Landesarbeitsgericht Hamm:
Beschluss vom 16. September 2011
Aktenzeichen: 10 TaBV 17/11

(LAG Hamm: Beschluss v. 16.09.2011, Az.: 10 TaBV 17/11)

Tenor

Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 26.01.2011 - 6 BV 46/10 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Beteiligten streiten über die Ersetzung der Zustimmung des beteiligten Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3..

Die antragstellende Arbeitgeberin betreibt ein Unternehmen der Möbelproduktion mit ca. 330 Mitarbeitern. In ihrem Betrieb ist ein neunköpfiger Betriebsrat, der Beteiligte zu 2., gebildet.

Die am 21.09.1961 geborene Beteiligte zu 3. ist verheiratet und laut Lohnsteuerkarte keinen Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtet. Seit dem 01.04.2000 ist sie aufgrund eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 09.12.1999 (Bl. 92 ff. d. A.) bei der Arbeitgeberin als Organisationsprogrammiererin zu einem monatlichen Bruttoverdienst von zuletzt 4.740,00 € beschäftigt.

Bei ihrer Einstellung unterzeichnete sie am 03.04.2000 eine Haftungserklärung für PC-Anwender, in der sie sich unter anderem verpflichtete, die ihr zum Zwecke ihrer arbeitsvertraglichen Aufgabenerfüllung überlassene Hardware und Software ausschließlich zur Erfüllung ihrer arbeitsvertraglich geregelten Aufgaben zu verwenden (Bl. 15 d. A.). Ferner unterzeichnete sie eine Erklärung über die Verpflichtung zur Wahrung des Datengeheimnisses gemäß § 5 BDSG (Bl. 16 d. A.).

Als Organisationsprogrammiererin hat die Beteiligte zu 3. die Möglichkeit, auf die Programme der gesamten EDV im Betrieb der Arbeitgeberin Zugriff zu nehmen. Sie hat insbesondere auch die Möglichkeit, Zugriff auf die Dateien des Lohn- und Gehaltsabrechnungsprogramms der Arbeitgeberin zu nehmen, mit dem diese bis auf die Mitglieder der Geschäftsleitung die Verdienste aller Lohn- und Gehaltsempfänger, darunter auch leitende Angestellte, abrechnet. In den Lohn- und Gehaltsdaten sind unter anderem folgende Daten gespeichert:

" - Kontendaten insbesondere Bankverbindungen

Steuermerkmale

Familienstand

Schwerbehindertendaten

Pfändungen

Abrechnungen von einem Teil der leitenden Angestellten

etc."

Seit 2002 ist die Beteiligte zu 3. Mitglied des im Betrieb der Arbeitgeberin gebildeten Betriebsrats. Nach der Betriebsratsneuwahl im Frühjahr 2010 wurde sie zur Betriebsratsvorsitzenden gewählt.

Im Jahre 2002 wurde zwischen der IG Metall und der Arbeitgeberin ein Standort-Sicherungs-Tarifvertrag abgeschlossen. Er sah eine Verringerung der Wochenarbeitszeit und eine Beschäftigungssicherung vor, galt allerdings nur für ein Jahr. Danach wurden jeweils einzelvertragliche Vereinbarungen mit den Beschäftigten abgeschlossen, die einen Verzicht auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld vorsahen.

Im Jahre 2004 trat die Arbeitgeberin aus dem Arbeitgeberverband aus. Seit dem Jahre 2005 wurden wiederum einzelvertragliche Vereinbarungen mit den Beschäftigten abgeschlossen, die einen Verzicht auf 10 % des monatlichen Entgelts vorsahen. Diese Vereinbarungen waren jeweils auf ein Kalenderjahr bezogen und wegen der Nachwirkung des Tarifvertrages vielfach rechtswidrig.

Im Jahre 2010 weigerte sich die Beteiligte zu 3. neben anderen Beschäftigten der Arbeitgeberin, eine solche Vereinbarung zu unterschreiben. Gleichwohl kürzte die Arbeitgeberin das Gehalt der Klägerin von 4.740,00 € auf 3.813,75 € brutto monatlich. Die Beteiligte zu 3. machte daraufhin die Differenzbeträge in Höhe von monatlich 926,25 € brutto klageweise beim Arbeitsgericht Bielefeld - 3 Ca 1373/10 - geltend.

Nach der Betriebsratswahl im März 2010 kam es zum Streit zwischen dem Betriebsrat und der Arbeitgeberin über die Freistellung eines Betriebsratsmitglieds nach § 38 BetrVG. Auf den diesbezüglich geführten Schriftverkehr zwischen dem Betriebsrat und der Arbeitgeberin (Bl. 97 ff. d. A.) wird Bezug genommen. Aufgrund eines von der Arbeitgeberin eingeleiteten Einigungsstellenverfahrens verständigten sich die Betriebsparteien in der Einigungsstellensitzung vom 31.08.2010 darauf, dass die Arbeitgeberin der vom Betriebsrat beschlossenen Freistellung des Betriebsratsmitglieds M3 L3 zustimmte und die Beteiligte zu 3. als Betriebsratsvorsitzende zur Wahrnehmung ihrer Betriebsratsaufgaben pauschal jeweils für Donnerstag und Freitag jeder Woche freigestellt wurde.

In einer Organisationsanweisung des EDV-Leiters der Arbeitgeberin, Herrn W1, dem Vorgesetzten der Beteiligten zu 3., vom 20.08.2009 (Bl. 134 d. A.) ist folgendes geregelt:

"1. Es dürfen keine IT-Aufträge oder Fehlermeldungen ohne schriftlichen Auftrag bearbeitet werden.

2. IT-Aufträge müssen generell von der IT-Leitung freigegeben werden. Ausgenommen sind Fehlermeldungen die den Arbeitsablauf wesentlich behindern. Diese Ausnahmen müssen nachträglich zur Freigabe vorgelegt werden.

