Oberlandesgericht Hamburg:
Urteil vom 10. Februar 2005
Aktenzeichen: 5 U 80/04

(OLG Hamburg: Urteil v. 10.02.2005, Az.: 5 U 80/04)

"Die gründlichste Rasur II"

1. Die Werbung für einen Nassrasierer "Für die gründlichste Rasur, sogar beim Rasieren gegen die Wuchsrichtung" werden jedenfalls rechtlich beachtliche Teile des Verkehrs als Alleinstellungsberühmung verstehen.

2. Eine Alleinstellungsberühmung ist irreführend, wenn der Werbende seine Mitbewerber nicht deutlich und merklich überragt. Schneidet ein Nassrasierer innerhalb von 24 Stunden durchschnittlich 14,3 Mikrometer = 0, 0143 mm mehr Barthaare ab als ein Konkurrenzprodukt, handelt es sich nicht um einen hinreichend deutlichen und merklichen Vorsprung, um die werbliche Behauptung der gründlichsten Rasur zu rechtfertigen.

Tenor

Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg - Zivilkammer 12 - vom 6.4.2004 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird für beide Instanzen auf EUR 200.000.- festgesetzt.

Tatbestand

Die Antragstellerin nimmt die Antragsgegnerin wegen einer - nach ihrer Ansicht - wettbewerbswidrigen Werbung auf Unterlassung in Anspruch.

Die Antragsgegnerin schaltete regelmäßig in überregionalen Tageszeitungen Werbungen für die von ihr angebotenen Flugreisen. Auch im Internet fanden sich derartige Angebote. Unter anderem warb sie am 28.09.2006 wie aus den Anlagen AS 1 und 2 (Anlagen A und B) ersichtlich. So bietet sie z. B. Flüge von Friedrichshafen nach Pisa (Florenz) für einen Preis "ab Euro 25,59" an. Dabei stellte sie klar, dass sich dieser Preis auf einen einfachen Flug "einschließlich Steuern & Gebühren" beziehe. Darauf, dass die Passagiere für jedes aufgegebene Gepäckstück eine zusätzliche Gebühr zu entrichten hatten, wies die Antragsgegnerin in der Werbung (Anlagen AS 1 und AS 2) nicht hin.

Hinsichtlich der Gepäckmitnahme gilt bei der Antragsgegnerin sei dem 16.03.2006 folgendes: Soweit der Passagier die Gepäckaufgabe vorher angemeldet hat, entsteht für die Beförderung von aufgegebenem Gepäck bei einem einfachen Flug eine Gebühr von 3,50 Euro pro Gepäckstück. Anderenfalls, wenn der Passagier die Gepäckaufgabe nicht vorher angemeldet hat, entsteht nachträglich am Flughafen für jedes aufgegebene Gepäckstück eine Gebühr von 7 Euro. Jeder Passagier darf ein Handgepäckstück bis 10 kg kostenfrei mitnehmen. Die "Gesamtgepäckobergrenze" (aufgegebenes Gepäck und Handgepäck) beträgt insgesamt 30 kg.

Über die Einführung des Gepäckentgeltes durch die Antragsgegnerin wurde in der Presse wiederholt berichtet (Anlagenkonvolut AG 7, Anlage AG 8).

Nachdem der Antragsteller die Antragsgegnerin erfolglos abgemahnte hatte, erwirkte er die einstweilige Verfügung der Kammer vom 27.09.2006, mit der der Antragsgegnerin bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel verboten worden ist,

im Wettbewerb handelnd, insbesondere wie in Anlagen A und/oder B geschehen, für Flugreisen unter Angabe von Preisen zu werben, ohne darauf hinzuweisen, dass für jedes aufgegebene Gepäckstück eine Gebühr berechnet wird.

Gegen die Verbotsverfügung richtet sich der Widerspruch der Antragsgegnerin.

Der Antragsteller ist der Ansicht,

dass die Antragsgegnerin mit ihrer Preiswerbung gegen §§ 3, 5 UWG verstoße. Er, der Antragsteller, habe erst im September von der streitgegenständlichen Werbung Kenntnis erhalten.

Der Antragsteller beantragt,

die einstweilige Verfügung zu bestätigen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die einstweilige Verfügung vom 27.09.2006 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin ist der Ansicht,

dass die einstweilige Verfügung aufzuheben sei. Sie sei entgegen §§ 936, 922 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht begründet worden und unter Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG ohne Berücksichtigung der bereits am 13.09.2006 beim Gericht eingereichten Schutzschrift der Antragsgegnerin ergangen.

Es bestehe kein Verfügungsanspruch. Die "Ab-Preis"-Werbung der Antragsgegnerin entspreche den gesetzlichen Anforderungen. Eine Hinweispflicht auf möglicherweise anfallende Gepäckgebühren bestehe nicht. Der Verbraucher sei es bei sog. Billigfluglinien gewohnt, dass eine Leistungsdiversifizierung erfolge. Auch andere Fluggesellschaften verlangten Gepäckgebühren. Eine wie auch immer geartete Irreführung sei daher nicht ersichtlich.

