Oberlandesgericht Nürnberg:
Beschluss vom 27. September 2010
Aktenzeichen: 12 AktG 1218/10

(OLG Nürnberg: Beschluss v. 27.09.2010, Az.: 12 AktG 1218/10)

Tenor

I. Das Rubrum wird dahin berichtigt, dass die korrekte Bezeichnung der Antragstellerin lautet:

... Aktiengesellschaft, vertreten durch den Vorstand ... Dr. ... und ...

II. Es wird festgestellt, dass die beim Landgericht Nürnberg-Fürth unter dem Aktenzeichen 1 HK O 4123/10 erhobene Nichtigkeits- und Anfechtungsklage der Eintragung des angefochtenen Beschlusses der außerordentlichen Hauptversammlung der Antragstellerin vom 20.04.2010 zu Tagesordnungspunkt 1, die Aktien der Minderheitsaktionäre der Antragstellerin gemäß dem Verfahren zum Ausschluss von Minderheitsaktionären (§§ 327 a ff. AktG) gegen Gewährung einer von der ..., zu zahlenden Barabfindung in Höhe von 1,90 EUR je auf den Inhaber lautende Stückaktie auf die ... Corporation als Hauptaktionärin zu übertragen, nicht entgegensteht und mögliche Mängel des angefochtenen Hauptversammlungsbeschlusses die Wirkung der Eintragung unberührt lassen.

III. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

IV. Der Streitwert wird auf 130.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin ist eine im Handelsregister des Amtsgerichts ... unter ... eingetragene Aktiengesellschaft. Geschäftsgegenstand sind Herstellung und Vertrieb von Computern und Büromaschinen, insbesondere von Schreibmaschinen, Rechnern, Kopiersystemen, Textverarbeitungsanlagen sowie Bürobedarfsgütern einschließlich der Beratung und Schulung in Fragen der Büroorganisation und Datenverarbeitung und der Herstellung und des Vertriebs von EDV-Software, ferner von allen sonstigen Gegenständen der Metall- und Elektronikindustrie. Gegenstand des Unternehmens ist ferner die unternehmerische Betätigung durch unmittelbare oder mittelbare Beteiligung an Unternehmen der bezeichneten oder anderer Geschäftszweige. Das Grundkapital der Gesellschaft beträgt 80.302.822,65 EUR und ist in 55.381.257 auf den Inhaber lautenden Stückaktien mit einem anteiligen Nennbetrag am Grundkapital von 1,45 EUR eingeteilt. Hiervon hält die ... mit Sitz in ... als Hauptaktionärin 52.850.017 Stückaktien.

Die Antragsgegnerin ist Aktionärin der Antragstellerin; sie hielt zum 30.03.2010 1001 Stückaktien.

Am 20.04.2010 fand eine außerordentliche Hauptversammlung der Antragstellerin statt, auf der mit über 99 % des vertretenen Grundkapitals zu TOP 1 der Beschluss gefasst wurde, die Aktien der Minderheitsaktionäre gemäß §§ 327 a ff. AktG gegen Gewährung einer von der Hauptaktionärin (...) zu zahlenden Barabfindung von 1,90 EUR je auf den Inhaber lautende Stückaktie auf die Hauptaktionärin zu übertragen ("Squeeze-Out-Beschluss", vgl. Anlage ASt 5).

Die Einladung zu dieser außerordentlichen Hauptversammlung (Anlage ASt 3) wurde am 12.03.2010 im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlicht (Anlage ASt 5, Unteranlagen 1 a und 1 b). Diese Einladung enthielt folgenden Hinweis:

"Zur Teilnahme an der Hauptversammlung und zur Ausübung des Stimmrechts sind diejenigen Aktionäre berechtigt, die sich spätestens bis zum Ablauf des 13. April 2010 unter nachstehender Anschrift angemeldet sowie der Gesellschaft gegenüber unter ebendieser Anschrift den von dem depotführenden Institut erstellten Nachweis erbracht haben, dass sie zu Beginn des 30. März 2010 (Nachweisstichtag) Aktionär der Gesellschaft waren."

Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz vom 19.05.2010 beim Landgericht Nürnberg-Fürth Klage gegen die Antragstellerin auf Nichtigerklärung, hilfsweise auf Feststellung der Nichtigkeit bzw. Feststellung der Unwirksamkeit des zu TOP 1 gefassten Hauptversammlungsbeschlusses der Antragstellerin eingereicht (Anlage ASt 1); das Verfahren wird unter Az. 1 HK O 4123/10 geführt. Diese Klageschrift ging per Telefax am 20.05.2010 und im Original am 21.05.2010 bei Gericht ein und wurde € nach Anforderung des Gerichtskostenvorschusses unter dem 02.06.2010 und dessen Einzahlung am 24.06.2010 € der Antragstellerin (dortigen Beklagten) am 08.07.2010 zugestellt.

Die Antragstellerin hat unter dem 21.06.2010 beim Oberlandesgericht Nürnberg Antrag auf Feststellung nach §§ 327 e Abs. 2, 319 Abs. 6 Satz 1 AktG, dass die Erhebung der vorgenannten Anfechtungsklage durch die Antragsgegnerin der Eintragung des Hauptversammlungsbeschlusses vom 20.04.2010 zur Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf die Hauptaktionärin nicht entgegensteht, eingereicht.

Sie beruft sich unter anderem darauf, dass die beim Landgericht Nürnberg-Fürth erhobene Anfechtungsklage wegen Versäumung der Klagefrist gemäß § 246 Abs. 1 AktG unbegründet sei und ein Freigabebeschluss deshalb gemäß §§ 327 e Abs. 2, 319 Abs. 6 Satz 1, Satz 3 Nr. 1 AktG ergehen müsse. Zudem müsse ein Freigabebeschluss auch gemäß §§ 327 e Abs. 2, 319 Abs. 6 Satz 1, Satz 3 Nr. 2 AktG ergehen, falls die Antragsgegnerin nicht binnen einer Woche nach Zustellung des Freigabeantrags durch Urkunden nachweise, dass sie seit Bekanntmachung der Einberufung der Hauptversammlung einen anteiligen Betrag von mindestens 1.000 EUR halte. Die Antragsgegnerin habe zwar zum Nachweisstichtag am 30.03.2010 insgesamt 1.001 Stückaktien gehalten und damit über einen anteiligen Aktienbesitz von mehr als 1.000 EUR verfügt; mit Nichtwissen werde jedoch bestritten, dass die Antragsgegnerin bereits zum Zeitpunkt der Bekanntmachung der Einladung zur außerordentlichen Hauptversammlung vom 20.04.2010 über einen entsprechenden Aktienanteil verfügt habe.

Die Antragstellerin beantragt:

Es wird festgestellt, dass die beim Landgericht Nürnberg-Fürth unter dem Aktenzeichen 1 HK O 4123/10 erhobene Nichtigkeits- und Anfechtungsklage der Eintragung des angefochtenen Beschlusses der außerordentlichen Hauptversammlung der Antragstellerin vom 20.04.2010 zu Tagesordnungspunkt 1, die Aktien der Minderheitsaktionäre der Antragstellerin gemäß dem Verfahren zum Ausschluss von Minderheitsaktionären (§§ 327 a ff. AktG) gegen Gewährung einer von der ..., zu zahlenden Barabfindung in Höhe von 1,90 EUR je auf den Inhaber lautende Stückaktie auf die ... als Hauptaktionärin zu übertragen, nicht entgegensteht und mögliche Mängel des angefochtenen Hauptversammlungsbeschlusses die Wirkung der Eintragung unberührt lassen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Freigabeantrag zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin hat zu dem ihr am 05.07.2010 zugestellten Antrag innerhalb bis zum 09.08.2010 verlängerter Erwiderungsfrist zu einzelnen Punkten, insbesondere zur (Un-)Begründetheit des Anfechtungsklageverfahrens, vorgetragen. Sachvortrag zu ihrem Aktienbesitz ist nicht erfolgt.

Der Senat hat unter dem 13.08.2010 gemäß § 139 ZPO darauf hingewiesen, dass der Freigabeantrag schon deshalb begründet erscheine, weil die Antragsgegnerin entgegen §§ 327 e Abs. 2, 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 AktG nicht binnen einer Woche nach Zustellung des Freigabeantrags durch Urkunden nachgewiesen habe, dass sie seit Bekanntmachung der Einberufung der Hauptversammlung der Antragstellerin einen anteiligen Betrag der Antragstellerin von mindestens 1.000 EUR halte. Daraufhin hat die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 24.08.2010 eine Depotbescheinigung vorgelegt, aus der sich ergibt, dass sie bereits seit 11.03.2010 über 1.000 Stück Aktien der Antragstellerin hielt (Anlage AG4, im genannten Schriftsatz als AG1 bezeichnet). Sie beruft sich darauf, dass die Antragstellerin in ihrer Klageerwiderung im Hauptsacheverfahren keine Zweifel an ihrem Aktienbesitz bereits zum Zeitpunkt der Einberufung der Hauptversammlung vorgetragen habe, damit einen entsprechenden Aktienbesitz zu diesem Zeitpunkt nachträglich unstreitig gestellt habe. Vorsorglich hat die Antragsgegnerin beantragt, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

II.

