Bundespatentgericht:
Beschluss vom 12. Mai 2004
Aktenzeichen: 5 W (pat) 426/02

(BPatG: Beschluss v. 12.05.2004, Az.: 5 W (pat) 426/02)

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts - Gebrauchsmusterabteilung I - vom 17. April 2002 aufgehoben.

Das Gebrauchsmuster 299 08 224 wird gelöscht.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt die Antragsgegnerin.

Gründe

I Die Antragsgegnerin ist Inhaberin des deutschen Gebrauchsmusters 299 08 224 mit der Bezeichnung "Sicherheitsnetzstecker". Es ist am 7. Mai 1999 angemeldet und am 26. August 1999 in das Register eingetragen worden.

Der Eintragung liegt der folgende, einzige Schutzanspruch zugrunde:

Dreipoliger Sicherheitsnetzstecker, mit einem positiven und einem negativen Anschluss (22, 23) und einem zusätzlichen Erdungsmessingblech (24) mit einer durchgehenden Perforation (242), bei dem dann, wenn der Stecker in eine Steckdose eingesetzt wird, ein Erdungsanschluss der Steckdose, falls vorhanden, in den Stecker eingeführt werden kann, gekennzeichnet durchein Kunststoff-Innenkastenmodell (2) mit einem vorstehenden Abschnitt (20) an seiner Kante, an dem ein gebogener Abschnitt (241) des Erdungsmessingblechs (24) einschnappt, wobei der vorstehende Abschnitt (20) die Form eines flachen Bleches ohne irgendwelche angehobenen Seitenkanten besitzt.

Die Antragstellerin hat am 25. Oktober 2000 beim Deutschen Patent- und Markenamt die Löschung des Streitgebrauchsmusters beantragt. Sie macht geltend, dem Gebrauchsmustergegenstand fehle es im Hinblick auf den in der Streitgebrauchsmusterschrift erwähnten, druckschriftlich nicht belegten Stand der Technik an dem erforderlichen erfinderischen Schritt. Die Antragsstellerin macht ferner geltend, der Gegenstand des angegriffenen Gebrauchsmusters sei offenkundig vorbenutzt worden und daher nicht neu. Als Beleg hat sie Muster der angeblich vorbenutzten Steckerbrücke sowie folgende Unterlagen eingereicht:

- Kopie eines Lieferscheins der Firma PGR vom 2. Dezember 1997, in welchem die Lieferung von ... Stück einer Steckerbrücke - (ins. spina schuko doppio cont. terra N5002000) des Typs PFT 480 von Turin (I) nach Bolgare (I) verbrieft ist,

- Konstruktionszeichnung der Firma PGR vom 27. Dezember 1996 betreffend eine Streckerbrücke mit der Typenbezeichnung PFT 480-01 mit nachträglichen Änderungen vom Oktober 1999,

- eidesstattliche Versicherung der Frau Maria Grazia Perucca, Via Fermi 13, 24031 Almenno S. S. (Bg), Italien, vom 20. Oktober 2000.

In der mündlichen Verhandlung vor der Gebrauchsmusterabteilung I des Deutschen Patent- und Markenamts am 17. April 2002 hat die Antragstellerin geltend gemacht, es läge für den angeblich vorbenutzten Stecker eine - VDE-Zulassung aus dem Jahre 1996 vor. Die Antragstellerin hat ferner zum Stand der Technik auf die - deutsche Patentschrift 36 40 914 [= D1]

verwiesen. Aus dieser Druckschrift sei ihrer Meinung nach der grundlegende Aufbau des Gegenstandes des Streitgebrauchsmusters bekannt.

Die Antragsgegnerin hat dem Löschungsantrag widersprochen.

Durch Beschluss vom 17. April 2002 hat die Gebrauchsmusterabteilung den Löschungsantrag zurückgewiesen.

