Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 28. Oktober 2011
Aktenzeichen: AnwZ (Brfg) 30/11

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des 1. Senats des Brandenburgischen Anwaltsgerichtshofs vom 18. April 2011 wird abgelehnt.

Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Der Geschäftswert für das Zulassungsverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 15. Juni 2010 die Zulassung des Klägers widerrufen, weil er infolge strafgerichtlicher Verurteilung die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter verloren hat (§ 14 Abs. 2 Nr. 2 BRAO, § 45 Abs. 1 StGB). Der Kläger wurde durch Urteil des Landgerichts P. vom 3. April 2009 wegen schweren Parteiverrats gemäß § 356 Abs. 2 StGB (Einzelstrafe: ein Jahr und neun Monate) und wegen versuchter Nötigung 1 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Das Landgericht P. hatte den Kläger durch Urteil vom 15. September 2006 zunächst freigesprochen. Es hatte die Rechtsfrage, ob auch mehrere Tatbeteiligte derselben Strafsache Parteien im Sinne des § 356 StGB sind, verneint, womit es einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16. Dezember 1952 - 2 StR 198/51 - gefolgt war. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hob der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs dieses Urteil auf (Urteil vom 25. Juni 2008 - 5 StR 109/07, BGHSt 52, 307). Er gab den früher vertretenen Rechtsstandpunkt auf und erkannte, dass Beschuldigte in einer Strafsache, gegen die jeweils der Verdacht besteht, gemeinsam mit dem anderen Beschuldigten als Mittäter, Anstifter oder Gehilfe Teilnehmer derselben Straftat gewesen zu sein, Parteien im Sinne des § 356 StGB sein können. Unter Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung erfolgte die Verurteilung durch das Landgericht P. vom 3. April 2009. Die Revision des Klägers gegen dieses Urteil verwarf der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 8. April 2010 (5 StR 491/09) als unbegründet.

Die gegen den Widerruf der Zulassung erhobene Klage hat der Anwaltsgerichtshof abgewiesen. Dagegen richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung.

II.

Der nach § 112e Satz 2, § 124a Abs. 4 VwGO statthafte Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor. 2 1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (BVerfGE 110, 77, 83; BVerfG, NVwZ 2000, 1163, 1164; NVwZ-RR 2008, 1; NJW 2009, 3642; vgl. ferner BVerwG, NVwZ-RR 2004, 542 f.; Schmidt-Räntsch in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, § 112e BRAO Rn. 77; Deckenbrock in Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl., § 112e Rn. 10). Der Kläger macht insoweit geltend, dass die Anwendung des § 14 Abs. 2 Nr. 2 BRAO im konkreten Fall verfassungsrechtlichen Bedenken begegne. Bereits das Urteil des Landgerichts P. vom 3. April 2009, das die Grundlage für den Widerruf der Zulassung bilde, verstoße möglicherweise gegen Art. 103 Abs. 2 GG.

a) Die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Nr. 2 BRAO begegnet nach ständiger Rechtsprechung des Senats keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (Senatsbeschlüsse vom 8. Februar 1988 - AnwZ (B) 46/87, BRAK-Mitt. 1988, 208 [Verfassungsbeschwerde nicht angenommen, BVerfG, Beschluss vom 28. März 1988 - 1 BvR 399/88]; vom 20. April 1999 - AnwZ (B) 51/98, BRAK-Mitt. 1999, 185; vom 18. Oktober 1999 - AnwZ (B) 95/98, BRAK-Mitt. 2000, 42). Wenn ein Rechtsanwalt wegen eines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, dann zeigt das, dass er in besonders schwerwiegender Weise gegen seine Pflichten verstoßen hat und damit eine Gefahr für eine geordnete Rechtspflege darstellt. Dass einem solchen Anwalt ohne weitere Prüfung die Ausübung seines Berufes untersagt wird, stellt keine unverhältnismäßige Maßnahme zum Schutz der Rechtsuchenden dar, zumal die Untersagung jeglicher anwaltlicher Berufsausübung nach § 45 Abs. 1 StGB, § 7 Nr. 2 BRAO auf 5 Jahre beschränkt ist. Allgemeine Verhältnismäßigkeitsüberlegungen wie der Zeitablauf seit der Tat treten beim Widerruf der Zulas-5 sung nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 BRAO nach der ausdrücklichen Wertung des Gesetzgebers gegenüber der Schwere des Pflichtenverstoßes zurück.