Mangels einer ausdrücklichen Regelung gilt für einen Freigabeantrag nach §§ 327 e Abs. 2, 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 AktG die allgemeine Vertretungsregel des § 78 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 AktG. Für eine analoge Anwendung des § 246 Abs. 2 S. 2 AktG ist kein Raum (vgl. OLG Bremen AG 2009, 412; OLG Karlsruhe ZIP 2007, 270; OLG Hamm ZIP 2005, 1457).

Danach wird die Antragstellerin allein durch ihren Vorstand (und nicht auch durch ihren Aufsichtsrat) vertreten. Das Rubrum war entsprechend abzuändern.

III.

Der Freigabeantrag ist gemäß §§ 327 e Abs. 2, 319 Abs. 6 AktG zulässig. Insbesondere ist das Oberlandesgericht Nürnberg zur Entscheidung hierüber zuständig, §§ 327 e Abs. 2, 319 Abs. 6 Satz 7 AktG.

Der Freigabeantrag hat bereits deshalb Erfolg, weil die Antragsgegnerin nicht binnen 1 Woche nach Zustellung des Antrags urkundlich nachgewiesen hat, dass sie bei Bekanntmachung der Einberufung der Hauptversammlung Aktien im anteiligen Betrag von mindestens 1.000 EUR hielt und seitdem hält, §§ 327 e Abs. 2, 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 AktG.

1. Diese durch das Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) vom 30.07.2009 (BGBl. 2009 Teil I Seite 2479) mit Wirkung zum 01.09.2009 eingefügte (§ 20 Abs. 4 EGAktG) Bestimmung eines Mindestquorums soll nicht nur das Verfahren (durch Ausschluss von Kleinstaktionären) übersichtlicher gestalten und beschleunigen, sondern auch missbräuchliche Aktionärsklagen bekämpfen und verhindern, dass Kleinstaktionäre sich als Trittbrettfahrer an Anfechtungsklagen anderer anhängen (vgl. Hüffer, AktG 9. Aufl. § 246 a Rn. 20). Die insoweit eingeschränkte Kassationsmacht von Aktionären beruht auf der Erwägung, dass bei Kleinstaktienbesitz, der das Bagatellquorum nicht erreicht, im Freigabeverfahren die Nachteile für den Aktionär (falls dessen Anfechtungsklage erfolgreich wäre) vom Gesetzgeber geringer gewichtet werden als die Nachteile, die die Aktiengesellschaft infolge der durch die erhobene Anfechtungsklage bewirkte Registerblockade (§ 319 Abs. 5 Satz 2 AktG) erleidet (vgl. Florstedt AG 2009, 465) und deshalb keine Blockadebefugnis bestehen soll. Damit sollte insbesondere auch gegenüber "räuberischen Aktionären", die sich des Druckmittels der Registerblockade zum Zwecke des Erhalts von Sondervorteilen bedienen, der hierzu verwendete Hebel des Zeitmoments eingeschränkt werden (vgl. Schwintowski DB 2007, 2695; Baums/Drinhausen ZIP 2008, 145) und das zuvor bestehende Geschäftsmodell gewerblicher Anfechtungskläger, die jeweils nur wenige Aktien potenzieller "Opfer" besitzen, zerstört werden (Florstedt a. a. O.). Das Mindestquorum dient damit € wie das Freigabeverfahren insgesamt € dem Schutz der Aktiengesellschaft vor einer unzumutbaren Belastung durch den mit einer Registersperre verbundenen Zeitverlust und das damit verbundene Erpressungspotenzial (Leuering, NJW-Spezial 2009, 543). Die Schwelle von 1.000 EUR ergibt bei normalen Börsenwerten im Mittelmaß und ohne Berücksichtigung von Extremfällen etwa 10.000 bis 20.000 EUR Anlagevolumen und befindet sich damit in einem Bereich eines aus sich heraus ökonomisch sinnvollen Investments in eine börsennotierte Gesellschaft (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, Bundestags-Drucksache 16/13098 vom 20.05.2009).

Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Norm bestehen nicht (vgl. OLG Stuttgart AG 2010, 89; OLG Hamburg AG 2010, 215; OLG Hamburg AG 2010, 214; OLG Frankfurt AG 2010, 596).

Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der im Anfechtungsverfahren klagende Aktionär (der Antragsgegner des Freigabeverfahrens) seit Bekanntmachung der Einberufung der Hauptversammlung Aktien im anteiligen Betrag von mindestens 1.000 EUR hält, trifft den Aktionär (vgl. Schall/Habbe/Wiegand NJW 2010, 1789 m. w. N.; Kläsener/Wasse AG 2010, 202); der Nachweis muss binnen der gesetzlich angeordneten Wochenfrist geführt werden sowie urkundlich erfolgen.

2. Die Antragsgegnerin hat zwar zum Nachweisstichtag am 30.03.2010 insgesamt 1.001 Stückaktien gehalten und damit über einen anteiligen Aktienbesitz von mehr als 1.000 EUR verfügt (nämlich von 1.001 Stückaktien x 1,45 EUR/Stückaktie = 1.451,45 EUR). Dass dieser Aktienbesitz nicht binnen 1 Woche nach Zustellung des Antrags urkundlich nachgewiesen wurde, ist unschädlich, da dieser Umstand zwischen den Parteien unstreitig ist (vgl. OLG Frankfurt AG 2010, 508).

§§ 327 e Abs. 2, 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 AktG erfordern jedoch weitergehend, dass der Kläger des Anfechtungsverfahrens (also der Antragsgegner im Freigabeverfahren) binnen einer Woche nach Zustellung des Freigabeantrags durch Urkunden den Nachweis führt, dass er seit Bekanntmachung der Einberufung der Hauptversammlung einen anteiligen Aktienbesitz von mindestens 1.000 EUR hält.

a) Dieser Umstand ist im Streitfall auch nicht unstreitig; vielmehr hat die Antragstellerin ausdrücklich bestritten, dass die Antragsgegnerin bereits zum Zeitpunkt der Bekanntmachung (am 12.03.2010) über entsprechenden Aktienbesitz verfügt hat. Dieses Bestreiten (mit Nichtwissen) stellt sich auch nicht als rechtsmissbräuchlich dar, da die Antragstellerin bei auf den Inhaber lautenden Aktien nicht wissen muss, wer diese in Besitz hat.

Ob Aktienbesitz der Antragsgegnerin möglicherweise im beim Landgericht Nürnberg-Fürth anhängigen Anfechtungsklageverfahren in weiterem Umfange unstreitig ist als in vorliegendem Freigabeverfahren, kann dahinstehen. Selbst wenn dem so wäre, würde dies nicht dazu führen, dass der Aktienbesitz der Antragsgegnerin bereits zum Zeitpunkt der Bekanntmachung der Hauptversammlung (am 12.03.2010) auch im Freigabeverfahren als unstreitig zu behandeln wäre (zumal er in diesem Verfahren ausdrücklich bestritten worden war). Bei dem Freigabeverfahren handelt es sich gegenüber dem der Anfechtungsklage um ein selbständiges eigenständiges Verfahren, wobei auch das Freigabeverfahren der ZPO (vgl. § 319 Abs. 6 Satz 2 AktG) und der in dieser Verfahrensordnung geltenden Dispositionsmaxime sowie dem Beibringungsgrundsatz unterstellt ist (vgl. OLG Frankfurt OLGR 2008, 736). Aufgrund dieser zivilprozessualen Grundsätze kann ggf. unterschiedlicher Sachvortrag der Parteien in beiden Verfahren dazu führen, dass dieselbe Tatsache in einem Verfahren als streitig und im anderen als unstreitig zu behandeln ist. Eine Bindungswirkung unstreitigen Vorbringens im Verfahren der Anfechtungsklage auch für das Freigabeverfahren wäre im Übrigen auch nicht praktikabel, nachdem für beide Verfahren verschiedene Gerichte zuständig sind und der Akteninhalt des Anfechtungsverfahrens dem für die Freigabeentscheidung zuständigen Gericht nicht bekannt sein muss.

b) Die Antragsgegnerin hat binnen 1 Woche nach Zustellung am 05.07.2010, also bis zum Ablauf des 12.07.2010 einen derartigen Urkundennachweis nicht geführt.

