Bundespatentgericht:
Beschluss vom 27. Mai 2004
Aktenzeichen: 17 W (pat) 18/03

(BPatG: Beschluss v. 27.05.2004, Az.: 17 W (pat) 18/03)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Bundespatentgericht hat in einem Beschluss vom 27. Mai 2004 (Aktenzeichen 17 W (pat) 18/03) eine Beschwerde einer Anmelderin gegen den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G07C des Deutschen Patent- und Markenamts vom 2. Oktober 2002 entschieden. Die Beschwerde wurde aufgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit abgelehnt. Das Patent mit der Bezeichnung "Verfahren zur Überwachung von Fertigungsprozessen" wurde daraufhin mit bestimmten Unterlagen erteilt. Die geltenden Patentansprüche sowie die Beschreibung und die Zeichnungen wurden dabei berücksichtigt. Die Anmelderin hatte beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent mit den eingereichten Unterlagen zu erteilen. Das Gericht befand, dass der geltende Anspruch 1 des Patents zulässig ist und ein Verfahren zur Überwachung von Fertigungsprozessen beschreibt, bei dem Messwerte mit Prozessgrenzen verglichen werden und bei Überschreitung ein Fehlersignal mitgeteilt wird. Zudem werden die Prozessgrenzen mittels Hüllkurven festgelegt, die aus den Standardabweichungen von abgetasteten Messsignalen gebildet werden. Zusätzlich wird eine berechnete Kennzahl herangezogen, die aus den die Hüllkurve überschreitenden Messwerten berechnet wird. Die Kennzahl wird mit einem Kennzahlgrenzwert verglichen, der aus der Standardabweichung früher gewonnener Kennzahlen gebildet wird. Das Gericht prüfte den Stand der Technik und fand keine vergleichbaren Verfahren, die das beanspruchte Verfahren nahelegen. Somit ist der Gegenstand des Anspruchs 1 neu und beruht auf erfinderischer Tätigkeit. Die abhängigen Ansprüche 2 bis 10 enthalten weitere sinnvolle Weiterbildungen der Erfindung und sind ebenfalls gewährbar.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BPatG: Beschluss v. 27.05.2004, Az: 17 W (pat) 18/03


Tenor

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluß der Prüfungsstelle für Klasse G07C des Deutschen Patent- und Markenamts vom 2. Oktober 2002 aufgehoben und das nachgesuchte Patent DE 199 62 967 mit der Bezeichnung "Verfahren zur Überwachung von Fertigungsprozessen" mit folgenden Unterlagen erteilt:

Patentansprüche 1 bis 5, eingegangen am 26. Mai 2004, und Patentansprüche 6 bis 10, eingegangen am 7. Mai 2004;

Beschreibung Seiten 1, 4, 9, eingegangen am 26. Mai 2004, und Seiten 2, 3 sowie 5 bis 8, eingegangen am 7. Mai 2004;

ursprünglich eingereichte Zeichnungen ein Blatt mit Figuren 1 und 2 sowie ein Blatt Zeichnungen mit Figur 3, eingegangen am 7. Mai 2004.

Gründe

I.

Die vorliegende Patentanmeldung ist am 24. Dezember 1999 beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Bezeichnung

"Verfahren zur Überwachung von Fertigungsprozessen"

eingereicht worden.

Die Prüfungsstelle für Klasse G07C hat die Anmeldung durch Beschluß vom 2. Oktober 2002 mangels erfinderischer Tätigkeit zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.

Sie beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das nachgesuchte Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

Patentansprüche 1 bis 5, eingegangen am 26. Mai 2004, Patentansprüche 6 bis 10, eingegangen am 7. Mai 2004, Beschreibung Seiten 1, 4, 9, eingegangen am 26. Mai 2004, Beschreibung Seiten 2, 3, 5 bis 8, eingegangen am 7. Mai 2004, sowie mit einem Blatt Zeichnungen mit den Figuren 1 und 2 vom Anmeldetag und einem Blatt Zeichnungen mit Figur 3, eingegangen am 7. Mai 2004.