Zur Begründung ist ausgeführt, dass offenkundige Vorbenutzungshandlungen jedenfalls im Geltungsbereich des Gebrauchsmustergesetzes (§ 3 Abs 1 Satz 2 GebrMG) weder substantiiert vorgetragen noch unter Beweis gestellt worden seien. In der Konstruktionszeichnung der Firma PGR könne keine die Rechtswirksamkeit des Streitgebrauchsmusters in Frage stellende Druckschrift gesehen werden. Die Behauptung der Antragstellerin, für den angeblich vorbenutzten Stecker läge eine VDE-Zulassung aus dem Jahre 1996 vor, könne nicht berücksichtigt werden (§ 296 Abs 1 und 2 ZPO). Auch fehle diesbezüglich ein substantiierter Vortrag. Insbesondere seien keine schriftlichen Belege eingereicht worden. Schließlich könne auch die Druckschrift D1 nicht zur Löschung des Streitgebrauchsmusters führen. Der Gegenstand des eingetragenen Schutzanspruchs sei gegenüber diesem Stand der Technik neu. Auch liege ihm ein erfinderischer Schritt zugrunde.

Die Antragstellerin hat gegen den Beschluss Beschwerde eingelegt.

Zur Begründung macht sie geltend, der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters sei am Anmeldetag durch Vorbenutzung, und zwar im Geltungsbereich des Gebrauchsmusters, vorbekannt gewesen und werde im übrigen durch die Druckschrift D1 vorweggenommen.

Die Antragsstellerin beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Gebrauchsmuster zu löschen.

Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie tritt dem Vorbringen der Antragstellerin entgegen.

II Die zulässige Beschwerde ist begründet. Denn der Löschungsantrag ist begründet. Der geltend gemachte Löschungsanspruch mangelnder Schutzfähigkeit (§ 15 Abs 1 Nr 1 GebrMG) ist gegeben. Denn nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung erweist sich der Gegenstand des angegriffenen Gebrauchsmusters als nicht neu (§§ 1, 3 GebrMG).

1.) Der verteidigte, einzige Schutzanspruch entspricht dem ursprünglich eingereichten, der Eintragung zugrunde liegenden Schutzanspruch. Er ist deshalb zulässig.

2.) Das Streitgebrauchsmuster geht im Oberbegriff seines Schutzanspruchs von einem bekannten - druckschriftlich jedoch nicht belegten - dreipoligen Sicherheitsnetzstecker aus, welcher über einen positiven und einen negativen Anschluss (22, 23) sowie ein sog. Erdungsmessingblech (24) mit einer durchgehenden Perforation (242) verfügt, in welche, wenn der Stecker in eine Steckdose eingesetzt wird, ein Erdungsanschluss der Steckdose, sofern vorhanden, eingeführt werden kann.

Nach den Angaben in der Beschreibungseinleitung werden bei der Herstellung dieses bekannten Sicherheitsnetzsteckers zunächst die Anschlussstifte (22, 23) in einer Gießform ausgerichtet und sodann mit Kunststoff umspritzt, wodurch man eine Steckerbrücke (2) ("Kunststoff-Innenkastenmodell") erhält, nämlich einen Kunststoffkörper (35) mit den beiden darin eingegossenen Anschlussstiften (S 1, le Abs bis S 2, 3. Abs iVm den Fig 3 und 6 bis 8). In die Steckerbrücke (2) wird das Erdungsblech (24) eingeschoben und verrastet. Zur Fertigstellung des Sicherheitsnetzsteckers wird die Steckerbrücke (2) zusammen mit dem Erdungsblech (24) in eine weitere Gießform eingesetzt und mit Kunststoff umspritzt.

Die Gebrauchsmusterinhaberin sieht es bei dem bekannten Sicherheitsnetzstecker als nachteilig an, dass sich im unteren, nach vorne ragenden Bereich des Kunststoffkörpers (35), der von dem gebogenen Abschnitt (241) des Erdungsblechs (24) umgriffen wird, zwei überstehende Winkel (201) befinden (vgl Fig 3), welche beim Umspritzen der Steckerbrücke (2) mit Kunststoff (5) als Hindernisse wirken, so dass die Gießform im Bereich der Winkel (201) nicht vollständig mit Kunststoff (5) ausgefüllt wird (vgl Fig 6). Dies hat zur Folge, dass an der Vorderseite des fertigen Steckers gewisse Unregelmäßigkeiten ("Verzögerungseffekt", "Schweißlinie") in der ansonsten glatten Oberfläche auftreten.