Eine Verlängerung dieser Wochenfrist scheidet wegen ihres materiell-rechtlichen Charakters wie auch wegen des gewollten Ausschlusses von Trittbrettfahrern aus (Hüffer a. a. O. § 246 a Rn. 20). Der vorsorglich gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegt deshalb neben der Sache. Eine solche kommt nicht in Betracht, da weder eine Notfrist (§ 224 Abs. 1 Satz 2 ZPO) noch eine andere der in § 233 ZPO genannten prozessualen Fristen versäumt wurde, sondern vielmehr eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist.

Im Übrigen hat die Antragsgegnerin auch innerhalb der bis zum 09.08.2010 verlängerten Erwiderungsfrist zum Freigabeantrag einen Urkundennachweis (etwa eine Depotbescheinigung bezogen auf den maßgeblichen Zeitraum) nicht erbracht.

Die Kürze der Wochenfrist begegnet keinen rechtlichen Bedenken; sie wird zudem dadurch relativiert, dass es dem Anfechtungskläger möglich ist, absehbar erforderliche Urkunden schon bei Erhebung der Anfechtungsklage bereitzuhalten.

c) Unerheblich ist, ob die Antragsgegnerin mit der mit Schriftsatz vom 24.08.2010 vorgelegten Depotbescheinigung (Anlage AG4) den Nachweis geführt hat, dass sie bereits seit 11.03.2010 über 1.000 Stück Aktien der Antragstellerin hielt. Da die Ausschlussfrist in §§ 327 e Abs. 2, 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 AktG zu diesem Zeitpunkt bereits lange verstrichen war (siehe oben 2 b) und da dieser Umstand im Freigabeverfahren auch nicht unstreitig war (siehe oben 2 a), kann er keine Berücksichtigung mehr finden.

d) Nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut ("seit Bekanntmachung ... hält") ist der Nachweis des Erreichens des erforderlichen Aktienquorums zu einem bestimmten Stichtag (hier: zum 30.03.2010) nicht ausreichend; vielmehr ist der Nachweis zu führen, dass bereits bei Bekanntmachung der Einberufung der Hauptversammlung (hier: am 12.03.2010) sowie auch in der Folgezeit während eines mit dieser Bekanntmachung beginnenden Zeitraums (der sich jedenfalls bis zum Hauptversammlungsdatum, möglicherweise sogar bis zur Einleitung des Freigabeverfahrens erstrecken muss) das erforderliche Aktienquorum gehalten wird.

Dies entspricht auch der Gesetzesintention. Der angestrebte Ausschluss von Kleinstaktionären könnte andernfalls leicht umgangen werden, etwa indem diese sich lediglich für kurze Zeit € ggf. im Wege einer "Aktienleihe" bzw. eines Wertpapierdarlehens (vgl. BGH, Urteil vom 16.03.2009 € II ZR 302/06, BGHZ 180, 154 € Wertpapierdarlehen) € den erforderlichen anteiligen Aktienbesitz vorübergehend verschaffen und diesen alsbald € nach Beschaffung eines urkundlichen Nachweises dieses Aktienbesitzes € wieder veräußern bzw. zurückgeben. In einem solchen Falle würde der Kleinstaktionär jedoch das mit dem Halten eines das vom Gesetz vorgesehene Quorum übersteigenden Aktienbesitzes über einen längeren Zeitraum verbundene erhebliche wirtschaftliche Risiko tatsächlich nicht in erforderlichem Umfang tragen. Zweck der Einführung eines Mindestquorums in § 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 AktG war jedoch die Überlegung des Gesetzgebers, dass eine potenziell erfolgreiche Verteidigung eines eine Anfechtungsklage betreibenden Aktionärs im Freigabeverfahren nur dann gerechtfertigt erscheint, wenn dieser auch € durch das Halten entsprechenden Aktienbesitzes über einen gewissen Zeitraum € tatsächlich das hiermit verbundene wirtschaftliche Risiko übernimmt, also ein ökonomisch nachvollziehbares Investment in die Gesellschaft getätigt hat (vgl. Koch/Wackerbeck ZIP 2009, 1603).

