Finanzgericht Münster:
Beschluss vom 11. Mai 2011
Aktenzeichen: 9 V 3872/10 K

(FG Münster: Beschluss v. 11.05.2011, Az.: 9 V 3872/10 K)

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens trägt .................. als weiterer Verfahrensbeteiligter.

Die Beschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Besteuerung eines Veräußerungsgewinns aus einem Grundstücksverkauf.

Die ASt. ist eine aufgelöste Gesellschaft in der Rechtsform einer "private company limited by shares" (Limited) nach englischem Recht. Laut den in den Steuerakten vorhandenen Unterlagen des englischen Companies House wurde die ASt. dort am ... . ... .2006 unter der Company Number ................. eingetragen ("date of incorporation") und am ... . ... .2009 aufgelöst ("dissolved"). Gegenstand des Unternehmens der ASt. ("nature of business") war ................. . Als "registered office" ist eine Adresse in England angegeben (..............). Unter "share Capital" ist angegeben, dass ein Anteil ("share") zu ...... ausgegeben wurde. Alleiniger Gesellschafter ("shareholder") war Herr ............ (A), für den eine Adresse in Deutschland angegeben ist (...............). Dieser ist zugleich als "director" der ASt. angegeben. Als "accounting reference date" ist der ... . ... . angegeben. Es liegt eine beim Companies House eingereichte Gewinnermittlung ("annual accounts") der ASt. zum ... . ... .2007 vor, die von der X-GmbH Steuerberatungsgesellschaft aus ............. erstellt wurde. Die Gewinnermittlung ist unter dem Datum vom ... . ... .2008 von A unterschrieben.

Aufgrund einer Steuerfahndungsprüfung war das FA der Auffassung, die ASt. habe aus dem An- und Verkauf eines in Deutschland belegenen Grundstücks einen Veräußerungsgewinn von ........... EUR erzielt, mit dem diese entweder nach § 1 KStG unbeschränkt oder nach § 2 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG beschränkt steuerpflichtig gewesen sei. Unter dem Datum vom 17.8.2009 erließ das FA einen an A als gesetzlichen Vertreter der ASt. adressierten und unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 AO stehenden Bescheid über Körperschaftsteuer 2007.

Gegen den vorgenannten Bescheid legte die X-GmbH Steuerberatungsgesellschaft im Namen der ASt. Einspruch ein und beantragte zugleich Aussetzung der Vollziehung (AdV). Den Antrag auf AdV lehnte das FA mit Schreiben vom 1.10.2009 ab. Mit einer wiederum an A als gesetzlichen Vertreter der ASt. gerichteten Einspruchsentscheidung vom 20.9.2010 wies es den Einspruch als unbegründet zurück.

Hiergegen erhob die Y-GbR Rechtsanwälte Steuerberater als Prozessvertreter im Namen der ASt. Klage, die beim FG Münster unter dem Aktenzeichen 9 K 3871/10 geführt wird. Zugleich stellte sie den vorliegenden Antrag auf AdV. Hierbei reichte sie eine vom 19.10.2010 datierende und offenbar von A unterzeichnete Prozessvollmacht ein, in der als Sache ".............. Ltd. ./. Finanzamt ..........." und als Gegenstand des Mandats "Klage gegen KSt 2007" bezeichnet war.

Der Berichterstatter hat im vorliegenden Verfahren auf die Frage hingewiesen, ob bei einer aufgelösten ("dissolved") englischen Limited der bisherige "director" weiterhin vertretungsbefugt und die ASt. daher handlungs- und prozessfähig sowie die von A erteilte Prozessvollmacht wirksam sei (siehe gerichtliches Schreiben vom 4.3.2011, Bl. 63 f. der GA).

