Oberlandesgericht München:
Urteil vom 14. Oktober 2010
Aktenzeichen: 29 U 2001/10

(OLG München: Urteil v. 14.10.2010, Az.: 29 U 2001/10)

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Teil- und Endurteil des Landgerichts München I vom 07.01.2010 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagten haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten können die Vollstreckung in der Hauptsache durch Sicherheitsleistung in Höhe von 80.000,-- € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Vollstreckung wegen der Kosten können die Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

I.

Die Klägerin macht gegen die Beklagten Ansprüche wegen Urheberrechtsverletzung geltend.

Die Klägerin ist aus dem in Z... ansässigen Zweigwerk des ehemaligen J. G... werk S. & G. entstanden, für das der ehemalige Bauhaus-Künstler Prof. W... W... ab dem Jahre 1931 tätig war.

W... W..., einer der Pioniere der industriellen Produktgestaltung in Deutschland, namentlich im Bereich der Glasgestaltung, hat im Jahre 1934 im Rahmen einer von ihm gestalteten Serie von Haushaltsgegenständen aus feuerfestem Glas (vgl. Anlage K 9) das Modell eines "Eierkoch" entwickelt. Ein anhand dessen Entwurf gefertigter "Eierkoch hat folgende Form (vgl. Anlage K 1, Anlage B 10 rechte Seite):

Der "Eierkoch" wurde in die Sammlungen moderner Gebrauchskunst in der Neuen Sammlung des Staatlichen Museums für angewandte Kunst in M€ sowie in der Sammlung des Museums für angewandte Kunst in K... und in der Sammlung der W...-W...-Stiftung aufgenommen.

Mit Lizenzvertrag vom 12.07./29.07.2006 hat die Witwe und Erbin des im Jahre 1990 verstorbenen W... W..., Frau E. W., die ausschließlichen Nutzungsrechte an verschiedenen Entwürfen von Prof. W... zum Zwecke der industriellen Herstellung und des Vertriebs entsprechender Erzeugnisse, u.a. des "Eierkoch", auf die Klägerin übertragen (vgl. Anlage K 15).

Die Beklagte zu 1), deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2) ist, vertreibt spätestens seit Anfang des Jahres 2007 unter der Art.Nr. 300906 einen "Eierkocher" in einer Ausgestaltung wie nachfolgend ersichtlich (vgl. Anlagen K 2, K 3):

Die Klägerin sieht darin eine unzulässige Nachahmung des von W... W... entworfenen "Eierkoch". Ihrer sich auf die Verletzung urheberrechtlicher Nutzungsrechte stützenden Klage hat das Landgericht durch Teil- und Endurteil vom 07.01.2010 wie folgt stattgegeben:

I. Die Beklagten werden verurteilt, es [bei Meidung der gesetzlich vorgesehenen Ordnungsmittel] zu unterlassen,

1. Vervielfältigungsstücke eines mit einem Deckel versehenen zur Verwendung als Eierkoch-Gerät bestimmten Hohlglasgefäßes wie nachfolgend wiedergegeben:

herzustellen und diese zu verbreiten oder die genannten Handlungen durch Dritte ausführen zu lassen;

2. der Klägerin Auskunft zu erteilen über die Anzahl der hergestellten und verbreiteten und sich auf Lager befindlichen Glasgefäße gemäß Antrag I. 1. und deren Abgabepreise, sowie Rechnung zu legen über die mit diesen Glasgefäßen erzielten Gewinne;

3. der Klägerin Auskunft zu erteilen über die Herkunft und den Vertriebsweg der Glasgefäße gemäß Antrag I. 1. durch Vorlage eines vollständigen Verzeichnisses enthaltend:

a) Namen und Anschrift aller Hersteller und die Stückzahl der dort jeweils bestellten Glasgefäße,

b) Stückzahl der von den jeweiligen Herstellern bezogenen Glasgefäße,

c) Namen und Anschriften aller gewerblichen Abnehmer und die jeweilige Stückzahl der an diese ausgelieferten Glasgefäße;

4. der Klägerin Auskunft zu erteilen über die tatsächlichen Herstellungskosten der Glasgefäße gemäß Antrag I. 1. und über die Kosten der Herstellung der zu ihrer Produktion benötigten Vorrichtungen.

