VerfGH des Landes Berlin:
Urteil vom 20. Dezember 2011
Aktenzeichen: 159/10

(VerfGH des Landes Berlin: Urteil v. 20.12.2011, Az.: 159/10)

Tenor

Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Antragstellerin es für erledigt erklärt hat (ursprünglicher Antrag zu 2).

Es wird festgestellt, dass die Entscheidung des Antragsgegners vom 28. September 2010 die Rechte der Antragstellerin aus Art. 45 Abs. 2 der Verfassung von Berlin verletzt, soweit ihr Antrag auf Akteneinsicht in drei Aufsichtsratsdokumente aus dem Ordner 1 abgelehnt worden ist.

Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.

Das Land Berlin hat der Antragstellerin 30 v. H. ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

I.

Die Antragstellerin ist Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin. Sie wendet sich gegen die erneute teilweise Versagung der Einsicht in Akten der Verwaltung.

Im Juni 2007 hatte die Antragstellerin erstmals bei der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen und der Senatsverwaltung für Finanzen, gestützt auf die seit November 2006 bestehende Regelung in Art. 45 Abs. 2 der Verfassung von Berlin - VvB -, Einsicht in sämtliche bei den beiden Senatsverwaltungen vorhandenen Akten und Archivakten beantragt, die die Veräußerung von Anteilen der Berliner Wasserbetriebe zum Gegenstand haben. Der Senator für Finanzen (im Folgenden: Antragsgegner) lehnte den Antrag mit Schreiben vom 26. Februar und 24. Juni 2008 teilweise ab. Mit Urteil vom 14. Juli 2010 - VerfGH 57/08 - stellte der Verfassungsgerichtshof fest, dass diese Entscheidungen, soweit mit ihnen die Akteneinsicht abgelehnt wurde, die Rechte der Antragstellerin aus Art. 45 Abs. 2 VvB verletzen.

Mit Schreiben vom 15. Juli 2010 wandte sich die Antragstellerin daraufhin erneut an den Antragsgegner und wiederholte ihr Gesuch auf vollständige Einsicht in die Akten zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe. Der Antragsgegner erwiderte hierauf, er beabsichtige, ihr möglichst weitgehende Akteneinsicht zu gewähren, bitte aber um Verständnis, dass die Vorbereitung der erneuten Entscheidung noch einige Zeit in Anspruch nehmen werde. Die Akten könnten der Antragstellerin in Teilschritten zur Einsicht bereitgestellt werden. Im sich anschließenden Schriftwechsel widersprach die Antragstellerin dieser Verfahrensweise. Es sei ihr nicht zumutbar, Akteneinsicht in Raten zu nehmen.

Mit der hier angegriffenen Entscheidung vom 28. September 2010 gab der Antragsgegner dem Antrag auf Akteneinsicht in Bezug auf die Ordner 1 bis 15, die vor der Teilprivatisierung angelegt wurden, weitgehend statt. Gänzlich abgelehnt wurde die Einsichtnahme in vier Dokumente aus dem Ordner 11; in Bezug auf drei Aufsichtsratsdokumente aus dem Ordner 1 wurde eine Einsichtnahme unter den Bedingungen eines vertraulichen Datenraums bewilligt. Zur Begründung heißt es in dem Bescheid:

Die vier Dokumente aus dem Ordner 11 (Senatsvorlage mit der Regierungsentscheidung zum Modell der Teilprivatisierung und dazugehörige Vorbereitungsunterlage, jeweils Original und Kopie) seien reine Regierungsakten im Sinne der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 14. Juli 2010 und keine Akten der Verwaltung. Auf ihrer Grundlage seien im Senat die politischen Richtungsentscheidungen über die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe getroffen worden. Die drei Aufsichtsratsdokumente aus dem Ordner 1 (allgemeiner Lagebericht des damaligen Vorstandsvorsitzenden zur Sitzung des Aufsichtsrates der Berliner Wasserbetriebe am 21. August 1996; zwei Vorlagen zur selben Aufsichtsratssitzung: Lagebericht technischer Teil und Bericht zur Lage des Unternehmens für den personellen und sozialen Bereich) enthielten vertrauliche Informationen der Berliner Wasserbetriebe, an deren Nichtverbreitung ein objektives Interesse des Unternehmens auch heute noch zu unterstellen sei. So seien €z. B. Ausführungen zu bestimmten technischen Verfahren im Bereich Abwasser dargestellt, Daten zur Personalsituation (Krankenstände, Arbeitsunfälle, Personalkosten etc.) und interne Ausführungen zu einzelnen Geschäftsgebieten enthalten€. Gemäß § 394 Aktiengesetz - AktG -, der mangels spezieller Regelungen im Berliner Betriebe-Gesetz analog herangezogen werde, unterlägen Aufsichtsratsmitglieder, die auf Veranlassung einer Gebietskörperschaft in den Aufsichtsrat gewählt oder entsandt worden seien, hinsichtlich der Berichte, die sie der Gebietskörperschaft zu erstatten hätten, keiner Verschwiegenheit. Um die aktienrechtlichen Grundsätze über den Schutz von vertraulichen Angaben und Geheimnissen zu wahren, müssten aber nach § 395 AktG Personen, die damit betraut seien, die Beteiligungen einer Gebietskörperschaft zu verwalten, über Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, die ihnen aus Berichten nach § 394 AktG bekannt geworden seien, Stillschweigen bewahren. Auf der anderen Seite sei die Versagung der Akteneinsicht in die bezeichneten Dokumente jedoch nicht zwingend erforderlich, da der Schutz der vertraulichen Informationen durch entsprechende Vorkehrungen eines vertraulichen Datenraums gewährleistet werden könne. Die Antragstellerin wurde ferner noch einmal gebeten, ihr Begehren weiter einzugrenzen und Prioritäten hinsichtlich der Akteneinsicht zu benennen. Wenn sie nichts mitteile, erfolge die Akteneinsicht wie bisher chronologisch. Alternativ könne sich die Antragstellerin im Interesse eines beschleunigten Ablaufs mit einer Einsichtnahme in den gesamten Aktenbestand unter den Bedingungen eines vertraulichen Datenraumes einverstanden erklären. Eine solche Einsichtnahme wäre kurzfristig möglich.

Am 5. Oktober 2010 hat die Antragstellerin erneut den Verfassungsgerichtshof angerufen. Sie meint, es verstoße gegen Art. 45 Abs. 2 VvB, dass der Antragsgegner ihr Akteneinsichtsgesuch in der Entscheidung vom 28. September 2010 teilweise abgelehnt und nicht sogleich über die Akteneinsicht in alle weiteren Ordner entschieden habe. Der Antragsgegner habe nicht ausreichend begründet, dass die vier Dokumente aus dem Ordner 11 reine Regierungsakten seien und deshalb nicht dem Akteneinsichtsrecht unterlägen. Die in Rede stehenden Dokumente seien offenbar Ausarbeitungen der Verwaltung zum Modell der Teilprivatisierung und der Prüfung der gesetzlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für eine Teilprivatisierung. Diese Modellprüfung sei noch Verwaltungs- und nicht schon Regierungstätigkeit. Ein Gesetzgebungsverfahren habe noch gar nicht begonnen gehabt. In Bezug auf die drei Aufsichtsratsdokumente aus dem Ordner 1 habe der Antragsgegner keine überwiegenden privaten Interessen der Berliner Wasserbetriebe dargelegt und auch die angeblich in den Unterlagen enthaltenen vertraulichen Informationen bis auf einige Beispiele nicht präzisiert. Die genannten Beispiele würden nicht tragen. Der Antragsgegner behaupte nicht einmal, dass die Dokumente Angaben zu speziellen technischen Verfahren im Bereich Abwasser enthielten, die nicht allgemein bekannt seien, und deshalb als Betriebsgeheimnis der Berliner Wasserbetriebe den Konkurrenten nicht bekannt werden dürften. Auch enthielten die Dokumente offenbar keine personenbezogenen Daten der betroffenen Beschäftigten, insbesondere keine individualisiert dargestellten Kranken- oder Unfalldaten einzelner Mitarbeiter. Allgemeine Daten zur Personalsituation könnten jedoch nicht als Betriebs- und Geschäftsgeheimnis gewertet werden. Zudem werde nicht erläutert, warum €interne Ausführungen zu einzelnen Geschäftsgebieten€ geheimhaltungsbedürftig seien. Ferner dürften die aktienrechtlichen Vorschriften, wie § 394 AktG, weder direkt noch analog auf Betriebe des Landes Berlin angewendet werden, weil das Berliner Betriebe-Gesetz speziellere Bestimmungen zur Geheimhaltung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen enthalte. Dies zeige auch die Regelung in Art. 49a Abs. 1 VvB, nach der eine Auskunftspflicht gegenüber dem Abgeordnetenhaus und seinen Mitgliedern bestehe. Schließlich werde das Gewicht der angeblich betroffenen privaten Interessen nicht näher bestimmt. Eine Abwägung mit dem Aufklärungsinteresse der Antragstellerin habe nicht stattgefunden. Die auf die Bedingungen eines vertraulichen Datenraums beschränkte Akteneinsicht widerspreche dem Sinn und Zweck des Akteneinsichtsrechts. Der Antragsgegner hätte schon im September 2010 insgesamt über das Akteneinsichtsgesuch entscheiden können und müssen. Allen Beteiligten sei aus dem früheren Organstreitverfahren seit langem bekannt gewesen, welche Kriterien hierbei zu beachten seien.