3. Die Aufträge über Fehlermeldungen müssen nach Erledigung um folgende Daten ergänzt werden.

Ursache

Verantwortung für die Ursache:

Gebrauchte Arbeitszeit in Stunden (XX,X) Stunden

Wiederholungsfehler: JA/Nein

4. Da die IT-Abteilung für alle möglichen/unmöglichen Ausreden verantwortlich gemacht wird, bin ich leider zu folgender Vorgehensweise gezwungen. Wer sich nicht an den Ablauf hält bekommt eine Abmahnung."

Die Beteiligte zu 3. unterrichtete daraufhin die Arbeitgeberin über die von ihr durchgeführten IT-Aufgaben, über die kein schriftlicher Auftrag vorlag, in unregelmäßigen Abständen durch E-Mail. Auf die E-Mails der Beteiligten zu 3. vom 12.01.2010, 03.02.2010, 15.02.2010 und 24.06.2010 (Bl. 152 ff. d. A.) wird Bezug genommen.

Am 31.08.2010 wertete der Systemadministrator der Arbeitgeberin, Herr O1, um 17.59 Uhr auf Veranlassung der Arbeitgeberin das EDV-System daraufhin aus, ob und wann die Beteiligte zu 3. auf die Abrechnungsdaten des Lohn- und Gehaltsabrechnungsprogramms Zugriff genommen hat. Dabei wurde für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis 30.08.2010 eine Vielzahl von Zugriffen der Beteiligten zu 3. auf die vorhandenen Daten festgestellt (Bl. 17, 18 d. A.). Zu welchem Zeitpunkt und aus welchen Gründen diese Auswertung von der Arbeitgeberin veranlasst wurde und wann sie von der Auswertung Kenntnis erhalten hat, ist zwischen den Beteiligten streitig. Insbesondere streiten die Beteiligten darüber, ob die Beteiligte zu 3. Zugriff auf das Lohn- und Gehaltsabrechnungsprogramm nur mit ausdrücklicher vorheriger Zustimmung des EDV-Leiters W1 nehmen durfte.

Am 03.09.2010 führte der EDV-Leiter W1 mit der Beteiligten zu 3. gegen 8.15 Uhr ein Personalgespräch, in dem er diese mit dem Vorwurf konfrontierte, dass sie unbefugt auf die Lohn- und Gehaltsabrechnungen Zugriff genommen habe. Die Beteiligte zu 3. ließ sich dahin ein, dass sie aus der Gehaltsdatei lediglich ihre eigene Abrechnung eingesehen habe; in die Lohnabrechnungsdaten habe sie Einsicht genommen, da es wiederholt Differenzen in der Prämienermittlung gegeben habe.

In einem weiteren Personalgespräch vom 06.09.2010 erklärte die Beteiligte zu 3., sich nichts vorzuwerfen zu haben und stimmte einer von der Arbeitgeberin vorgeschlagenen einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zu.

Daraufhin bat die Arbeitgeberin den Betriebsrat noch am 06.09.2010 um Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3.. Das Anhörungsschreiben vom 06.09.2010 (Bl. 10 ff. d. A.), auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, wurde um 12.45 Uhr dem stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden D1 übergeben. Mit Beschluss vom 09.09.2010, der Arbeitgeberin an diesem Tag um 14.15 Uhr zugegangen, verweigerte der Betriebsrat seine Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3..

Die Arbeitgeberin leitete daraufhin am 10.09.2010 das vorliegende Beschlussverfahren beim Arbeitsgericht ein.

Sie hat die Auffassung vertreten, die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3. sei zu ersetzen. Das Vertrauensverhältnis der Arbeitgeberin zur Beteiligten zu 3. sei vollends zerstört. Die Beteiligte zu 3. habe nämlich unbefugt geschützte persönliche Daten der Arbeitnehmer abgerufen und damit gegen § 5 BDSG verstoßen und eine Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 43 Abs. 2 Nr. 3 BDSG begangen.

Sie habe als Organisationsprogrammiererin zwar die tatsächliche Möglichkeit gehabt, auf sämtliche Daten in der EDV Zugriff zu nehmen. Tatsächlich seien diese Zugriffsrechte jedoch eingeschränkt gewesen. Zwar hätten die Organisationsprogrammierer die Möglichkeit, bei auftretenden Stopps oder Fehler eine schnelle Überprüfung und Beseitigung vornehmen zu können, das heiße aber nicht, dass sie damit auch ein uneingeschränktes Einsichtsrecht hätten. Dies ergebe sich bereits aus der Organisationsanweisung vom 20.08.2009. Insoweit hat die Arbeitgeberin behauptet, Zugriff auf die Lohn- und Gehaltsdaten habe die Beteiligte zu 3. auch zur Erledigung von Arbeitsaufgaben nur mit ausdrücklicher vorheriger Zustimmung des EDV-Leiters W1 vornehmen dürfen.

Die Arbeitgeberin hat weiter behauptet, die Geschäftsleitung sei auf das Vorgehen der Beteiligten zu 3. aufmerksam geworden, weil vor einiger Zeit Mitarbeiter ihre Verwunderung darüber zum Ausdruck gebracht hätten, dass die Beteiligte zu 3. Wissen über personenbezogene Daten habe, welches sie nicht im Rahmen ihrer Betriebsratstätigkeit zur Kenntnis habe nehmen können, da dem Betriebsrat diese Daten noch nicht bekannt gewesen seien. Nähere Einzelheiten hierzu wolle sie nicht bekannt geben. Aus diesem Grunde habe der EDV-Leiter W1 bereits am 26.08.2010 dem Systemadministrator O1 den Auftrag erteilt, zu überprüfen, ob feststellbar sei, dass die Beteiligte zu 3. in der Vergangenheit Einsicht in Lohn- und Gehaltslisten genommen habe. Mit dem Einigungsstellenverfahren über die Freistellung eines Betriebsratsmitglieds habe dieser Rechercheauftrag nichts zu tun.

Die Auswertung des Rechercheauftrags sei dem EDV-Leiter W1 durch den Personalleiter H1 am 01.09.2010 übergeben worden. Nachdem dieser die wiederholten Zugriffe der Beteiligten zu 3. auf die Lohn- und Gehaltsdaten festgestellt habe, habe er den Geschäftsführer R1 informiert.

