Bundespatentgericht:
Beschluss vom 29. Juli 2009
Aktenzeichen: 30 W (pat) 102/06

(BPatG: Beschluss v. 29.07.2009, Az.: 30 W (pat) 102/06)

Tenor

1.

Auf die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patentund Markenamts vom 28. April 2006 aufgehoben, soweit darin die Löschung der angegriffenen Marke 302 52 791 wegen des Widerspruchs aus der Marke 2 102 197 NAROPIN angeordnet worden ist.

Der Widerspruch aus der Marke 2 102 197 NAROPIN wird zurückgewiesen.

2.

Es wird festgestellt, dass der Beschluss der Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patentund Markenamts vom 28. April 2006 wirkungslos ist, soweit darin die Löschung der angegriffenen Marke 302 52 791 wegen des Widerspruchs aus der Marke 2 003 552 CARVOMIN angeordnet worden ist.

Gründe

I.

Am 4. März 2003 unter der Nummer 302 52 791 in das Markenregister eingetragen und am 4. April 2003 veröffentlicht worden ist die Bezeichnung Karodin. Die Marke war ursprünglich für "Pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse sowie chemische Erzeugnisse für die Gesundheitspflege; diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke, für Kinder und Kranke; Pflaster, Verbandstoffe, Desinfektionsmittel" bestimmt. Das Warenverzeichnis lautet nach Einschränkung im Beschwerdeverfahren "Pharmazeutische Erzeugnisse nämlich ein Präparat zur Behandlung von Herzund Kreislauferkrankungen".

Gegen die Eintragung ist u. a. am 3. Juli 2003 Widerspruch aus der am 2. Dezember 1996 für "Pharmazeutische Präparate und Substanzen nämlich Lokalanästhetika" eingetragenen Marke 2 102 197 NAROPIN erhoben worden.

Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat im Verfahren vor dem Patentamt mit Schriftsatz vom 9. September 2003 die Benutzung dieser Widerspruchsmarke bestritten; die Widersprechende 1 hat Unterlagen zur Glaubhaftmachung der Benutzung vorgelegt. Benutzungsfragen sind danach nicht mehr aufgegriffen worden.

Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patentund Markenamts hat auf der Grundlage des seinerzeit maßgeblichen Warenverzeichnisses der jüngeren Marke und ausgehend von der Glaubhaftmachung der Benutzung für Lokalanästhetika/Neuraltherapeutika" (Hauptgruppe 59 der Roten Liste) die Gefahr von Verwechslungen mit der Widerspruchsmarke NAROPIN bejaht und die Löschung der angegriffenen Marke angeordnet. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass angesichts identischer Waren bzw. insoweit bestehender erheblicher Berührungspunkte und einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft dieser Widerspruchsmarke der Abstand der Markenwörter zum Ausschluss der Verwechslungsgefahr nicht ausreiche.

Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat Beschwerde eingelegt. Sie ist mit näheren Ausführungen der Meinung, dass -jedenfalls auf der Grundlage des eingeschränkten Warenverzeichnisses -keine Verwechslungsgefahr bestehe.

Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt sinngemäß, den angefochtenen Beschluss des Deutschen Patentund Markenamts aufzuheben soweit darin die Löschung der angegriffenen Marke auf Grund des Widerspruchs aus der Marke 2 102 197 NAROPIN angeordnet worden ist und diesen Widerspruch zurückzuweisen.

Die Widersprechende 1 beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält mit näheren Ausführungen wegen zu starker Warenund Markenähnlichkeit Verwechslungsgefahr für gegeben.

Wegen des Widerspruchs aus der Marke 2 003 552 CARVOMIN hat das Patentamt im Beschluss vom 28. April 2006 wegen Verwechslungsgefahr ebenfalls die Löschung der angegriffenen Marke angeordnet. Nachdem die Inhaberin der angegriffenen Marke im Beschwerdeverfahren ihr Warenverzeichnis eingeschränkt hat, ist dieser Widerspruch zurückgenommen worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke ist auch in der Sache begründet. Zwischen der angegriffenen Marke und der Widerspruchsmarke 2 102 197 NAROPIN besteht auf der Grundlage des im Beschwerdeverfahren eingeschränkten Warenverzeichnisses der jüngeren Marke keine Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG. Die von der Markenstelle aufgrund dieses Widerspruchs angeordnete Löschung der angegriffenen Marke war daher aufzuheben und der Widerspruch zurückzuweisen (§ 43 Abs. 2 Satz 2 MarkenG).

Soweit wegen des Widerspruchs aus der Marke 2 003 552 CARVOMIN die Löschung der angegriffenen Marke angeordnet worden ist, ist der angefochtene Beschluss wegen Rücknahme dieses Widerspruchs im Beschwerdeverfahren gegenstandslos.