Es bestehe des Weiteren kein Verfügungsgrund. Der Antragsteller könne die Dinglichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG nicht in Anspruch nehmen. Er beobachte die Antragsgegnerin permanent und habe daher mit Einführung der Gepäckgebühr am 16.03.2006 von dieser erfahren. Die Gepäckgebühr werde seit mehr als 5 ½ Monaten erhoben, und deren Einführung sei allgemein durch umfangreiche Berichterstattungen in Presse und anderen Medien bekannt.

Der Antragsteller habe zudem aus diversen Verfahren, die vor anderen Gerichten geführt worden seien, spätestens im Mai 2006 davon Kenntnis erhalten, dass für aufzugebendes Gepäck eine Gebühr bezahlt werden müsse. In einem Verfahren vor dem Landgericht Düsseldorf habe der Antragsteller - unstreitig - einen Antrag mit einem anliegenden Internetausdruck der Antragsgegnerin eingereicht (Anlage AG 21). Auf der Seite 4 des Internetausdrucks habe es - unstreitig - geheißen:

"- Das aufzugebende Gepäck beträgt 20 kg pro Person 15kg Freigepäck pro Person für alle Passagiere, die nach dem 1. November 2006 reisen. (Gepäckgebühr zu entrichten)"

Daraus müsse der Antragsteller schon sehr frühzeitig entnommen haben, dass nunmehr eine Gepäckgebühr zu entrichten sei. Dieses sei jedenfalls ein derart starkes Indiz für eine frühe Kenntnisnahme, dass die Dringlichkeitsvermutung widerlegt sei.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die eingereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.12.2006 (Widerspruchsverhandlung) Bezug genommen.

Gründe

I.

Die Parteien sind Wettbewerber bei der Herstellung und dem Vertrieb von Nassrasierern. Die Antragstellerin vertreibt u.a. den Rasierer "Quattro", die Antragsgegnerin den Rasierer "MACH3 Turbo" .

Die Antragstellerin nimmt die Antragsgegnerin wegen einer wettbewerbswidrigen Alleinstellungsberühmung im Verfügungsverfahren auf Unterlassung in Anspruch. Vorangegangen ist ein Verfügungsverfahren auf Unterlassung der werblichen Behauptung "Keiner rasiert wie der MACH3 Turbo. Es ist weltweit die gründlichste und komfortabelste Gillette-Rasur. Garantiert!". Diese Behauptung ist der Antragsgegnerin mit einstweiliger Verfügung des Landgerichts Hamburg vom 13.10.2003 verboten worden. Gegen das bestätigende Widerspruchsurteil hat die Antragsgegnerin Berufung eingelegt, welche mit Urteil des Senats vom heutigen Tage zurückgewiesen worden ist (Aktz. 5 U 48/04).

Die Antragstellerin beanstandet in diesem Verfahren die Werbeaussage "Für die gründlichste Rasur, sogar beim Rasieren gegen die Wuchsrichtung". Dieser Satz wurde auf einem selbstklebenden Sticker auf der Außenverpackung des "MACH3 Turbo" verwendet. Die Antragstellerin hält auch diese Aussage für irreführend und behauptet unter Vorlage einer in ihrem Auftrag erstellten Studie, dass ihr Rasierer "Quattro" gründlicher rasiere als der "MACH3 Turbo" . Am 11.12.2003 hat das Landgericht eine einstweilige Verfügung erlassen, mit der der Antragsgegnerin die Verwendung der genannten Werbeaussage verboten worden ist.

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivortrags wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen. Gegen das Widerspruchsurteil, mit dem das Landgericht die einstweilige Verfügung bestätigt hat, hat die Antragsgegnerin Berufung eingelegt.

Die Antragsgegnerin macht im Wesentlichen geltend:

Sie beruft sich nunmehr auf die im Parallelverfahren 5 U 48/04 eingereichte Hancock-Studie, nach der der "MACH3 Turbo" im Schnitt 14,3 Mikrometer innerhalb von 24 Stunden gründlicher rasiere als der "Quattro" (Anlage Bk4). Die Detailergebnisse bezüglich jedes einzelnen Studienteilnehmers legt sie als Anlagen BK 9 und BK 10 vor. Ferner reicht sie als zusätzliche Glaubhaftmachungsmittel einen in den USA durchgeführte Verbraucherumfrage und einen Testbericht der Stiftung Warentest ein (Anlagen BK 2 und Bk 7). Schließlich verweist sie auf einen Werbespot der Antragstellerin, aus dem sich ergebe, dass auch nach Auffassung der Antragstellerin eine lang anhaltende Rasur einen relevanten Vorteil darstelle.

Die Antragstellerin hält die Vorlage der Hancock-Studie für verspätet und auch in der Sache nicht für geeignet, einen deutlichen Vorsprung des "MACH3 Turbo" gegenüber dem "Quattro" nachzuweisen. Den Test der Stiftung Warentest hält sie wegen der Untersuchungsmethode (Verbraucherumfrage mit 30 Testpersonen, Anlage BB 3) nicht für aussagekräftig. Im Übrigen verteidigt sie im Wesentlichen das landgerichtliche Urteil.