II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten der Klägerin zu Schadensersatz verpflichtet sind, wie sich dieser aus der unter dem vorstehenden Antrag I. 2. beschriebenen Auskunft und Rechnungslegung ergibt.

III. Die Beklagten werden verurteilt, an die Klägerin die Kosten der vorprozessualen Vertretung in Höhe von 1.286,30 € zu zahlen.

IV. Die Kostenentscheidung bleibt einem Schlussurteil vorbehalten.

V. [Vorläufige Vollstreckbarkeit]

Über einen von der Klägerin im Wege der Stufenklage gestellten Antrag (I. 5.) auf Herausgabe von Verletzungsgegenständen hat das Erstgericht noch nicht entschieden.

Zur Begründung ist im landgerichtlichen Urteil ausgeführt, die Aktivlegitimation der Klägerin folge aus den im Lizenzvertrag gemäß Anlage K 15 getroffenen Vereinbarungen. Bei dem klägerischen "Eierkoch" handle es sich um ein urheberrechtlich geschütztes Werk der angewandten Kunst. Dem von den Beklagten als Anlagen B 1 bis B 8 vorgelegten vorbekannten Formenschatz lasse sich zwar entnehmen, dass im Entstehungszeitpunkt des "Eierkoch" (1934) Eierkocher aus hitzebeständigen Glasformen bekannt gewesen seien, die auf drei Glasfüßen standen bzw. mit Verschlußsystemen mit Metallklemmen ausgestattet gewesen seien. Ein diese Elemente vereinendes Produkt sei allerdings vor 1934 noch nicht auf dem Markt gewesen. Vorbekannte Eierkocher hätten auch nicht von der Formensprache des "Eierkoch" Gebrauch gemacht. Dessen klare Linienführung verleihe dem Erzeugnis aus der Sicht des Betrachters einen sehr schlichten und klaren Ausdruck.

Da sich im angegriffenen "Eierkocher" der Beklagten die wesentlichen Gestaltungsmerkmale des klägerischen "Eierkoch" wiederfänden und der Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Produkte im Wesentlichen übereinstimme, liege eine Urheberrechtsverletzung vor. Dieser Beurteilung stünden die geringen Unterschiede in der Gestaltung des Deckels sowie in Form und Anzahl der Füße der sich gegenüberstehenden Produkte nicht entgegen.

Auf die tatsächlichen Feststellungen des landgerichtlichen Urteils wird ergänzend Bezug genommen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Ihrer Auffassung nach habe das Landgericht rechtsfehlerhaft den "Eierkoch" von Prof. W... als ein vom Schutz des Urheberrechtsgesetzes umfasstes Werk der angewandten Kunst angesehen. Da die einzelnen, vom Landgericht als schutzbegründend erachteten gestalterischen Merkmale des "Eierkoch" bereits dem vorbekannten Formenschatz angehörten (walzenförmiger Glaskörper mit drei Glasfüßen und einem Glasdeckel mit Metallbügel), könne dem "Eierkoch" allein deren Kombination die urheberrechtlich relevante Werksqualität nicht verschaffen. Zu dieser Frage verhalte sich indessen das Ersturteil nicht, weshalb es bereits aus diesem Grunde aufzuheben sei. Auch sei in der dem "Eierkoch" zugrunde liegenden Erkenntnis, einen Glaskörper gleichzeitig mit Füßen und einem mit Hilfe einer Metallklammer festgehaltenen Deckel als vorbekannte Formelemente zu versehen, eine besondere schöpferische Leistung nicht erkennbar. Der "Eierkoch" hebe sich daher nicht in gestalterischer Weise vom vorbekannten Formenschatz ab. Weshalb der "Eierkoch" aufgrund seiner Linienführung urheberrechtsschutzfähig sei, erschließe sich dem Betrachter nicht. Eine nachvollziehbare Begründung für diese These enthalte das angegriffene erstinstanzliche Urteil, das sich offensichtlich zu sehr von der Tatsache habe beeinflussen lassen, dass W... W... ein bekannter Designer gewesen sei, nicht.

