Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Beschluss vom 19. Juni 2012
Aktenzeichen: 2 Ws 83/12

(OLG Frankfurt am Main: Beschluss v. 19.06.2012, Az.: 2 Ws 83/12)

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Erinnerung der beigeordneten Rechtsanwältin € gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Rechtspflegers des Landgerichts Darmstadt vom 05. März 2012 wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

Die Beschwerde der Vertreterin der Staatskasse, die sich ausschließlich gegen die Zubilligung von vier Zusatzgebühren für eine überlange Verfahrensdauer nach Nrn. 4116, 4117 VV RVG richtet, ist zulässig. Sie ist statthaft (§ 56 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 33 Abs. 3 RVG) und sowohl formgerecht (§ 33 Abs. 7 RVG) als auch innerhalb der gesetzlichen Frist von zwei Wochen (§ 33 Abs. 3 Satz 3 RVG) erhoben worden. Ebenso ist der - mangels Zulassung des Rechtsmittels durch das Landgericht - erforderliche Beschwerdewert von mehr als 200,-- € erreicht, da die Vertreterin der Staatskasse eine Absetzung in Höhe von 514,08 € (einschließlich Mehrwertsteuer) begehrt.

Über das Rechtsmittel hat, da die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter erlassen wurde, der Senat durch den Einzelrichter zu entscheiden (§ 33 Abs. 8 S. 1 RVG).

Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Der beigeordneten Rechtsanwältin stehen die beantragten drei Zusatzgebühren nach Nr. 4116 VV RVG (Teilnahme an der Hauptverhandlung für mehr als fünf und bis zu acht Stunden) sowie die beantragte Zusatzgebühr nach Nr. 4117 VV RVG (Teilnahme an der Hauptverhandlung für mehr als acht Stunden) nicht zu.

Es geht vorliegend ausschließlich um die Frage, ob bei der Berechnung der Länge einer Hauptverhandlung die im Protokoll vermerkten Unterbrechungen für die Bestimmung der vergütungspflichtigen Gesamtdauer abgezogen werden müssen.

Ausgangspunkt der Honorierung durch die strafrechtliche Terminsgebühr ist, wie der Senat in der Besetzung mit drei Richtern in seinem Beschluss vom 13. März 2012 (2 Ws 18/12) ausgeführt hat, alleine die Zurverfügungstellung der persönlichen Anwesenheit des Pflichtverteidigers bzw. des beigeordneten Rechtsanwalts zur Durchführung einer strafrechtlichen Hauptverhandlung auf Ladung des Gerichtes. Damit ist vom Grundsatz her die Terminsgebühr an der im Protokoll vermerkten €Nettoanwesenheit€ in der Hauptverhandlung zu bemessen. Pausen und Unterbrechungen sind keine Hauptverhandlung (vgl. den Senatsbeschluss a.a.O. mit weiteren Nachweisen). Es spielt für die Frage der Vergütung dabei auch keine Rolle, ob diese Unterbrechungen inhaltlich der Hauptverhandlung dienen. Auch andere Handlungen des Pflichtverteidigers bzw. des beigeordneten Rechtsanwalts (z.B. Beratung mit dem Mandanten, Vorbereitung der Hauptverhandlung oder des Plädoyers, Niederlegung von Beweisanträgen etc.) dienen letztlich der Hauptverhandlung und werden, soweit vom Gesetzgeber als honorabel anerkannt, über andere Gebührentatbestände abgegolten (vgl. VV RVG Nr. 4100 ff). Ansonsten hätte es der Pflichtverteidiger bzw. der beigeordnete Rechtsanwalt in der Hand, seine bereits vergüteten Tätigkeiten (z.B. die Vorbereitung der Hauptverhandlung, die Beratung mit dem Mandanten) über Verhandlungspausen in die Hauptverhandlung zu verlagern, um so künstlich Zuschläge zu generieren und damit eine teilweise Doppelvergütung zu erreichen. Die Einwände, dass der Pflichtverteidiger bzw. der beigeordnete Rechtsanwalt keinen Einfluss auf die Verhandlungsunterbrechungen durch das Gericht hat, diese €nicht vorhersehen€ und die dadurch entstandene Zeit nicht €sinnvoll€ nutzen könne, sind Relikte aus der BRAGO und findet in der pauschalisierten Konzeption des RVG keine Stütze. Gerade vor dem Hintergrund, dass der Rechtsanwalt nach Vorb. 4 Abs. 3 S. 2 f VV RVG die Terminsgebühr auch erhält, wenn er zu einem anberaumten Termin erscheint, dieser aber aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, nicht stattfindet, macht deutlich, dass er sie ohne diese Sonderregelung gerade nicht bekommen hätte, weil keine Hauptverhandlung stattgefunden hat. Wartezeiten und Vorhaltezeiten wie sie durch Pausen und Unterbrechungen während der Hauptverhandlung entstehen, sind typische Begleiterscheinungen des Berufsbildes des Rechtsanwaltes und insb. des Strafverteidigers und weder eigenständig vergütungspflichtig noch stellen sie Besonderheiten da, die durch Ausweitung bestehender Vergütungstatbestände aufgefangen werden müssen. Der Gesetzgeber wollte mit dem RVG gerade die intransparente Kasuistik zu Sondervergütungen für Rechtsanwälte beenden und durch transparente Vergütungstatbestände pauschalisieren. Dem RVG liegt die Konzeption einer Mischkalkulation zu Grunde. Die Bewertung, ob der Pflichtverteidiger die der Tätigkeit des Strafverteidigers immanenten Warte- und Vorhaltezeiten €sinnvoll€ nutzen kann, steht weder dem Rechtspfleger noch dem Gericht zu. Es obliegt dem Strafverteidiger seine Tätigkeit so zu organisieren, wie er es für €sinnvoll€ erachtet. Ob er die Zeit für Gespräche auf dem Gerichtsflur nutzt, Mittagessen geht, mit seinem Büro telefoniert oder sich anderweitig beschäftigt, ist alleine seine Entscheidung. Wie lange eine Unterbrechung dauert, kann, soweit sie nicht durch das Gericht ohnehin mitgeteilt wird, erfragt werden.