Durch den vielfachen Zugriff auf das Lohn- und Gehaltsabrechnungsprogramm habe die Beteiligte zu 3. ihre Position als Organisationsprogrammiererin massiv missbraucht und zumindest in ordnungswidriger, wenn nicht gar strafrechtlicher Weise gegen Bestimmungen des Datenschutzes und gegen ihre arbeitsvertraglichen Verpflichtungen verstoßen. In der Zeit vom 01.01.2010 bis zum 31.08.2010 habe die Beteiligte zu 3. 21 Mal in die Nettolohnabrechnungen der Angestellten und 39 Mal in die Nettolohnabrechnungen der gewerblichen Mitarbeiter geschaut. Hierzu sei sie nicht berechtigt gewesen.

Ihre Rechtfertigungsversuche seien nicht glaubhaft. Absurd sei, dass sie lediglich in ihre eigene Gehaltsabrechnung geschaut habe, dies mache keinen Sinn, da sie diese monatlich in Papierform erhalte.

Auch zur Klärung von Prämienlohndifferenzen habe keine Einsicht in die entsprechenden Lohnabrechnungsdaten genommen werden müssen. Selbst wenn derartige Differenzen bestanden hätten, hätten diese nicht durch Einsichtnahme in das Lohn- und Gehaltsabrechnungsprogramm geklärt werden können. Diese Erfassung der Lohndaten, insbesondere der Mengenprämie, geschehe in Programmen, die bei der Arbeitgeberin selbst programmiert worden seien. Nach Erfassung dieser Daten ermittle das Programm je Prämiengruppe den monatlichen Mengenprämienfaktor. Die anderen Prämienarbeiten (Prämienausgangslohn, Qualitätsprämie und die Mitarbeiterbeurteilung) seien im Lohn- und Gehaltsabrechnungsprogramm hinterlegt und müssten nicht in den Betrieben erfasst werden. Die Ermittlung des Faktors für die Mengenprämie erfolge nicht im Lohn- und Gehaltsabrechnungsprogramm der Arbeitgeberin, sondern in eigenen Programmen. Nur in diesen eigenen Programmen hätten eventuelle Fehler gesucht werden müssen.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3. gemäß § 103 BetrVG zu ersetzen.

Der Betriebsrat und die Beteiligte zu 3. haben beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Sie haben die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung liege nicht vor. Die Beteiligte zu 3. habe keine personenbezogenen Daten von Mitarbeitern der Arbeitgeberin zweckwidrig verwendet, sie auch nicht rechtswidrig eingesehen. Von einem Vertrauensmissbrauch könne keine Rede sein.

Soweit sie Zugriff auf die Lohn- und Gehaltsabrechnungsprogramme genommen habe, sei dies zur Aufklärung aufgetretener Prämienberechnungsdifferenzen notwendig gewesen. Dazu habe sie gelegentlich auch in die Abrechnungsdaten geschaut, um zu sehen, welcher Faktor bei der Lohnabrechnung genutzt werde; dies habe sie dann mit den Erfassungsdaten aus den eigen entwickelten Programmen verglichen. Dabei habe sie sich lediglich für diejenigen Daten interessiert, die im Zusammenhang mit den Prämienlohndifferenzen gestanden hätten. Andere aus den Lohndaten ersichtliche Daten, wie Kontendaten, Steuermerkmale, Schwerbehinderungen, Pfändungen etc., seien für sie völlig unerheblich gewesen und von ihr auch überhaupt nicht zur Kenntnis genommen worden.

Manchmal sei es vorgekommen, dass die Beteiligte zu 3. in die Lohndateien geschaut habe, wenn es darum gegangen sei, dass sie Kolleginnen und Kollegen darin unterstützt habe, ihre Entgeltansprüche zur Wahrung von Verfallfristen rechtzeitig gegenüber der Arbeitgeberin geltend zu machen. Diese Unterstützung sei Teil der Aufgabe des Betriebsrats. Der Betriebsrat habe ohnehin ein Einsichtsrecht in die Bruttolohn-Gehaltslisten gemäß § 80 Abs. 2 BetrVG. Soweit sie Zugriff auf die Lohn- und Gehaltsabrechnungsprogramme genommen habe, habe sie sich lediglich bestimmte Daten angesehen, sie habe sie anschließend nicht benutzt und schon gar nicht missbraucht.

Unzutreffend sei auch, dass ein Zugriff auf die Lohn- und Gehaltsabrechnungsprogramme zur Erledigung von Arbeitsaufgaben nur mit ausdrücklicher vorheriger Zustimmung des EDV-Leiters W1 hätte ausgeführt werden dürfen. Als Organisationsprogrammiererin habe sie Zugriff auf alle Programme gehabt. Alle Daten seien für jeden Organisationsprogrammierer frei zugänglich gewesen. Aus der Organisationsanweisung vom 20.08.2009 ergebe sich nichts anderes. Bei kleineren Problemen hätten die Organisationsprogrammierer regelmäßig zunächst versucht, das mitgeteilte Problem selbst sofort zu beheben und den Vorgang anschließend an den EDV-Leiter W1 gemeldet. Dies gelte jedenfalls für kleinere und routinemäßige Fehler, die einen maximalen Arbeitsaufwand von ca. einer Stunde erwarten ließen. Insoweit sei der EDV-Leiter W1 immer nachträglich unterrichtet worden. Der EDV-Leiter W1 habe die entsprechenden E-Mails der Beteiligten zu 3. zu keinem Zeitpunkt zum Anlass genommen, sie darauf hinzuweisen, dass sie für jeden Einzelfall vorher einen Auftrag von ihm benötige.

Selbst wenn in Einzelfällen ein Vertragsverstoß angenommen werden würde, sei dieser so geringfügig, dass er mit einer Abmahnung ausreichend geahndet werden könnte. Zukünftig würde die Beteiligte zu 3. sich entsprechend verhalten.

