Bundespatentgericht:
Beschluss vom 18. Oktober 2006
Aktenzeichen: 19 W (pat) 17/04

(BPatG: Beschluss v. 18.10.2006, Az.: 19 W (pat) 17/04)

Tenor

Der Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 15. Dezember 2003 wird aufgehoben und das Patent widerrufen.

Gründe

I.

Das Deutsche Patent- und Markenamt - Patentabteilung 54 - hat das auf die am 20. August 1992 eingegangene Anmeldung erteilte Patent 42 27 563 mit der Bezeichnung "Geregelter hydraulischer Vorschubantrieb", im Einspruchsverfahren durch Beschluss vom 15. Dezember 2003 mit der Begründung aufrechterhalten, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 patentfähig sei.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Einsprechenden.

Der Patentanspruch 1 lautet unter Hinzufügung der Gliederungsziffern 1. bis 7.:

"Geregelter hydraulischer Vorschubantrieb, insbesondere für Werkzeugmaschinen, 1. mit einem Differentialzylinder (14), dessen Position von einem Weggeber (24) erfaßbar ist, 2. mit einem Regelventil (17), mit dem die Druckmittelwege zwischen dem Differentialzylinder (14), einer Druckmittelquelle (61) und einem Tank steuerbar sind und 2.1 das ein hydraulisch betätigbares Proportionalventil (35) mit einem ersten, federzentrierten Steuerkolben (37), dessen Position von einem zweiten Weggeber (65) erfaßbar ist, 2.2 und ein Pilotventil (45) mit einem zweiten Steuerkolben (46) besitzt, der durch Steuerdruckrückführung mittelstellungszentriert ist, 3. mit einer Regelelektronik (18) für das Regelventil (17) und 3.1 mit einer Maschinensteuerung, dadurch gekennzeichnet, 4. daß das Flächenverhältnis des Differentialzylinders (14) zwei zu eins beträgt, 5. daß der erste Steuerkolben (37) zur Bewegung des Kolbens (19) des Differentialzylinders (14) in die eine Richtung einen Arbeitsgangsteuerbereich, über den der kolbenstangenseitige Druckraum (21) des Differentialzylinders (14) mit dem Tank verbindbar ist, und einen Eilgangsteuerbereich mit Rückölverwertung aufweist, 6. daß der erste Steuerkolben (37) in der Mittelstellung eine positive Schaltüberdeckung hat und 7. daß die Hub/Volumenstrom-Kennlinie des Proportionalventils (35) durch die Regelelektronik (17) nullpunktlinearisiert ist".

Mit den im Patentanspruch 1 angegebenen Merkmalen soll die Aufgabe gelöst werden, einen geregelten hydraulischen Vorschubantrieb mit den Merkmalen aus dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1 so auszubilden, dass unter Beachtung von sicherheitstechnischen Aspekten eine genaue Lageregelung möglich ist, dass in beide Richtungen bei kleiner Pumpenleistung eine hohe Geschwindigkeit gefahren werden kann und dass, wenn kleine Ölströme dosiert werden, eine hohe Vorschubkraft realisierbar ist (Streit-PS Sp. 2 Z. 45 bis 53).

Die Beschwerdeführerin und Einsprechende ist, wie angekündigt, zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen.

Die Beschwerdeführerin stellte - schriftsätzlich - den Antrag aus der Beschwerdeschrift vom 20. Februar 2004, den Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 15. Dezember 2003 aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin stelltekeinen Antrag.

Die Beschwerdegegnerin und Patentinhaberin ist ankündigungsgemäß nicht erschienen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II Die Beschwerde ist zulässig und hat Erfolg. Denn der Vorschubantrieb nach Patentanspruch 1 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns.

1. Fachmann Als Fachmann ist ein Diplom-Ingenieur des Maschinenbaus mit Universitätsabschluss mit Erfahrung in der Konstruktion hydraulischer Ventile und Zylinder, sowie mit Kenntnissen der Regelungstechnik anzusehen.

2. Patentfähigkeit Der Vorschubantrieb gemäß dem Patentanspruch 1 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns.