Die Antragstellerin hat beantragt,

1.festzustellen, dass die Entscheidung des Antragsgegners vom 28. September 2010 ihre Rechte aus Art. 45 Abs. 2 VvB verletzt, soweit darin eine Einsichtnahme in Aktenbestandteile versagt oder nur unter den Bedingungen eines vertraulichen Datenraums gewährt wird,2.festzustellen, dass es ihre Rechte aus Art. 45 Abs. 2 VvB verletzt, dass der Antragsgegner es unterlassen hat, ihr Akteneinsicht in die weiteren, in der Entscheidung vom 28. September 2010 nicht aufgeführten Ordner zur Privatisierung der Berliner Wasserbetriebe zu bewilligen.Den Antrag zu 2 hat die Antragstellerin im April 2011 für erledigt erklärt, nachdem der Antragsgegner mit zwölf weiteren, zwischen dem 9. November 2010 und 11. April 2011 ergangenen Teilentscheidungen vollständig über das Akteneinsichtsgesuch entschieden hatte. Am 13. Juli 2011 hat sie auch wegen elf dieser Teilentscheidungen den Verfassungsgerichtshof angerufen (VerfGH 83/11, 84/11, 85/11, 86/11, 87/11, 88/11, 89/11, 90/11, 91/11, 92/11 und 93/11).

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag zurückzuweisen und ihm keine Kostenerstattung aufzuerlegen.

Der noch anhängige ursprüngliche Antrag zu 1 sei unbegründet. Einsicht in vier Dokumente aus dem Ordner 11 könne nicht gewährt werden, weil es sich bei der Senatsvorlage zum Modell der Teilprivatisierung und der dazugehörigen Vorbereitungsunterlage um Regierungsakten handele, auf die nach dem vorangegangenen Urteil des Verfassungsgerichtshofs Art. 45 Abs. 2 VvB nicht anwendbar sei. Die Senatsvorlage datiere vom 2. Juli 1998, sei also vor dem Gesetzesbeschluss des Teilprivatisierungsgesetzes am 17. Mai 1999 erstellt worden. Die Vorlage habe der Meinungsbildung im Senat gedient. Auf ihrer Grundlage habe der Senat am 7. Juli 1998 beschlossen, die Berliner Wasserbetriebe im Rahmen eines Holding-Modells in einen privatrechtlichen Konzern einzuarbeiten. Dieser Beschluss sei dann am 5. Januar 1999 in die Beschlussvorlage über das Gesetz zur Änderung des Berliner Betriebe-Gesetzes, zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe und zur Änderung des Berliner Wassergesetzes (Abghs-Drs. 13/3367) gemündet. Die Senatsvorlage sei ein Akt politischer Initiative, Leitung und Steuerung gewesen, der die Ziele und Zwecke des Privatisierungsverfahrens vorgegeben habe. Es sei zudem zutreffend ermittelt und dargelegt worden, welche überwiegenden privaten Interessen der Berliner Wasserbetriebe an der Geheimhaltung der drei Aufsichtsratsdokumente im Ordner 1 es zwingend erforderten, diese Dokumente nur unter den Bedingungen eines vertraulichen Datenraums zur Verfügung zu stellen. Der Inhalt der Dokumente sei, den Vorgaben im Urteil des Verfassungsgerichtshofs folgend, abstrakt umschrieben worden. Ferner sei berücksichtigt worden, dass Art. 49a Abs. 2 VvB eine Sonderregelung für vertrauliche und geheimhaltungsbedürftige Informationen aus öffentlich kontrollierten Unternehmen enthalte, die vorliegend analog angewendet werden müsse. Hinsichtlich solcher Informationen enthalte Art. 45 Abs. 2 VvB eine Regelungslücke. Die Regelung des Akteneinsichtsrechts einzelner Abgeordneter in Art. 45 Abs. 2 VvB sei in funktionaler und systematischer Hinsicht der Regelung des Auskunftsrechts des Parlaments in Art. 49a VvB so ähnlich, dass die in Art. 49a Abs. 2 VvB enthaltene Beschränkung auch auf Akteneinsichtsgesuche nach Art. 45 Abs. 2 VvB angewendet werden müsse. Anderenfalls würde das Akteneinsichtsrecht aus Art. 45 Abs. 2 VvB den in Art. 49a Abs. 2 VvB enthaltenen Vertraulichkeitsmechanismus aushebeln. Das Akteneinsichtsrecht jedes einzelnen Abgeordneten nach Art. 45 Abs. 2 VvB könne nicht weiter reichen als das Auskunftsrecht aus Art. 49a VvB, das nur dem Abgeordnetenhaus und seinen Ausschüssen zustehe.

