Landgericht Düsseldorf:
Urteil vom 19. Februar 2009
Aktenzeichen: 14c O 294 08

(LG Düsseldorf: Urteil v. 19.02.2009, Az.: 14c O 294 08)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin ist ein weltweit führendes Unternehmen für Babyprodukte. Zu den Produkten der Klägerin gehören neben den bekannten Kinderschalensitzen "Maxi-Cosi" u.a. Kinderwagen, die sie unter der Marke "Quinny" vertreibt.

Sie ist Inhaberin des in Kraft stehenden, nachfolgend wiedergegebenen, eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters 000049655-0003, das am 03.07.2003 angemeldet und eingetragen und am 03.09.2003 veröffentlicht wurde:

Bild

Diesem Geschmacksmuster ist - mit kleineren Abweichungen - der Kinderwagen "ZAPP" der Klägerin nachgebildet.

Die Beklagte ist ebenfalls ein Hersteller von Babyausstattung. Sie hat ihren Sitz in Deutschland und bietet ihre Produkte deutschland- und europaweit an. Sie hat ihre Produkte u.a. auf der vom 11. bis 14.09.2008 in Köln durchgeführten Messe "Kind und Jugend" ausgestellt. Ausgestellt waren auch die im Klageantrag wiedergegebenen, streitgegenständlichen Kinderwagen, durch den die Klägerin ihr Geschmacksmuster verletzt sieht.

Außerdem macht die Klägerin einen Anspruch aus ergänzendem wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz geltend. Insoweit behauptet sie, von ihrem Kinderwagenmodell "ZAPP" im Jahr 2007 allein in Deutschland rund 33.271 Stück verkauft und hiermit einen Umsatz in Höhe von rund € 5 Mio. erzielt zu haben. Im ersten Halbjahr des Jahres 2008 habe sie ca. 21.935 Stück mit einem Umsatz von fast € 3,3 Mio. verkauft.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen,

es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Einzelfall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle der Wiederholung bis zu zwei Jahren, letztere zu vollziehen an den jeweiligen gesetzlichen Vertretern der Beklagten, zu unterlassen,

Kinderwagen, die die nachstehenden Gestaltungsmerkmale aufweisen, auf dem Gebiet der Europäischen Gemeinschaft anzubieten und/oder anbieten zu lassen, in Verkehr zu bringen und/oder in Verkehr bringen zu lassen oder zu den vorstehend genannten Zwecken zu besitzen:

elliptisch geformter Rahmen aus Aluminiumstangen, dessen Ellipsenform nur im oberen Bereich durch eine horizontal verlaufende Aluminiumstange gemäß (4) begrenzt wird; Applikationen aus schwarzem Kunststoff an den Gelenkstellen und am unteren Ende des Rahmens; Griffe aus schwarzem Kunststoff, die die äußeren Streben des Rahmens fortsetzen und nach vorne zeigen; horizontal verlaufende Verbindung der Griffe mit einem schwarzen Kunststoffversatzstück um das sich in der Mitte befindende Gelenk herum; Sitzfläche aus einem gespannten Stoff, die den Rahmen ausfüllt und in den Rahmen eingespannt ist; hängemattenartige Form der Sitzfläche, die zweistufig in den Stoff eingelassen ist; zwei Räder im hinteren Bereich, die durch Aluminiumstangen pfeilartig mit einem Doppelrad oder zwei nebeneinander liegenden Rädern an der Spitze des Pfeilsegments verbunden sind.

insbesondere, wenn diese wie nachfolgend abgebildet gestaltet sind:

- Modell "Fit" -

- Modell "Kiss" -

der Klägerin Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen begangen hat, und zwar unter Angabe

der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,

der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen und unter Angabe der Namen und Anschriften der Abnehmer,

der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns.

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die vorstehend zu Ziffer I.1 bezeichneten Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, sie verletze die Rechte der Klägerin nicht.