Zu berücksichtigen sei auch, dass die Überprüfung der Beteiligten zu 3. durch die Arbeitgeberin allein eine Retourkutsche der Arbeitgeberin wegen des in unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang stattgefundenen Einigungsstellenverfahrens hinsichtlich der Freistellung von Betriebsratsmitgliedern vorgenommen worden sei.

Durch Beschluss vom 26.01.2011 hat das Arbeitsgericht den Zustimmungsersetzungsantrag der Arbeitgeberin abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass mindestens der Verdacht bestehe, dass die Beteiligte zu 3. unbefugt personenbezogene Daten, die nicht allgemein zugänglich seien, abgerufen habe. Dies gelte insbesondere für die Einsichtnahme in die Datei der Gehaltsempfänger. Demgegenüber könne ein Verstoß gegen § 5 BDSG nicht festgestellt werden, weil die Beteiligte zu 3. keine personenbezogenen Daten gegenüber Dritten bekanntgegeben und das Datengeheimnis verletzt habe. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles sei die beabsichtigte außerordentliche Kündigung unverhältnismäßig, weil das aufgezeigte Fehlverhalten der Beteiligten zu 3.mit einer Abmahnung ausreichend hätte geahndet werden können. Ein schwerwiegender Verstoß gegen Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes könne nicht festgestellt werden. Dritte seien nicht geschädigt worden. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Beteiligte zu 3. die Daten, auf die sie Zugriff genommen habe, zur Verfolgung eigener Zwecke oder zur Schädigung Dritter habe verwenden wollen. Die Beteiligte zu 3. habe auch keine Daten manipuliert. Insoweit sei es der Arbeitgeberin zumutbar gewesen, auf ein etwaiges Fehlverhalten der Beteiligten zu 3.mit einer Abmahnung zu reagieren und sie noch einmal eindringlich auf ihre datenschutzrechtlichen Verpflichtungen hinzuweisen.

Gegen den der Arbeitgeberin am 15.02.2011 zugestellten Beschluss, auf dessen Gründe ergänzend Bezug genommen wird, hat die Arbeitgeberin am 07.03.2011 Beschwerde zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese mit dem am 11.04.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens ist die Arbeitgeberin weiter der Auffassung, die Beteiligte zu 3. habe sich eines Verstoßes gegen § 43 Abs. 2 Nr. 3 BDSG und gegen § 5 BDSG schuldig gemacht. Sie habe bereits durch die unbefugte Einsichtnahme in die Lohn- und Gehaltsabrechnungsprogramme Daten genutzt. Auch durch die bloße Einsicht in bestimmte Dateien würden personenbezogene Daten unbefugt genutzt. Ob die Beteiligte zu 3. insoweit Daten weitergegeben habe, sei unerheblich. Die Einsichtnahme in die Lohn- und Gehaltsabrechnungssoftware, die die Arbeitgeberin als Fremdprodukt benutze, sei nicht dienstlich veranlasst oder sonst zweckdienlich gewesen. Ein Zugriff auf diese Dateien sei weder zur Überprüfung der eigenen Gehaltsabrechnung noch zur Aufklärung von Prämienberechnungsdifferenzen erforderlich gewesen.

Unzutreffend sei auch, dass die Einsichtnahme in diese Dateien durch die Beteiligte zu 3. keine konkreten Auswirkungen gehabt habe. Die Beteiligte zu 3. habe aufgrund ihrer Stellung als Organisationsprogrammiererin ihre Zugriffsmöglichkeiten missbraucht und sich unrechtmäßig Kenntnisse über personenbezogene Daten anderer verschafft. Allein hierdurch sei das Vertrauensverhältnis der Arbeitgeberin zur Beteiligten zu 3. unwiederbringlich zerstört.

Die Arbeitgeberin beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 26.01.2011 - 6 BV 46/10 - abzuändern und

die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3. zu ersetzen.

Der Betriebsrat und die Beteiligte zu 3. beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie sind der Auffassung, das Arbeitsgericht habe im Ergebnis zu Recht erkannt, dass kein Sachverhalt vorliege, der eine fristlose Kündigung der Beteiligten zu 3. rechtfertigen könne.

Im Gegensatz zur Auffassung des Arbeitsgerichts habe die Beteiligte zu 3. auch nicht den Ordnungswidrigkeitentatbestand des § 43 Abs. 2 Nr. 3 BDSG verwirklicht. Woraus das Arbeitsgericht einen entsprechenden dringenden Tatverdacht herleiten wolle, ergebe sich aus dem angefochtenen Beschluss nicht. Die bloße Möglichkeit der Kenntnisnahme von bestimmten Daten sei unzureichend. Bereits erstinstanzlich sei vorgetragen worden, dass die Beteiligte zu 3. sich bestimmte Daten überhaupt nicht angesehen habe. Hierzu habe weder ein Anlass bestanden noch ein Interesse. Es gebe nicht den geringsten Beweis für das Gegenteil. Der Arbeitgeberin sei es nicht gelungen, einen Sachverhalt darzulegen und zu beweisen, der eine fristlose Kündigung rechtfertige. Auch ein dringender Tatverdacht bestehe nicht.

Die Beteiligte zu 3. habe allenfalls gelegentlich in ihre Gehaltsdateien geschaut, um festzustellen, ob der unberechtigte Abzug bei ihr wiederum vorgenommen worden sei.

Darüber hinaus sei vorgetragen worden, dass sie aus Anlass der immer wieder vorgekommenen Prämienberechnungsdifferenzen Zugriff auf die Lohnabrechnungsdateien genommen habe. Insoweit sei der Zugriff dienstlich veranlasst gewesen. Selbst wenn die Anlässe, aus denen die Beteiligte zu 3. Einsicht in die Lohn- und Gehaltsabrechnungsdateien genommen habe, für ungerechtfertigt erachtet würden, müsse berücksichtigt werden, dass die Beteiligte zu 3. seinerzeit davon ausgegangen sei, entsprechend berechtigt gewesen zu sein.