Eine Urheberrechtsverletzung liege auch deshalb nicht vor, weil der angegriffene "Eierkocher" der Beklagten in freier Benutzung geschaffen worden sei. Die Gestaltung der Füße und des Deckels des angegriffenen "Eierkocher" wichen nämlich deutlich vom klägerischen Gefäß ab. Während der klägerische "Eierkocher" über vier kreuzförmig angeordnete Füße verfüge, weise das verfahrensgegenständliche Produkt der Beklagten drei dreieckig angeordnete pfropfenförmige Füße auf. Der Deckel des klägerischen "Eierkoch" sei flach und auffällig geriffelt. Demgegenüber sei der Deckel des Gefäßes der Beklagten deutlich nach oben gewölbt und glatt. Angesichts dieser erheblichen Unterschiede in den vermeintlich schutzbegründenden Merkmalen entbehre das zu Lasten der Beklagten ergangene erstinstanzliche Urteil einer rechtlichen Grundlage.

Die Beklagten beantragen,

das angegriffene erstinstanzliche Urteil aufzuheben und insoweit die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene landgerichtliche Urteil und führt ergänzend aus:

Zutreffend habe das Landgericht erkannt, dass es sich beim "Eierkoch" um ein Werk der angewandten Kunst handle. Abgesehen davon, dass die Frage der Neuheit einzelner Gestaltungselemente eines Gebrauchsobjekts ohne Einfluss auf dessen urheberrechtliche Schutzfähigkeit sei, nähmen die von den Beklagten vorgelegten Ausführungsformen des vorbekannten Formenschatzes die Gestaltung des W...-Entwurfes "Eierkoch" nicht vorweg. Bei der rechtlich gebotenen Beurteilung des allein maßgeblichen ästhetischen Gesamteindrucks des "Eierkoch" ergebe sich, dass dieser eine gegenüber jeder der von den Beklagten herangezogenen vorbekannten Formen von Behältnissen zum Kochen von Eiern eigene, persönliche "Formensprache" enthalte, die sich deutlich von den Gestaltungen unterscheide, die die Beklagte vorgelegt habe. Dass auf vorbekannte Elemente zurückgegriffen worden sei, liege angesichts der Gestaltung einfacher Gebrauchsgegenstände in der Natur der Sache und stehe der Beurteilung als schutzfähiges Werk im Sinne des Urheberrechtsgesetzes nicht entgegen. Das Ergebnis des Schaffens von W zeige, dass er diesen üblichen Gebrauchselementen etwas hinzugefügt habe, was den vorbekannten Formen fehlte. Der "Eierkoch" trete dem Betrachter als ein "Objekt" entgegen, welches über seinen praktischen Nutzen hinaus allein aus seiner Gestaltung das ästhetische Empfinden anspreche. W habe dem Gebrauchsgegenstand "Eierkocher" eine seinem künstlerischen Konzept entsprechende klare, schnörkellose Form gegeben. Das Objekt erziele seine ästhetische Wirkung durch seine von jedem überflüssigen Ballast befreite Form und lasse seinen Zweck durch die natürliche Rundung des Gefäßbodens erahnen. An dieser Beurteilung ändere die unzulässig abstrahierende, sich allein auf die Einzelmerkmale des "Eierkoch" beschränkende und deren Gesamteindruck vernachlässigende Sichtweise der Beklagten nichts. Nicht zuletzt habe das Landgericht zu Recht die Tatsache gewürdigt, dass der "Eierkoch" in die Sammlungen deutscher Museen für angewandte Kunst aufgenommen wurde. Auch dieser Umstand zeige, dass kein Zweifel daran bestehe, dass die für Kunst aufgeschlossenen Kreise in Deutschland den W...-Entwurf "Eierkoch" als eine künstlerische Leistung ansähen.

