymere Füllstoffe, etwa 0 bis etwa 20 Gew.-% Rheologie-Modifikatoren, etwa 0 bis etwa 15 Gew.-% Vernetzer, etwa 0 bis etwa 10 Gew.-% Haftvermittler, etwa 0 bis etwa 15 Gew.-% Stabilisatoren, etwa 0 bis etwa 10 Gew.-% Entschäumer, etwa 0 bis etwa 10 Gew.-% Tenside, etwa 0 bis etwa 20 Gew.-% Trocknungsadditive, etwa 0 bis etwa 10 Gew.-% flüchtige organische Verbindungen (VOC).

Daneben könne die Dichtmasse noch weitere übliche Zusatzstoffe enthalten, z. B. Biozide (Konservierungsstoffe) oder Farbstoffe (Seite 6, Zeile 28 bis Seite 7, Zeile 2). Zur Verbesserung der Frostbeständigkeit könnten wasserlösliche Additive zugegeben werden (Seite 7, Zeilen 23 bis 28 i. V. m. Seite 4, Zeilen 8 bis 17).

Bei den flüchtigen organischen Verbindungen (VOC) handle es sich um Verbindungen, so wie sie auch in der Verordnung über die Lenkungsabgabe auf flüchtige organische Verbindungen (VOCV 814.018), einem Teil des schweizerischen Umweltschutzgesetzes (USG aus 1997) im ersten Abschnitt unter Art. 1 (Begriff) definiert seien (Seite 6, Zeilen 13 bis 21).

Zu den einzustellenden Eigenschaften der Dichtmasse im Nasszustand führt das Streitgebrauchsmuster folgendes aus: Den Tackifiern, oligomeren Füllstoffen und weiteren organischen Füllstoffen komme die Aufgabe zu, die Selbstklebrigkeit, Kohäsion und Wasserbeständigkeit der Dichtmasse zu verbessern (Seite 7, Zeilen 9 bis 11). Durch Wahl geeigneter Füllstoffe und Vernetzer könne vom Fachmann eine optimale Kohäsion erreicht werden. Diese sollte im Baubereich bei 70¡ C noch ausreichend sein. Der Fachmann könne hierbei die optimale Kohäsion durch entsprechende Abstimmung der Kettenlänge des Vinylpolymers, die Menge und Qualität der Füllstoffe und Vernetzer abstimmen. Da die Kohäsionsoptimierung immer im Widerstreit mit der Adhäsion stehe, müsse die Kohäsion so gewählt werden, das sie nicht höher eingestellt werde, als die Adhäsion es zulasse (Seite 7, Zeilen 11 bis 18). Die Viskosität der Dichtmasse im Nasszustand betrage vorzugsweise nach ISO 2555 wenigstens etwa 50 Pa s bei 23¡ C bei Bestimmung nach Brookfield Typ A mit einer Spindel 6 bei 10 U/min. Die Obergrenze der Viskosität werde dadurch bestimmt, dass die Dichtmasse noch handhabbar sei. Die geeignete Viskosität könne vom Fachmann im Rahmen fachüblicher Versuche durch Verwendung der genannten Rheologie-Modifikatoren und/oder der anderen genannten Additive eingestellt werden (Seite 7, Zeile 30 bis Seite 8, Zeile 7).

Im Trockenzustand umfasse die Dichtmasse wenigstens eine Phase, auch Bindematrix genannt, die Vinylpolymere und ggf. darin lösliche Additive enthalte, wobei die Glasübergangstemperatur Tg der Bindematrix unter etwa + 10¡ C, vorzugsweise zwischen etwa - 80¡ und etwa + 10¡ C, liegen soll (Seite 8, Zeilen 20 bis 26). Im Trockenzustand habe die Dichtmasse eine Schälhaftung von wenigstens etwa N/25mm bei Bestimmung gemäß DIN EN 1939 zwischen 5¡und 50¡ C auf beispielsweise Polyolefin-Materialien. Die Dichtmasse besitze diese Schälhaftung aber nicht nur auf Polyolefin-Materialien, sondern auch auf allen anderen Materialien, z .B. Papieren, Vliesen, Polyamiden oder Polyestern, außer auf Materialien mit einer sehr tiefen Oberflächenspannung wie silikonisierte oder fluorisierte Oberflächen. Diese Schälhaftung könne durch gezielte Einstellung der Polarität der Vinylpolymeren erreicht werden, die vom Fachmann im Rahmen fachüblicher Versuche leicht durchgeführt werden könne (Seite 9, Zeilen 17 bis 27). Im Trockenzustand liege der dynamische Schubmodul G' der Dichtmasse im Bereich von etwa 5 105 Pa bis etwa 5 103 Pa bei 25¡ C, insbesondere niedriger als etwa 5 105 Pa bei Temperaturen tiefer als - 10¡ C und höher als etwa 5 103 Pa bei Temperaturen höher als 60¡ C. Im Sinne der Erfindung handele es sich bei dem Schubmodul G' um ein Elastizitätsmodul (Seite 10, Zeilen 13 bis 22).

Die Herstellung der Dichtmasse unterliege keinen Beschränkungen (Seite 10, Zeile 24). Die erhaltene Paste werde in Kartuschen oder Kunststoffbeutel abgefüllt, wo sie wenigstens 1 Jahr haltbar sei (Seite 11, Zeilen 3 bis 5). Zur Anwendung werde die Dichtmasse mittels einer Presspistole aus der Kartusche oder dem Kunststoffbeutel gepresst. Die Dichtmasse trockne dann durch Verdunstung des Wassers aus, wobei im Trockenzustand die Dichtmasse aber noch etwa 0 bis etwa 20 Gew.-% Wasser enthalten könne (Seite 11, Zeilen 7 bis 11).