Der für erledigt erklärte Antrag zu 2 sei von Anfang an unbegründet gewesen. Die Antragstellerin habe angesichts des immensen Umfangs des Verwaltungsvorgangs von etwa 90.000 Blatt nicht erwarten können, dass in weniger als drei Monaten nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs vom 14. Juli 2010 vollständig neu über ihr Einsichtsgesuch entschieden werde. Sie habe eine Kooperation verweigert, alle Angebote zur Beschleunigung der Akteneinsicht abgelehnt und übereilt erneut den Verfassungsgerichtshof angerufen. Ein derartiges Vorgehen werde dem Grundsatz der gegenseitigen Rücksichtnahme von Verfassungsorganen nicht gerecht.

Der Verfassungsgerichtshof hat dem Abgeordnetenhaus und dem Senat von Berlin gemäß § 38 Abs. 2 des Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof - VerfGHG - von der Einleitung des Verfahrens Kenntnis gegeben.

II.

Der allein noch anhängige Antrag zu 1 ist im Organstreitverfahren nach Art. 84 Abs. 2 Nr. 1 der Verfassung von Berlin - VvB -, § 14 Nr. 1 und §§ 36 ff. VerfGHG zulässig. Er hat nur zum Teil Erfolg.

Rechtsgrundlage der angegriffenen Entscheidung des Antragsgegners ist Art. 45 Abs. 2 VvB. Danach hat jeder Abgeordnete das Recht, Einsicht in Akten und sonstige amtliche Unterlagen der Verwaltung zu nehmen (Satz 1); die Einsichtnahme darf abgelehnt werden, soweit überwiegende öffentliche Interessen einschließlich des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung oder überwiegende private Interessen an der Geheimhaltung dies zwingend erfordern (Satz 2). Die Entscheidung ist dem Abgeordneten schriftlich mitzuteilen und zu begründen (Satz 3). Gemessen an diesen Regelungen erweist sich der Antrag als begründet, soweit die Antragstellerin die in der angegriffenen Entscheidung enthaltene Beschränkung der Einsichtnahme in drei Aufsichtsratsdokumente aus dem Ordner 1 angreift (1.); dagegen ist er unbegründet, soweit die Einsichtnahme in die als Regierungsakten bezeichneten vier Dokumente aus dem Ordner 11 abgelehnt wurde (2.).

1. Bei den drei Aufsichtsratsdokumenten aus dem Ordner 1 handelt es sich um Akten der Verwaltung im Sinne von Art. 45 Abs. 2 Satz 1 VvB.