Der für die ASt. auftretende Prozessvertreter macht geltend, eine aufgelöste ("dissolved") englische Limited bestehe in Deutschland als "Restgesellschaft" fort und werde weiterhin durch das bisherige Vertretungsorgan vertreten. Darüber hinaus sei er bereits mit einer Vollmacht vom 21.7.2009 und damit noch vor der Auflösung ("dissolution") der ASt. von A zur steuerlichen Vertretung bevollmächtigt worden. Hierzu hat er eine weitere Vollmacht (in Kopie) mit dem vorgenannten Datum eingereicht, in der als Sache "A" und als Gegenstand des Mandats "steuerliche Vertretung" bezeichnet war (Bl. 157 der GA). Zum Grund der Auflösung ("disssolution") trägt er vor, dass (vermutlich) nach dem Immobilienverkauf keine geschäftliche Tätigkeit mehr ausgeübt und keine Erklärungen bzw. Abschlüsse nach englischem Recht mehr abgegeben worden seien, so dass eine Löschung im Register von Amts wegen erfolgt sei.

Die ASt. beantragt,

die Vollziehung des Bescheids über Körperschaftsteuer für 2007 vom 17.8.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.9.2010 auszusetzen.

Das FA beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Das FA ist ebenfalls der Auffassung, dass die ASt. als "Restgesellschaft" fortbestehe und weiterhin von A als bisherigem "director" vertreten werde. Der Antrag sei jedoch als unbegründet abzulehnen.

II.

Der Antrag ist unzulässig.

1. Der für die ASt. auftretende Prozessvertreter hat seine Bevollmächtigung nicht durch eine wirksam erteilte schriftliche Vollmacht nachgewiesen (§ 62 Abs. 2 i.V.m. Abs. 6 FGO). Der Mangel der Vollmacht war vom Senat von Amts wegen zu berücksichtigen, obwohl das FA diesen nicht gerügt hat und der Prozessvertreter eine Gesellschaft i.S.v. § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO ist. Óber den Wortlaut des § 62 Abs. 6 Satz 4 FGO hinaus ist ein Mangel der Vollmacht auch in diesem Fall von Amts wegen zu prüfen, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte ein begründeter Zweifel an der wirksamen Bevollmächtigung ersichtlich ist (vgl. etwa BFH-Beschluss vom 11.11.2009 I B 153/09, BFH/NV 2010, 904; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 62 FGO Rz 53 f.). Im Streitfall bestanden solche Zweifel aufgrund der Auflösung ("dissolution") der ASt. Auf einen entsprechenden Hinweis hin hat der Prozessvertreter die wirksame Erteilung der von ihm vorgelegten Vollmachten nicht nachgewiesen.

a) Die vom Prozessvertreter vorgelegte Vollmacht vom 19.10.2010 ist nicht wirksam durch die ASt. erteilt worden. Aufgrund der Auflösung ("dissolution") der ASt. zum ... . ... .2009 war A, der die Vollmacht im Namen der ASt. erteilt hat, zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr für diese vertretungsberechtigt.

aa) Dass die ASt. mit Wirkung zum ... . ... .2009 aufgelöst ("dissolved") ist, geht aus den in den Steuerakten befindlichen Unterlagen des englischen Companies House hervor. Eine - für jedermann möglich - Internetabfrage beim Companies House (unter www.companieshouse.co.uk) hat dies bestätigt. Auch die Beteiligten haben auf den Hinweis des Berichterstatters nichts Gegenteiliges vorgetragen.

