Bundespatentgericht:
Beschluss vom 20. Juni 2007
Aktenzeichen: 19 W (pat) 330/04

Tenor

Das Patent 102 18 873 wird widerrufen.

Gründe

I Das Deutsche Patent- und Markenamt hat für die Anmeldung vom 26. April 2002 ein Patent mit der Bezeichnung "Lasche" erteilt und die Patenterteilung am 26. Februar 2004 veröffentlicht.

Gegen das Patent hat die Fa. A... GmbH mit Schriftsatz vom 26. Mai 2004, per Fax am gleichen Tag eingegangen, Einspruch erhoben. Zur Begründung hat sie auf § 21 (1) 1 PatG verwiesen und behauptet, der Gegenstand des Patents sei nicht neu, beziehungsweise beruhe unter Berücksichtigung des Standes der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Der geltende (mit einer eingefügten Gliederung in Merkmalsgruppen versehene) Anspruch 1 nach Hauptantrag vom 14. September 2005 lautet:

1.1 Lasche zur verschiebbaren Führung eines an einer Schiene (2) hängend gelagerten Elementes, 1.2 wobei die Lasche (1) sich flach und längs erstreckt 1.3 und zwischen gegenüberliegenden Endbereichen (7, 8) einen Mittelabschnitt (9) aufweist, 1.4 wobei die Endbereiche (7, 8) abgerundet ausgebildet sind, dadurch gekennzeichnet, 1.5 dass die frontseitige Oberfläche der Lasche (1) ohne Unterbrechung durch Funktionselemente sowohl in Längserstreckung zwischen den Endbereichen (7, 8) als auch zwischen den seitlichen Randkanten (11) ballig ausgebildet ist.

Bei dem in der mündlichen Verhandlung am 20. Juni 2007 eingereichten Anspruch 1 nach Hilfsantrag wurde am Ende das Merkmal: "und frontseitig und/oder rückseitig angeordnete Befestigungsbereiche mittels Deckeln geschützt sind" angefügt.

Es soll die Aufgabe gelöst werden, eine kompakte und optisch ansprechende Einheit mit geringsmöglicher Ausdehnung zu schaffen, wobei die bisherige Anwendungsvielfalt und die unterschiedlichen Funktionen beibehalten werden (Abs. 0004 der Streit-Patentschrift).

Die Einsprechende ist der Ansicht, der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Haupt- und Hilfsantrag sei nicht neu, da die Angabe "zur verschiebbaren Führung..." in Merkmal 1.1 als reine Zweckangabe nicht zur Definition des Anmeldungsgegenstands beitrage. Er ergebe sich für den Fachmann aufgrund seiner Fachkenntnis aber auch in naheliegender Weise aus dem genannten Stand der Technik.

Die Einsprechende stellt den Antrag, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrecht zu erhalten:

Patentansprüche 1 bis 9 gemäß Eingabe vom 14. September 2005, Beschreibung und Zeichnungen gemäß Patentschrift.

Hilfsweise:

Patentansprüche 1 bis 8 nach Hilfsantrag, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 20. Juni 2007, Beschreibung und Zeichnungen gemäß Patentschrift.

Die Patentinhaberin und die Einsprechende stellten unstreitig, dass der Prospekt der Patentinhaberin mit der Bezeichnung "DORMA MANET Objekte" (= E 4) am 19. Januar 1999 auf dem Messestand der Inhaberin des Streitpatents anlässlich der Messe "Bau 99" in München verteilt wurdeunddass das Bestell- und Konstruktionshandbuch "DORMA MANET CONCEPT" (= E 2) mit Druckdatum 10/01 öffentlich zugänglich war.

Die Patentinhaberin ist der Meinung, der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Haupt- und Hilfsantrag sei neu. Die beanstandete Angabe sei keine Zweckangabe, sondern eine Funktionsangabe. Der Stand der Technik könne den Gegenstand des Anspruchs 1 auch nicht nahelegen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II 1. Der Einspruch ist zulässig und hat auch Erfolg, so dass das Patent zu widerrufen war.

Gemäß § 147 Abs. 3 PatG in der letztgütigen Fassung vom 9. Dezember 2004 liegt die Entscheidungsbefugnis über den vor der Aufhebung des § 147 Abs. 3 PatG noch anhängigen Einspruch bei dem hierfür zuständigen 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts (vgl. Entscheidung in der Einspruchssache 19 W(pat) 344/04).

Dieser hatte - wie in der Entscheidung in der Einspruchssache 19 W (pat) 701/02 (mit Verweisungen vgl. BPatGE 46,134) ausführlich dargelegt ist - aufgrund öffentlicher mündlicher Verhandlung zu entscheiden.

Gegenstand des Verfahrens ist das erteilte Patent.

2. Fachmann Der zuständige Fachmann ist ein Diplomingenieur (FH) der Fachrichtung Maschinenbau mit Berufserfahrung auf dem Gebiet der Beschläge für Türen, insbesondere Glastüren.