Die Dichtmasse werde zum Abdichten und/oder Anschließen von Materialien, insbesondere zum Anschließen von Materialien, verwendet. Da die Dichtmasse auf allen Materialien, außer silikonisierten und fluorisierten Oberflächen hafte, finde sie überall dort Verwendung, wo solche Materialien, insbesondere Polyolefin-Materialien, abzudichten seien und wo keine freiliegenden Oberflächen vorlägen, weil Schmutz hängen bleibe. Insbesondere fänden die Dichtmassen Verwendung im Baubereich, bei Sockelleisten, bei Profilen oder im industriellen Sektor. Eine spezielle Anwendung im Baubereich sei im Dachbereich das Anschließen eines Polyolefin-Materials an einem festen Untergrund, z. B. einer gefärbten oder ungefärbten Wand aus Holz, Putz, Beton, Kalkstein oder Ziegelstein. Geeignete Polyolefin-Materialien seien z. B. Folien, Bahnen, Spritzgussteile, Fasern und Kabel (Seite 11, Zeile 20 bis Seite 12, Zeile 2).

b) Demzufolge beansprucht das Streitgebrauchsmuster auch in den nunmehr verteidigten, geänderten Anspruchsfassungen nach Hauptantrag und Hilfsanträgen ein System aus einem Material und aus einer Dichtmasse auf Basis einer Polyacrylatdispersion mit breitest definierter stofflicher Zusammensetzung und überlässt es dem fachmännischen Wissen und Können, eine konkrete Dichtmasse mit den gewünschten Eigenschaften im Nassund im Trockenzustand einzustellen.

Massen sind durch ihre Bestandteile in bestimmten Mengen gekennzeichnet und nur dann neu und erfinderisch, wenn sie durch ihre Zusammensetzung eindeutig von den Massen des Standes der Technik zu unterscheiden sind. Zweckangaben, d.h. Verwendungsangaben, beschränken eine Masse nicht, weil das Eigenschaftsprofil einer Masse durch die Art der Komponenten und ihrer Mengenanteile und nicht durch die Bezeichnung ihres Verwendungszwecks bestimmt ist.

Vorliegend wird die Dichtmasse mit den Eigenschaften "standfest" (M3.2), fließfähig (M3.3), Mindestviskosität im Nasszustand (M5.5), im Trockenzustand selbstklebend (M6.1), Laufweg einer Kugel (M6.2), Definition Trockenzustand für die Messung des Kugellaufweges (M6.3), umschrieben. Insofern stehen in den Schutzansprüchen des Streitgebrauchsmusters lediglich Angaben von Eigenschaften bzw. funktionelle Merkmale, jedoch nicht Angaben zu der hierfür erforderlichen stofflichen Zusammensetzung. Eine solche Anspruchsfassung nähert sich im Ergebnis der Durchführung eines Forschungsauftrags an bzw. stellt einen Durchgriffsanspruch dar (vgl. EPA T 1063/06 vom 3. Februar 2009), der zur Folge hat, dass jeder Lösungsvorschlag, der das vorgegebene Ziel auf Basis einer Dichtmasse von Polyacrylatdispersionen erreicht, unter den Schutz des Gebrauchsmusters fallen würde.

Die im Streitgebrauchsmuster enthaltenen Angaben erschöpfen sich demnach nur in einer näheren Umschreibung des technischen Problems, das dem Streitgegenstand zugrunde liegt (BGH GRUR 1985, 31 - Acrylfasern). Da eine Aufgabe keine Erfindung ist, diese vielmehr in der Lösung der Aufgabe liegt (BGH GRUR 1984, 194 - Kreiselegge), dürfen sich die im Schutzanspruch enthaltenen Angaben nicht in einer Umschreibung der der Erfindung zugrunde liegenden Aufgabe erschöpfen, sondern müssen die Lösung der Aufgabe umschreiben. Betrifft die Erfindung die Gestaltung von Sachen, ist der Anmelder gehalten, die Sache durch körperliche Merkmale, hier durch die stoffliche Zusammensetzung zu umschreiben. Die Ausnahmesituation, eine Masse nicht durch ihre stoffliche Zusammensetzung umschreiben zu können, liegt hier nicht vor (BGH - Trioxan; Farbbildröhre).

c) Des Weiteren wird die Verwendung der pastösen Dichtmasse angegeben. Beim Lesen der Gebrauchsmusterschrift wird der Fachmann zu dem Schluss kommen, dass vorliegend keine Dichtmasse, sondern ein Haftklebstoff offenbart ist. Denn mit der pastösen Masse soll ein Material beispielsweise aus Polyolefinfolie mit einem festen Untergrund im Dachbereich verbunden, d. h. verklebt, werden. Wie das Streitgebrauchsmuster einleitend selbst ausführt, haben Dichtstoffe die Aufgabe, Bewegungen zwischen zwei Bauteilen aufzufangen und die Fugen zu schließen, damit keine Feststoffe, Flüssigkeiten oder Gase eindringen können (vgl. Seite 1, Zeilen 18 bis 21). Bei Klebstoffen steht dagegen die Herstellung eines Verbundes und dadurch ihre Hafteigenschaften und Festigkeit im Vordergrund (vgl. Seite 1, Zeilen 22 bis 23). Nachdem erfindungsgemäß im Dachbereich ein Material, z. B. eine Polyolefinfolie, an einen festen Untergrund mittels der pastösen "Dichtmasse" angeschlossen werden soll, steht hier eindeutig die Herstellung eines Verbundes durch ein Kleben als Fügeverfahren im Vordergrund, so dass der Fachmann nach allgemeinem Verständnis die "Dichtmasse" als Klebemasse versteht. Zwar mag auch beim Verkleben zweier Materialien sich eine Art "Abdichtung" einstellen, jedoch dient vorliegend die pastöse Masse vor allem der Herstellung eines Verbundes entsprechend der eigenen Definitionen zu Dichtstoff und Klebstoff auf Seite 1, und damit zum Kleben, wie im Übrigen auch die anderen Verwendungen zeigen. So werden Sockelleisten und Profile (vgl. Streitgebrauchsmuster Seite 11, Zeilen 27 bis 29) in der Regel verklebt, ohne dass eine Dichtfunktions erforderlich ist. Beim Streitgegenstand handelt es sich daher um einen Gegenstand, den der Fachmann in der fachüblichen Terminologie als "Haftklebstoff" bezeichnen würde. Haftklebstoffe sind im Trockenzustand bekanntlich selbstklebend und werden deshalb auch als "Selbstklebemassen" bezeichnet (vgl. E8, Seite 11, linke Spalte, Absatz 2).