b) Abgesehen davon, dass die Richtigkeit der strafgerichtlichen Verurteilung im vorliegenden Verfahren nicht überprüft werden darf (vgl. BGH, Senatsbeschlüsse vom 8. Februar 1988 und vom 18. Oktober 1999, aaO), bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Verurteilung des Klägers wegen Parteiverrats nach § 356 Abs. 2 StGB. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde des Klägers nicht angenommen (Beschluss vom 16. Mai 2011 - 2 BvR 1230/10). Die Aufgabe einer in der Rechtsprechung bislang vertretenen Auslegung verstößt nicht als solche gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG). Auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ist die Änderung einer ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich dann unbedenklich, wenn sie hinreichend begründet ist und sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hält (BVerfG, aaO juris Rn. 15). Im Ausgangsfall lag ein Vertrauenstatbestand bereits mangels gefestigter Rechtsprechung nicht vor, die Auslegung hielt sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung (BVerfG, aaO juris Rn. 17). Auch die Anwendung des Art. 103 Abs. 2 GG (Verbot einer rückwirkenden Verschärfung der Strafbarkeit) auf "Rechtsprechungsänderungen" würde jedenfalls voraussetzen, dass die frühere Rechtsprechung durch ein Mindestmaß an Kontinuität einen Vertrauenstatbestand begründen konnte (BVerfG, aaO juris Rn. 20), was hier nicht der Fall war.

c) Der Zulassungsantrag des Klägers zeigt außer den verfassungsrechtlichen Bedenken keine schlüssigen Argumente auf, die im konkreten Fall einem Widerruf der Zulassung nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 BRAO entgegenstehen könnten (vgl. hierfür beispielsweise den Fall der Verurteilung wegen einer unter der Geltung des StGB-DDR begangenen Rechtsbeugung nach § 339 StGB als milde-7 rem Recht BGH, Senatsbeschluss vom 18. Juni 2001 - AnwZ (B) 46/00, NJW 2001, 2407).

2. Auch der weiter angeführte Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegt nicht vor.

Nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung weist eine Rechtssache dann besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf, wenn sie wegen einer erheblich über dem Durchschnitt liegenden Komplexität des Verfahrens oder der ihr zu Grunde liegenden Rechtsmaterie in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht und sich damit von den üblichen verwaltungsgerichtlichen Streitigkeiten deutlich abhebt (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 12. November 2010 - 1 L 134/10, juris Rn. 7; VGH München, Beschluss vom 17. Januar 2011 - 14 ZB 10.1569, juris Rn. 10). Diese Grundsätze lassen sich auch auf die verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen übertragen (Henssler/Prütting, aaO § 112e Rn. 11 m.w.N.).

Die Rechtssache als solche wirft hier keine komplexen Tatsachen- oder Rechtsfragen auf, die ihre Beurteilung erschweren. Der zugrunde liegende Sachverhalt steht aufgrund der Bindungswirkung des Strafurteils fest und wird vom Kläger in seinem Zulassungsantrag nicht in Frage gestellt. Die Rechtslage ist in § 14 Abs. 2 Nr. 2 BRAO eindeutig geregelt. Gegen die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung bestehen, wie bereits ausgeführt, keine Bedenken.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.

Kessal-Wulf Roggenbuck Lohmann Hauger Quaas Vorinstanz:

AGH Brandenburg, Entscheidung vom 09.05.2011 - AGH I 3/10 - 12






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