bb) Die Folgen dieser Auflösung ("dissolution") der ASt. sind in erster Linie nach dem englischen Gesellschaftsrecht zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des EuGH zur Freizügigkeit von Gesellschaften richtet sich die Behandlung einer englischen Limited für Zwecke des deutschen Rechts auch dann im Grundsatz nach dem Recht des Gründungsstaats und damit nach den einschlägigen Regelungen des englischen Gesellschaftsrechts, wenn diese - was im Streitfall naheliegt, allerdings zwischen den Beteiligten jedenfalls anfänglich streitig war - ihren tatsächlichen Verwaltungssitz nach Deutschland verlegt hat bzw. ausschließlich in Deutschland wirtschaftlich tätig ist bzw. war (vgl. EuGH-Urteile vom 9.3.1999 Rs. C-212/97, GmbHR 1999, 474 "Centros"; vom 5.11.2002 Rs. C-208/00, GmbHR 2002, 1137 "Óberseering"; vom 30.9.2003 Rs. C-167/01, GmbHR 2003, 1260 "Inspire Art"; zur Maßgeblichkeit des Personalstatuts des Gründungsstaats in der Folge etwa BGH-Urteile vom 13.3.2003 VII ZR 370/98, NJW 2003, 1461, unter III.3.b; vom 14.3.2005 II ZR 5/03, NJW 2005, 1648, unter II.2.a).

Die einschlägigen Regelungen des englischen Gesellschaftsrechts sind hier dem Companies Act 2006 oder dem - möglicherweise vorliegend noch anwendbaren (vgl. Cranshaw, jurisPR-HaGesR 1/2011 Anm. 4, unter C.2.) - Companies Act 1985 zu entnehmen. Aus den dort enthaltenen Bestimmungen ergibt sich Folgendes: Ist eine englische Limited aufgelöst ("dissolved"), hat dies unmittelbar zur Folge, dass ihr gesamtes Vermögen als sog. "bona vacantia" (herrenloses Gut) gilt und der englischen Krone (entspricht im Grundsatz dem deutschen "Fiskus") anfällt (siehe sec. 1012 Companies Act 2006 bzw. sec. 654 Companies Act 1985). Die Krone kann dieses ablehnen ("disclaim"), woraufhin im Grundsatz alle Rechte und Verpflichtungen des "bona vacantia" erlöschen (siehe im Einzelnen sec. 1013 - 1022 Companies Act 2006 bzw. sec. 656, 657 Companies Act 1985 i.V.m. sec. 178 (4) Insolvency Act 1986). Die Auflösung ("dissolution") einer Limited kann im Anschluss an ihre Abwicklung ("windingup") eintreten (siehe sec. 201 - 205 Insolvency Act 1986) oder dadurch, dass sie - entweder auf eigenen Antrag oder von Amts wegen - im Register des Companies House gelöscht wird ("striking off the register") und dies in der "gazette" veröffentlicht wird (siehe sec. 1000 - 1011 Companies Act 2006 bzw. sec. 652 - 652F Companies Act 1985). Eine Löschung von Amts wegen ist insbesondere möglich, wenn Anlass zu der Annahme besteht, dass die Gesellschaft nicht mehr aktiv tätig ist (siehe sec. 1000 Companies Act 2006 bzw. sec. 652 Companies Act 1985), wobei dies vor allem in Betracht kommt, wenn einzureichende Unterlagen nicht eingereicht werden (etwa die jährlich einzureichenden annual accounts bzw. Jahresabschlüsse, vgl. etwa Cranshaw, jurisPR-HaGesR 1/2011 Anm. 4, unter C.2.; M. Krömker/Otte, BB 2008, 964; Mock, BB 2008, 262 f.). Allerdings kann die Auflösung einer Limited unter bestimmten Voraussetzungen - u.a. auf den entsprechenden Antrag eines noch Ansprüche gegen die Gesellschaft erhebenden Gläubigers hin - wieder rückgängig gemacht werden ("restoration to the register", siehe sec. 1024 - 1034 Companies Act 2006 bzw. sec. 653 Companies Act 1985).