a) Zwar sind Akten der Berliner Wasserbetriebe, soweit sie dort geführt werden, keine Akten der Verwaltung. Denn nach Art. 67 Abs. 1 und 2 VvB i. V. m. § 2 des Allgemeinen Zuständigkeitsgesetzes - AZG - besteht die Verwaltung aus der Hauptverwaltung, d. h. den Senatsverwaltungen, und den Bezirksverwaltungen sowie den ihnen jeweils nachgeordneten Behörden und nicht rechtsfähigen Anstalten und den unter ihrer Aufsicht stehenden Eigenbetrieben. Letztere umfassen nur die unter das Gesetz über die Eigenbetriebe des Landes Berlin vom 13. Juli 1999 (GVBl. S. 374) fallenden Einrichtungen, nicht aber die durch das Berliner Betriebe-Gesetz - BerlBG - vom 14. Juli 2006 (GVBl. S. 827) errichteten rechtsfähigen Anstalten des öffentlichen Rechts, zu denen auch die Berliner Wasserbetriebe gehören (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 BerlBG). Anders verhält es sich aber hinsichtlich solcher Unterlagen, die von den Berliner Wasserbetrieben der zuständigen Senatsverwaltung im Rahmen ihrer Aufgabe überlassen werden, die Interessen des Landes Berlin in den Gremien der Berliner Wasserbetriebe (vgl. §§ 10 ff. BerlBG) wahrzunehmen und die Rechtsaufsicht auszuüben (vgl. dazu § 28 AZG, § 21 BerlBG). Zu diesen gehören auch die umstrittenen Aufsichtsratsdokumente.

b) Die vom Antragsgegner in Bezug auf vertrauliche Angaben und Geheimnisse, namentlich Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, herangezogenen §§ 394, 395 AktG sind für das Akteneinsichtsgesuch der Antragstellerin nicht einschlägig. Sie gelten unmittelbar nur für Aktiengesellschaften und damit nicht für die als Anstalt des öffentlichen Rechts verfassten Berliner Wasserbetriebe. Eine die entsprechende Anwendung der genannten aktienrechtlichen Bestimmungen ermöglichende Regelungslücke besteht nicht. Das Berliner Betriebe-Gesetz trifft nämlich in § 19 eigene Regelungen zur Treue- und Schweigepflicht der Mitglieder des Vorstands und Aufsichtsrats, denen ihrerseits die Bestimmungen der Verfassung von Berlin zu Akteneinsichts- und Auskunftsrechten in den Art. 45 Abs. 2 VvB und 49a VvB vorgehen.

c) Dahinstehen kann im vorliegenden Organstreitverfahren, ob für eine Versagung der Einsicht in Unterlagen, wie der hier umstrittenen Aufsichtsratsdokumente, die aus den Berliner Wasserbetrieben stammen und als Akten bei der zuständigen Senatsverwaltung geführt werden, neben oder statt der Regelung in Art. 45 Abs. 2 Satz 1 VvB die Anforderungen in Art. 49a Abs. 2 VvB zu beachten sind. Offen bleiben kann insbesondere, ob Art. 49a Abs. 2 VvB, der eine Auskunfts- und Berichtspflicht der auf Veranlassung des Abgeordnetenhauses oder des Senats entsandten oder gewählten Vertreter des Landes Berlin in Aufsichts- oder sonstigen zur Kontrolle der Geschäftsführung berufenen Organe einer juristischen Person des öffentlichen Rechts gegenüber dem Abgeordnetenhaus und den jeweils zuständigen Ausschüssen normiert, auf Akteneinsichtsgesuche gegenüber der Verwaltung nach Art. 45 Abs. 2 Satz 1 VvB entsprechend anwendbar ist. Der praktische Unterschied beider Regelungen ist erheblich: Auf der Grundlage von Art. 45 Abs. 2 VvB kann die Akteneinsicht nur dann versagt werden, wenn überwiegende öffentliche Interessen einschließlich des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung oder überwiegende private Interessen an der Geheimhaltung, insbesondere von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen (Urteil vom 14. Juli 2010 - VerfGH 57/08 - juris und unter www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de, jeweils Rn. 104), dies zwingend erfordern. Bei einer Heranziehung des Art. 49a Abs. 2 VvB könnte eine Akteneinsicht in Unterlagen, die vertrauliche oder geheimhaltungsbedürftige Angaben, namentlich Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, enthalten, dagegen nur dann bewilligt werden, wenn der Abgeordnete die Gewähr für die Vertraulichkeit oder Geheimhaltung der ihm anvertrauten Informationen bietet. Dies würde hier auf die vom Antragsgegner zugestandene Einsicht unter den Bedingungen eines sog. vertraulichen Datenraums hinauslaufen; insoweit hat der Antragsgegner weder in der angegriffenen Entscheidung noch im Laufe des Verfahrens darzulegen vermocht, welche Rechtsgrundlage hierfür besteht und welche Modalitäten danach zu beachten wären. Die Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses, in der nach Art. 49a VvB alles Nähere zu regeln ist, enthält bisher keine einschlägigen Bestimmungen; sie verweist lediglich auf die hier nicht einschlägige Geheimschutzordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin. Auch im Hinblick hierauf erscheint zweifelhaft, ob eine Beschränkung des Einsichtsrechts analog Art. 49a Abs. 2 VvB möglich ist. Alle diese Fragen bedürfen indes keiner Entscheidung. Die Versagung der Einsichtnahme in Aufsichtsratsdokumente ist unabhängig davon bereits deshalb rechtswidrig, weil sie den Begründungsanforderungen in keinem Fall gerecht wird.