Da die von der Klägerin als prägend bezeichneten Merkmale aus dem Formenschatz bekannt seien, sei der Schutzbereich des Klagegeschmacksmusters eng. Bei eher hochpreisigen und sichtbar zu benutzenden Produkten, wie den streitgegenständlichen Kinderwagen, sei von einem informierten Benutzer mit erheblichem Designbewusstsein auszugehen. Die Formgestaltung ihrer Kinderwagen falle nicht in den Schutzbereich des Klagegeschmacksmusters, sondern rufe einen anderen Gesamteindruck hervor.

Insbesondere sei die Sitzfläche zweistufig und nur lose befestigt. Überdies sei das Fahrgestell unterhalb der Sitzfläche vollkommen anders und mit seinen schwarzen Rohren im Gegensatz zum Klagegeschmacksmuster bewusst unauffällig gestaltet. Während das Klagegeschmacksmuster seinen optischen Schwerpunkt über durch den weit nach hinten verlagerten Knotenpunkt über den Hinterrädern habe, liege dieser bei den angegriffenen Modellen an der Spitze der Kinderwagen. Weitere Unterschiede gebe es u.a. bei der Rahmengestaltung, der Griffgestaltung, an der Fußspitze, bei den Rädern und an dem mittleren Gelenk im Rahmen links und rechts. Schließlich gehörten insbesondere die besonders prägende Aufbewahrungstasche, aber auch das Dach und der Frontbügel, erkennbar zu den Wagen in seinem bestimmungsgemäßen Gebrauch und nähmen daher am Gesamteindruck teil. Das Modell "Kiss" sei als 4-rädriger Buggy in seinem Gesamteindruck noch deutlich weiter vom Klagegeschmacksmuster entfernt als das Modell "Fit". Insgesamt fehle es den angegriffenen Wagen im Vergleich zum Klagegeschmacksmuster an sportlichem Look.

Außerdem seien etwaige geschmacksmusterrechtliche Ansprüche verwirkt.

Das Anbieten der beanstandeten Kinderwagen sei auch nicht wettbewerbswidrig. Die von der Klägerin angegebenen Umsatzzahlen bestreite sie mit Nichtwissen. Ihre Modelle seien aber von dem von der Klägerin vertriebenen Modell "ZAPP" ohnehin so weit entfernt, dass eine unzulässige Nachahmung ausscheide, zumal sie sie ausschließlich mit Dach, Frontbügel und Aufbewahrungskorb anbiete und ein deutlicher Herkunftshinweis durch ihr Bildzeichen in Form zweier Quadrate an zahlreichen Stellen aufgebracht sei.

Etwaige wettbewerbsrechtliche Ansprüche seien überdies verjährt.

Schließlich stelle sie die angegriffenen Kinderwagenmodelle weder selbst her noch lasse sie diese im Gebiet der Europäischen Gemeinschaft herstellen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Die Klägerin hat keinen Anspruch aus Art. 19 Abs. 1, Art. 10, Art. 89 Abs. 1 a) Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung (im Folgenden: GGV).

Sie ist ausweislich des als Anlage L 2 vorgelegten Online-Auszugs aus dem Register des Harmonisierungsamtes Inhaberin des im Tatbestand wiedergegebenen, eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster 000049655-0003 hinsichtlich eines Kinderwagens.

1.

