Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 5. Februar 2007
Aktenzeichen: AnwZ(B) 3/06

(BGH: Beschluss v. 05.02.2007, Az.: AnwZ(B) 3/06)

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des II. Senats des Anwaltsgerichtshofes Berlin vom 9. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wurde am 15. August 1961 zur Rechtsanwaltschaft und als Rechtsanwalt bei dem Landgericht B. zugelassen. Mit Verfügung vom 11. Mai 2005 widerrief die Antragsgegnerin die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO wegen Vermögensverfalls.

Der Anwaltsgerichtshof hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner sofortigen Beschwerde.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 BRAO), hat in der Sache aber keinen Erfolg.

1. Die Rüge des Antragstellers, er sei durch das Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden, vermag der sofortigen Beschwerde schon deshalb nicht zum Erfolg zu verhelfen, weil der Senat den Sachverhalt im Beschwerdeverfahren als Tatsacheninstanz in eigener Verantwortung ermittelt. Auf etwaige Verfahrensfehler der Vorinstanz kommt es damit grundsätzlich nicht mehr an; durch die Anhörung des Antragstellers im Beschwerdeverfahren wird eine etwaige Verletzung des rechtlichen Gehörs im Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof geheilt (Senatsbeschluss vom 13. Oktober 2003 - AnwZ(B) 36/02 unter II). Im Übrigen beanstandet der Antragsteller zu Unrecht, dass der Anwaltsgerichtshof ohne mündliche Verhandlung entschieden hat. Sowohl der Antragsteller als auch die Antragsgegnerin hatten auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.

2. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind. Diese Voraussetzungen waren im Zeitpunkt der Widerrufsverfügung erfüllt.

a) Ein Vermögensverfall ist gegeben, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außer Stande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen; Beweisanzeichen hierfür sind insbesondere die Erwirkung von Schuldtiteln und Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn (st. Rspr.; vgl. Senatsbeschluss vom 25. März 1991 - AnwZ (B) 73/90, BRAK-Mitt. 1991, 102; Senatsbeschluss vom 21. November 1994 - AnwZ (B) 40/94, BRAK-Mitt. 1995, 126). Derartige Beweisanzeichen, welche die Annahme des Vermögensverfalls rechtfertigen, waren hier - unabhängig von den in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO geregelten Vermutungstatbeständen - bei Erlass der Widerrufsverfügung gegeben.

Nach der Mitteilung des Finanzamts N. vom 6. April 2005 beliefen sich die vollstreckbaren Steuerrückstände des Antragstellers zum damaligen Zeitpunkt auf 127.630,59 €. Diese Mitteilung der Finanzverwaltung durfte entgegen der Auffassung des Antragstellers von der Antragsgegnerin und vom Anwaltsgerichtshof verwertet werden; sie verstieß nicht gegen § 30 Abs. 1 AO, sondern war von der Übermittlungsbefugnis nach § 36 a Abs. 3 BRAO gedeckt (vgl. auch § 10 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 StBerG i.V.m. § 3 Nr. 1 StBerG).

Der Antragsteller hat die Höhe seiner Steuerschulden bereits in seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung im Wesentlichen zugestanden. Dies ergibt sich aus seinen beigefügten Schreiben an das Finanzamt N. -Süd vom 19. April und 23. Mai 2005. Im Schreiben vom 19. April 2005 räumte der Antragsteller seine "derzeitige wirtschaftliche Unbeweglichkeit" ein. Er legte dar, dass ihm eine Bezahlung der Steuerschulden zur Zeit nur mit der Hilfe von Familienangehörigen möglich sein werde, allerdings nur dann, wenn sichergestellt sei, dass das Finanzamt gegen Zahlung der Steuerrückstände von etwa 65.000,--€ bereit sei, auf die darüber hinaus geltend gemachten Säumniszuschläge und Verzugszinsen (in Höhe von mehr als 60.000,--€) zu verzichten. Dazu war das Finanzamt nicht bereit. Im Beschwerdeverfahren gesteht der Antragsteller die Berechtigung der vom Finanzamt geltend gemachten Steuerrückstände ausdrücklich zu.