Angesichts der vorgenannten Regelungen geht der Senat davon aus, dass die Auflösung ("dissolution") einer englischen Limited nach dem englischen Gesellschaftsrecht unmittelbar zur Beendigung der Gesellschaft führt, diese also nach dieser Rechtsordnung rechtlich nicht mehr existent ist (ebenso das Thüringische OLG, Beschluss vom 22.8.2007 6 W 244/07, GmbHR 2007, 1109, unter II.1.b; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.5.2010 I-24 U 160/09, 24 U 160/09, ZIP 2010, 1852, unter I.1.a; OLG Nürnberg, Beschluss vom 10.8.2007 13 U 1097/07, GmbHR 2008, 41, unter 1.a; KG Berlin, Beschlüsse vom 15.10.2009 8 U 34/09, GmbHR 2010, 316 sowie vom 12.3.2010 14 AktG 1/09, AG 2010, 497). Hieran ändert auch nichts, dass der "Vermögensanfall" bei der englischen Krone sich nicht auf im Ausland belegenes Vermögen erstreckt (so ausdrücklich das Thüringer OLG, Beschluss in GmbHR 2007, 1109, unter II.1.b; vgl. hierzu zudem Cranshaw, jurisPR-HaGesR 1/2011 Anm. 4, unter C.4., sowie Möhlenbrock in Festschrift für Schaumburg, 2009, S. 913, 926 f.). Die Gesellschaft als solche ist nach englischem Recht nämlich gleichwohl insgesamt erloschen.

cc) Zugleich geht der Senat davon aus, dass die ASt. ungeachtet ihrer Beendigung nach englischem Recht in Deutschland jedenfalls für Zwecke des Besteuerungs- bzw. finanzgerichtlichen Verfahrens als fortbestehend (und damit auch beteiligtenfähig) anzusehen ist. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH zu im Handelsregister gelöschten und damit beendeten Kapitalgesellschaften nach deutschem Recht, diese solange als fortbestehend anzusehen, als sie noch steuerrechtliche Pflichten zu erfüllen haben und gegen sie gerichtete Bescheide angreifen (vgl. etwa BFH-Urteil vom 26.3.1980 I R 111/79, BStBl II 1980, 587, unter 2.a; BFH-Beschlüsse vom 23.1.1985 I B 36/83, BFH/NV 1986, 41, unter 1.; vom 16.5.1989 V B 5/89, BFH/NV 1990, 796, unter 1.). Der BFH hat bereits entschieden, dass keine Veranlassung besteht, diese Frage für ausländische Kapitalgesellschaften anders zu beurteilen (vgl. auch BFH-Beschluss vom 28.1.2004 I B 210/03, BFH/NV 2004, 670 zu einer Kapitalgesellschaft griechischen Rechts). Im Streitfall gilt die ASt. damit bereits aufgrund der im vorliegenden Verfahren streitigen steuerrechtlichen Pflichten als fortbestehend.

dd) Ungeklärt ist allerdings, ob eine aufgelöste, aber auf die vorgenannte Weise in Deutschland als fortbestehend geltende englische Limited weiterhin durch ihre bisherigen Organe (dem bzw. den "directors") vertreten werden kann.