Vor diesem Hintergrund liegt dem Gebrauchsmustergegenstand als technisches Problem die Aufgabe zugrunde, die Nachteile des Standes der Technik zu beseitigen und einen verbesserten dreipoligen Netzstecker zu schaffen.

Diese Aufgabe wird bei einem gattungsgemäßen Sicherheitsnetzstecker durch die im kennzeichnenden Teil des verteidigten Schutzanspruchs aufgeführten Merkmale gelöst. Denn dadurch, dass - der vorstehende Abschnitt (20) der Steckerbrücke (2), an welchem der gebogene Abschnitt (241) des Erdungsmessingbleches (24) einschnappt, die Form eines flachen Bleches ohne irgendwelche angehobenen Seitenkanten besitzt, werden die vorstehenden Winkel, die den Fluss des Kunststoffmaterials beim Umspritzen der Steckerbrücke wie beim Stand der Technik behindern könnten, vermieden.

3.) Es kann dahinstehen, ob der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters im Geltungsbereich des Gebrauchsmustergesetzes offenkundig vorbenutzt worden ist. Denn es fehlt diesem Gegenstand bereits angesichts des im Verfahren behandelten druckschriftlichen Standes der Technik die erforderliche Neuheit. Der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters und der Gegenstand, der sich dem Fachmann bei aufmerksamer Durchsicht der Entgegenhaltung D1 erschließt, erweisen sich als identisch.

Aus der Entgegenhaltung D1 (vgl die Fig 1a und 3 sowie die Beschreibung Sp 2, Z 41 bis Sp 3, Z 11 sowie Sp 4, Z 24 bis 35) ist ein dreipoliger Sicherheitsnetzstecker (Schutzkontaktstecker 3) bekannt, welcher einen positiven und einen negativen Anschluss (Kontaktstifte 15) sowie ein zusätzliches, nicht bezeichnetes Erdungsblech mit durchgehender Perforation zur Aufnahme des Erdungsanschlusses einer Steckdose aufweist und insoweit mit dem Gegenstand gemäß dem Oberbegriff des Schutzanspruchs übereinstimmt.

Aus welchem Material das Erdungsblech des bekannten Sicherheitsnetzsteckers besteht, geht aus der D1 nicht hervor. Einer entsprechenden Angabe in der Entgegenhaltung bedarf es freilich nicht. Denn der hier zuständige Durchschnittsfachmann ist ein berufserfahrener, mit der Herstellung von Sicherheitsnetzsteckern befasster, praxisorientierter Fachhochschulingenieur der Fachrichtung Elektrotechnik. Diesem Fachmann ist selbstverständlich bekannt, dass Messing aufgrund seiner vorteilhaften mechanischen und elektrischen Eigenschaften das bevorzugte Material für die stark beanspruchten Kontakte von Sicherheitsnetzsteckern ist. Aufgrund dieses Kenntnisstandes liest der Fachmann bei der Lektüre der Entgegenhaltung in Gedanken ohne weiteres mit, dass auch das Erdungsblech des dort beschriebenen Sicherheitsnetzsteckers aus Messing gefertigt und insofern als "Erdungsmessingblech" zu bezeichnen ist. Dies wurde von der Antragsgegnerin im übrigen nicht bestritten.

Was nun die Merkmale des kennzeichnenden Teils des Schutzanspruchs des Streitgebrauchsmusters anbelangt, so lässt die Figur 1 der Druckschrift D1 - wie im folgenden näher erörtert wird - zwar nicht erkennen, ob die bekannte Steckerbrücke (U-förmiges Formteil 10) unterhalb des gebogenen, an der Stelle des Bezugszeichens 14 befindlichen Abschnitts des Erdungsbleches einen vorstehenden Abschnitt aufweist oder nicht. Aus dieser Figur geht jedoch zweifelsfrei hervor, dass der besagte Abschnitt der Steckerbrücke (10) jedenfalls keine angehobenen Seitenkanten besitzt, wie dies insoweit der Lehre des verteidigten Schutzanspruchs entspricht.