3. Gegenstand des Anspruchs 1 Das Merkmal 1.1 beinhaltet nach Überzeugung des Senats eine Funktionsangabe, die auch die Gestalt und Auslegung (Tragkraft) der Lasche mitbestimmt, und keine reine Zweckangabe.

Bei dem Merkmal 1.5 folgt der Senat der Patentinhaberin und geht bei der Beurteilung der Patentfähigkeit von einer sphärischen Krümmung der Oberfläche (in Längs- und Quererstreckung) aus.

Der Anspruch 1 nach Hauptantrag und Hilfsantrag ist nicht auf einstückige Laschen beschränkt. Er umfasst auch Ausführungsformen, bei denen die Lasche einen Grundkörper und einen Deckel umfasst, wobei der Deckel auch den ganzen Grundkörper überdecken kann.

4. Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag ist nicht patentfähig, weil er auf keiner erfinderischen Tätigkeit beruht.

Das unstreitig vorveröffentlichte Bestell- und Konstruktionshandbuch "Dorma Manet Concept" zeigt insbesondere auf Seite 3/07 eine Lasche für eine Glasschiebetür, deren oberes Ende eine auf der Laufschiene laufende Rolle trägt, und die am unteren Ende über rückseitige Punkthalter mit einer Glasscheibe verbunden ist; also eine Lasche zur verschiebbaren Führung eines an einer Schiene hängend gelagerten Elementes nach Merkmal 1.1.

Die Lasche ist flach und länglich mit halbkreisförmig abgerundeten Endbereichen und einem geraden Mittenabschnitt zwischen den gegenüberliegenden Endbereichen. Damit weist sie auch die Merkmale 1.2 bis 1.4 auf.

Die frontseitig angeordneten Befestigungsbereiche um die Befestigungsschrauben für die Punktbefestigungen sind auch mittels Deckeln geschützt, wie im letzten Merkmal des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag gefordert.

Im Unterschied zum Gegenstand des Anspruchs 1, Merkmal 1.5 ist die Oberfläche flach und nicht ballig.

Bei derartigen Glaselementbeschlägen ist es wichtig, dass sie unempfindlich gegen Schmutz, leicht zu reinigen, ohne Verletzungsrisiko durch hervorstehende Teile oder scharfe Kanten, und optisch ansprechend sind (Streitpatentschrift, Abs. 0008). Das gilt für alle Beschläge von Glaselementen, unabhängig davon, ob es sich um Aufhängungen, Scharniere oder Schlösser handelt.

Auf der Suche nach geeigneten Lösungen, die diese Anforderungen gut erfüllen, wird der Fachmann auch die DE 100 37 415 A1 heranziehen. Sie befasst sich nämlich mit Beschlägen für Glastüren, (feststehenden) Duschabtrennungen oder ähnlichem (Sp. 1, Z: 5 bis 12, Sp. 2, Z: 37 bis 43), wobei insbesondere der optische Gesamteindruck, die Verschmutzung und das Verletzungsrisiko als Probleme angesprochen werden (Sp. 1, Z. 13 bis 30). Zur Lösung dieses Problems wird eine im wesentlichen elliptische Abdeckung mit glatten runden Übergängen, die scharfe, vorstehende Bereiche vermeidet, vorgeschlagen (Sp. 1, Z. 34 bis 52). Die Figuren 3, 4, 8 und 9 zeigen dabei Abdeckungen mit vollkommen glatten sphärisch gekrümmten Oberflächen ohne jede Unterbrechung.

Nach Überzeugung des Senats liegt es somit für den Fachmann nahe, auch die im Bestell- und Konstruktionshandbuch "Dorma Manet Concept" dargestellte Lasche mit einer derartig balligen Abdeckung zu versehen, wobei der symmetrische längliche Laschen-Grundkörper mit den halbkreisförmigen Endbereichen eine entsprechend symmetrische Form der Abdeckung vorgibt. Die Oberfläche der Abdeckung ist dann auch die optisch ansprechende, leicht zu reinigende Oberfläche der Lasche ohne Verletzungsquellen, die ohne Unterbrechung durch Funktionselemente sowohl in Längserstreckung zwischen den Endbereichen als auch zwischen den seitlichen Rändern ballig (sphärisch) ausgebildet ist. Die Abdeckung schützt auch als Deckel die frontseitig angeordneten Befestigungsbereiche.

Damit gelangt der Fachmann ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag.

Ob eine Materialansammlung in der Mitte Auswirkungen auf die übertragbaren Biegemomente haben kann, wie von der Patentinhaberin vorgetragen, kann dahinstehen, denn eine solche Materialansammlung ist nicht beansprucht.

5. Der Anspruch 1 nach Hauptantrag ist aus den gleichen Gründen nicht patentfähig.

6. Nach Fortfall des Anspruchs 1 nach Hauptantrag und Hilfsantrag teilen die darauf jeweils rückbezogenen Ansprüche dessen Schicksal.






BPatG:
Beschluss v. 20.06.2007
Az: 19 W (pat) 330/04


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