III.

Es kann dahinstehen, ob der Gegenstand der angegriffenen Schutzansprüche in den gemäß Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 bis 3 neu ist. Das beanspruchte System war dem Fachmann jedenfalls durch die Druckschriften E1 und E2 in Verbindung mit seinem allgemeinen Fachwissen nahegelegt und ist deshalb nicht erfinderisch.

1. Die in der mündlichen Verhandlung vom 12. August 2009 verteidigten Schutzansprüche gemäß Hauptantrag und Hilfsanträgen 1 bis 3 sind insoweit zulässig, als sich die Merkmale dieser Schutzansprüche sämtlich den der Eintragung zugrunde liegenden Unterlagen entnehmen bzw. daraus herleiten lassen Das Vorbringen der Beschwerdegegnerinnen zur mangelnden Offenbarung eines Systems aus abzudichtendem Material und Dichtmasse in den ursprünglich eingereichten Unterlagen der deutschen Patentanmeldung 100 00 940.9 kann im Hinblick auf die mangelnde Schutzfähigkeit ebenso dahinstehen wie die geltend gemachte mangelnde Ausführbarkeit.

Der Senat teilt das Vorbringen der Beschwerdegegnerinnen zur mangelnden Ausführbarkeit insofern, als aus der gesamten Gebrauchsmusterschrift und dem Ausführungsbeispiel nicht hervorgeht, welche genauen stofflichen Merkmale für eine einkomponentige Dichtmasse im beanspruchten Umfang notwendig sind, damit die in den funktionellen Merkmalen M3.2 (standfest), M3.3 (fließfähig), M6 (Trockenzustand), M6.1 (selbstklebend) und M6.2 (Kugellaufweg) sowie hilfsweise M5.5 (Viskosität), M6.2.1 (Kugellaufweg) und M6.3 (Definition Trockenlaufweg für die Messung des Kugellaufweges) formulierten Eigenschaften erfüllt werden können, so dass darin letztlich nur eine auf bestimmte Werte bereichsmäßig eingegrenzte Aufgabe umschrieben, nicht aber sämtliche stofflichen Merkmale offenbart bzw. angegeben sind, unter denen diese Aufgabe im beanspruchten Umfang tatsächlich gelöst werden kann (siehe auch vorstehende Ausführungen unter Ziffer 4b)).

Was die Funktionsund Eigenschaftsangaben betreffenden Merkmale M3.2, M3.3, M6, M6.1 und M6.2 sowie hilfsweise M5.5, M6.2.1 und M6.3 und damit die Breite des Schutzanspruches anbelangt, ist die damit verbundene begriffliche Breite nicht eine Frage der Ausführbarkeit oder der Klarheit, sondern eine Frage der Abgrenzbarkeit der beanspruchten Masse hierdurch von und gegenüber dem Stand der Technik im Zuge der Prüfung der Schutzfähigkeit.

Ob sich die Lehre des Streitgebrauchsmusters aufgrund der besonderen Anspruchsformulierung, der Anspruchsbreite sowie der erst nach Erprobung einzelner stofflich darunter fallender Dichtbzw. Klebemassen feststellbaren Merkmale M3.1, M3.2, M6 bis M6.3 im Ergebnis der Aufforderung zur Durchführung eines Forschungsauftrags annähert bzw. einen Durchgriffsanspruch darstellt (vgl. EPA T 1063/06 vom 3. Februar 2009) und die Ausführbarkeit aus diesem Grund ungeachtet der Grundsätze der "Taxol" -Entscheidung (BGH a. a. O.) -zu verneinen ist, kann hier unentschieden bleiben, da der Gegenstand in den verteidigten Fassungen jedenfalls nicht erfinderisch ist.

2. Zur Prüfung der Schutzfähigkeit des Gegenstandes des Streitgebrauchsmusters gemäß den verteidigten Anspruchsfassungen wird im Folgenden entsprechend BGH GRUR 2006, 842 - Demonstrationsschrank hinsichtlich der Beurteilung des erfinderischen Schrittes auf die im Patentrecht entwickelten Grundsätze zurückgegriffen. In dieser Grundsatzentscheidung hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass die für das Patentrecht entwickelten Grundsätze in vollem Umfang auf das geltende GebrMG anzuwenden sind. Zwischen den Kriterien des "erfinderischen Schritts" im Gebrauchsmusterrecht und der "erfinderischen Tätigkeit" im Patentrecht besteht danach kein Unterschied, weil es sich um ein qualitatives und nicht um ein quantitatives Kriterium handelt, was bedeutet, dass es allein auf das Können und Wissen des Fachmannes ankommt.