Der Auffassung der Antragsgegnerin, die angehobenen Seitenkanten könnten bei einem für 220 V Netzspannung ausgelegten Stecker schon aus Sicherheitsgründen nicht weggelassen werden, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Denn derartige Vorsprünge dürften sich allenfalls bei der Montage des Steckers als hilfreich erweisen, weil sie dem Erdungsblech beim Aufschieben auf die Steckerbrücke eine gewisse seitliche Führung verleihen. Für den fertig vergossenen Stecker sind diese Vorsprünge, zumal sie dann als solche innerhalb der Vergussmasse nicht mehr in Erscheinung treten, auch hinsichtlich der Sicherheit des Steckers ohne jede Bedeutung.

Auch der Einwand der Antragsgegnerin, die Druckschrift D1 gebe dem Fachmann keinerlei Anhaltspunkt, dass durch das Weglassen der seitlichen Vorsprünge die sog. "Schweißlinien" verhindert werden könnten, vermag nicht zu überzeugen. Zwar trifft es zu, dass sich die Entgegenhaltung mit dieser speziellen, dem Streitgebrauchsmuster zugrunde liegenden Problematik nicht auseinandersetzt. Für die Frage der Neuheit ist dies jedoch ohne Belang. Die Neuheitsprüfung einer Vorrichtung erstreckt sich nämlich auf die Neuheit der Vorrichtung als solche, auf ihre Wirkungen kommt es nicht an. Eine Vorrichtung wird - wie im vorliegenden Fall - durch eine öffentlich Druckschrift bei Übereinstimmung in den konstruktiven Merkmalen auch dann neuheitsschädlich vorweggenommen, wenn der Vorrichtung dort andere Wirkungen zugeschrieben sind (vgl hierzu für Stofferfindungen BGH GRUR 1972, 541, 544, re Sp, 2. Abs - Imidazoline).

Die Antragsgegnerin macht schließlich vergeblich geltend, die Figur 1 der Druckschrift D1 sei zumindest in Originalgröße derart undeutlich, dass ihr keine klaren Hinweise auf die Lehre des Streitgebrauchsmusters entnommen werden könnten. Dieser Auffassung ist zwar insofern beizupflichten, als aus der besagten Figur - wie eingangs bereits angedeutet wurde - nicht zweifelsfrei hervorgeht, ob die Steckerbrücke unterhalb des gebogenen Abschnitts des Erdungsbleches einen vorstehenden Abschnitt aufweist oder nicht. Jedoch erkennt der Fachmann ohne weiteres, dass der gebogene Abschnitt an der fraglichen Stelle nicht von der Steckerbrücke beabstandet sein kann, sondern an einem vorstehenden, in Form eines flachen Bleches ausgebildeten Abschnitt der Steckerbrücke bündig anliegen muss, da sich andernfalls bei der bekanntermaßen mit hoher Taktfrequenz erfolgenden maschinellen Herstellung derartiger Steckerbrücken fertigungstechnische Probleme ergeben würden. Dann nämlich fände das Erdungsblech beim Aufschieben auf die Steckerbrücke in seinem gebogenen Abschnitt keinen definierten Anschlag vor, was einen hohen Ausschuss sowie Fertigungstoleranzen zur Folge hätte, die schon aus Sicherheitsgründen nicht akzeptiert werden können.

4.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 18 Abs. 2 Satz 2 GebrMG iVm § 84 Abs. 2 PatG und § 91 Abs. 1 ZPO. Dass die Billigkeit eine andere Kostenentscheidung erfordert, ist nicht ersichtlich.

Goebel Dr. Gottschalk Dr. Häußler Be






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Az: 5 W (pat) 426/02


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