Aus dem von der Patentinhaberin im Verfahren vor der Patenterteilung genannten Aufsatz von Halloin, Phillipp und Nolting, Joachim: "Position behauptet" in der Zeitschrift fluid, Februar 1990, Seite 22 bis 24 (Abbildung auf Seite 23) ist bekannt ein

"Geregelter hydraulischer Vorschubantrieb (Regelkreis bestehend aus einer Maschinensteuerung CNC X Control (links oben), einem Differentialzylinder für die x-Richtung (Mitte links, bei Doppelpfeil x) und einem aus Pilot- und Proportionalventil (S. 23, mittlere Sp., Abs. 2 und 4) bestehenden Regelventil (links unten)), 1. mit einem Differentialzylinder (bei x; Flächenverhältnis wegen der Kolbenstange größer als 1), dessen Position von einem Weggeber (Wegssensor bei Doppelpfeil x) erfaßbar ist, 2. mit einem Regelventil (links unten: Regelventil bestehend aus Ventil mit den Anschlüssen P, T und Ventil mit den Anschlüssen A, B), mit dem die Druckmittelwege zwischen dem Differentialzylinder (bei x), einer Druckmittelquelle (an P) und einem Tank (an T) steuerbar sind und 2.1 das ein hydraulisch betätigbares Proportionalventil (links unten: Ventil mit den Anschlüssen A, B) mit einem ersten, federzentrierten (Federn am Ventil mit den Anschlüssen A, B) Steuerkolben (im Ventil enthalten) dessen Position von einem zweiten Weggeber (dessen Ausgangssignal auf einen Eingang eines Differenzverstärkers in einer Regelelektronik links unten geführt ist) erfaßbar ist, 2.2 und ein Pilotventil (links unten: Ventil mit den Anschlüssen P, T) mit einem zweiten Steuerkolben (im Ventil enthalten) besitzt, der durch Steuerdruckrückführung (links unten: Rückführungen am Ventil mit den Anschlüssen P, T) mittelstellungszentriert ist, 3. mit einer Regelelektronik (links unten: Elektronikschaltung mit den drei Verstärkern) für das Regelventil (links unten: Regelventil bestehend aus Ventil mit den Anschlüssen P, T und Ventil mit den Anschlüssen A, B) und 3.1 mit einer Maschinensteuerung (CNC X Control)"

Zusätzlich ist in dem Aufsatz von Halloin und Noltung a. a. O. noch erwähnt, dass es Aufgabe der Elektronik sei, alle Nichtlinearitäten des hydraulischmechanischen Systems auszuregeln (S. 24 mittl. Sp. le. Abs. bis re. Sp. Abs. 1).

Stellt sich ausgehend von einem Vorschubantrieb, wie er im Aufsatz von Halloin und Nolting a. a. O. beschrieben ist, dem Fachmann die Aufgabe, für die Bewegung des Kolbens des Differentialzylinders einen Arbeitsgangsteuerbereich und einen Eilgangsteuerbereich zu realisieren, etwa aus Gründen der Erhöhung des Arbeitstakts (Werkzeugmaschine), dann ergibt es sich für ihn auf nahe liegende Weise, den bekannten Vorschubantrieb mit einem Proportionalventil, wie es ihm aus der DE 23 43 662 C2 bekannt ist und das ebenfalls einen - als Vorschubantrieb dienenden (Sp. 3, Z. 2, 3) - Differentialzylinder 89 ansteuert, zu ertüchtigen. Denn die DE 23 43 662 C2 gibt dem Fachmann den konkreten Hinweis auf einen Arbeitsgang- und einen Eilgangsteuerbereich für den Kolben des Differentialzylinders (Sp. 2 Z. 65 bis Sp. 3 Z. 3 i. V. m. Sp. 4 Z. 19 bis 35). Der Fachmann wird sonach den aus dem Aufsatz von Halloin und Nolting a. a. O. bekannten Vorschubantrieb mit den Merkmalen 1.) bis 3.1) entsprechend der DE 23 43 662 C2 so ausgestalten, dass in Übereinstimmung mit Patentanspruch 1, Merkmal 5. der erste Steuerkolben (43) zur Bewegung des Kolbens (91) des Differentialzylinders (89) in die eine Richtung einen Arbeitsgangsteuerbereich, über den der kolbenstangenseitige Druckraum (rechts von 91) des Differentialzylinders (89) mit dem Tank (bei 24) verbindbar ist (Sp. 4 Z. 22 bis 27 bzw. Sp. 1 Z. 10 bis 16), und einen Eilgangsteuerbereich mit Rückölverwertung aufweist (Sp. 1 Z, 16 bis 22 i. V. m. Sp. 4 Z. 31 bis 34 und Sp. 5 Z. 61 bis 68: Rückölverwertung, weil die Kammern 16, 18 entsprechend den Druckräumen des Differentialzylinders 89 mit der Zulaufkammer 17 verbunden sind), und 6. der erste Steuerkolben (43) in der Mittelstellung (Fig: dargestellter Zustand) eine positive Schaltüberdeckung hat (Steuerkanten 66, 67 des Kolbenabschnitts 51 stehen über die Steuerkanten 31, 32 des Gehäuses 13 über; Steuerkanten 69, 71 des zweigeteilten Kolbenabschnitts 52, 53 stehen über die Steuerkanten 34, 35 des Gehäuses 13 über).