Bei der Beurteilung, ob der beanspruchten Lösung eine erfinderische Bedeutung beizumessen ist, muss von dem ausgegangen werden, was die Erfindung gegenüber dem Stand der Technik im Ergebnis tatsächlich leistet, d. h. das durch die Erfindung für den Fachmann tatsächlich, d.h. objektiv gelöste technische Problem (BGH GRUR 2003, 693 - Hochdruckreiniger), wie es auch die Streitgebrauchsmusterschrift als Aufgabe nennt, wobei ein Vorrang eines sog. "nächstkommenden Standes der Technik" nicht besteht (BGH GRUR 2009, 382 - Olanzapin). Hierbei hatte der Fachmann Veranlassung, in dem Bemühen eine bessere Lösung zu finden, als sie der bekannte Stand der Technik gemäß E1 zur Verfügung stellt, auch die E2 in Betracht zu ziehen (BGH GRUR 2009, 1039 - Fischbissanzeiger).

a) Wie vorstehend unter Punkt II.1 und II.4.a) bereits dargelegt, stellen den maßgeblichen Ausgangspunkt der Erfindung lösungsmittelhaltige Dichtmassen dar. So ist in der Streitgebrauchsmusterschrift auf Seite 2, Zeilen 9 bis 14, ausgeführt, "im Baubereich sind zur Abdichtung von Polyolefin-Materialien, z. B. Polyethylen-Folien, Dichtmassen bekannt, die lösungsmittelhaltig sind, und damit flüchtige organische Verbindungen enthalten. Aufgrund von Umweltaspekten und auch wegen ihres starken Geruchs stoßen derartige Dichtmassen auf immer grösseren Widerstand und neuere Entwicklungen zielen auf im Wesentlichen lösungsmittelfreie Dichtmassen ab".

Einen solchen Stand der Technik zeigt das Prospektmaterial ""PRIMUR - Luftdicht verkleben von Dampfbremsen auf Mauerwerk", SIGA AG, CH-Schachen, Schweiz (E1), das ausweislich dem auf der Preisliste aufgedruckten Gültigkeitsdatum ab 1. September 1997 vorveröffentlicht ist. Aus diesem Prospekt ist dem Fachmann bekannt, dass einkomponentige, lösungsmittelhaltige Klebeund Dichtmassen auf Acrylatbasis zum luftdichten Verkleben von Dampfbremsen (Polyethylen-Folien, Kraftpapier, Vliese oder Aluminium) auf geeigneten Untergründen, wie Stein, Beton, Putz oder Holz, im Bauoder Dachbereich geeignet sind. Die Klebemasse PRIMUR ist standfest, alterungsbeständig und dauerplastisch. Sie ist in einer Kartusche enthalten. Insofern offenbart die E1 ein "System, bestehend aus einem Material und einer Dichtmasse", wobei das Material die Dampfbremse ist. Im Unterschied zum Streitgegenstand sind die PRIMUR-Massen aber lösungsmittelhaltig.

Der Vorhalt der Gebrauchsmusterinhaberin, im Unterschied zum Streitgegenstand hätte die Klebestelle bei Verwendung von PRIMUR mittels einer Anpresslatte über der Dampfsperre mechanisch gegen Zug auf dem jeweiligen Untergrund gesichert werden müssen, greift nicht, da der Streitgegenstand sich nicht auf ein Montageverfahren zum Anschließen von Dampfsperren auf einem Untergrund mit Dichtbzw. Klebemassen bezieht. Die nunmehrige Nicht-Sicherung der Klebestelle mit einer Anpresslatte ist kein Merkmal, das die beanspruchte Dichtmasse bezüglich ihrer Beschaffenheit charakterisieren kann. Vielmehr steht es im Belieben des Fachmannes, auch bei der streitgegenständlichen Dichtmasse eine zusätzliche Sicherung der Klebestelle mit einer Anpresslatte vorzunehmen.

Für den Fachmann bestand ein dringendes Bedürfnis, das Lösungsmittel in der Dichtund Klebemasse Primur der E1 zu ersetzen, da aufgrund von Umweltaspekten und neuen gesetzlichen Regelungen - wie selbst im Streitgebrauchsmuster angegeben (vgl Streitgebrauchsmusterschrift, Seite 6, Zeilen 18 bis 21) - die Fachwelt angehalten war, auf allen Gebieten der Klebe-, Dichtungsund Beschichtungstechnologie flüchtige organische Lösungsmittel (VOC) aus entsprechenden Massen zu entfernen und im Wesentlichen lösungsmittelfreie oder wasserbasierte Systeme bzw. Massen bereitzustellen bzw. zu entwickeln. So beschreibt Distler, "Wässrige Polymerdispersionen" (E8) im Kapitel 2.1 "Selbstklebende Etiketten und Folien", dass in Japan bereits in den 70er Jahren wegen sehr strikter Umweltschutzauflagen von Kautschuklösungen auf wässrige Acrylatdispersionen umgestellt wurde, während in Europa die Umstellung erst in den 80er Jahren vollzogen wurde. Heutzutage sei der Einsatz von wässrigen Polyacrylatdispersionen zur Herstellung selbstklebender Erzeugnisse weitverbreitet und weit fortgeschritten. Vor allem aus Gründen des Umweltschutzes (nicht brennbar, keine teuren, umweltbelastenden Lösemittel), wegen der hohen Feststoffgehalte, der guten Alterungsbeständigkeit und der leichten Verarbeitbarkeit sei die Bedeutung der Polyacrylatdispersionen für die Fertigung selbstklebender Erzeugnisse ständig gestiegen (vgl. E8, Seite 11, rechte Spalte, letzter Absatz).