Ein etwaiges Fehlverhalten der Beteiligten zu 3. habe im vorliegenden Fall auch keine konkreten Auswirkungen gehabt. Die Beteiligte zu 3. habe keine personenbezogenen Daten bekanntgegeben. Daten seien nicht zur Verfolgung eigener Zwecke oder zur Schädigung Dritter verwendet worden. Insoweit sei nicht der geringste Umstand ersichtlich, der die Annahme rechtfertigen könnte, eine Abmahnung würde bei der Beteiligten zu 3. ihre Wirkung nicht erzielen. Die vom Arbeitsgericht durchgeführte Interessenabwägung sei nicht zu beanstanden. Die Arbeitgeberin versuche lediglich, ein geringwertiges Fehlverhalten der Beteiligten zu 3. aufzubauschen. Offenbar sei im Zusammenhang mit dem Einigungsstellenverfahren hinsichtlich der Freistellung eines Betriebsratsmitglieds nach einem Fehlverhalten der Beteiligten zu 3. gesucht worden.

Im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt der von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze ergänzend Bezug genommen.

Die zulässige Beschwerde der Arbeitgeberin ist nicht begründet.

I. Der Zustimmungsersetzungsantrag der Arbeitgeberin ist zulässig.

1. Der Antrag der Arbeitgeberin ist nach den §§ 2 a, 80 Abs. 1 ArbGG zulässig. Zwischen den Beteiligten ist eine betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheit nach § 103 Abs. 2 BetrVG streitig.

2. Die Antragsbefugnis der Arbeitgeberin und die Beteiligung des Betriebsrats sowie der Beteiligten zu 3. ergeben sich aus den §§ 10, 83 Abs. 3 ArbGG i.V.m. § 103 Abs. 2 Satz 2 BetrVG.

II. Der Zustimmungsersetzungsantrag der Arbeitgeberin ist aber unbegründet.

Der Betriebsrat hat die von der Arbeitgeberin beantragte Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3. zu Recht verweigert. Dies hat das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Beschluss zu Recht festgestellt.

Nach § 103 BetrVG bedarf die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats der Zustimmung des Betriebsrats. Nach § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG i.V.m. § 15 Abs. 1 KSchG hat der Arbeitgeber dann einen Anspruch auf Ersetzung der Zustimmung, wenn die beabsichtigte außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles gerechtfertigt ist. Dies setzt einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB voraus. Es müssen Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann (BAG 22.08.1974 - 2 ABR 17/74 - AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 1; BAG 10.02.1999 - AP KSchG 1969 § 15 Nr. 42; BAG 20.01.2000 - 2 ABR 40/99 - AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 40; BAG 16.12.2004 - 2 ABR 7/04 - AP BGB § 626 Nr. 191; BAG 23.10.2008 - 2 ABR 59/07 - AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 58 m.w.N.).

Auch nach der Überzeugung der Beschwerdekammer sind die Voraussetzungen für die gerichtliche Zustimmungsersetzung nicht gegeben. Der Arbeitgeberin steht ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB für die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beteiligten zu 3. nicht zur Seite.

1. In der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte ist anerkannt, dass Pflichtwidrigkeiten im Zusammenhang mit der Anwendung von Computerprogrammen und der Behandlung von betrieblichen Dateien grundsätzlich als Kündigungsgrund geeignet ist. Insbesondere die missbräuchliche Nutzung von Zugriffs- und Kontrollrechten durch EDV-Mitarbeiter kann grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen (BAG 25.11.1981 - 7 AZR 463/79 - AuA 2006, 745; BAG 24.03.2011 - 2 AZR 282/10 - DB 2011, 1865; LAG München 08.07.2009 - AuA 2009, 611 = CR 2010, 269; LAG Köln 14.05.2010 - 4 Sa 1257/09 - NZA-RR 2010, 579; KR/Griebeling, 9. Aufl., § 1 KSchG Rn. 496; ErfK/Müller-Glöge, 11. Aufl., § 626 BGB Rn. 100 m.w.N.).

2. Aufgrund des Vorbringens der Arbeitgeberin konnte bereits nicht festgestellt werden, dass die Beteiligte zu 3. sich einer erheblichen Pflichtverletzung, die unter Umständen zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung hätte führen können, schuldig gemacht hat. Die Beteiligte zu 3. hat ihre Stellung als Organisationsprogrammiererin nicht rechtswidrig missbraucht, insbesondere hat sie keinen Verstoß gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen - § 5 Satz 1, § 43 Abs. 2 Nr. 3 BDSG - begangen. Auch ein Verstoß gegen die Organisationsanweisung vom 20.08.2009 oder gegen sonstige ausdrückliche Weisungen der Arbeitgeberin kann der Beteiligten zu 3. nach dem Vorbringen der Arbeitgeberin nicht vorgeworfen werden.

a) Nach § 5 Satz 1 BDSG ist es den bei der Datenverarbeitung beschäftigten Personen untersagt, personenbezogene Daten unbefugt zu erheben, zu verarbeiten oder zu nutzen. Dementsprechend handelt nach § 43 Abs. 2 ordnungswidrig unter anderem, wer vorsätzlich oder fahrlässig unbefugt personenbezogene Daten, die nicht allgemein zugänglich sind, erhebt oder verarbeitet, zum Abruf mittels automatisierten Verfahrens bereithält, abruft oder sich oder einem anderen aus automatisierten Verarbeitungen oder nicht automatisierten Dateien verschafft. Durch die Haftungserklärung für PC-Anwender, die die Beteiligte zu 3. am 03.04.2000 unterzeichnet hat, war diese darüber hinaus verpflichtet, die ihr zum Zwecke ihrer arbeitsvertraglichen Aufgabenerfüllung überlassene Computer-Hardware und-Software (Programme etc.) ausschließlich zur Erfüllung ihrer arbeitsvertraglich geregelten Aufgaben zu verwenden.

bb) Ein Verstoß gegen diese Bestimmungen kann der Beteiligten zu 3. nicht vorgeworfen werden.