Das Geschmacksmuster weist folgende Merkmale auf:

elliptisch geformter Rahmen aus Aluminiumstangen, dessen Ellipsenform nur im oberen Bereich durch eine horizontal verlaufende Aluminiumstange gemäß (4) begrenzt wird; Applikationen aus schwarzem Kunststoff an den Gelenkstellen und am unteren Ende des Rahmens; Griffe aus schwarzem Kunststoff, die die äußeren Streben des Rahmens fortsetzen, nach vorne zeigen und nach hinten etwas überstehen; horizontal verlaufende Verbindung der Griffe mit einem schwarzen Kunststoffversatzstück um das sich in der Mitte befindende Gelenk herum; Sitzfläche aus einem gespannten Stoff, die den Rahmen ausfüllt und in den Rahmen eingespannt ist; hängemattenartige Form der Sitzfläche, die einstufig in den Stoff eingelassen ist; zwei Räder im hinteren Bereich, die durch Aluminiumstangen pfeilartig mit einem Doppelrad an der Spitze des Pfeilsegments verbunden sind; zwei Aluminiumstangen, die jeweils von den hinteren Rädern zu einem Verbindungsstück unter der Sitzfläche führen, von dem aus ein weiteres Verbindungsrohr zur vorderen Spitze führt; zwei Aluminiumstangen, die von dem Mittelgelenk der Seitenstangen gleichfalls zu dem Verbindungsstück führen.

Prägend für den Gesamteindruck des Kinderwagens ist der elliptisch geformte Aluminiumrahmen mit dem dazwischen gespannten Stoff. In zutreffender Weise zieht die Klägerin den Vergleich mit einem Surfbrett, denn in der Tat wirkt der Kinderwagen durch die flächige Gestaltung mit dem umlaufenden Rahmen sportlich und dynamisch, wendig und windschnittig. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass die Streben von den Hinterrädern gleichfalls nach vorne zum Doppelrad pfeilartig zulaufen und so die Form des oberen, elliptischen Rahmens leicht abgewandelt wieder aufnehmen. Der technisch anspruchsvoll wirkende Faltmechanismus des Rahmengestänges unter dem Sitz spricht den Betrachter insoweit an, als die moderne, dynamische Linie des Kinderwagens unterstrichen wird.

2.

Nach Artikel 85 Abs. 1 GGV ist von der Rechtsgültigkeit des Klagegeschmacksmusters auszugehen. Vom vorbekannten Formenschatz weicht das Design des geschmacksmustergeschützten Kinderwagens so erheblich ab, dass es beim informierten Benutzer einen deutlich anderen Gesamteindruck hervorruft als andere vor dem Anmeldetag offenbarte Muster und deshalb einen durchschnittlichen Schutzbereich hat. Zwar sind die Einzelmerkmale teilweise aus dem vorbekannten Formenschatz bekannt; indes führt dies deshalb nicht zu einer geringen Gewichtung einzelner Merkmale, weil sich die vorbekannten Formen im Übrigen von dem Klagegeschmacksmuster erheblich unterscheiden (vgl. dazu Ruhl, Gemeinschaftsgeschmacksmuster, 2006, Art. 10 Rdnr. 28).

So zeigt das Geschmacksmuster DM/061844 der Hauck KG (Anlage B 2a) zwar eine Konstruktion mit einem Mittelrad vorne und schwarzen Kunststoffapplikationen an den Gelenkstellen und an dem unteren Ende des Rahmens. Entgegen der Auffassung der Beklagten hat es aber keinen elliptischen Rahmen im Sinne des Klagegeschmacksmusters. Denn die Seitenstangen sind überwiegend parallel und laufen oben nicht aufeinander zu. Auch unten findet sich kein fließender Übergang in die Rundung, sondern der Rahmen knickt beidseitig nach innen ab, um dann im Bogen abzuschließen. Insgesamt wirkt das Gestell mit dem umlaufenden Griffteil und der herkömmlichen Hinterradachse konservativ. Dem entspricht auch, dass der Stoff nicht eingespannt, sondern um die Seitenstreben geknöpft ist. Spannung und Dynamik ist dem Kinderwagen nicht zuzuordnen. Dies gilt auch für die Muster DM/061834 und das vierrädrige Muster DM/061846 (Anlagen B 2b+c).