Der Übergang von lösungsmittelhaltigen Acrylatlösungen zu wasserbasierten, lösungsmittelfreien Acrylatdispersionen lag deshalb für den Fachmann im Anmeldezeitpunkt 12. Januar 2000 auf der Hand.

Der Fachmann wird deshalb in seinem Bemühen, eine bessere Lösung zu finden, als sie der bekannte Stand der Technik gemäß E1 zur Verfügung stellt, nicht umhin können, sich bekannten und kommerziell erhältlichen, lösungsmittelfreien Acrylat-Systemen zuzuwenden und wird diese selbstverständlich in Routineversuchen für seine Zwecke erproben und ggf. optimieren. Dabei wird er zwangsläufig auf die E2 stoßen und nicht umhin können, diese auch in Betracht ziehen.

In der DE19624 148 A1 (E2) sind Massen zum Kleben, Dichten und Beschichten auf der Basis einer wässrigen Dispersion von Styrol-(Meth)acrylat-Copolymeren mit 1-12 C-Atomen im Acrylatbzw. Methacrylat-Teil beschrieben, die ersichtlich einkomponentig sind und damit die Merkmale M3 (Masse), M3.1 (einkomponentig), M3.4 (Polyacrylat-Basis) und M3.5 (wässrige Dispersion) einer Dichtmasse gemäß Streitgebrauchsmuster aufweisen (vgl. E2, Bezeichnung i. V. m. Seite 5, Zeilen 31 bis 32 sowie Seite 6, Zeilen 7 bis 12; Seite 2, Zeilen 40 bis 45 und 56 bis 58 i. V. m. Seite 6, Zeile 18). Dass es sich bei den Styrol-(Meth)Acrylat-Copolymer-Dispersionen gemäß E2 um erfindungsgemäße Polyacrylat-Dispersionen entsprechend den Merkmalen M3.4 und M3.5 handelt, geht zudem aus der Beschreibung der Gebrauchsmusterschrift Seite 3, Zeilen 19 bis 26, selbst hervor, wobei die die Schälhaftung bedingende Polarität des Copolymeren über die Monomer-Anteile in dem Fachmann geläufiger Weise einstellbar ist (vgl. Streitgebrauchsmuster, Seite 9, Zeilen 25 bis 27 i. V. m. Seite 10, Zeilen 2 bis 11).

Dass eine solche Dichtungsmasse gemäß E2 des Weiteren im Nasszustand als Additive (Merkmal M4) lediglich 0 bis 10 Gew.-Teile flüchtige organische Verbindungen aufweist und damit auch dem Merkmal M4.1 (VOC-Anteil) genügt, ergibt sich aus den Ausführungsbeispielen (E2, insbesondere Seite 6, Zeilen 9 bis 11), wonach flüchtige organische Verbindungen, dem Wortsinn des Streitgebrauchsmusters entsprechend, darin jedenfalls in nicht mehr als 10 Gew.-Teilen enthalten sind.

Was das Merkmal M4.2 (5 bis 80 Gew.-Teile Füllstoffe) anbelangt, so erfüllen die Massen zum Dichten gemäß E2 diese Vorgabe insofern, als bereits die Ausführungsform Fugendichtungsmasse in E2 66 Gew.-% Additive aufweist, davon 60 Gew.-% Kreide als anorganischen Füllstoff (E2, Seite 6, Zeilen 7 bis 12), der auch vom Streitgebrauchsmuster umfasst wird (vgl. Seite 5, Zeilen 6 bis 13). Entsprechendes trifft auch für die Massen der Tabelle 1 in E2 zu, die 2,5, 7,5 sowie 15 Gew.-% organische Additive bzw. Füllstoffe mit vor allem Weichmacherfunktion aufweisen (E2, Tabelle 1 i. V. m. Seite 6, Zeilen 18 bis 29). Weichmacher zählen gemäß den Ausführungen auf Seite 5, Zeilen 13 bis 27, in der Gebrauchsmusterschrift u. a. zu den organischen Füllstoffen.

Was die Merkmale M5.1 (15 bis 90 Gew.-% Polyacrylate), M5.2 und M5.2.1 (5 bis 50 Gew.-% wässriges Medium enthaltend Wasser) anbelangt, so erfüllen die in E2 verwendeten Dispersionen diese Vorgabe ebenfalls. So wird beispielsweise im Ausführungsbeispiel handelsübliches Acronal 290 D, eine 50 %ige wässrige Dispersion eines Styrol/Butylacrylat-Copolymeren, eingesetzt (vgl. Seite 6, Zeile 18), während auf Seite 2, Zeilen 56 bis 58, angegeben ist, dass die wässrigen Dispersionen ca. 40 bis 70 Gew.-% an Styrol-Copolymerisat enthalten. Die Merkmale M5.3 und M5.4 ergeben sich in trivialer Weise zwangsläufig.