Zwar gehörte die Beteiligte zu 3. zu den bei der Datenverarbeitung beschäftigten Personen. Die in den Lohn- und Abrechnungsprogrammen der Arbeitgeberin enthaltenen Daten der Belegschaft stellen auch personenbezogene Daten im Sinne des § 3 Abs. 1 BDSG, nämlich Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person, dar.

Zwischen den Beteiligten ist auch unstreitig, dass die Beteiligte zu 3. in der Zeit vom 01.01.2010 bis zum 31.08.2010 vielfach auf das Lohn- und Abrechnungsprogramm Zugriff genommen hat. Ob die Beteiligte zu 3. jedoch hierdurch personenbezogene Daten erhoben, verarbeitet oder genutzt (§ 5 Satz 1 BDSG) oder abgerufen (§ 43 Abs. 2 Nr. 3 BDSG) hat, war schon zweifelhaft.

Dass die Beteiligte zu 3. hierbei personenbezogene Daten verarbeitet hat, ergibt sich bereits aus dem Vorbringen der Arbeitgeberin nicht. Verarbeiten ist das Speichern, Verändern, Übermitteln, Sperren und Löschen personenbezogener Daten, § 3 Abs. 4 BDSG. Eine Verarbeitung von Daten in diesem Sinne durch die Beteiligte zu 3. ist von der Arbeitgeberin nicht vorgetragen worden.

Ebenso wie die Verarbeitung von Daten ist die Erhebung oder die Nutzung von Daten in § 3 Abs. 3 bzw. § 3 Abs. 5 BDSG gesetzlich definiert. Erheben ist das Beschaffen von Daten über den Betroffenen, Nutzen jede Verwendung personenbezogener Daten, soweit es sich nicht um Verarbeitung handelt. Die Erhebung von Daten im Sinne des § 3 Abs. 3 BDSG erfordert jedoch ein zielgerichtetes Beschaffen der Daten, ein Nutzen von gespeicherten Daten liegt nur dann vor, wenn die Daten mit einer bestimmten Zweckbestimmung ausgewertet, zusammengestellt, abgerufen oder auch nur ansonsten zielgerichtet zur Kenntnis genommen werden sollen (Gola/Schomerus, BDSG, 10. Aufl., § 3 Rn. 24 und 42; Däubler/Klebe/Wedde/Weichert, BDSG, 3. Aufl., § 3 Rn. 30 und 45). Ob die Beteiligte zu 3. immer dann, wenn sie auf das Lohn- und Abrechnungsprogramm Zugriff genommen hat, bestimmte in diesem Lohn- und Gehaltsabrechnungsprogramm enthaltene Daten bestimmter Arbeitnehmer zielgerichtet zur Kenntnis genommen und sich zielgerichtet beschafft hat, erscheint nach dem Vorbringen der Arbeitgeberin höchst zweifelhaft. Ebenso erscheint zweifelhaft, ob die Beteiligte zu 3. bei ihren Zugriffen auf das Lohn- und Gehaltsabrechnungsprogramm Daten abgerufen (§ 43 Abs. 2 Nr. 3 BDSG) hat.

b) Selbst wenn zu Lasten der Beteiligten zu 3. unterstellt wird, dass sie personenbezogene Daten von Arbeitnehmern der Arbeitgeberin genutzt oder abgerufen hat, kann noch nicht angenommen werden, dass hierin auch eine unbefugte Nutzung oder Abrufung von personenbezogenen Daten gelegen hat. Unbefugt im Sinne der §§ 5 Satz 1, 43 Abs. 2 Nr. 3 BDSG handelt ein Mitarbeiter, wenn er die ihm intern zugewiesenen Zugriffsberechtigungen überschreitet; nur diejenige Datennutzung ist unbefugt, die nicht in der dem Mitarbeiter zugewiesenen Aufgabenstellung liegt (Gola/Schomerus, a.a.O., § 5 Rn. 6; Däubler/Klebe/Wedde, a.a.O., § 5 Rn. 9; vgl. auch: BAG 15.07.1987 - 5 AZR 215/86 - AP BGB § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 14).

Aus dem Vorbringen der Arbeitgeberin kann nicht entnommen werden, dass die Beteiligte zu 3. immer dann, wenn sie Zugriff auf das Lohn- und Abrechnungsprogramm genommen hat, ihre Zugriffberechtigung überschritten hat. Nach dem eigenen Vorbringen der Arbeitgeberin haben die Organisationsprogrammierer in ihrem Betrieb die Möglichkeit, bei auftretenden Stopps oder Fehler eine schnelle Überprüfung und Beseitigung vornehmen zu können. Hiermit ging eine Zugriffsberechtigung auch der Beteiligten zu 3. auf sämtliche im Betrieb der Arbeitgeberin genutzten Programme einher. Unstreitig waren sämtliche Dateien für jeden Organisationsprogrammierer im Betrieb der Arbeitgeberin frei zugänglich. Aus der Organisationsanweisung vom 20.08.2009, auf die die Arbeitgeberin sich beruft, ergibt sich nichts anderes. Auch hiernach war es den Organisationsprogrammierern erlaubt, bei Auftreten eines bestimmten Problems dieses sofort selbst zu beheben und den Vorgang anschließend an den EDV-Leiter W1 zu melden. Dies galt insbesondere für kleinere und routinemäßige Fehler, die keinen größeren Arbeitsaufwand erwarten ließen. Nach der Organisationsanweisung vom 20.08.2009 waren die Organisationsprogrammierer lediglich gehalten, derartige Aufträge und Bereinigung kleinerer Fehler nachträglich zu melden. Hieran hat sich die Beteiligte zu 3. stets gehalten, wie die von ihr beispielhaft vorgelegten E-Mails vom 12.01.2010, 03.02.2010, 15.02.2010 und 24.06.2010 ausweisen. Aus diesen E-Mails ergibt sich im Übrigen auch, dass die Beteiligte zu 3. auch die jeweiligen Zugriffe auf das Lohn- und Gehaltsrechnungsprogramm durch E-Mail an den EDV-Leiter W1 gemeldet hat. Einer derartigen Handhabung durch die Beteiligte zu 3. ist die Arbeitgeberin zu keinem Zeitpunkt entgegengetreten. Von einer Überschreitung der Zugriffsberechtigung durch die Beteiligte zu 3. kann danach keine Rede sein.