Finanzgerichtliche Rechtsprechung zu dieser Frage ist - soweit ersichtlich - bislang nicht ergangen. Es liegen allerdings bereits einige Entscheidungen aus der zivilgerichtlichen Rechtsprechung vor. Zwar wird dort offenbar - insoweit enger als für Zwecke des Steuerrechts - angenommen, dass eine aufgelöste englische Limited nach deutschem Recht nur dann noch als sog. "Restgesellschaft" fortbesteht, soweit sie in Deutschland noch Vermögen besitzt, das sonst keinem Rechtsträger zugeordnet werden kann (vgl. Thüringisches OLG, Beschluss in GmbHR 2007, 1109, unter II.1.b; OLG Düsseldorf, Beschluss in ZIP 2010, 1852, unter I.1.a; OLG Nürnberg, Beschluss in GmbHR 2008, 41, unter 1.d; KG Berlin, Beschlüsse vom 15.10.2009 8 U 34/09, GmbHR 2010, 316 sowie vom 12.3.2010 14 AktG 1/09, AG 2010, 497; weitergehend allerdings wohl im arbeitsgerichtlichen Verfahren, vgl. Sächsisches LAG, Urteil vom 15.1.2010 3 Sa 716/08, juris, unter II.B.2., für Zwecke einer Kündigungsschutzklage, Revision anhängig unter Az. 6 AZR 178/10). Gilt eine aufgelöste englische Limited unter der vorgenannten Voraussetzung auch für zivilrechtliche Zwecke als fortbestehend, stellt sich jedoch hier ebenfalls die Frage nach der Vertretungsberechtigung. Diesbezüglich wird zum Teil angenommen, dass - jedenfalls für den Fall einer Auflösung aufgrund von Versäumnissen der bisherigen gesetzlichen Vertreter (die insbesondere in der fehlenden Einreichung von Gewinnermittlungen beim Companies House denkbar seien) - analog § 66 Abs. 5 GmbHG, § 273 Abs. 4 AktG ein Nachtragsliquidator zu bestellen sei (so der Beschluss des Thüringischen OLG in GmbHR 2007, 1109 sowie des KG Berlin vom 12.3.2010 14 AktG 1/09, AG 2010, 497; ebenso etwa auch Möhlenbrock in FS für Schaumburg, 2009, 913, 927 und 936), oder nach § 1913 BGB ein Pfleger bestellt werden könne (so der Beschluss des OLG Nürnberg in GmbHR 2008, 41). Zum Teil wird jedoch offenbar auch von einer fortbestehenden Vertretung durch den bzw. die bisherigen Vertretungsorgane ausgegangen (so wohl - allerdings ohne hierauf ausdrücklich einzugehen - OLG Düsseldorf, Beschluss in ZIP 2010, 1852).

Vermutlich in Anlehnung an die o.g. Entscheidung des Thüringischen OLG wird in der Finanzverwaltung für steuerrechtliche Zwecke vertreten, dass eine aufgelöste englische Limited grundsätzlich weiterhin durch ihre bisherigen Organe vertreten wird, im Falle einer Auflösung aufgrund von Versäumnissen durch diese jedoch ein Nachtragsliquidator zu bestellen sei (so OFD Hannover, Vfg. vom 3.7.2009, DStR 2009, 1585).

ee) Nach Auffassung des Senats ist eine aufgelöste englische Limited nicht mehr durch ihre bisherigen vertretungsberechtigten Organe (dem bzw. den "directors") handlungsfähig. Der Senat hält es hierbei entgegen der in der oben angeführten Vfg. der OFD Hannover vertretenen Ansicht nicht für überzeugend, die vorgenannte Rechtsfolge auf den Fall zu beschränken, dass die Auflösung auf Versäumnissen der bisherigen Organe beruht. Mit der Beendigung der Gesellschaft nach englischem Recht entfällt zugleich die Vertretungsbefugnis der bisherigen Organe. Es ist daher keine vertretungsberechtigte Person mehr vorhanden. Da die bisherige Vertretungsberechtigung auf dem englischen Gesellschaftsrecht beruhte, erscheint es auch nicht sachgerecht, diese für die hier vorliegende Situation, dass die Gesellschaft gleichwohl in Deutschland für steuerrechtliche Zwecke als fortbestehend gilt, (fiktiv) weiterhin anzuwenden. Diese Beurteilung entspricht zudem der Rechtslage, die für nach deutschem Recht gegründete Kapitalgesellschaften für den Fall einer Löschung im Handelsregister wegen Vermögenslosigkeit gilt (vgl. etwa BFH-Urteil in BStBl II 1980, 587, unter 2.b; BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1986, 41, unter 1.; in BFH/NV 1990, 796, unter 1.; anders für den Fall der Löschung einer GmbH wegen eines Satzungsmangels allerdings BFH-Beschluss vom 11.4.2001 I B 130/00, BFH/NV 2001, 1284, unter II.2.: fortbestehende Vertretung durch die früheren Geschäftsführer als Liquidatoren).