Das Modell Gecko (Anlage B 2d) mit der zugehörigen Patentanmeldung WO 99/02389 (Anlage B 2e) offenbart einen ovalen Rahmen. Hier ist in der Tat das besonders prägende Merkmal 1 des Klagegeschmacksmusters teilweise vorweggenommen. Allerdings fehlt die horizontal verlaufende Aluminiumstange, da der Wagen einen umlaufenden Griff hat. Außerdem handelt es sich um einen vierrädrigen herkömmlichen Kinderwagen mit eingesetzter Sitzschale bei im Übrigen offener Gestaltung. Das Kind sitzt in der Mitte des Rahmens, wie das Küken im Ei, geschützt und gemütlich. Sportliche Dynamik vermittelt dieser Wagen nicht. Der ovale Rahmen vermittelt vielmehr einen gänzlich anderen Eindruck als beim Klagegeschmacksmuster.

Das in der US-Design-Patentschrift 442 895 gezeigte dreirädrige Kinderwagengestell (Anlage B 2h) hat auch keinen elliptischen Rahmen. Vielmehr laufen die Seitenstangen parallel und sind am oberen und unteren Ende durch einen gebogenen Griff bzw. eine gebogene Fußstange verbunden. Eine Schwächung des Merkmals 1 vermag auch diese Gestaltung nicht zu bewirken.

Die in den Merkmalen 3 und 4 beschriebenen Griffe nebst Verbindungsstange sind zwar in ähnlicher Gestaltung im Formenschatz ebenso wie das Merkmal 2 belegt. Prägend für das Klagegeschmacksmuster ist indes ihre Kombination mit den übrigen Merkmalen, insbesondere dem elliptisch geformten Aluminiumrahmen und der eingespannten Sitzfläche.

Merkmal 5 findet sich teilweise im U.S.-Patent 369992, allerdings ist der Stoff nicht eingespannt, sondern um die Seitenstreben geführt, sodass der umlaufende Rahmen überwiegend bedeckt ist. Merkmal 6, das an Merkmal 5 anknüpft, findet sich gleichfalls bei dem Kinderwagen in dieser Patentschrift, der aber durch den umlaufenden Griff und die abweichende Gestaltung des Untergestells noch erheblichen Abstand zum Klagegeschmacksmuster aufweist.

Merkmal 7 ergibt sich bereits aus der Gebrauchsmusterschrift DE 202 08 353 (Anlage B 2f). Insoweit wird der Schutzbereich des Klagegeschmacksmusters etwas eingeschränkt, wenngleich nicht verkannt werden darf, dass die leicht abgerundete Ausführung im Klagegeschmacksmuster in Kombination mit dem elliptischen oberen Rahmen doch einen deutlich anderen Eindruck vermittelt.

Schließlich nimmt auch der von der Klägerin vorgelegte Formenschatz (Anlage L 3), insbesondere der nächstliegende "Roadrunner" von Hauck, die prägenden Merkmale des Klagegeschmacksmusters nicht vorweg. Denn auch hier ist der Rahmen eher eckig, die Seitenstangen laufen weitgehend parallel und gehen in einer 45°-Kurve in den durchlaufenden Griffbügel über. Der Stoff ist nicht eingespannt. Das einzelne Bugrad ist zwischen zwei langen Federn gelagert. Die pfeilförmige Gestellkonstruktion fehlt, stattdessen findet sich eine Hinterachse. An ein schnittiges Surfbrett erinnert auch dieser Wagen nicht. Den sportlichen Eindruck vermittelt vor allem das gefederte, weit nach vorne ausgreifende Bugrad. Die Gestaltungselemente des Klagegeschmacksmusters finden sich gerade nicht.

Insgesamt ergibt sich aus dem Vergleich mit dem Formenschatz, dass zwar die Merkmale 2, 3, 4 und 6 vorbekannt und daher geringer zu gewichten sind, während das Klagegeschmacksmuster durch die Kombination der bekannten Merkmale mit den stark prägenden Merkmalen 1 und 7 sowie 5 seinen besonderen Gesamteindruck erhält, wobei bei letzterem entscheidend ist, dass der Stoff in den Rahmen eingespannt ist. Der Abstand zum Formenschatz ist aber erheblich, weshalb auch der Schutzbereich nicht eng zu fassen ist.