Dem Landgericht sei auch darin zu folgen, dass der Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Gefäße nahezu identisch und demgemäß der "Eierkocher" der Beklagten nicht als freie Bearbeitung des "Eierkoch" von W... anzusehen sei. Die geringen Unterschiede in der Gestaltung der Füße und der Oberfläche des Deckels der Vergleichsobjekte seien nicht geeignet, die gegebene Übereinstimmung des "Eierkochers" mit der Gesamtform des "Eierkoch" zu überspielen und die individuellen Züge des Werkes von W... verblassen zu lassen.

Die Beklagten könnten auch nicht damit gehört werden, der "Eierkocher" stelle ein in freier Benutzung geschaffenes selbständiges Werk dar, da der "Eierkocher" der Beklagten in seinem Gesamteindruck keinen ausreichenden Abstand zu den entlehnten eigenpersönlichen Zügen des nach dem Urheberrecht geschützten älteren "Eierkoch" halte. Bereits der Augenschein zeige, dass der angegriffene "Eierkocher" der Beklagten gegenüber dem W...-"Eierkoch" keine selbständige eigenschöpferische Leistung darstelle.

Im Übrigen wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das Protokoll des Termins vom 14.10.2010 Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Die Feststellung des Landgerichts, mit dem Vertrieb des angegriffenen "Eierkochers" (Anl. K 2, K 3) verletzten die Beklagten die ausschließlichen Nutzungsrechte der Klägerin am von Prof. W... W... entworfenen, den Schutz eines Werks der angewandten Kunst beanspruchenden "Eierkoch" (vgl. Anl. K 1, B 10 rechte Seite), lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen. Die hiergegen von den Beklagten vorgebrachten Einwände verhelfen ihrer Berufung nicht zum Erfolg. Im Einzelnen:

1. Zur in erster Instanz bestrittenen Aktivlegitimation der Klägerin verhält sich das Vorbringen der Beklagten im Berufungsrechtszug nicht mehr. Insoweit ist auf die zutreffenden Ausführungen im landgerichtlichen Urteil, denen sich der Senat anschließt, zu verweisen.

2. Unterlassungsantrag (Antrag I.1.)

Der Unterlassungsanspruch der Klägerin folgt aus § 97 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 15 Abs. 1, 16 Abs. 1, 17 Abs. 1 UrhG.

a) Der "Eierkoch" von Prof. W... genießt als Werk der angewandten Kunst im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG urheberrechtlichen Schutz. § 129 Abs. 1 Satz 1 UrhG bestimmt, dass die Vorschriften dieses Gesetzes auf - wie dem Streitfall zugrunde liegend - vor dessen Inkrafttreten (09. September 1965, BGBl. I, S. 1273) geschaffene Werke anwendbar sind, soweit letztere im Zeitpunkt ihrer Entstehung bereits urheberrechtlich geschützt waren. Dies ist vorliegend der Fall. Nach § 1 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie vom 09. Januar 1907 (KUG; RGBl. S. 7) genossen Werke der bildenden Künste urheberrechtlichen Schutz. Als solche galten auch Entwürfe für Erzeugnisse des Kunstgewerbes (§ 2 Abs. 2 KUG).