Bei den Eigenschaften gemäß der Merkmale M3.2 und M3.3 "standfest und fließfähig" handelt es sich um zahlenmäßig unbestimmt gehaltene Merkmale, die damit nicht zur Abgrenzung geeignet sind, und unter die sich nicht nur die Dichtmassen gemäß E2, sondern letztlich auch alle Zusammensetzungen des Standes der Technik, die unter die stofflichen Merkmale M3.1 (einkomponentig), M3.4 Polyacrylat-Basis), M3.5 (wässrige Dispersion), M4.1 (0 bis 10 Gew.-Teile VOC), M4.2 (5 bis 80 Gew.-Teile Füllstoffe), M5.1 (15 bis 90 Gew.-% Polyacrylate) bis M5.2.1 (5 bis 50 Gew.-% wässriges Medium enthaltend Wasser) und M5.4 (Rest Additive) fallen, zwanglos einordnen lassen. Im Übrigen bestand im Hinblick auf die diesbezüglichen Vorgaben für Primur gemäß der E1 für den Fachmann auch bei Dichtbzw. Klebemassen mit einer stofflichen Zusammensetzung gemäß E2 die Notwendigkeit der Standfestigkeit und Fließfähigkeit, sodass die Bereitstellung solcher Massen mit den Merkmalen M3.2 und M3.3 nicht erfinderisch ist. Was die Funktionsmerkmale M6.1 (selbstklebend) und M6.2 (Kugellaufweg) anbelangt, so sind diese nicht geeignet, die beanspruchte Dichtmasse von einer Dichtmasse auf Basis einer wässrigen Dispersion von insbesondere Styrol-Butylacrylat-Copolymeren gemäß E2 abzugrenzen. Denn die unter dem Namen Acronal 290 D handelsüblichen, wässrigen Styrol-Butylacrylat-Copolymer-Dispersionen der Ausführungsbeispiele gemäß E2 weisen in Zusammensetzungen mit verschiedenen üblichen, im Übrigen auch von der Lehre des Streitgebrauchsmusters umfassten Additiven eine von dem Begriff Selbstklebrigkeit und damit von dem Merkmal M6.1 begrifflich nicht abgrenzbare Haftklebrigkeit auf, wobei eine vom Merkmal M6.2 umfasste Wegstrecke mit weniger als 5 cm gemäß E2 bereits zwangsläufig unabhängig von der Art der Testdurchführung und damit unabhängig von dem in Merkmal M6.2 angegebenen Test dann erreicht wird, wenn sich mit steigendem Zusatz eines Weichmachers, z. B. Polypropylenglykol 600, die Haftklebrigkeit des Polymerfilmes erhöht (E2, Seite 5, Zeilen 7 bis 21; Seite 6, Zeilen 51 bis 53 und Zeile 59; Seite 7, Tabelle 1, Beispiele, z. B. 2ac, 6b und 6c). Dass die Messwerte der Tabelle 1 in E2 ebenfalls in einem Trockenzustand der Dichtmasse erhalten wurden, wobei dieser Trockenzustand in E2 nicht von einem Trockenzustand nach dem Wortsinn der Merkmale M6.1 und M6.2 des Streitgebrauchsmusters unterscheidbar ist, ergibt sich aus der zugehörigen Beschreibung der E2, Seite 6, Zeile 36 ff. "Untersuchung der Massen", insbesondere Zeilen 38 bis 40 und 51 bis 53.

Die mangelnde Eignung der Merkmale M6.1 und M6.2 zur Abgrenzung gegenüber dem Stand der Technik ergibt sich zudem aus der von den Antragstellerinnen eingereichten Druckschrift "ASTM D 3121-94 "Standard Test Method for Tack of Pressure-Sensitive Adhesives by Rolling Ball", ASTM International, West Conshohocken, PA, USA, wonach Untersuchungen desselben Polymerfilms bei verschiedenen Ausführenden und in verschiedenen Laboratorien um bis zu 50 % unterschiedliche Zahlenwerte liefern und die Methode der rollenden Kugel ausdrücklich als nicht zur absoluten Spezifikation von Endprodukten, sondern lediglich zur Qualitätskontrolle innerhalb eines Laboratoriums geeignet bezeichnet wird (vgl. Seite 202, linke Spalte 1.1.1 i. V. m. Seite 202, rechte Spalte 5.1 sowie Seite 203, 11.1.) Bestätigt wird dies auch durch den Artikel von D. Urban, E. Wistuba, "Anwendungen in der Klebstoffindustrie" in D. Distler, "Wässrige Polymerdispersionen", 1999, Seiten 10 bis 32, (E8), in dem in der Tabelle 1 auf Seite 21, Werte zur Adhäsionsmessung mit verschiedenen Messmethoden verglichen wurden. So ist in der letzten Zeile dieser Tabelle eine Streuung von 38% bei 50 Messwerten und Ausscheidung von Ausreißern (Seite 21, mittlere Spalte) für die "Rolling Ball Tack" angegeben. Demnach kann auch dahingestellt bleiben, ob Probenherstellung, Trocknungszustand, Messbedingungen und Testdurchführung gemäß E2, wie von den Antragstellerinnen vorgetragen, mit jenen des Streitgebrauchsmusters vergleichbar sind.

Die in E2 beschriebenen Massen eignen sich zum Kleben, Dichten und Beschichten (E2, Anspruch 1). Auf Seite 5, Zeilen 35 bis 37, findet sich zudem der Hinweis auf die Isolierung von Dächern als Beschichtung sowie auf den Einsatz im Baubereich. Ferner ist auf dieser Seite in den Zeilen 34/35 angegeben, dass mit den Massen Papier, Pappe, Holz, Textilien, Wandbeläge, Fliesen, Etiketten, Leder, Gummi, Kunststoffe, Glas, Keramik und Metalle verklebt werden können. Insoweit ist die Verwendung solcher Massen zum Kleben für den Fachmann ersichtlich unproblematisch. Dass die allgemeine Stoffklasse "Kunststoffe" auch Polyolefine umfasst, ergibt sich aus Seite 5, Zeilen 41 bis 47, woraus hervorgeht, dass Teppichfliesen mit einer Rückenbeschichtung aus Polypropylen auf bauüblichen Untergründen, wie Zementoder Anhydritestrich, Holzbzw. Spanplatten sowie metallischen Untergründen, mit solchen Massen verklebt werden können. Weiter ist auf Seite 6, Zeilen 7 bis 12, eine Fugendichtungsmasse beschrieben.