aa) Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem im vorangegangenen Organstreitverfahren derselben Beteiligten ergangenen Urteil vom 14. Juli 2010 (a. a. O., Rn. 91 ff.) entschieden hat, verlangt das in Art. 45 Abs. 2 Satz 2 VvB niedergelegte Entscheidungsprogramm, alle für und gegen die Gewährung von Akteneinsicht sprechenden Belange vollständig und zutreffend zu ermitteln, zu gewichten und gegeneinander abzuwägen. Damit geht, wie Art. 45 Abs. 2 Satz 3 VvB eigens hervorhebt, die Pflicht zur Begründung der getroffenen Entscheidung einher. Erst wenn diese eine Abwägung aller für den Einzelfall wesentlichen Gesichtspunkte zum Ausdruck bringt, ist dem Ermittlungs-, Gewichtungs- und Begründungserfordernis aus Art. 45 Abs. 2 Sätze 2 und 3 VvB Genüge getan. Um dem Abgeordneten eine sachgerechte Überprüfung einer die Akteneinsicht ablehnenden Entscheidung zu ermöglichen, sind die Ablehnungsgründe substantiiert und nicht lediglich pauschal und formelhaft darzulegen. Die mit dem Akteneinsichtsantrag befasste Stelle muss deshalb nachvollziehbar darlegen, welche öffentlichen oder privaten Belange durch die Einsicht in angeforderte Akten berührt sind und warum diese nicht herausgegeben werden können. Eine substantiierte Begründung der ablehnenden Entscheidung ist auch unentbehrliche Grundlage für eine wirksame verfassungsgerichtliche Kontrolle (Urteil vom 14. Juli 2010, a. a. O.).

Diese Begründungsanforderungen müssten auch für ablehnende Entscheidungen unter entsprechender Anwendung des Art. 49a Abs. 2 VvB gelten, also auch für die Frage, ob Angaben i. S. von Art. 49a Abs. 2 VvB - insbesondere Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse - vertraulich oder geheimhaltungsbedürftig sind. Der Umstand, dass eine Einsicht in Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse enthaltende Akten nach Art. 49a VvB ohne weitere Abwägung nur unter den Bedingungen eines vertraulichen Datenraums stattfinden könnte, führt nicht dazu, dass an die Begründung, ob und warum es sich um solche Geheimnisse handelt, geringere Anforderungen zu stellen wären als im Rahmen einer Anwendung der Versagungsgründe in Art. 45 Abs. 2 Satz 2 VvB.

bb) Die Senatsverwaltung hat in ihrer angegriffenen Entscheidung nicht substantiiert und nachvollziehbar dargelegt, dass die drei Aufsichtsratsdokumente Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse enthalten.

Unter Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen sind alle auf ein Unternehmen bezogene Tatsachen, Umstände und Vorgänge zu verstehen, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat. Betriebsgeheimnisse umfassen im Wesentlichen technische Informationen im weitesten Sinne; Geschäftsgeheimnisse betreffen vornehmlich kaufmännisches Wissen. Darunter werden etwa Umsätze, Ertragslagen, Geschäftsbücher, Kundenlisten, Bezugsquellen, Konditionen, Marktstrategien, Unterlagen zur Kreditwürdigkeit, Kalkulationsunterlagen, Patentanmeldungen und sonstige Entwicklungs- und Forschungsprojekte gezählt, durch welche die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Betriebs maßgeblich bestimmt werden können. Die Eigenschaft als Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis erhält eine Information unter vier kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen, nämlich Unternehmensbezogenheit, fehlende Offenkundigkeit, Geheimhaltungswillen der über die Information verfügenden Stelle und ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse (vgl. BVerfGE 115, 205 <230 f.>; Kloepfer/Greve, Das Informationsfreiheitsgesetz und der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, NVwZ 2011, 577 <580>; Schoch, IFG, 2009, § 6 Rn. 40 ff. <45>; Rossi, IFG, 2006, § 6 Rn. 66, jeweils m. w. N.).