3.

Gleichwohl ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass die im Antrag abgebildeten Verletzungsmuster einen anderen Gesamteindruck als das Muster der Klägerin erwecken und mithin keine verbotene Nachbildung darstellen.

Die Merkmale des Klagegeschmacksmusters finden sich bei den angegriffenen Ausführungsformen nur teilweise wieder.

Zwar weisen die angegriffenen Kinderwagen die Merkmale 2, 3 und 4 mit nur unbedeutenden Abweichungen auf. Auch wurde der elliptische Aluminiumrahmen (Merkmal 1) übernommen, bei dem die Seitenstreben über die ganze Länge gewölbt sind. Dass die Seitenstreben am Mittelgelenk unterbrochen sind, wird durch die schwarzen Plastikabdeckungen derart kaschiert, dass der Eindruck eines durchgängig umlaufenden Rahmens, der nur im oberen Bereich durch eine horizontale Aluminiumstange begrenzt wird, erhalten bleibt.

Indes wird der optische Eindruck einer Ellipse im unteren Bereich dadurch deutlich eingeschränkt, dass der Stoff mit einer Fußstufe endet und dort die nach vorne ausgewölbte Kunststoffapplikation beginnt. Der surfbrettartige, flächige Eindruck des Klagegeschmacksmusters ist durch die Fußstufe und die hervorstehende Kunststoffapplikation erheblich geschwächt.

Deutliche Abweichungen bestehen aber bei den Merkmalen 5 und 6. Denn der Stoff ist bei den angegriffenen Mustern nur im unteren Bereich eingespannt, wobei dort eine zusätzliche Stufe für die Füße geschaffen wurde. Im oberen Bereich wurde in die Sitzfläche zusätzlicher Stoff eingearbeitet, um ein Zurückklappen der Rückenlehne zu ermöglichen. Zwar ist der Stoff nicht um den Rahmen gewickelt, sondern innen befestigt, gleichwohl findet sich gerade keine Sitzfläche aus einem im Rahmen eingespannten Stoff. Darin erkennt die Kammer einen ganz entscheidenden Unterschied zum Klagegeschmacksmuster. Bei ausgeklappter Rücklehne verändert sich die Gestalt der Kinderwagen, wie insbesondere in der Seitenansicht deutlich wird. Bei eingeklappter Rücklehne nähert sich die Form der Kinderwagen zwar wieder der des Klagegeschmacksmusters an, indes bilden sich sogar Stofffalten. Der Sitzfläche fehlt, mehr noch als im ausgeklappten Zustand, jede Spannung. Der flächige, surfbrettartige Charakter ist aufgehoben. Sportliche Dynamik vermögen diese Wagen nicht mehr zu vermitteln.

Auch beim Untergestell finden sich Unterschiede, die im Zusammenwirken mit den bereits beschriebenen Unterschieden zu einem anderen Gesamteindruck führen. Zwar greifen die angegriffenen Ausführungsformen die pfeilförmige Gestaltung der von den hinteren Rädern zum vorderen Doppelrad führenden Streben auf. Hier wird sogar noch intensiver als beim Klagegeschmacksmuster die Form des oberen Rahmens aufgegriffen und gespiegelt, da die Stangen gewölbt nach vorne laufen. Der Effekt des Spannungsaufbaus, bei dem das Bugrad gleichsam als Scharnier oder Drehpunkt eines symmetrischen Gestänges wirkt, kommt noch deutlicher zum Ausdruck als beim Klagegeschmacksmuster.