Nach englischem Gesellschaftsrecht kann eine aufgelöste Limited offenbar nur durch eine Rückgängigmachung der Registerlöschung ("restoration to the register") wieder handlungsfähig werden. Der Senat hält es allerdings für naheliegend, dass für eine aufgelöste, aber für steuerrechtliche Zwecke in Deutschland als fortbestehend geltende englische Limited jedenfalls dann die für beendete Kapitalgesellschaften nach deutschem Recht bestehenden Grundsätze bzw. Verfahren entsprechend herangezogen werden können, wenn die Limited ihren Verwaltungssitz in Deutschland hatte bzw. ausschließlich in Deutschland wirtschaftlich tätig war. Für beendete Kapitalgesellschaften nach deutschem Recht kann analog § 66 Abs. 5 Satz 2 GmbHG, § 273 Abs. 4 AktG vom Registergericht ein Nachtragsliquidator bestellt werden und für die als fortbestehend geltende Gesellschaft handeln (vgl. etwa BFH-Urteil in BStBl II 1980, 587, unter 2.c, mit Ausführungen zur Zulässigkeit der Bestellung eines Nachtragsliquidators auch ohne Vorliegen von Vermögen für Zwecke anderweitiger Abwicklungsmaßnahmen). Im Ergebnis kann dies jedoch im Streitfall offen bleiben, da vorliegend weder A noch eine sonstige Person als Nachtragsliquidator bestellt worden ist. Gleiches gilt für die in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. Beschluss des OLG Nürnberg in GmbHR 2008, 41) des Weiteren aufgebrachte Möglichkeit zur Bestellung eines Pflegers nach § 1913 BGB. Eine solche ist vorliegend ebenfalls unterblieben.

ff) Ausgehend hiervon ist die von A im Namen der ASt. ausgestellte Vollmacht vom 19.10.1010 nicht wirksam, da A zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr für die ASt. vertretungsberechtigt war. Darauf, auf welchem Grund die Auflösung ("dissolution") der ASt. beruhte (insb., ob tatsächlich die fehlende Einreichung der weiteren Jahresabschlüsse zu einer Löschung im Register geführt hat), kommt es hierbei nicht an.

b) Die vom Prozessvertreter außerdem vorgelegte, bereits unter dem Datum vom 21.7.2009 und damit vor der Auflösung der ASt. erteilte Vollmacht ist ebenfalls nicht zum Nachweis einer wirksamen Bevollmächtigung durch die ASt. geeignet.

Zwar ist auch eine aufgelöste Limited weiterhin handlungs- und prozessfähig, wenn sie vor der Auflösung bereits einen Prozessbevollmächtigten bestellt hat, dessen Vollmacht nach § 86 ZPO i.V.m. § 155 FGO fortbesteht (so auch Sächsisches LAG, Urteil vom 15.1.2010 3 Sa 716/08, juris, unter I.3., Revision anhängig unter Az. 6 AZR 178/10; vgl. für beendete Kapitalgesellschaften nach deutschem Recht etwa BFH-Urteil vom 27.4.2000 I R 65/98, BStBl II 2000, 500, unter III.3. und 4.; BFH-Beschluss vom 16.4.2007 I B 115/06, BFH/NV 2007, 1674, unter II.). Im Streitfall genügt die vor der Auflösung der ASt. erteilte Vollmacht vom 21.7.2009 jedoch nicht den Anforderungen an eine Prozessvollmacht für das vorliegende Verfahren. Abgesehen davon, dass sie lediglich in Kopie eingereicht wurde (vgl. zur Notwendigkeit der Vorlage eines Originals etwa Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 62 FGO Rz 57 m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH), wird in ihr weder die ASt. noch das vorliegende Verfahren bezeichnet. Vielmehr wird ausschließlich A mit dem allgemeinen Mandat "steuerliche Vertretung" benannt. Eine Bevollmächtigung auch für die zu diesem Zeitpunkt noch von A vertretene ASt. ist hieraus nicht ersichtlich (vgl. zu den Anforderungen an die Bezeichnung des Vollmachtgebers etwa BFH-Urteil vom 27.11.2002 X R 37/01, BFH/NV 2003, 341, unter II.1.; BFH-Beschluss vom 22.10.1986 IX R 178/85, BFH/NV 1987, 183, beide zur Erteilung der Vollmacht nur durch einen Ehepartner; allg. auch Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 62 FGO Rz 56 m.w.N.).