Der geltende Anspruch 1 lautet:

"Verfahren zur Überwachung von Fertigungsprozessen, bei dem aufgenommene Messwerte mit Prozessgrenzen verglichen werden und bei Überschreitung der Prozessgrenzen ein entsprechendes Fehlersignal mitgeteilt wird, wobei in einer Testphase oder Einlernphase die Prozessgrenzen mittels mindestens einer Hüllkurve festgelegt werden, und die mindestens eine Hüllkurve aus den Standardabweichungen von in vorgegebenen Zeitabständen abgetasteten Messsignalen gebildet wird, die zu mehreren, nacheinander in der Testphase oder Einlaufphase ablaufenden Fertigungsprozessen gehören, dadurch gekennzeichnet, dass zur Überwachung eines aktuellen Fertigungsprozesses zusätzlich mindestens eine berechnete Kennzahl herangezogen wird, dass die Kennzahl aus den die mindestens eine Hüllkurve überschreitenden Messwerten des aktuellen Fertigungsprozesses berechnet wird, und dass die Kennzahl mit einem Kennzahlgrenzwert verglichen wird, der aus der Standardabweichung früher gewonnener Kennzahlen gebildet wird."

Bezüglich der Unteransprüche und der weiteren Unterlagen wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Nach Ansicht der Anmelderin ist die nunmehr beanspruchte Lehre durch den im Erteilungsverfahren genannten Stand der Technik weder bekannt noch nahegelegt und demzufolge patentfähig.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet, da der Gegenstand des nachgesuchten Patents nach den §§ 1 bis 5 PatG patentfähig ist.

1. Die geltenden Patentansprüche sind zulässig. Die Offenbarung von Anspruch 1 (vergleiche die nachfolgende gegliederte Fassung) ergibt sich aus den ursprünglich eingereichten Unterlagen wie folgt:

Merkmale urspr. Unterlagen.

1) und 2) Anspruch 1;

3) und 4) Ansprüche 2 und 3, S. 5, Z. 17-21 und S. 6, Z. 15-22;

a) Anspruch 4, S. 3, Z. 33-35;

b) S. 3, Z. 20-28;

c) S. 3, Z. 28-31; S. 5, Z. 17 bis S. 6, Z. 13; S. 8, Z. 4 - 9.

Merkmal b) geht zwar aus den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht wörtlich hervor, es liegt jedoch als prinzipielle Umschreibung der in der angegebenen Textstelle beispielhaft angegebenen Berechnungsmöglichkeiten für den Fachmann, einen FH-Physikingenieur mit mehrjähriger einschlägiger Berufserfahrung, auf der Hand.

Die Korrektur der Formel auf S. 5, Z. 25 der ursprünglich eingereichten Unterlagen ist ebenfalls zulässig, da es sich hierbei um die Berichtigung einer offensichtlichen Unrichtigkeit handelt (§ 38 PatG).

2. Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Überwachung von Fertigungsprozessen, mit dem entsprechend der zugehörigen Aufgabenstellung eine Qualitätsbeurteilung eines aktuellen Fertigungsprozesses ermöglicht wird.

Eine Lösung dieser Aufgabe wird durch den nachfolgend (in gegliederter Form) wiedergegebenen Anspruch 1 vermittelt:

Verfahren zur Überwachung von Fertigungsprozessen, 1) bei dem aufgenommene Messwerte mit Prozessgrenzen verglichen werden 2) und bei Überschreitung der Prozessgrenzen ein entsprechendes Fehlersignal mitgeteilt wird, 3) wobei in einer Testphase oder Einlernphase die Prozessgrenzen mittels mindestens einer Hüllkurve festgelegt werden 4) und die mindestens eine Hüllkurve aus den Standardabweichungen von in vorgegebenen Zeitabständen abgetasteten Messsignalen gebildet wird, die zu mehreren, nacheinander in der Testphase oder Einlaufphase ablaufenden Fertigungsprozessen gehören, dadurch gekennzeichnet, a) dass zur Überwachung eines aktuellen Fertigungsprozesses zusätzlich mindestens eine berechnete Kennzahl herangezogen wird, b) dass die Kennzahl aus den die mindestens eine Hüllkurve überschreitenden Messwerten des aktuellen Fertigungsprozesses berechnet wirdc) und dass die Kennzahl mit einem Kennzahlgrenzwert verglichen wird, der aus der Standardabweichung früher gewonnener Kennzahlen gebildet wird.