Allerdings fehlt es völlig an den Merkmalen 8 und 9, die den technisch anspruchsvoll wirkenden Faltmechanismus des Rahmengestänges unter dem Sitz beschreiben, der die moderne, dynamische Linie des geschützten Kinderwagens deutlich unterstreicht. Wenn auch der informierte Benutzer der genauen Ausgestaltung des Klappmechanismus weniger Bedeutung für den Gesamteindruck beimessen wird, da sie der technischen Konstruktion des zusammenklappbaren Kinderwagens geschuldet ist und weniger der Gestaltung dient, so ist umgekehrt bei dem angegriffenen Kinderwagen eine diesen hochgradig prägende Gestaltung gerade in diesem Bereich festzustellen. Sie liegt in dem nahezu vollständigen Fehlen eines Gestänges unter der Sitzfläche, das auch optisch durch die Verwendung schwarzer Stangen zurücktritt. Der angegriffene Kinderwagen weist nur ein sehr weit vorne angeordnetes Scherengestänge auf und wirkt dadurch deutlich leichter, aber auch fragiler. Eine sportlich dynamische Belastung mag man diesem Gestell weniger zumuten.

Die weiteren, kleineren Abweichungen in Gestaltung, die die Beklagte in der Klageerwiderung zutreffend dargestellt hat, sind nicht entscheidend, verstärken aber die Vermittlung eines anderen Gesamteindrucks. Insgesamt vermögen die Kinderwagen der Beklagten gerade nicht den schnittigen und sportlichdynamischen Gesamteindruck des Klagegeschmacksmusters zu vermitteln. Im Gesamteindruck noch erheblich weiter entfernt als das Modell "Fit" liegt dabei das Modell "Kiss", das durch die beabstandeten Vorderräder, die es anstelle des Doppelrades aufweist, noch einen weiteren ganz erheblichen Unterschied aufweist.

Auf die Zusatzapplikationen der angegriffenen Muster kommt es nach alledem nicht mehr an. Soweit die Beklagte darauf verweist, dass sie den Wagen mit Regenverdeck, Sicherheitsbügel und insbesondere mit der Aufbewahrungstasche anbietet, die beim Klagegeschmacksmuster fehlen, handelt es sich um Zubehör, das üblicherweise bei Kinderwagen zusätzlich angeboten wird, sofern es noch nicht montiert ist. Die Kammer hat insoweit Bedenken, dass der informierte Benutzer diesen Elementen gestaltungsprägende Bedeutung für den Kinderwagen zumessen und den Gesamteindruck aus der Gestaltung des Kinderwagens mit fest verbundenem oder abnehmbarem Zubehör gewinnen wird.

II.

Der Klägerin steht kein Anspruch aus §§ 3, 4 Nr. 9 UWG auf ergänzenden wettbewerblichen Leistungsschutz zu.

1.

Der für das Verhältnis des Wettbewerbsrechts zum Sonderrechtsschutz geltende Grundsatz, dass ergänzender wettbewerblicher Leistungsschutz grundsätzlich dann nicht gewährt wird, wenn bereits ein Sonderrechtsschutz besteht (vgl. Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 26. Aufl. 2008, § 4 Rz. 9.5. m.w.N.), gilt nicht für das Verhältnis zum Geschmacksmusterrecht (BGH GRUR 2006, 79 - Jeans).

2.

Der Vertrieb eines nachgeahmten Erzeugnisses kann wettbewerbswidrig sein, wenn dieses von wettbewerblicher Eigenart ist und besondere Umstände hinzutreten, die seine Nachahmung unlauter erscheinen lassen. Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Art und Weise und der Intensität der Übernahme sowie den besonderen wettbewerblichen Umständen. Je größer die wettbewerbliche Eigenart und je größer der Grund der Übernahme sind, desto geringere Anforderungen sind an die besonderen Umstände zu stellen, die die Wettbewerbswidrigkeit der Nachahmung begründen (BGH GRUR 2007, 339, 341 - Stufenleitern; BGH GRUR 2007, 984, 986 - Gartenliegen).