Der so vom RVG vorgegebene €Nettogrundsatz€ wird durch das Kriterium, dass Wartezeiten dann relevant werden können, wenn sich der Pflichtverteidiger bzw. der beigeordnete Rechtsanwalt €zur Durchführung einer strafrechtlichen Hauptverhandlung€ sozusagen €in Bereitschaft€ halten muss, durchbrochen. Dabei geht es alleine um die personale Anwesenheit des Pflichtverteidigers bzw. des beigeordneten Rechtsanwalts.

Dabei wird, um den Pauschalisierungsgedanken des Gesetzgebers Rechnung zu tragen, bei kürzeren Verhandlungspausen vom Grundsatz davon auszugehen sein, dass der Pflichtverteidiger bei diesen Unterbrechungen und Wartezeiten dem Gericht nach wie vor zur Verfügung steht. Das ist auch die Begründung für die Berücksichtigung der angeordneten Terminsstunde als gebührentechnischer Beginn der Hauptverhandlung und nicht der im Protokoll vermerkte tatsächliche Hauptverhandlungsbeginn.

Von diesem Prinzip ausgehend, verliert diese Indizwirkung ihre Anscheinsfunktion jedoch dann, wenn die Unterbrechungen länger andauern, so dass in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung der Oberlandesgerichte Unterbrechungen über eine Stunde grundsätzlich ein Indiz dafür sind, dass während dieser Zeit der Pflichtverteidiger bzw. der beigeordnete Rechtsanwalt nicht für das Gericht in Bereitschaft steht, er damit nicht rechnen musste, dass die Hauptverhandlung jederzeit wieder aufgerufen werden wird. Ob er diese Zeit sinnvoll oder nicht sinnvoll nutzen kann, ist dabei wie oben ausgeführt unerheblich. Er verliert seinen Gebührenanspruch nicht, sondern es bleibt lediglich bei der vom Gesetzgeber pauschalisierten Terminsgebühr, die für die bloße Anwesenheit in der Hauptverhandlung gewährt wird. Ausgangspunkt und entscheidend ist alleine, dass keine Bereitschaftsanweisung des Gerichts vorliegt. Überschreitet die einzelne Unterbrechung danach eine Stunde, ist sie gänzlich in Abzug zu bringen.

Vorliegend führt dies dazu, dass von den im Hauptverhandlungsprotokoll dokumentierten Pausen alle Unterbrechungen unberücksichtigt bleiben mit Ausnahme der Pause am 11. August 2011 von 11.22. Uhr bis 14.00 Uhr, der Pause am 15. August 2011 von 12.40 Uhr bis 14.05 Uhr, der Pause am 19. August 2011 von 11.39 bis 14.00 Uhr und der Pause am 02. September 2011 von 11.30 Uhr bis 14.12 Uhr. Diese sind - wie von dem Rechtspfleger zutreffend festgestellt - in Abzug zu bringen, sodass damit vorliegend auch die drei Zusatzgebühren gemäß Nr. 4116 VV RVG für die Verhandlungstage am 11. August 2011, am 19. August 2011 und am 02. September 2011 sowie die Zusatzgebühr gemäß Nr. 4117 VV RVG für den Verhandlungstag am 15. August 2011 entfallen und es bei den ursprünglich festgesetzten Gebühren verbleibt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.






OLG Frankfurt am Main:
Beschluss v. 19.06.2012
Az: 2 Ws 83/12


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