Das Gesetz sieht zudem vor, dass der Anfechtungskläger bereits zum Zeitpunkt der Bekanntmachung der Einberufung der Hauptversammlung der Gesellschaft im Besitz der erforderlichen Anzahl von Aktien dieser Gesellschaft sein muss. Personen, die erst nach diesem Zeitpunkt (oder gerade erst im Hinblick auf die Veröffentlichung der Einladung zur Hauptversammlung) Aktien der Gesellschaft erwerben und in der Folge auf der Hauptversammlung gefasste Beschlüsse mittels Anfechtungsklage angreifen, soll nicht die Gelegenheit gegeben werden, die Vollziehung der angefochtenen Beschlüsse dauerhaft zu blockieren. Der kurzfristig erfolgte Aktienerwerb erst nach Veröffentlichung der Bekanntmachung der Einberufung der Hauptversammlung deutet nämlich indiziell darauf hin, dass der Aktienerwerb in solchen Fällen nicht als längerfristiges ökonomisch nachvollziehbares Investment in die Gesellschaft getätigt wurde, sondern lediglich aus partikularistischen, vom Gesetz nicht als schützenswert angesehenen Interessen.

3. Da die Antragsgegnerin den ihr vom Gesetz auferlegten Nachweis, dass sie bei Bekanntmachung der Einberufung der Hauptversammlung Aktien im anteiligen Betrag von mindestens 1.000 EUR hielt und seitdem hält, nicht geführt hat, war dem Freigabeantrag ohne weiteres stattzugeben. Ein Ermessen des Gerichts besteht insoweit nicht; es kommt auch nicht auf die Schwere der behaupteten Rechtsverstöße an (Kläsener/Wasse AG 2010, 202 m. w. N.).

Insbesondere kann damit dahinstehen, ob der Freigabeantrag auch deshalb Erfolg hat, weil die Anfechtungsklage der Antragsgegnerin (etwa wegen Nichtwahrung der Anfechtungsfrist des § 246 Abs. 1 AktG) offensichtlich unbegründet ist (§ 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 1 AktG) oder ob das alsbaldige Wirksamwerden des Hauptversammlungsbeschlusses vorrangig erscheint, weil die von der Antragstellerin behaupteten wesentlichen Nachteile für die Gesellschaft und ihre Aktionäre nach freier Überzeugung des Senats die Nachteile für die Antragsgegnerin überwiegen, falls keine besondere Schwere des Verstoßes vorliegt (§ 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 3 AktG).

IV.

1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

2. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 327 e Abs. 2, 319 Abs. 6 Satz 2, 247 Abs. 1 AktG. Danach ist der Streitwert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Bedeutung der Sache für die Parteien, nach billigem Ermessen zu bestimmen; er orientiert sich am Streitwert des Hauptsacheverfahrens (vgl. OLG Stuttgart AG 2010, 89 m. w. N.). Diesen hat das Landgericht (vorläufig) auf 130.000,00 EUR festgesetzt.

Im Hinblick auf den einerseits relativ niedrigen Aktienbesitz der Antragsgegnerin per 30.03.2010 (1.001 Stückaktien x 1,45 EUR/Stückaktie = 1.451,45 EUR) sowie den nicht wesentlich höheren Börsenkurs dieser Aktien (per 24.09.2010: 1,93 EUR) und auf das andererseits schon unter Kosteneinsparungsgesichtspunkten beim Vollzug des Hauptversammlungsbeschlusses erhebliche Freigabeinteresse der Antragstellerin sowie den Umstand, dass es sich bei der Antragstellerin um eine größere Aktiengesellschaft handelt, hat der Senat den Streitwert des Freigabeverfahrens ebenfalls auf 130.000,00 EUR festgesetzt.

3. Gemäß §§ 327 e Abs. 2, 319 Abs. 6 Satz 5 AktG soll der über den Freigabeantrag entscheidende Beschluss spätestens 3 Monate nach Antragstellung (21.06.2010) ergehen; Verzögerungen sind durch unanfechtbaren Beschluss zu begründen.

Im Hinblick auf die durch einen Hinweis gemäß § 139 ZPO auf die Erfolglosigkeit der Rechtsverteidigung und die hierzu einzuräumende Stellungnahmefrist verursachte Verfahrensverzögerung sowie im Hinblick auf den in den 3-Monats-Zeitraum fallenden Jahresurlaub des Vorsitzenden wie auch des Berichterstatters konnte der Senat erst nach dem 21.09.2010 (drei Monate nach Antragstellung) entscheiden.

4. Diese Entscheidung ist unanfechtbar, §§ 327 e Abs. 2, 319 Abs. 6 Satz 9 AktG.






OLG Nürnberg:
Beschluss v. 27.09.2010
Az: 12 AktG 1218/10


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