3.

Es kann offen bleiben, ob das Kinderwagenmodell "ZAPP" der Klägerin über wettbewerbliche Eigenart verfügt.

Wettbewerbliche Eigenart liegt vor, wenn die konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale eines Erzeugnisses geeignet sind, die angesprochenen Verkehrskreise auf seine betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten hinzuweisen (BGH a.a.O., BGH GRUR 2003, 973, 974 - Tupperwareparty; Hefermehl/Köhler/Bornkamm, a.a.O., § 4 Rz. 9.24 m.w.N.). Dabei genügt es, wenn der Verkehr aufgrund der Ausgestaltung oder bestimmter Merkmale des Erzeugnisses die Vorstellung hat, es könne wohl nur von einem bestimmten Anbieter oder einem mit diesem verbundenen Unternehmen stammen (BGH GRUR 2007, 984, 986 - Gartenliege). Der Grad der wettbewerblichen Eigenart kann durch die tatsächliche Bekanntheit des Erzeugnisses im Verkehr verstärkt werden (BGH GRUR 2001, 251, 253 - Messerkennzeichnung; BGH GRUR 2005, 600, 602 - Handtuchklemmen).

Im Hinblick auf den Kinderwagen der Klägerin sprechen der bezüglich des Geschmacksmusters dargelegte, für den Kinderwagen in gleicher Weise geltende Abstand vom vorbekannten Formenschatz, sowie die vorgetragenen (bestrittenen) Umsatzzahlen für eine wettbewerbliche Eigenart.

4.

Allerdings fehlt es im Hinblick auf die Kinderwagen der Beklagten an einer Nachahmung, die geeignet ist, die Gefahr einer Herkunftstäuschung oder den Unlauterkeitstatbestand der Rufausbeutung oder - beeinträchtigung zu begründen.

Wie bereits im Hinblick auf das Klagegeschmacksmuster dargelegt, vermitteln die angegriffenen Kinderwagen einen anderen Gesamteindruck als dieses. Das gilt auch im Hinblick auf die angegriffenen Kinderwagen im Vergleich zum Kinderwagen "ZAPP" der Klägerin. Zwar weist der Kinderwagen "ZAPP" auch eine zweistufige Sitzfläche auf und wirkt daher im unteren Bereich weniger surfbrettartig als das Klagegeschmacksmuster. Die hängemattenartige Form ist deutlich geschwächt. Insoweit sind der Kinderwagen "ZAPP" und die angegriffenen Kinderwagen in ihrer Gestaltung weitaus ähnlicher als Klagegeschmacksmuster und angegriffene Ausführungsform. Gleichwohl verbleibt es aber bei den erheblichen Unterschieden insoweit, als der Kinderwagen "ZAPP" im oberen Sitzbereich/Rücklehne entsprechend dem Klagegeschmacksmuster einen stramm eingespannten Stoff aufweist, während die angegriffenen Wagen hier mit der klappbaren Rücklehne jede Spannung und damit den flächigen Eindruck vermissen lassen. Auch die im Hinblick auf das Geschmacksmuster beschriebenen Unterschiede im Gestell finden sich wieder. Während der Kinderwagen "ZAPP" ein, fast klobig wirkendes Faltgestänge unter der Sitzfläche hat, das den Eindruck von Solidität und sportlicher Kraft vermittelt, fehlt den angegriffenen Kinderwagen ein vergleichbares Gestänge. Die weit vorne angeordnete Schere wirkt fragil und die Kinderwagen eher leicht und wendig, aber wenig belastbar. Insgesamt wirken die angegriffenen Kinderwagen - der vierrädrige umso mehr - bei weitem nicht so dynamisch kraftvoll und sportlich wie der Kinderwagen "ZAPP".