Es kann dahinstehen, ob diese Ausführungen in E2 nicht bereits die Merkmale M1 bis M2.2 erfüllen und damit die Neuheit des beanspruchten System zu verneinen ist. Jedenfalls waren die Merkmale M1 bis M2.2 und damit der Lösungsweg für den Erfindungsgedanken des Streitgebrauchsmusters durch die Lehre der E2 nahegelegt und zwar insofern, als sich daraus im Wesentlichen lösungsmittelfreie Massen auf Basis von wässrigen Polyacrylatdispersionen zwanglos als zum Verkleben von Kunststoffen auf bauüblichen Untergründen wie der Isolierung von Dächern geeignet ergeben. Solche aus E2 bekannten Massen sind toxisch unbedenkliche Zusammensetzungen und weisen eine akzeptable Haftung im Trockenzustand auf (vgl. Seite 2, Zeilen 37 bis 39 i. V. m. Seite 6, Zeilen 51 bis 53 und Zeile 59 sowie Tabelle 1). Ausgehend von der E1 fordert die Lehre der E2 den Fachmann im Sinne des Bestrebens nach einer möglichst wenig flüchtige, organische Verbindungen enthaltenden und damit möglichst geruchsfreien Klebeoder Dichtungsmasse deshalb geradezu auf, auf die E2 zurückzugreifen. Damit konnte der Fachmann ausgehend von der E1 in Kenntnis der E2 ohne Weiteres zum Gegenstand des Schutzanspruches 1 gelangen, zumal der Fachmann aus seinem allgemeinen Hintergrundwissen heraus die begründete Erwartung hatte, dass auch Massen auf Basis wässriger Polyacrylatdispersionen zu geeigneten Haftklebstoffen oder selbstklebenden Dichtmassen führen. Dabei war er nicht nur auf die in E2 offenbarte ACRONAL 290 D-Dispersion angewiesen, sondern es standen ihm auch andere lösungsmittelfreie Acrylat-Dispersionen bzw. wässrige Polyacrylat-Dispersionen zur Verfügung. So waren zum Zeitpunkt des Anmeldetages beispielsweise auch ACRONAL 81D, die zum Herstellen von Bauklebstoffen und Dichtungsmassen dient (vgl. z.B. E3), oder ACRONAL V 205, die sich zur Herstellung von Haftklebstoffen für die Fertigung selbstklebender Artikel eignet (vgl.

z. B. E7), bekannt. Die jeweils gewünschten Eigenschaften des Produktes konnte er dabei durch Zusatz von Füllstoffen und Additiven anhand von routinemäßigen Versuchen einstellen, wie dies im Übrigen auch gemäß der Lehre des Streitgebrauchsmusters erforderlich ist.

In entsprechender Weise konnte der Fachmann jedoch auch ausgehend von der Lehre der Druckschrift E2, in der das Umweltproblem bereits gelöst ist, unter Berücksichtigung der anwendungstechnischen Maßgaben der Lehre der E1 ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Streitgebrauchsmuster gelangen.

Der Schutzanspruche 1 nach Hauptantrag hat daher mangels erfinderischen Schrittes keinen Bestand.

b) Die Unteransprüche 2 bis 20 in der gemäß Hauptantrag verteidigten Fassung bedürfen keiner weiteren isolierten Prüfung und teilen das Schicksal des nicht bestandsfähigen Schutzanspruches 1, weil die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin das Streitgebrauchsmuster hilfsweise gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 3 verteidigt hat und sich der Senat mit einer hiervon abweichenden, ggf. teilweisen Aufrechterhaltung einzelner, weiterer Schutzansprüche gemäß Hauptantrag in Widerspruch zu dem maßgeblichen und erkennbaren Willen der Gebrauchsmusterinhaberin setzen würde.

3. Auch der Gegenstand des jeweils verteidigten Schutzanspruches 1 nach den Hilfsanträgen 1 bis 3 ist nicht i. S. d. §§ 1 bis 3 GebrMG schutzfähig und hat deshalb keinen Bestand, weil er nicht auf einem erfinderischen Schritt beruht.

In die jeweiligen Schutzansprüche 1 der Hilfsanträge sind gegenüber dem Schutzanspruch 1 des Hauptantrags folgende Merkmale aufgenommen worden:

Hilfsantrag 1:

M2.3 Das Material ist eine "Bahn".

M5.5 Die Dichtmasse hat im Nasszustand eine Viskosität vonwenigstens 150 Pa s bei 23¡ C.

M6.2.1 Der Laufweg der Kugel beträgt weniger als 3 cm.

M6.3 Der Trockenzustand bezeichnet den Zustand, den die Dichtmasse 1 Stunde nach ihrem Auftrag auf Si-Papier bei einem Auftragsgewicht von etwa 300 g/m2 (trocken) bei 70¡ C erreicht.

Hilfsantrag 2: M2.4 Das Material ist ein Polyolefin-Material.

Hilfsantrag 3: M4.2.1 Als Additive sind 10 bis 70 Gew.-Teile Füllstoffe vorgesehen.