3. Selbst wenn zu Gunsten der Arbeitgeberin davon ausgegangen wird, dass die Beteiligte zu 3. in Einzelfällen ihre Zugriffsberechtigung überschritten hätte oder angenommen werden müsste, dass aufgrund der Vielzahl der Zugriffe auf die Lohn- und Gehaltsabrechnungsprogramme im Zeitraum vom 01.01.2010 bis zum 31.08.2010 bis zum 30.08.2010 die Beteiligte zu 3. dringend verdächtig wäre, ihre Zugriffsberechtigung überschritten zu haben, ist die von der Arbeitgeberin beabsichtigte fristlose Kündigung bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falles und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Arbeitgeberin auf ein etwaiges Fehlverhalten der Beteiligten zu 3. hätte eine Abmahnung ausgereicht. Bei der Abwägung der Interessen der Arbeitgeberin an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse der Beteiligten zu 3. an dessen Fortbestand ergibt sich, dass der Arbeitgeberin eine Weiterbeschäftigung der Beteiligten zu 3. trotz Annahme einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar war.

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalles unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer etwaigen Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen a1 Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als mildere Reaktionen kommen insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung in Betracht. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (BAG 10.06.2010 - 2 AZR 541/09 - AP BGB § 626 Nr. 229, Rn. 34; BAG 24.03.2010 - 2 AZR 282/10 - DB 2011, 1865, Rn. 14 m.w.N.). Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Auch in diesem Bereich gibt es keine "absoluten" Kündigungsgründe (BAG 10.06.2010 - 2 AZR 541/09 - AP BGB § 626 Nr. 229, Rn. 35, 38 m.w.N.).

b) Die hiernach erforderliche Interessenabwägung führt in jedem Fall dazu, dass der Arbeitgeberin eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mindestens bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist zumutbar gewesen ist.

Dies hat das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Beschluss zutreffend erkannt.

Bei der gebotenen Interessenabwägung fällt zunächst zu Gunsten der Beteiligten zu 3. ins Gewicht, dass sie seit dem Jahre 2000 in den Diensten der Arbeitgeberin steht und insoweit auf eine inzwischen über mehr als elfjährige Betriebszugehörigkeit zurückblicken kann. Dass sie seither ihre Tätigkeiten beanstandungsfrei ausgeübt hat, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Einschlägige Abmahnungen zu vertragsgerechtem Verhalten hat die Beteiligte zu 3. bislang nicht erhalten. Nach dem Vorbringen der Beteiligten muss davon ausgegangen werden, dass die Beteiligte zu 3. ihre Tätigkeit als Organisationsprogrammiererin bislang beanstandungsfrei nachgegangen ist.

Dass es in der Vergangenheit verschiedentlich zu Konflikten zwischen der Beteiligten zu 3. und der Arbeitgeberin und auch mit dem Betriebsrat gekommen ist, war nach dem Vorbringen der Beteiligten jedenfalls nicht der Beteiligten zu 3. anzulasten. Dass die Beteiligte zu 3. Zahlungsansprüche gegen die Arbeitgeberin gerichtlich geltend gemacht hat, liegt allein daran, dass die Arbeitgeberin das mit der Beteiligten zu 3. vereinbarte monatliche Entgelt einseitig um einen nicht unerheblichen Betrag gekürzt hat. Auch das im Hinblick auf die Freistellung eines Betriebsrats durchgeführte Einigungsstellenverfahren kann nicht der Beteiligten zu 3. als Arbeitnehmerin der Arbeitgeberin angelastet werden.

Zwar war bei der gebotenen Interessenabwägung auch zu berücksichtigen, dass die Beteiligte zu 3. die ihr vorgeworfenen Pflichtverletzungen - unbefugter Zugriff auf Lohn- und Abrechnungsprogramme - nach dem Vorbringen der Arbeitgeberin in unmittelbarem Zusammenhang mit der ihr obliegenden Tätigkeit als Organisationsprogrammiererin begangen hat. Selbst unter Beachtung dieses Umstandes kann der Beteiligten zu 3. aber kein willentliches und bewusstes Handeln zu Lasten der Arbeitgeberin oder zu Lasten einzelner Arbeitnehmer vorgeworfen werden. Selbst wenn zu Lasten der Beteiligten zu 3. unterstellt wird, dass sie mehrfach - aus Vereinfachungsgründen - Zugriff auf das Lohn- und Abrechnungsprogramm genommen hat, um etwa zu überprüfen, ob die Arbeitgeberin ihr Gehalt erneut gekürzt hat, um Gehaltsansprüche von Kolleginnen und Kollegen zur Wahrung von Verfallfristen rechtzeitig gegenüber der Arbeitgeberin geltend zu machen oder um Prämienlohndifferenzen in der jeweiligen Abrechnung aufzuklären, kann der Beteiligten zu 3. kein willentliches und bewusstes Handeln zu Lasten der Arbeitgeberin vorgeworfen werden, welches eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen könnte. Es ist bereits ausgeführt worden, dass der Beteiligten zu 3. wie jedem weiteren Organisationsprogrammierer der Arbeitgeberin alle Dateien frei zugänglich waren und sie bei auftretenden kleineren Fehlermeldungen berechtigt waren, diese ohne vorherige Zustimmung des EDV-Leiters zu beheben. Ihrer Pflicht zur nachträglichen Meldung derartiger Aufgaben ist die Beteiligte zu 3. nachgekommen. Aus den von ihr vorgelegten E-Mails ergibt sich auch, dass die Beteiligte zu 3. bei derartigen Fehlern auch ohne vorherige Genehmigung des EDV-Leiters W1 Zugriff auf das Lohn- und Gehaltsabrechnungsprogramm genommen hat, ohne dass ihr Vorgesetzter, der EDV-Leiter W1, oder die Arbeitgeberin in irgendeiner Weise dieser Handhabung entgegengetreten wäre. Wenn die Arbeitgeberin dieses Verhalten der Beteiligten zu 3. als pflichtwidrig ansehen wollte, hätte es nahegelegen, die Beteiligte zu 3. hierauf ausdrücklich hinzuweisen. Hätte die Beklagte die bisherige vollständige Zugriffsmöglichkeiten der Beteiligten zu 3. auf alle Programme und Dateien beschränken wollen, wäre sie verpflichtet gewesen, die Beteiligte zu 3. eindeutig hierauf hinzuweisen. Zur Feststellung einer kündigungsrechtlich erheblichen Pflichtwidrigkeit bedarf es nämlich einer klaren Kompetenz- und Zuständigkeitsabgrenzung hinsichtlich des Datenzugriffs (LAG Köln 29.09.1982 - 5 Sa 514/82 - DB 1983, 124; KR Griebeling, a.a.O., § 1 KSchG Rn 496). Insoweit fehlt es im vorliegenden Fall an jeder klaren Abgrenzung der Zugriffkompetenzen der Organisationsprogrammierer oder auch nur der Beteiligten zu 3.. Erst wenn gegenüber der Beteiligten zu 3. deutlich und eindeutig herausgestellt worden wäre, dass diese keine Zugriffskompetenz mehr auf das Lohn- und Gehaltsabrechnungsprogramm, das im Betrieb der Arbeitgeberin genutzt wurde, hat, wäre der Klägerin klar geworden, dass ein weiterer Zugriff auf das Lohn- und Gehaltsabrechnungsprogramm eine Pflichtwidrigkeit darstellt, die unter Umständen zur Kündigung hätte führen können. Unter diesen Umständen kann auf eine vorherige Abmahnung der Beteiligten zu 3. zu vertragsgerechtem Verhalten vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung nicht verzichtet werden. Selbst eine ordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzt nämlich regelmäßig eine Abmahnung voraus, die zugleich der Objektivierung der negativen Prognose dient. Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 10.06.2010 - 2 AZR 541/09- AP BGB § 626 Nr. 229, Rn. 56; BAG 24.03.2011 - 2 AZR 282/10 - DB 2011, 1865, Rn. 15 m.w.N.).