Die Gefahr einer Herkunftstäuschung scheidet daher schon deshalb aus, weil der Kinderwagen einen anderen Gesamteindruck vermittelt. Hinzukommen die deutlich angebrachten Herkunftshinweise durch das mehrfach angebrachte Bildzeichen der Beklagten. Inwieweit Herstellerkennzeichnungen eine Herkunftstäuschung vermeiden können, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (BGH GRUR 2001, 443, 445 - Vienetta; OLG Hamburg, NJOZ 2007, 3055). Dabei kann es darauf ankommen, ob die Herkunftskennzeichnung unmittelbar und deutlich wahrnehmbar ist; ebenso darauf, ob die Herkunftskennzeichnung dauerhaft oder nur auf einem ablösbaren Aufkleber angebracht ist (Hefermehl/Köhler/Bornkamm, a.a.O., § 4 Rz. 9.46 m.w.N.). Im Streitfall sind die Zeichen der Beklagten mehrfach auf den Kinderwagen angebracht und wirken nicht nur als Applikation, sondern legen nahe, dass es sich um ein Herstellerzeichen handelt. Umgekehrt ist der Wagen der Klägerin mit den Schriftzügen "Quinny" und "zapp" versehen. Jedenfalls im Zusammenwirken dieser Herstellerhinweise mit den Unterschieden, die die Muster aufweisen, wird der Verkehr auch nicht annehmen, es handele sich bei den Kinderwagen der Beklagten um eine Zweitmarke der Klägerin. Insoweit fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten (vgl. dazu BGH GRUR 1998, 477, 480 - Trachtenjacken; OLG Köln NJW-RR 2003, 183, 186). Ein Erfahrungssatz, dass ein Unternehmen seinem Konkurrenten die nachschaffende Übernahme seiner Produkte gestattet, existiert nicht (BGH GRUR 2001, 443, 446 - Vienetta; OLG Köln a.a.O.). Dass es im Bereich der Kinderwagen eine Übung von Herstellern bekannter Marken gibt, ihre Produkte unter Zweitmarken zu vertreiben oder Konkurrenten die nachschaffende Übernahme von Produkten zu gestatten, hat die Klägerin indes nicht vorgetragen und ist auch nicht ersichtlich

Insgesamt wird der interessierte Betrachter gerade nicht davon ausgehen, dass die beiden Produkte von demselben Hersteller oder einem mit ihm geschäftlich oder organisatorisch verbundenen Unternehmen stammen.

Aufgrund der erheblichen Gestaltungsunterschiede scheidet auch eine Rufausbeutung oder -beeinträchtigung aus. Diese würde überdies erfordern, dass das Kinderwagenmodell "Zapp" eine besondere "Wertschätzung" genießt, d.h. in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit, genauer der potentiellen Käufer, mit positiven Vorstellungen besetzt wäre, die sich insbesondere auf die Qualität, die Exklusivität oder den Luxus- oder Prestigewert des Produktes beziehen können, wobei der gute Ruf dabei auf eigenen geschäftlichen Aktivitäten, insbesondere den Werbeanstrengungen des Herstellers, beruhen muss (Hefermehl/Köhler/Bornkamm, a.a.O., § 4 Rz. 9.52). Es ist insoweit gerichtsbekannt, dass es mehrere Hersteller hochwertiger Kinderwagen auf dem Markt gibt. Auch wenn man von den angegebenen (bestrittenen) Umsatzzahlen ausgeht, ergibt sich aus ihnen keine solche besondere "Wertschätzung" des Kinderwagenmodells "Zapp", die bei der Übernahme von Merkmalen des Kinderwagens durch einen anderen Hersteller eine Rufausbeutung oder - beeinträchtigung befürchten ließen. Für ein Qualitätsdefizit bei den Kinderwagen der Beklagten bestehen keinerlei Anhaltspunkte.

III.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 709 ZPO.

Der Streitwert wird auf 200.000 € festgesetzt.






LG Düsseldorf:
Urteil v. 19.02.2009
Az: 14c O 294 08


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