1. Widerspruch aus der Marke 2 102 197 NAROPIN Die Beurteilung der Verwechslungsgefahr hat nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalls zu erfolgen. Von maßgeblicher Bedeutung sind insoweit die Identität oder Ähnlichkeit der zum Vergleich stehenden Marken sowie der von den Marken erfassten Waren. Darüber hinaus ist die Kennzeichnungskraft der älteren Marke und -davon abhängig -der dieser im Einzelfall zukommende Schutzumfang in die Betrachtung mit einzubeziehen. Dabei impliziert der Begriff der Verwechslungsgefahr eine gewisse Wechselwirkung zwischen den genannten Faktoren, so dass ein geringer Grad der Ähnlichkeit der Waren durch einen hohen Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden kann und umgekehrt (ständige Rechtsprechung z. B. EuGH GRUR 2006, 237, 238 Nr. 18 f. -PICASSO; BGH WRP 2006, 92, 93 Nr. 12 -coccodrillo).

Im Verfahren vor dem Patentamt hat die Inhaberin der angegriffenen Marke zulässig die Benutzung der Widerspruchsmarke nach § 43 Abs. 1 MarkenG bestritten. Im Hinblick auf die von der Widersprechenden eingereichten Unterlagen zur Glaubhaftmachung der Benutzung kann mit der Markenstelle davon ausgegangen werden, dass die Widerspruchsmarke für "Lokalanästhetika" benutzt wird. Auf Seiten der Widerspruchsmarke können damit im Rahmen der Integrationsfrage "Lokalanästhetika/Neuraltherapeutika" im Sinne der entsprechenden Hauptgruppe 59 der Roten Liste berücksichtigt werden (vgl. allgemein zur Integrationsfrage BGH GRUR 1990, 39 ff. -Taurus -und GRUR 1999, 164, 165 -JOHN LOBB; vgl. auch BGH GRUR 2002, 59, 62 f. -ISCO; Ströbele/Hacker MarkenG 9. Aufl. § 26 Rdn. 161 m. w. N.).

Die angegriffene Marke ist nach Einschränkung des Warenverzeichnisses im Beschwerdeverfahren nur noch geschützt für "Pharmazeutische Erzeugnisse nämlich ein Präparat zur Behandlung von Herzund Kreislauferkrankungen".

Bei der sich daraus ergebenden Warenkonstellation besteht nunmehr ein deutlicher Indikationsunterschied ohne funktionale Anwendungsüberschneidungen. Der damit verbundene Warenabstand mindert die Gefahr von Verwechslungen deutlich.

Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke insgesamt ist nach Auffassung des Senats als durchschnittlich einzustufen. Auch wenn die Widerspruchsmarke aus dem chemischen Zeichen für Natrium ("Na") und der Verkürzung der chemischen Kurzbezeichnung "Ropivacain" (INN) gebildet ist, ist in der Kombination ihrer Bestandteile ein klarer begrifflicher Aussagegehalt der Widerspruchsmarke nach Auffassung des Senats nicht gegeben; von einer Einschränkung der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke kann damit nicht ausgegangen werden, sondern von einem normalen, durchschnittlichen Schutzumfang der Widerspruchsmarke insgesamt.

Unter diesen Umständen gelten grundsätzlich nicht mehr ganz strenge Anforderungen an den Markenabstand. Der Senat berücksichtigt dabei, dass bei den vorliegenden pharmazeutischen Erzeugnissen eine Rezeptpflicht in den Warenverzeichnissen nicht festgeschrieben ist; allerdings steht in tatsächlicher Hinsicht bei den Lokalanästhetika/Neuraltherapeutika", die ausweislich der Roten Liste durchweg nur gegen ärztliche Verordnung abgegeben werden, der Fachverkehr im Vordergrund; dies führt de facto dazu, dass Laien mit den Marken weitgehend nur unter Einschaltung des Fachverkehrs in Berührung kommen. Dadurch wird die Gefahr von Verwechslungen noch etwas weiter reduziert, da der Fachverkehr (insbesondere Ärzte und Apotheker) erfahrungsgemäß im Umgang mit Arzneimitteln sorgfältiger ist und deshalb seltener Markenverwechslungen unterliegt (BGH GRUR 1999, 587 -Cefallone; Ströbele/Hacker a. a. O. § 9 Rdn. 171). Soweit noch allgemeine Verkehrskreise zu berücksichtigen sind, ist aber davon auszugehen, dass grundsätzlich nicht auf einen sich nur flüchtig mit der Ware befassenden, sondern durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher abzustellen ist, dessen Aufmerksamkeit je nach Art der Ware unterschiedlich hoch sein kann (vgl. MarkenR 2000, 140 -ATTA-CHÉ/TISSERAND; BGH GRUR 1998, 942, 943 linke Spalte -ALKA-SELTZER; EuGH MarkenR 1999, 236, 239 unter 24. -Lloyd/Loint's) und der insbesondere allem, was mit der Gesundheit zusammenhängt eine gesteigerte Aufmerksamkeit beizumessen pflegt (vgl. BGH GRUR 1995, 50, 53 -Indorektal/Indohexal).

Unter Berücksichtigung dieser gesamten Umstände ist die Ähnlichkeit der Marken nach Auffassung des Senats nicht so ausgeprägt, dass die Gefahr von Verwechslungen im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG zu bejahen wäre. Die angegriffene Marke hält vielmehr in jeder Hinsicht einen noch ausreichenden Abstand zu der Widerspruchsmarke ein.