Wegen dieser Steuerrückstände betrieb die Finanzverwaltung in dem für den Widerruf maßgeblichen Zeitraum die Vollstreckung gegen den Antragsteller. Bereits am 9. Januar 2002 waren die Konten des Antragstellers bei der B. Volksbank eG gepfändet worden; am 18. Januar 2005 hat das Finanzamt die Pfändungs- und Einziehungsverfügung unter dem Vorbehalt jederzeitigen Widerrufs zwar dahin eingeschränkt, dass die Bank ermächtigt wird, fällige und fällig werdende Beträge an den Antragsteller auszuzahlen. Dies bedeutete jedoch keine Einstellung der Zwangsvollstreckung. Am 17. Januar 2005 war in der Wohnung und am 18. Januar 2005 in der Kanzlei des Antragstellers fruchtlos gepfändet worden, weitere Vollstreckungsmaßnahmen waren nach der Mitteilung des Finanzamts vom 6. April 2005 anhängig.

Aufgrund der wegen der Steuerrückstände bereits betriebenen Vollstreckung und der jederzeit möglichen weiteren Vollstreckungsmaßnahmen, die der Antragsteller zur damaligen Zeit aus eigener Kraft nicht abzuwenden vermochte, sind die Antragsgegnerin und der Anwaltsgerichtshof mit Recht davon ausgegangen, dass sich der Antragsteller im Zeitpunkt des Erlasses der Widerrufsverfügung in Vermögensverfall befand. Es kommt insoweit nicht darauf an, ob und in welcher Höhe darüber hinaus die Forderung der D. Bank gegen den Antragsteller besteht, die in der Forderungsaufstellung der Antragsgegnerin mit 211.900,99 € angesetzt ist, deren Berechtigung aber vom Antragsteller bestritten wird und die Gegenstand noch nicht abgeschlossener Rechtsstreitigkeiten vor dem Landgericht B. ist (4 O /03 und 10a O /05).

Der Antragsteller bringt in seiner sofortigen Beschwerde nichts Durchgreifendes dagegen vor, dass er sich bei Erlass der Widerrufsverfügung in Vermögensverfall befand. Soweit er auf vorhandene Vermögenswerte verweist und insbesondere geltend macht, dass ihm in dem Rechtsstreit gegen den Architekten K. im zweiten Rechtszug durch insoweit rechtskräftiges Urteil des Oberlandesgerichts B. vom 30. November 2005 eine Forderung von 148.274,65 € nebst 4% Zinsen hieraus seit dem 21. April 1999 zugesprochen worden ist, ändert dies nichts daran, dass der Antragsteller hierüber zum Zeitpunkt des Widerrufs nicht verfügte und er mit diesem Vermögenswert ebenso wie mit seinem hochbelasteten Immobiliarvermögen nicht in der Lage war, die unstreitigen Steuerrückstände zu tilgen und Vollstreckungsmaßnahmen der Finanzverwaltung abzuwenden.

b) Wie der Bestimmung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zu entnehmen ist, geht der Gesetzgeber grundsätzlich von einer Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden aus, wenn sich der Rechtsanwalt in Vermögensverfall befindet; dies ist auch in aller Regel der Fall, insbesondere im Hinblick auf den Umgang des Rechtsanwalts mit Fremdgeldern und den darauf möglichen Zugriff von Gläubigern (Senatsbeschluss vom 18. Oktober 2004 - AnwZ(B) 43/03, NJW 2005, 511 unter II 2 a). Die Senatsrechtsprechung, nach welcher der Vermögensverfall eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden indiziert, verstößt entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht gegen sein Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG.