Bei der Beurteilung, ob einem gewerblichen Erzeugnis die Eigenschaft als Werk der angewandten Kunst im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG zuzuerkennen ist, kommt es darauf an, ob der den Formensinn ansprechende Gehalt, der in dem Erzeugnis seine Verwirklichung gefunden hat, ausreicht, dass nach den im Leben herrschenden Anschauungen von Kunst gesprochen werden kann (vgl. BGH GRUR 1987, 903, 904 - Le Corbusier-Möbel). Unabhängig von seinem Gebrauchszweck darf sich der Gegenstand nicht auf eine Formgebung beschränken, die vorgegeben oder lediglich technisch bedingt ist (vgl. BGH GRUR 1982, 305, 307 - Büromöbelprogramm; GRUR 2004, 941, 942 - Metallbett). Das Erzeugnis muss darüber hinaus einen ausreichenden Grad an eigenpersönlicher schöpferischer Kraft auf dem Gebiet der Ästhetik offenbaren, die es rechtfertigt, das Erzeugnis unter die Werke der bildenden Künste einzuordnen (BGH aaO. - Le Corbusier-Möbel, S. 904; BGH GRUR 1961, 635, 638 - Stahlrohrstuhl I, mwN.). Da sich bereits die geschmacksmusterschutzfähige Gestaltung von der nicht geschützten Durchschnittsgestaltung, dem rein Handwerksmäßigen und Alltäglichen abheben muss, ist für die Urheberrechtsschutzfähigkeit ein höherer schöpferischer Eigentümlichkeitsgrad im Sinne eines deutlichen Überragens der Durchschnittsgestaltung als bei nur geschmacksmusterfähigen Gegenständen zu fordern (vgl. BGH GRUR 1995, 581, 582 - Silberdistel; BGH aaO. - Metallbett, S. 942; Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl. 2008, § 2 Rn. 160).

Diesen an das Vorliegen eines Werks der angewandten Kunst zu stellenden Anforderungen leistet der "Eierkoch" von W... Genüge. Herkömmliche, von der Beklagten vorgelegte Eierkochgefäße aus dem vorbekannten Formenschatz wiesen zwar die auch dem "Eierkoch" innewohnenden, technisch bedingten Merkmale eines sich nach unten verjüngenden Glaskörpers mit einem nach Art eines Deckels gestalteten Verschlußsystem auf (vgl. Anl. B 1 bis B 3), teilweise waren sie bereits mit Füßen versehen (vgl. Anl. B 4, B 5). Mit Ausnahme der vorwiegend in England verbreiteten Eierkocher gemäß Anl. B 1 - die jedoch nicht aus Glas, sondern aus Porzellan hergestellt wurden - beschränkt sich der von der Beklagten vorgelegte vorbekannte Formenschatz allerdings auf die strikte Funktionalität des Erzeugnisses, ohne den erkennbaren Anspruch zu erheben, das ästhetische Empfinden des Betrachters durch eine eigentümliche Formgebung in besonderer Weise ansprechen zu wollen.