3. Im Prüfungsverfahren wurden folgende Druckschriften herangezogen:

1) DE 43 16 332 A1 2) DE 197 43 600 A1 3) DE 198 03 956 A1 4) DE 197 36 075 C2 5) DE 41 06 008 A1.

Bezüglich dieses Standes der Technik ist der Gegenstand des Anspruchs 1 neu, da keine der Druckschriften ein Verfahren zur Überwachung von Fertigungsprozessen mit allen Merkmalen dieses Anspruchs zeigt. Der beanspruchte Gegenstand beruht darüber hinaus auch auf erfinderischer Tätigkeit.

D1 zeigt die Überwachung von Fertigungsprozessen (Herstellen von Schraubverbindungen) mit Vorgabe von hüllkurvenbegrenzten Toleranzbändern, deren Daten per Belernvorgang gewonnen und statistisch ausgewählt werden können (Sp. 1, Z. 51-57; Sp. 2, Z. 47-54 und Z. 61-67; Sp. 5, Z. 18-22). Neben Hüllkurven (Sp. 4, Z. 54) werden auch Kennzahlen, nämlich das Überschreiten des "weiteren Toleranzbereiches" und das "Abschaltmoment (maximaler Wert)" (Sp. 8, Z. 19) zur Qualitätskontrolle der Schraubverbindungen herangezogen. Nach Sp. 4, Z. 67ff wird der Schraubvorgang bei Überschreiten des "weiteren Toleranzbereiches", nämlich vorzeitig beendet, d.h. dieser Fertigungsprozess als mißlungen angesehen. Die Unterbrechung des Fertigungsprozesses bei Überschreitung des "Abschaltmomentes" wird schon durch diesen Begriff vorgegeben. Die Berechnung einer Kennzahl aus den die Hüllkurve überschreitenden Messwerten des aktuellen Fertigungsprozesses ist somit beim Gegenstand von D1 nicht gegeben, da eine solche Überschreitung der Hüllkurve - wie angegeben - zum Abbruch des Fertigungsvorganges führt. Folglich wird durch D1 die in Merkmal b) des Anspruchs 1 enthaltene Kennzahlenberechnung, die auf Messwerten basiert, die die Hüllkurve überschreiten, nicht nahegelegt. D1 gibt auch keinen Hinweis auf den in Merkmal c) enthaltenen Vergleich der aktuellen Kennzahl mit einem auf statistische Weise gewonnenen Kennzahlgrenzwert.

D2 zeigt ein Verfahren zur Überwachung eines Produktionsprozesses mit Einsatz von adaptiven Hüllkurven und Kennzahlen. Hierbei werden zunächst die Signalverläufe eines für die Erzeugung der Produkte maßgeblichen Prozessabschnittes mit Hilfe von Hüllkurven auf ihre Zulässigkeit untersucht und dann aus zulässigen Signalverläufen Prozeßkennzahlen ermittelt, die nachfolgend durch ein neuronales Netzwerk zur eigentlichen Produktionskontrolle verarbeitet werden (Sp.3, Z. 10-23; Anspruch 1). Im Rahmen von Versuchen werden die Hüllkurven aus den oberen und unteren Einhüllenden der maximalen und minimalen Signalwerte von erlaubten Signalverläufen gewonnen (Fig. 5a, 5b; Sp. 6, Z. 62 bis Sp. 7, Z.14). Aus den Signalverläufen können außerdem mittels bekannter mathematischer Methoden für jeden Signalverlauf diskrete Prozeßkenngrößen (z.B. Maximum, Gradient, Integral) ermittelt werden (Sp.7, Z.47-50; Sp. 8, Z. 32-36). Zu dieser Prozeßkenngrößenbestimmung kann auch eine Methodik der multivarianten Statistik eingesetzt werden (Sp. 7, Z. 51 bis Sp. 8, Z. 17; Anspruch 2). Bei diesem Stand der Technik werden die Hüllkurven somit nicht auf statistischer Basis wie beim Verfahren nach Anspruch 1 (Merkmale 3 und 4), sondern anhand der gemessenen Signalmaxima und -minima bestimmt. Außerdem läßt das Verfahren nach D2 eine Berechnung der Prozeßkenngrößen unter Verwendung der die Hüllkurve(n) überschreitenden Messwerte (Merkmal b) nicht zu, da eine solche Überschreitung prinzipiell einen unzulässigen Signalverlauf charakterisiert (Fig. 5b mit Sp. 6, Z. 66, 67) und nur bei Vorsehen zweier unterschiedlicher Toleranzfunktionen eine geringe Überschreitung überhaupt zulässig ist (Sp. 6, Z. 67 bis Sp. 7, Z. 4). D2 gibt auch keinen Hinweis auf den nach Merkmal c) vorgesehenen Vergleich der aktuell ermittelten Kennzahl mit einem statistisch ermittelten Kennzahlgrenzwert.