II.

Die Berufung der Antragsgegnerin ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Der Senat folgt dem landgerichtlichen Urteil. Zu den Angriffen der Berufung ist Folgendes auszuführen:

1. Erstmals in der Berufungsverhandlung hat die Antragsgegnerin erneut den Verfügungsgrund in Frage gestellt. Diesen hat das Landgericht indessen mit überzeugender Begründung bejaht. Dem schließt sich der Senat an.

2. Ebenfalls zu Recht hat das Landgericht die angegriffene Aussage als Alleinstellungsberühmung gewertet. Dies hat auch die Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren nicht in Zweifel gezogen. Zwar fehlt ein direkter Bezugspunkt zum sonstigen Markt wie im Parallelverfahren 5 U 48/04 ("Keiner rasiert so wie der MACH3 Turbo"). Die Verwendung eines Superlativs und/oder eines bestimmten Artikels (hier beides verwirklicht) werden jedoch in der Rechtsprechung regelmäßig als Alleinstellungsberühmungen gewertet (Harte/Henning/Weidert, UWG, § 5 Rn. 698 ff m.w.N.). Spätestens durch den Zusatz "sogar gegen die Wuchsrichtung" wird deutlich, dass es nicht um eine bloße reklamehafte Anpreisung ohne sachlichen Gehalt, sondern um die Bewerbung konkreter Eigenschaften des "Mach3 Turbo" geht. Mindestens rechtlich erhebliche Anteile des Verkehrs werden die Werbung daher als eine Alleinstellungsberühmung verstehen.

3. Ebenfalls zutreffend hat das Landgericht die Grundsätze der Darlegungs- und Beweislast bei Alleinstellungsberühmungen angewendet. Zwar hatte die Antragsgegnerin durchaus beachtliche Einwände gegen die von der Antragstellerin eingereichte CATRA-Studie erhoben und durch Bezugnahme auf die im Parallelverfahren eingereichten eidesstattlichen Versicherungen glaubhaft gemacht. Dies genügte jedoch nicht, denn sie hätte substantiiert dazu vortragen müssen, aufgrund welcher Erkenntnisse sie selbst zu der von ihr beanspruchten Alleinstellung gekommen ist.

Die Vorlage der Hancock-Studie ist schon deshalb unbeachtlich, weil sie erst in der Berufungsinstanz erfolgt ist. Gründe für die verspätete Vorlage im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO hat die Antragsgegnerin nicht vorgetragen. Entgegen den Ausführungen der Berufung hat sie diese Studie auch nicht durch Bezugnahme in der ersten Instanz eingeführt, sondern sich - wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat - mit keinem Wort auf ihre eigenen Untersuchungen bezogen.

4. Selbst bei Berücksichtigung der Hancock-Studie würde dies aber am Ergebnis nichts ändern, weil der hierin ermittelte Gründlichkeitsvorsprung von 14,3 Mikrometern überwiegend wahrscheinlich keinen deutlichen Vorsprung gegenüber dem "Quattro" der Antragstellerin beinhaltet. Auf die Ausführungen des Senats in der Parallelsache 5 U 48/04 wird Bezug genommen. Soweit die Antragsgegnerin weitere Glaubhaftmachungsmittel vorgelegt hat, sind diese teilweise ebenfalls verspätet (Verbraucherumfrage BK 2), verhelfen der Antragsgegnerin aber auch in der Sache nicht zum Erfolg (Anlagen Bk 2 und Bk 9). Wegen der Einzelheiten wird ebenfalls auf das Urteil des Senats in der Parallelsache 5 U 48/04 verwiesen.

Auch der mit dem letzten Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 18.1.2005 eingereichte Fernsehspot der Antragstellerin rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Darin bewirbt die Antragstellerin die lang andauernde Wirkung einer Rasur mit dem "Quattro". Dass eine lang andauernde Wirkung der Rasur einen relevanten Vorteil darstellt, ist indessen unbestritten. Entscheidend ist, ob die Antragsgegnerin substantiiert hat darlegen können, ob der Vorsprung des "MACH3 Turbo" gegenüber dem "Quattro" so erheblich ist, dass eine Alleinstellungsberühmung gerechtfertigt werden kann. Dies ist - wie ausgeführt - nicht der Fall.

5. Ob die Antragstellerin auch bezüglich des Rasierens gegen die Wuchsrichtung die Irreführung der Werbung ausreichend dargelegt hat, kann dahingestellt bleiben. Da die Werbeaussage in ihrer Gesamtheit angegriffen wird, genügt es, wenn sie unter einem Aspekt wettbewerbswidrig ist, nämlich hier bezüglich der Berühmung "für die gründlichste Rasur".

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.






OLG Hamburg:
Urteil v. 10.02.2005
Az: 5 U 80/04


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