2. Nach Auffassung des Senats kommt im Streitfall auch nicht die Bestellung eines Prozesspflegers durch die Vorsitzende in entsprechender Anwendung des § 57 ZPO i.V.m. § 155 FGO in Betracht. Zwar wurde die vorgenannte Regelung in der Rechtsprechung über ihren unmittelbaren Anwendungsbereich - der den im Steuerrecht seltenen Fall betrifft, dass ein nicht prozessfähiger Beteiligter verklagt wird - hinaus erweitert. Für beendete Kapitalgesellschaften nach deutschem Recht hat der BFH eine entsprechende Anwendung der Regelung im finanzgerichtlichen Verfahren jedoch auf solche Fälle beschränkt, in denen ein solcher Beteiligter beigeladen werden muss (vgl. BFH-Urteil in BStBl II 1980, 587, unter 2.d; BFH-Beschluss vom 15.4.1992 IX B 164/91, BFH/NV 1993, 369). Für den Fall, dass ein nicht prozessfähiger Beteiligter selbst klagen will, hat er sie dagegen abgelehnt (vgl. BFH-Beschluss vom 12.7.1999 IX S 8/99, BFH/NV 1999, 1631, unter 1.; BFH, Entscheidung des Vorsitzenden vom 2.12.1986 VIII R 148/85, BFH/NV 1987, 379). Nach Wortlaut und Zweck erschöpfe sich die Vorschrift des § 57 ZPO darin, dem Kläger einen prozessfähigen Gegner gegenüberzustellen, damit er seinen Anspruch geltend machen kann. Hiermit sei allein die Situation einer notwendigen Beiladung vergleichbar, da das Verfahren ohne eine solche nicht fortgeführt werden könne (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 1631, unter 1.; BFH, Entscheidung des Vorsitzenden in BFH/NV 1987, 379). Dem folgt der Senat auch für die vorliegende Konstellation einer aufgelösten Limited. Da die ASt. selbst den AdV-Antrag gestellt hat, schied damit die Bestellung eines Prozesspflegers aus.

3. Die Kosten des Verfahrens werden dem als gesetzlicher Vertreter der ASt. auftretenden A auferlegt.

Ergeht gegen einen nicht wirksam vertretenen Beteiligten eine abweisende bzw. ablehnende Endentscheidung, sind die Kosten des Verfahrens demjenigen Verfahrensbeteiligten aufzuerlegen, der das Verfahren bzw. das Auftreten des vollmachtlosen Vertreters veranlasst hat (vgl. etwa Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 135 FGO Rz 5; Vollkommer in Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 88 ZPO Rz 11 m.w.N. aus der zivilgerichtlichen Rechtsprechung). Insbesondere können in einem solchen Fall die Kosten auch dem vollmachtlosen Prozessvertreter auferlegt werden, wenn er den Rechtsstreit veranlasst hat (vgl. etwa BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 1601, unter II.5.). Allerdings gilt dieser dann nicht als Veranlasser, wenn er gutgläubig im Besitz einer tatsächlich erteilten Vollmacht ist (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 1601, unter II.5., unter Hinweis auf BGH-Beschluss vom 4.3.1993 V ZB 5/93, NJW 1993, 1865 zu einem geschäftsunfähigen Kläger; siehe auch OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 22.5.1996 24 W 18/96, NJW-RR 1996, 1213 zu einer tatsächlich nicht existenten ausländischen Gesellschaft). Für den Fall, dass eine vom bisherigen Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft nach deutschem Recht erteilte Prozessvollmacht aufgrund deren Löschung im Handelsregister und der damit eingetretenen Beendigung der Gesellschaft unwirksam ist, nimmt die Rechtsprechung hiervon ausgehend an, dass die Kosten regelmäßig dem Prozessvertreter aufzuerlegen sind. Dieser sei nicht als gutgläubig anzusehen, da die Löschung aus dem Handelsregister ersichtlich und daher die Anwendung des Rechtsgedankens des § 15 Abs. 2 Satz 1 HGB gerechtfertigt sei. Jedenfalls rechtskundige Vertreter müssten zudem die (prozess-)rechtlichen Folgen einer solchen Löschung kennen (vgl. etwa BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 1601, unter II.5.).