Demgegenüber hebt sich der streitgegenständliche "Eierkoch" von W... deutlich von einer durchschnittlichen und rein handwerksmäßigen Gestaltung ab. Er richtet das Augenmerk des Betrachters nicht nur auf den Gebrauchszweck des Erzeugnisses. Der Entwurf des "Eierkoch" verrät vielmehr das Bemühen des Gestalters, eine gelungene Synthese zwischen der Funktionalität des Gefäßes und einer das ästhetische Empfinden des Betrachters ansprechenden äußeren Formgebung zu finden. Hierbei hat sich Prof. W... - wie im Fall der "W...-Leuchte" (vgl. BGH GRUR 2007, 871, 873 - W-Leuchte; OLG Düsseldorf GRUR 1993, 903, 906) - des das Industriedesign der damaligen Zeit prägenden "Bauhaus-Programmes" bedient: der betonten Verwendung technischer Materialien (Glas und Metall), der Offenlegung der Funktion des betreffenden Erzeugnisses in seinen Einzelteilen und einer ästhetischen Form aus der Harmonie einfacher Grundkörper (vgl. OLG Düsseldorf aaO., S. 906 mwN.). Darin liegt die von den Beklagten in Abrede gestellte, die Werkseigenschaft im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG begründende eigene "Formensprache" des "Eierkoch", die diesen Entwurf von allen von den Parteien vorgelegten, dem vorbekannten Formenschatz zugehörigen Erzeugnissen der damaligen Zeit in künstlerischer Weise abhebt. Die schlichte und harmonische Linienführung des Glaskörpers, die sich in der Gestaltung der Füße - die sich wie der Glaskörper nach unten verjüngen - zum Boden hin wie eine natürliche Rundung fortsetzt, verleiht dem "Eierkoch" in Verbindung mit der das Auge des Betrachters ansprechenden, die Funktionalität gleichwohl berücksichtigenden und auf eine überflüssige Formgebung verzichtenden Gestaltung des Metallverschlusses eine klare und schnörkellose Form. Der "Eierkoch" tritt dem Betrachter in seinem ästhetischen Gesamteindruck als ein "Objekt" entgegen, das die individuelle Handschrift seines Schöpfers erkennen lässt und das über seinen praktischen Nutzen hinaus allein durch seine Gestaltung den Formensinn des Betrachters in besonderer Weise anspricht. Nicht zuletzt spricht auch der Umstand, dass der "Eierkoch" unstreitig in die Sammlungen mehrerer deutscher Museen für angewandte Kunst aufgenommen wurde, dafür, dass die für Kunst aufgeschlossenen Kreise den verfahrensgegenständlichen W...-Entwurf als dem Urheberechtsschutz unterliegende künstlerische Leistung ansehen (vgl. BGH aaO. - Le Corbusier-Möbel, S. 905).

b) Ohne Erfolg verteidigt sich die Beklagte gegen den Vorwurf der Klägerin, mit ihrem "Eierkocher" in den Schutzbereich des ausschließlichen Nutzungsrechts der Klägerin am "Eierkoch" von W eingegriffen zu haben.

Ein Werk ist in seiner jeweiligen Individualität, in seiner jeweiligen charakteristischen Ausprägung geschützt; unzulässig ist die Nachahmung derjenigen künstlerischen Züge, die dem Werk insgesamt seine schutzfähige eigenpersönliche Prägung verleihen (BGH GRUR 1981, 820, 823 - Stahlrohrstuhl II mwN.). Zwar weicht der angegriffene "Eierkocher" der Beklagten in der Ausgestaltung seiner Füße, die tropfenförmig anmuten, und des Deckels, der sich etwas mehr vom Gefäßkörper abhebt als dies bei der vergleichsweise flach gehaltenen Deckelform des "Eierkoch" der Fall ist, von diesem ab. Dies ändert allerdings nichts daran, dass der "Eierkocher" der Beklagten in den charakteristischen, dem "Eierkoch" seinen besonderen ästhetischen Gehalt verleihenden Merkmalen, namentlich in der schlichten und gleichwohl formschönen weichen Linienführung, mit dem geschützten W...-Entwurf weitgehend übereinstimmt. Die in ihrer konkreten Ausgestaltung vom "Eierkoch" leicht abweichende Ausgestaltung der Füße und des Deckels des "Eierkochers" der Beklagten fügt sich in diese charakteristische, sich vom vorbekannten Formenschatz in ihrem ästhetischen Gehalt deutlich abhebende Linienführung ein und prägt den Gesamteindruck der sich im Verfahren gegenüberstehenden Erzeugnisse in gleicher Weise. Beim angegriffenen "Eierkocher" der Beklagten handelt es sich demgemäß um eine Nachahmung des "Eierkoch".

Ohne Erfolg hält die Beklagte dem Vorwurf der Urheberrechtsverletzung unter Berufung auf ihr Verteidigungsvorbringen erster Instanz entgegen, der S.-Konzern habe in der Vergangenheit mehrere Produkte auf dem Markt angeboten, die sich mindestens in gleicher Weise wie der angegriffene "Eierkocher" der Beklagten an den verfahrensgegenständlichen W...-Entwurf angelehnt hätten. Der S.-Konzern habe damit zu erkennen gegeben, dass er diese Produkte nicht als urheberrechtsverletzend ansehe.

Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Die Klägerin hat, ohne dass dem die Beklagten entgegengetreten wären, vorgetragen, dass eine Lizenzierung innerhalb des S.-Konzerns und somit der Vertrieb der als Anlage B 12 vorgelegten Eierkochgefäße mit Zustimmung des Rechtsinhabers erfolgt sei.

Der angegriffene "Eierkocher" der Beklagten wurde auch nicht in freier Benutzung geschaffen.

Eine nicht die Zustimmung des Urhebers oder eines ausschließlich Nutzungsberechtigten erfordernde freie Benutzung des urheberrechtlich geschützten Werks im Sinne von § 24 Abs. 1 UrhG ist gegeben, wenn angesichts der Eigenart des neuen Werks die entlehnten eigenpersönlichen Züge des geschützten älteren Werkes verblassen (st. Rspr., vgl. z.B. BGH GRUR 1994, 191, 193 - Asterix-Persiflagen mwN.; Dreier/Schulze aaO., § 24 Rn. 8). Hiervon ist im Streitfall, wie das Erstgericht zutreffend festgestellt hat, nicht auszugehen.

Die Unterschiede in der Deckelform sowie in der Gestaltung der Füße verleihen dem angegriffenen "Eierkocher" der Beklagten im Vergleich zum "Eierkoch" von W... keine eigengestalterische Individualität, die im Auge des Betrachters die markante Formgebung des "Eierkoch" überlagern würde (vgl. BGH GRUR 2008, 693/695 - TV-Total; GRUR 2003, 956/958 - Gies-Adler; GRUR 1999, 984/987 - Laras Tochter, BGH aaO. - Asterix-Persiflagen, S. 193; Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 24 Rn. 12). An das Vorliegen einer freien Benutzung ist nach ständiger Rechtsprechung ein strenger Maßstab anzulegen, ob das neue Werk durch eigenschöpferische Leistung den erforderlichen inneren Abstand zu den entlehnten eigenpersönlichen Zügen gewonnen hat (vgl. hierzu die Rechtsprechungsnachweise bei Schricker/Loewenheim aaO., § 24 Rn. 12). Hierbei besteht eine Wechselwirkung: Je auffallender die Eigenart des benutzten Werkes ist, umso weniger werden dessen übernommene Eigenheiten in dem danach geschaffenen Werk verblassen (vgl. BGH GRUR 1982, 37, 39 - WK-Dokumentation; Dreier/Schulze, aaO., § 24 Rn. 8). Hiernach eignen sich die Unterschiede der sich gegenüberstehenden Eierkocher im Bereich des Deckels und der Füße nicht, um die festgestellte besondere Eigenart des geschützten älteren W...-Entwurfes mit seiner vom angegriffenen "Eierkocher" der Beklagten übernommenen charakteristischen Formensprache verblassen zu lassen.

3. Weitere Anträge

Zu den aus der festgestellten Urheberrechtsverletzung resultierenden, von der Klägerin verfolgten Folgeansprüchen auf Auskunftserteilung (Anträge I.2. bis I.4.), Schadensersatzfeststellung (Antrag II.) sowie auf Ersatz außergerichtlich entstandener Anwaltskosten (Antrag III.) verhält sich das Berufungsvorbringen der Beklagten nicht. Auf die zutreffenden Ausführungen des Erstgerichts wird insoweit Bezug genommen.

III.

1. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

3. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs, 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO nicht vorliegen (vgl. dazu BGH NJW 2003, 65 ff.). Die Rechtssache erfordert, wie die Ausführungen unter II. zeigen, lediglich die Anwendung gesicherter Rechtsprechungsgrundsätze auf den Einzelfall.






OLG München:
Urteil v. 14.10.2010
Az: 29 U 2001/10


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