Die Erfüllung dieser Anforderungen hat der Antragsgegner in Bezug auf die fraglichen Dokumente nicht dargelegt. Seine Erwägung, die drei genannten Berichte enthielten vertrauliche Informationen der Berliner Wasserbetriebe, an deren Nichtverbreitung ein objektives Interesse des Unternehmens auch heute noch zu unterstellen sei, umschreibt lediglich abstrakt den Begriff €Betriebs- und Geschäftsgeheimnis€. Die weitere Begründung, in den Dokumenten seien €z. B. Ausführungen zu bestimmten technischen Verfahren im Bereich Abwasser dargestellt, Daten zur Personalsituation (Krankenstände, Arbeitsunfälle, Personalkosten etc.) und interne Ausführungen zu einzelnen Geschäftsgebieten enthalten€, ist zu vage, um nachvollziehen zu können, dass es sich hier tatsächlich um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse im vorstehend beschriebenen Sinn handelt. Die Inhaltsbeschreibung geht nicht über das hinaus, was die den Gegenstand des Urteils vom 14. Juli 2010 im vorangegangenen Organstreitverfahren bildenden Entscheidungen zum damaligen Akteneinsichtsgesuch der Antragstellerin enthielten. Es bleibt nach wie vor unklar, ob die erwähnten technischen Verfahren noch nicht allgemein bekannt sind. Es ist auch nicht nachvollziehbar, ob die Daten zur Personalsituation Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse darstellen, etwa weil sie individuell auf einzelne Beschäftigte bezogene Informationen oder solche Angaben enthalten, die sich nicht in schon in allgemein zugänglichen Bilanzen und Geschäftsberichten finden. Ebenso wenig wird deutlich, worum es sich bei den €internen Ausführungen zu einzelnen Geschäftsgebieten€ handelt und warum diese geheimhaltungsbedürftig sein sollen. Schließlich fehlen Ausführungen dazu, ob die fraglichen Dokumente wenigstens nach Teilschwärzung zur Einsichtnahme ohne die Bedingungen eines vertraulichen Datenraums zur Verfügung gestellt werden können, wenn nein, warum nicht.

2. Die Ablehnung der Akteneinsicht in vier Unterlagen aus dem Ordner 11 ist rechtmäßig. Insoweit steht dem Akteneinsichtsrecht schon im Ansatz entgegen, dass es sich nicht um €Akten der Verwaltung€ i. S. von Art. 45 Abs. 2 Satz 1 VvB handelt.

a) Der Begriff der Verwaltung umfasst, wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Urteil vom 14. Juli 2010 (a. a. O., Rn. 87/88) ausgeführt hat, nicht die Regierungstätigkeit. Ob der Senat von Berlin auf Regierungs- oder Verwaltungsebene tätig geworden ist, lässt sich danach nur durch eine wertende Zuordnung der in den fraglichen Akten erfassten Vorgänge feststellen. Als Regierung und nicht als Verwaltung handeln der Senat und seine Mitglieder namentlich im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren einschließlich der Vorbereitung und Initiierung von Gesetzesvorhaben. Dagegen ist die Ausführung eines vom Abgeordnetenhaus beschlossenen Gesetzes typischerweise Verwaltungshandeln. Auch wenn es möglich erscheint, dass der Senat oder eines seiner Mitglieder in Bezug auf ein Gesetz schon vor dessen Verabschiedung als Verwaltung tätig wird, bildet der Zeitpunkt des Gesetzesbeschlusses des Abgeordnetenhauses doch eine in der Regel sachgerechte und praktikable Grenze für die Unterscheidung von Regierungs- und Verwaltungstätigkeit (Urteil vom 14. Juli 2010, a. a. O.).

b) Für die fraglichen vier Dokumente aus dem Ordner 11 hat der Antragsgegner gemessen an den oben dargelegten Begründungsanforderungen nachvollziehbar und überprüfbar dargelegt, dass es sich um Regierungs- und nicht um Verwaltungsakten im vorstehend genannten Sinne handelt.