Anhaltspunkte dafür, dass eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden durch den Vermögensverfall des Rechtsanwalts hier ausnahmsweise verneint werden könnte (dazu Senatsbeschluss vom 18. Oktober 2004, aaO, unter II 2 c), sind weder dargetan noch ersichtlich. Der Umstand, dass der Antragsteller gesonderte Fremdgeldkonten führt, reicht nicht aus, um eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden zuverlässig auszuschließen. Es werden nicht alle für Mandanten bestimmten Geldbeträge auf Konten überwiesen, sondern kommt immer wieder vor, dass Zahlungen auch in bar erfolgen. Bei diesen Zahlungen hängt es allein vom Willen des Antragstellers ab, ob er die erhaltenen Beträge bestimmungsgemäß verwendet oder nicht; kontrollierbar ist der Umgang mit solchen Zahlungen nicht (vgl. Senatsbeschluss vom 25. März 1991 - AnwZ(B) 73/90, BRAK-Mitt. 1991, 102 unter II 1 b). Der Umstand, dass es insoweit bislang zu keinen Beschwerden von Mandanten des Antragstellers gekommen ist, rechtfertigt für sich genommen keine andere Beurteilung.

2. Der Widerrufsgrund ist auch nicht nachträglich entfallen. Eine Konsolidierung der Vermögensverhältnisse des Antragstellers nach Erlass der Widerrufsverfügung wäre zwar im laufenden Verfahren noch zu berücksichtigen (BGHZ 75, 356); die Voraussetzungen für einen zweifelsfreien Wegfall des Widerrufsgrundes liegen jedoch nicht vor.

Die den Widerruf rechtfertigenden Steuerrückstände des Antragstellers sind nach wie vor nicht getilgt und belaufen sich mittlerweile gemäß der aktuellen Mitteilung des Finanzamts N. vom 22. August 2006 auf 138.855,45 € (einschließlich Säumniszuschlägen). Dem vom Antragsteller weiterhin angestrebten Teilerlass im Rahmen eines Vergleichs hat das Finanzamt nach wie vor nicht zugestimmt. Inwiefern die Forderungen des Finanzamts durch nachrangige Grundpfandrechte gesichert sein sollen, hat der Antragsteller nicht substantiiert dargelegt. Die ihm nunmehr in Höhe von 148.274,65 € nebst Zinsen zugesprochene Forderung gegen den Architekten K. steht zur Tilgung der Steuerrückstände schon deshalb nicht zur Verfügung, weil diese Forderung in Höhe von 150.141,53 € bereits zur Tilgung bestehender Forderungen der D. Bank an diese abgetreten worden ist. Der Umstand, dass das Finanzamt mit Schreiben vom 18. November 2006 die B. Volksbank unter dem Vorbehalt jederzeitigen Widerrufs weiterhin ermächtigt hat, fällige und fällig werdende Beträge auf den gepfändeten Konten des Antragstellers an diesen auszuzahlen, rechtfertigt nicht die Annahme, dass hinsichtlich der Steuerrückstände des Antragstellers Vollstreckungsmaßnahmen etwa nicht mehr drohten.

Angesichts der nach wie vor nicht bereinigten Situation im Hinblick auf die weiter angewachsenen Steuerrückstände des Antragstellers kann von einem zweifelsfreien Wegfall des Widerrufsgrundes wegen nachträglicher Konsolidierung der Vermögensverhältnisse des Antragstellers auch im Beschwerdeverfahren nicht ausgegangen werden. Der Senat muss aufgrund der gegebenen Umstände vielmehr annehmen, dass der Vermögensverfall des Antragstellers und die damit verbundene Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden fortbestehen.

Hirsch Otten Ernemann Frellesen Kappelhoff Stüer Martini Vorinstanz:

KG Berlin, Entscheidung vom 09.12.2005 - II AGH 5/05 -






BGH:
Beschluss v. 05.02.2007
Az: AnwZ(B) 3/06


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