Was die Merkmale M2.3 (Hilfsantrag 1) und M2.4 (Hilfsantrag 2) anbelangt, so ergibt sich eine derartige Ausgestaltung für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik, wonach sowohl in der E1 Polyolefin-Folien und als Dampfbremsen mittels der PRIMUR-Klebeund Dichtmasse an bauübliche Untergründe angeschlossen, als auch in der E2 die Klebe-, Dichtund Beschichtungsmassen zum Verkleben von Kunststoffen mit Baugründen verwendet werden. Dass Polyolefin-Folien im Baubereich in Bahnenform handelsüblich sind, versteht sich von selbst. Im Übrigen ist eine solche Ausgestaltung bereits in der Streitgebrauchsmusterschrift selbst als im Baubereich üblich und damit als Stand der Technik bewertet (vgl Streitgebrauchsmusterschrift, Seite 2, Absatz 2).

Die Anwendung einer Dichtbzw. Klebemasse auf Basis einer Polyacrylat-Dispersion mit einer Viskosität gemäß Merkmal M5.5 ergibt sich für den Fachmann zwanglos aus der Handhabbarkeit der ihm aus dem Stand der Technik bekannten Massen auf Basis von Polyacrylatdispersionen, z. B. auch jener der E2.

Im Übrigen verweist auch die Streitgebrauchsmusterschrift selbst auf diesen Um stand (vgl. a. a. O., Seite 7, Zeile 30 bis Seite 8, Zeile 9). Mit diesem Merkmal ist deshalb keinerlei erfinderisches Zutun verbunden.

Das Merkmal M6.2.1, wonach der Laufweg der Kugel weniger als 3 cm - anstelle von weniger als 5 cm gemäß Merkmal M6.2 - betragen soll, so ist dieser engere Bereich grundsätzlich nicht zu einer Abgrenzung von einschlägigen Dichtbzw. Klebemassen geeignet, und die bloße Auswahl eines engeren Bereichs begründet auch nicht einen erfinderischen Schritt. Im Übrigen wird auf die betreffenden Ausführungen zum Merkmal M6.2 beim Hauptantrag verwiesen. Entsprechendes gilt für die Definition des Trockenzustands gemäß des Merkmals M6.3 für die Ermittlung des Laufweges gemäß dem Merkmal 6.2.1.

Der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters ist deshalb auch nicht schutzfähig in der Ausgestaltung gemäß Schutzanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 oder 2.

Was den Hilfsantrag 3 anbelangt, so wird mit dem Merkmal M4.2.1 die breitere Bereichsangabe des Merkmals M4.2 auf einen engeren Bereich für den Füllstoffgehalt eingeschränkt. Es liegt jedoch im Rahmen üblichen routinemäßigen Optimierens und damit für einen Fachmann auf der Hand, ausgehend von einer bereits nahe liegenden breiteren Bereichsangabe des Merkmals M4.2 (vgl. die betreffenden Ausführungen zum Hauptantrag) eine engere Bereichseingrenzung als bevorzugte Ausführungsart in Betracht zu ziehen. Im Übrigen geht eine besonders vorteilhafte, unerwartete Wirkung der gemäß Merkmal M4.2.1 getroffenen, engeren Bemessung des Füllstoffgehalts gegenüber dem breiteren Merkmal M4.2, mit dem auch alle charakteristischen Eigenschaften der Dichtmasse regelmäßig erreicht werden müssen, aus der Gesamtoffenbarung des Streitgebrauchsmusters nicht hiervor. Hierzu hätte es der Dokumentation der Eigenschaften der Dichtmasse in Abhängigkeit von unterschiedlichen Füllstoffgehalten, auch an den, den bevorzugten Bereich flankierenden Füllstoffgehalten (10 und 70 Gew.-Teile) bedurft. Auch insofern vermag die Bemessung des Füllstoffgehalts gemäß Merkmal M4.2.1 einen erfinderischen Schritt nicht zu begründen. Der Schutzanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 hat daher ebenfalls keinen Bestand.

Die jeweiligen, abhängigen Schutzansprüche gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 3 werden von dem Löschungsausspruch erfasst, da in ihnen ein eigener schutzfähiger Gehalt nicht erkennbar ist und in der mündlichen Verhandlung auch nicht geltend gemacht worden ist.

IV.

Bei dieser Sachlage können deshalb die im Gebrauchsmusterlöschungsverfahren angezogenen Hilfserwägungen der Antragsgegnerin auch im Beschwerdeverfahren nicht zu einer Feststellung des erfinderischen Schrittes führen. Aus den seitens der Beschwerdeführerin angebotenen Beweismitteln (vorgelegte Mappe) ist nichts entnehmen, was die aufgrund der Druckschrift E2 sowie der Prospektblätter des Handelsproduktes PRIMUR (E1) vorgenommene Bewertung der Schutzfähigkeit in einem anderen Licht erscheinen lassen könnte. Deshalb erübrigte sich auch die Einvernahme des von der Gebrauchsmusterinhaberin als Privatgutachter angebotenen Prof. Dr.R...

Die geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzungen sowie die in diesem Zusammenhang angebotenen Zeugenbeweise und Gutachten brauchten ebenso wenig zur Entscheidungsfindung herangezogen werden wie die übrigen, sich im Verfahren befindlichen Druckschriften und Dokumente.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 18 Abs. 2 Satz 2 GebrMG i. V. m. § 84 Abs. 2 PatG und § 97 Abs. 1 ZPO. Die Billigkeit erfordert keine andere Entscheidung.

Müllner Dr. Egerer Zettler

(zugleich für den verhinderten Vorsitzenden Richter Müllner Pr






BPatG:
Beschluss v. 12.08.2009
Az: 35 W (pat) 416/08


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/3cf035dc063d/BPatG_Beschluss_vom_12-August-2009_Az_35-W-pat-416-08




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