Aus der Einleitung der angegriffenen Entscheidung ergibt sich, dass die Ordner 1 bis 15 der streitgegenständlichen Akten, also auch der Ordner 11, vor der Verabschiedung des Gesetzes zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe vom 17. Mai 1999 angelegt wurden. Das geht auch aus der Beschreibung der Dokumente im besonderen Teil der Begründung (Seite 4 der angegriffenen Entscheidung) hervor. Unabhängig davon hat der Antragsgegner die Begründung seiner Entscheidung in zulässiger Weise (vgl. hierzu Urteil vom 14. Juli 2010, a. a. O., Rn. 102) nachträglich ergänzt, indem er mitgeteilt hat, dass die Senatsvorlage vom 2. Juli 1998 datiert. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ist danach davon auszugehen, dass die der Vorbereitung einer Gesetzesänderung dienenden Unterlagen den Regierungsakten zuzuordnen sind. In der Begründung der angegriffenen Entscheidung ist hierzu ausgeführt, dass die grundsätzliche Entscheidung über die Art und Weise sowie das weitere Vorgehen im Teilprivatisierungsverfahren der Berliner Wasserbetriebe auf Grundlage der Senatsvorlage getroffen worden sei. Sie führte - wie der Antragsgegner auch insoweit zulässigerweise ergänzt hat - zum Beschluss des Senats vom 7. Juli 1998, die Berliner Wasserbetriebe in einen privatrechtlichen Konzern einzubinden. Dieser Beschluss war Grundlage für den maßgeblichen Gesetzentwurf vom 5. Januar 1999 (Abghs-Drs. 13/3367).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 33 Abs. 1 und § 34 Abs. 2 VerfGHG. Nach letztgenannter Bestimmung kann der Verfassungsgerichtshof in anderen als Verfassungsbeschwerdeverfahren eine volle oder teilweise Erstattung der Auslagen anordnen. Ein solcher Ausspruch erfolgt dann, wenn besondere Billigkeitsgründe vorliegen (Urteil vom 22. November 2005 - VerfGH 53/05 - LVerfGE 16, 104 <128>). Dies ist hier in Bezug auf den Antrag zu 1 insoweit zu bejahen, als er Erfolg hat, wobei der Anteil des Obsiegens bezogen auf beide ursprünglich gestellten Anträge und damit der Umfang der Auslagenerstattung mit 30 v. H. angesetzt wird. Für den in der Hauptsache erledigten Antrag zu 2 kommt eine Auslagenerstattung nicht in Betracht, da er im Falle einer streitigen Entscheidung voraussichtlich keinen Erfolg gehabt hätte. Die Antragstellerin konnte eine vollständige Entscheidung über ihr Akteneinsichtsgesuch zu dem Zeitpunkt, als sie den vorliegenden Organstreit anhängig gemacht hat, billigerweise nicht erwarten. Insbesondere müssen Verfassungsorgane bei der Inanspruchnahme ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen auf die Interessen der anderen Verfassungsorgane Rücksicht nehmen und dürfen sie nicht missbräuchlich zu deren Lasten ausüben (vgl. Beschluss vom 27. Oktober 2008 - VerfGH 86/08 - LVerfGE 19, 39 <56> m. w. N.; zum Bundesrecht: BVerfGE 119, 96 <125>). Dies gilt auch für die gerichtliche Verfolgung von Rechten einzelner Abgeordneter als Teil eines Verfassungsorgans. Der Antragsgegner hatte die Antragstellerin auf die erforderliche zeitintensive Prüfung hingewiesen und sie gebeten mitzuteilen, welcher Aktenteil für sie von besonderem Interesse ist, um diese Akten dann vorrangig zu bearbeiten. Vor allem aber hatte er angeboten, sämtliche Akten sofort unter den Bedingungen eines vertraulichen Datenraumes einzusehen, und die Antragstellerin damit in den Stand versetzt, sich selbst ein vollständiges Bild vom Inhalt der Akten zu machen. Hierauf ist die Antragstellerin nicht eingegangen.

Die Entscheidung ist einstimmig ergangen.

Mit dieser Entscheidung ist das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof abgeschlossen.






VerfGH des Landes Berlin:
Urteil v. 20.12.2011
Az: 159/10


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