Maßgebend für die Beurteilung der Markenähnlichkeit ist der Gesamteindruck der Vergleichsmarken, wobei von dem allgemeinen Erfahrungssatz auszugehen ist, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterwerfen (vgl. Ströbele/Hackera. a. O. § 9 Rdn. 111). Der Grad der Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Zeichen ist dabei im Klang, im (Schrift-)Bild und im Bedeutungs-(Sinn-)Gehalt zu ermitteln. Zwar weisen die Vergleichsmarken rein formal betrachtet eine Reihe von Übereinstimmungen auf, darunter die Vokalfolge als solche. Von Bedeutung ist zunächst, dass die Vergleichsmarken Karodin und NAROPIN in der Silbengliederung nur in den Mittelsilben "-ro/RO" übereinstimmen, was nicht so ins Gewicht fällt, weil die Wortmitte regelmäßig weniger beachtet ist. Die weiteren Silben heben sich demgegenüber hinreichend deutlich voneinander ab. Die Aufmerksamkeit liegt erfahrungsgemäß bei den Wortanfängen, die mehr als nachfolgende Wortteile beachtet werden (vgl. BGH a. a. O. -Indorektal/Indohexal), weshalb die hier vorhandenen Unterschiede um so eher wahrgenommen werden. Hier tragen die abweichenden Anfangskonsonanten "K/N", insbesondere durch den klangstarken Buchstaben "K" gegenüber dem weichen Klang des "N", sowie darüber hinaus die abweichenden Anlaute "d/P" der Endsilben mit dem als harten Verschlusslaut deutlich hörbaren Konsonanten "P" zu einem noch hinreichend deutlich abweichenden klanglichen Gesamteindruck bei, so dass auch bei ungünstigen Übermittlungsbedingungen oder undeutlicherer Artikulation eine noch hinreichende Unterscheidung der Wörter gewährleistet ist. Hinzu kommt, dass die Übereinstimmung in den Endbestandteilen "-in/IN" bei der Beurteilung des jeweiligen Gesamteindrucks und der Markenähnlichkeit weniger ins Gewicht fällt, als dies bei einem reinen Phantasiebestandteil der Fall wäre. Denn bei dem Schlusselement "-in/IN" handelt es sich um eine im Bereich der Pharmazeutischen Erzeugnisse weit verbreitete Endung, die chemisch das Vorhandensein einer Dreifachbindung anzeigt (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 259 Aufl., S. 787 zum Stichwort "-in"), und damit um einen kaum individualisierend und kennzeichnend wirkenden Hinweis.

Im schriftbildlichen Markenvergleich halten die Vergleichswörter in allen üblichen Wiedergabeformen ebenfalls einen noch ausreichenden Abstand ein. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Marken im Schriftbild erfahrungsgemäß mit etwas größerer Sorgfalt wahrgenommen werden als im eher flüchtigen Klangbild, das häufig bei mündlicher Benennung entsteht. Zudem steht beim schriftlichen Markenvergleich der Fachverkehr, der aufgrund seiner beruflichen Praxis und Erfahrung im Umgang mit Arzneimittelkennzeichen über ein erhöhtes Unterscheidungsvermögen verfügt, im Vordergrund. Unter diesen Voraussetzungen reichen bei einer schriftlichen Wiedergabe in jeder Form die Konsonantenabweichungen am regelmäßig stärker beachteten Wortanfang -"K" gegenüber "N" -sowie die abweichenden Eingangskonsonanten der Endsilben -"d" gegenüber "P -aus, um eine Unterscheidbarkeit der Marken zu gewährleisten.

In begrifflicher Hinsicht sind keine Übereinstimmungen erkennbar.

Andere Arten der Verwechslungsgefahr sind weder dargelegt noch ersichtlich.

Die Beschwerde hat daher Erfolg.

2. Widerspruch aus der Marke 2 003 552 CARVOMIN Mit Beschluss vom 28. April 2006 hat die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patentund Markenamts die Löschung der eingetragenen Marke 302 52 791 u. a. wegen des Widerspruchs aus der Marke 2 003 552 angeordnet. Gegen diese Entscheidung hat die Inhaberin der angegriffenen Marke formund fristgerecht Beschwerde eingelegt. Die aus der Marke 2 003 552 Widersprechende hat ihren Widerspruch im Beschwerdeverfahren zurückgenommen.

Gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 MarkenG i. V. m. § 269 Abs. 3 S. 1 und Abs. 4 ZPO ist auszusprechen, dass der angefochtene Beschluss insoweit wirkungslos ist (vgl. BGH Mitt. 1998, -Puma). Dieser Ausspruch erfolgt aus Gründen der Rechtssicherheit und in Berücksichtigung des Amtsermittlungsgrundsatzes von Amts wegen (vgl. dazu BPatGE 43, 96).

3. Zu einer Kostenauferlegung (§ 71 Abs. 1 und 4 MarkenG) bestand kein Anlass.

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Beschluss v. 29.07.2009
Az: 30 W (pat) 102/06


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