Demnach vermag auch D2 das Verfahren nach Anspruch 1 nicht nahezulegen.

Weitere Verfahren zur Überwachung von Fertigungsprozessen gehen aus den Druckschriften 4 und 5 hervor. D4 beschreibt ein Verfahren zur Erfassung eines oder mehrerer Qualitätsparameter bei der Bearbeitung von Werkstücken mittels eines Laserstrahls, wobei ein Mikrofon zur Aufnahme von Schall- oder Ultraschallwellen eingesetzt wird. Zur Ausschusserkennung werden nach Fig. 4 Hüllkurven eingesetzt, die den bei (noch) ordnungsgemäßer Produktion erforderlichen minimalen bzw. maximalen Schalldruck angeben (Anspruch 1; Sp. 5, Z. 12-39).

D5 zeigt die Überwachung von Laserschweißvorgängen durch Überprüfung des beim Schweißvorgang rückgestrahlten Lichtes (Zusammenfassung). Diese Druckschriften zeigen somit keine Kennzahlenberechnungen in Verbindung mit Verfahren zur Überwachung von Fertigungsprozessen und vermögen somit ebenfalls keine zur beanspruchten Lehre führenden Anregungen zugeben.

Auch die gemeinsame Betrachtung der Druckschriften D1, D2, D4 und D5 legt das Verfahren nach Anspruch 1 nicht nahe, da es in diesen Druckschriften weder Hinweise auf die Berechnung der Kennzahl eines aktuellen Fertigungsprozesses gemäß Merkmal b) noch auf den Vergleich von aktuell ermittelter Kennzahl und Kennzahlgrenzwert gemäß Merkmal c) gibt.

In D3 wird ein Verfahren zur schwingungsdiagnostischen Überwachung rotierender Maschinen beschrieben, bei dem während des laufenden Betriebes aufgenommene Kenngrößen (z.B. zeitlicher Verlauf der Schwingungssignale) mit solchen Kenngrößen verglichen werden, die das Normalverhalten der betreffenden Maschine charakterisieren (Sp. 2, Z. 9-23). Die Kenngrößen für das Normalverhalten können auch auf statistischer Basis gewonnen werden (Sp. 3, Z. 58-62). Dieses Verfahren bezieht sich nicht auf die Überwachung eines Fertigungsprozesses und wird vom Fachmann deshalb bei der Lösung von diesbezüglichen Aufgabenstellungen nicht in Betracht gezogen.

Aus den aufgezeigten Gründen beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 auf erfinderischer Tätigkeit; dieser Anspruch ist somit gewährbar.

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 10 enthalten zweckmäßige, nicht selbstverständliche Weiterbildungen der in Anspruch 1 angegebenen Erfindung und sind demnach ebenfalls gewährbar.

Dr. Fritsch Dr. Schmitt Dr. Kraus Schuster Bb






BPatG:
Beschluss v. 27.05.2004
Az: 17 W (pat) 18/03


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/34de9b3252e7/BPatG_Beschluss_vom_27-Mai-2004_Az_17-W-pat-18-03




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