Dem Fachmann ist aus seinem Fachwissen und seiner praktischen Erfahrung dabei geläufig, dass eine positive Schaltüberdeckung des Steuerkolbens (Merkmal 6.)) zu einer Nichtlinearität der Hub/Volumenstromkennlinie führt. Diese hat er zu kompensieren. Der Aufsatz von Halloin und Nolting a. a. O. lehrt ihn, dass hierzu die Elektronik heranzuziehen ist (S. 24 mittl. Sp. le. Abs bis re. Sp. Abs. 1). Dem Fachmann ist daher ohne Weiteres zuzutrauen, dass er zusätzlich vorsieht, 7. dass die Hub/Volumenstrom-Kennlinie des Proportionalventils durch die Regelelektronik nullpunktlinearisiert ist.

Die im Patentanspruch 1 (Merkmal 4) angegebene Maßnahme, dass das Flächenverhältnis des Differentialzylinders zwei zu eins beträgt, ergibt sich für den Fachmann aus der Forderung, eine bestimmte Eilgangsgeschwindigkeit festzulegen. Derartige Bemessungen gehören zu seinem alltäglichen Handeln.

Nach Überzeugung des Senats steht das anspruchsgemäße Flächenverhältnis nicht in direktem Funktionszusammenhang mit den restlichen Anspruchsmerkmalen, da der Vorschubantrieb auch mit einem anderen Flächenverhältnis gleichartige Funktion zeigen würde. Die Patentinhaberin hat auch nicht dargelegt, ob und wie das Flächenverhältnis von genau zwei zu eins eine besondere Wirkung hervorrufen soll.

3. Unteransprüche Mit dem Patentanspruch 1 fallen auch die auf ihn direkt oder indirekt rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 7.

4. Verfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt 4.1 Patentabteilung Im Beschluss über die Aufrechterhaltung des Patents geht die Patentabteilung lediglich auf die von der Einsprechenden genannten Druckschriften E1: DE 23 43 662 C2, E2: EP 0 471 884 B1 E3: Katalogseiten 51 und 52 der Firma Mannesmann Rexroth vom Februar 1988, ein. Die Patentabteilung führt im Beschluss (S. 7 vorle. Abs.) aus, dass keine der genannten Entgegenhaltungen (E1 bis E3) einen geregelten hydraulischen Vorschubantrieb im Sinne des Streitpatents zeigten; im einzelnen sei sowohl das Merkmal 1 als auch das Merkmal 2.2 aus keiner der genannten Druckschriften bekannt (vgl. S. 7 letzter Abs., S. 8 vorletzter Abs. und S. 9 Abs. 2). Beide Merkmale gehören zum Oberbegriff das Patentanspruchs 1. Die Patentabteilung weist somit den Oberbegriff des Patentanspruchs 1 druckschriftlich nicht nach. Daraus ergibt sich, dass die von der Patentinhaberin in der Streitpatentschrift (Sp. 1 Z. 7 bis 9) genannte und nach ihrer Auffassung einen Vorschubantrieb gemäß dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1 beschreibende Druckschriftfluid vom Februar 1990, Seite 22 ff,

(vgl. im Einzelnen die Ausführungen in der Patentschrift Sp. 1 Z. 9 bis 26) enthaltend den oben abgehandelten Aufsatz von Halloin und Nolting, von der Patentabteilung nicht berücksichtigt wurde.