An einer erforderlichen arbeitsrechtlichen Abmahnung gegenüber der Beteiligten zu 3., jedenfalls an einem eindeutigen Hinweis auf eine nur eingeschränkte Zugriffsberechtigung der Beteiligten zu 3. fehlt es im vorliegenden Fall. Es spricht nichts dafür, dass die Beteiligte zu 3. einem derartigen Hinweis durch die Arbeitgeberin nicht gefolgt wäre. Die Beteiligte zu 3. hat im gesamten Verlauf des vorliegenden Verfahrens gezeigt, dass ein derartiger Hinweis, erst recht eine Abmahnung, genügt hätte, um die Beteiligte zu 3. zu einer Änderung ihres Verhaltens zu veranlassen.

Darüber hinaus kommt hinzu, dass ein unterstelltes Fehlverhalten der Beteiligten zu 3. nicht so schwer wiegt, dass die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses erforderlich war. Die Beteiligte zu 3. hat keine personenbezogenen Daten anderer Mitarbeiter der Arbeitgeberin weitergegeben, sie hat sie nicht für eigene Zwecke verwendet. Ein - unterstellter unbefugter - Zugriff auf das Lohn- und Gehaltsabrechnungsprogramm ist durch die Beteiligte zu 3. lediglich zu eigenen Zwecken - zur Überprüfung ihrer eigenen Gehaltsabrechnung - erfolgt oder zu Gunsten der Mitarbeiter der Arbeitgeberin genutzt worden. Ein etwaiger unbefugter Zugriff auf das Lohn- und Gehaltsabrechnungsprogramm durch die Beteiligte zu 3. hat auch keine Auswirkungen oder gar Störungen im Betrieb der Arbeitgeberin hervorgerufen. Das unterstellte pflichtwidrige Verhalten der Beteiligten zu 3. hat keine Beschwerden durch andere Mitarbeiter verursacht. Soweit die Arbeitgeberin bereits in der Antragsschrift vorgetragen hat, vor einiger Zeit hätten Mitarbeiter ihre Verwunderung dadurch zum Ausdruck gebracht, dass die Beteiligte zu 3. Wissen über personenbezogene Daten habe, welches sie nicht im Rahmen ihrer Betriebsratstätigkeit erlangt haben könne, ist dieses Vorbringen unsubstantiiert. Der Betriebsrat und die Beteiligte zu 3. haben dieses Vorbringen der Arbeitgeberin ausdrücklich bestritten. Auch im Anhörungstermin vor der Beschwerdekammer vom 16.09.2011 war die Arbeitgeberin trotz ausdrücklichen Nachfragens nicht bereit, ihr diesbezügliches Vorbringen zu substantiieren. Dieses Verhalten geht zu Lasten der Arbeitgeberin.

Die Arbeitgeberin kann sich auch nicht darauf berufen, das Vertrauensverhältnis zu der Beteiligten zu 3. sei unwiederbringlich zerstört. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung die Erteilung einer Abmahnung auch bei Störungen im Vertrauensbereich erfordert. Allein die Behauptung eines Arbeitgebers, das Vertrauensverhältnis sei unwiederbringlich zerstört, kann danach ohne vorherige Abmahnung eine außerordentliche Kündigung nicht rechtfertigen. Das - unterstellte - Fehlverhalten der Beteiligten zu 3. stellt sich bei Abwägung der Umstände des vorliegenden Falles nicht als so schwerwiegend dar, dass als Reaktion der Arbeitgeberin allein die fristlose Kündigung der Beteiligten zu 3. ohne vorherige Abmahnung übrig blieb.

III. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht bestand nach den §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung.






LAG Hamm:
Beschluss v. 16.09.2011
Az: 10 TaBV 17/11


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/2eb876e2a3d6/LAG-Hamm_Beschluss_vom_16-September-2011_Az_10-TaBV-17-11




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