Die Kosten des Verfahrens können jedoch auch einem als Veranlasser anzusehenden Dritten auferlegt werden, etwa einem für den Beteiligten auftretenden vollmachtlosen Vertreter, der den gutgläubigen Prozessvertreter beauftragt hat (vgl. insb. OLG Frankfurt, Beschluss vom 28.10.1996 24 W 38/96, OLGR Frankfurt 1997, 291: die für eine nicht existierende ausländische Gesellschaft auftretende und den Prozessvertreter beauftragende Person; siehe auch ohne Einschaltung eines Prozessvertreters etwa BFH-Beschlüsse vom 18.1.1988 I B 154/87, BFH/NV 1988, 514: bisheriger Geschäftsführer einer gelöschten GmbH; vom 31.7.1991 I B 32/91, BFH/NV 1992, 397: in seiner Vertretungsmacht beschränkter Nachtragsliquidator; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 1.2.1996 2 WF 155/95, 2 WF 158/95, FamRZ 1996, 1335: Klageerhebung des nicht sorgeberechtigten Vaters im Namen des minderjährigen Kindes). Der Dritte ist in diesem Fall allerdings als weiterer Verfahrensbeteiligter ins Rubrum der Entscheidung aufzunehmen (so offenbar auch die Handhabung der Vorinstanz zu OLG Karlsruhe in FamRZ 1996, 1335; hierzu auch Vollkommer/Schwaiger, FamRZ 1996, 1336 f. m.w.N. zur zivilprozessualen Beurteilung).

Nach Auffassung des Senats erscheint es zwar im Grundsatz gerechtfertigt, die Rechtsprechung zu gelöschten Kapitalgesellschaften nach deutschem Recht auch auf die vorliegende Konstellation einer aufgelösten englischen Limited zu übertragen. Der Umstand der Auflösung ist für solche Gesellschaften sogar noch weitergehend für jedermann im Internet (unter www.companieshouse.gov.uk) abrufbar. Im Streitfall besteht jedoch die Besonderheit, dass die (prozess-)rechtlichen Folgen der Auflösung für das finanzgerichtliche Verfahren gerade noch ungeklärt sind. Der Prozessvertreter war daher im vorliegenden Verfahren als gutgläubig anzusehen. Die mangels Vorhandenseins eines gesetzlichen Vertreters nicht mehr handlungsfähige ASt. hat das Verfahren jedoch ebenfalls nicht veranlasst. Stattdessen waren die Kosten dem A als für die ASt. auftretenden, jedoch nicht mehr vertretungsberechtigten gesetzlichen Vertreter aufzuerlegen. Dieser hat die unwirksame Vollmacht erteilt und damit das vorliegende Verfahren veranlasst. Er war demgemäß als weiterer Verfahrensbeteiligter ins Rubrum des vorliegenden Beschlusses aufzunehmen.

4. Die Beschwerde war gemäß § 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Es ist klärungsbedürftig, ob und durch wen eine aufgelöste englische Limited für Zwecke eines deutschen finanzgerichtlichen Verfahrens handlungsfähig ist bzw. wer für sie eine wirksame Prozessvollmacht erteilen kann.






FG Münster:
Beschluss v. 11.05.2011
Az: 9 V 3872/10 K


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