Die Nichtberücksichtigung dieser Druckschrift stellt aus Sicht des Senats einen Verfahrensmangel im Sinne von § 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 PatG dar.

Aus dem in den Verfahren vor dem Patentamt herrschenden Untersuchungsgrundsatz folgt - entgegen dem Wortlaut des § 46 Abs. 1 Satz 1 PatG - die Pflicht, den Sachverhalt umfassend aufzuklären (Busse-Schwendy, PatG, Kommentar, 6. Auflage, § 46 Rd. 37; Schulte, PatG, Kommentar, 7. Auflage, § 79 Rd. 23 a. E., Benkard-Schäfers, PatG, Kommentar, 10. Auflage, § 59 Rd. 62).

Dies hat u. a. zur Folge, dass Druckschriften, die für die Patenterteilung bzw. für den Bestand des Patents von maßgeblicher Relevanz sind, Berücksichtigung finden müssen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Druckschrift - wie hier - ausdrücklich Eingang in die Verfahrensakte gefunden hat. Erfolgt eine solche Berücksichtigung nicht, ist von einer Verletzung der Aufklärungspflicht auszugehen.

Der Senat sieht im vorliegenden Fall jedoch von einer Zurückverweisung an die Patentabteilung nach § 79 Abs. 3 PatG ab, da im Rahmen der hierbei zu treffenden Ermessenentscheidung einer hier möglichen Entscheidung in der Sache der Vorzug zu geben ist. Zum einen ist Entscheidungsreife gegeben, zum anderen sprechen auch verfahrensökonomische Erwägungen für diese Vorgehensweise (Schulte, a. a. O., § 79 Rd. 17 mit Rechtsprechungsnachweisen).

Bei dieser Sachlage kann dahinstehen, ob und inwieweit die Patentabteilung Veranlassung hatte, die weiteren vierzehn Druckschriften, die in das Verfahren Eingang gefunden hatten, einer Würdigung im Einzelnen zu unterziehen.

4.2 Prüfungsstelle Auch das Prüfungsverfahren ist zu beanstanden. Denn die Prüfungsstelle hat zum Einen in ihrem einzigen Bescheid vom 24. März 1998 nicht erkennen lassen, in welchen Zusammenhang mit dem Anmeldegegenstand die, nur pauschal zitierten, im Bescheid mit den Nummern 1) bis 12) bezeichneten, Druckschriften stehen.

Zum Anderen hat die Prüfungsstelle die im Bescheid vom 24. März 1998 mit der Nummer 13) bezeichnete Druckschrift HAGL, Rainer: Simulierte Inbetriebnahme. In: fluid, November 1990, S. 22 - 26 als von der Anmelderin genannt, angesehen (vgl. Bescheid S. 3 Abs. 2), die tatsächlich von der Anmelderin in den ursprünglichen Unterlagen genannte und an erster Stelle der Würdigung des Standes der Technik als gattungsbildend herausgestellte Druckschrift (vgl. ursprüngliche Unterlagen S. 7 Z. 8)

fluid vom Februar 1990, Seite 22 ff., hat die Prüfungsstelle ausweislich des Literaturbogens der Amtsakte bzw. dem Deckblatt der Streitpatentschrift jedoch nicht in das Verfahren eingeführt. Sie hat dabei auch übersehen, dass die von ihr stattdessen genannte Druckschrift fluid, November 1990, S. 22 bis 26 in keinerlei Zusammenhang mit dem Anmeldegegenstand steht.






BPatG:
Beschluss v. 18.10.2006
Az: 19 W (pat) 17/04


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