Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht:
Beschluss vom 5. November 2013
Aktenzeichen: 8 B 50/13

(Schleswig-Holsteinisches VG: Beschluss v. 05.11.2013, Az.: 8 B 50/13)

Tenor

Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, es bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 € zu unterlassen, folgende A€ußerungen in der Medieno€ffentlichkeit - insbesondere in der Presse (samt Onlineinhalten), Rundfunk und Fernsehen - sowie im Internet, wo€rtlich und/oder sinngema€ß zu verbreiten oder verbreiten zu lassen:

- die Antragsstellerin sei an einem der groۧten Datenskandale der Nachkriegszeit beteiligt

und/oder

- die Antragstellerin gebe keine anonymisierten, sondern pseudonomysierte Daten heraus,

und/oder

- die Antragstellerin handele unzula€ssig,

und/oder

- das Gescha€ftsmodell der Antragsstellerin sei illegal,

und/oder

- die von der Antragstellerin vorgenommene Verschlu€sselung der Rezeptdaten sei nicht ausreichend,

und/oder

- die Antragstellerin begehe einen Rechtsverstoß,

und/oder

- die von der Antragsstellerin verschlu€sselten Datensa€tze seien eindeutig zuordenbar,

und/oder

- eine Zuordnung der Daten zu Patienten sei von der Antrag- stellerin beabsichtigt,

und/oder

- die Antragstellerin handele mit Bereicherungsabsicht.

Der Antragsgegner tra€gt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 20.000 € festgesetzt.

Gründe

Die Kammer hat den Antrag der Antragstellerin, dem Antragsgegner mittels einstweiliger Anordnung aufzugeben, es zu unterlassen, die tenorierten A€ußerungen wo€rtlich und/oder sinngema€ß zu verbreiten oder verbreiten zu lassen, gem. § 88 VwGO dahingehend ausgelegt, dass ein Unterlassen in der Medieno€ffentlichkeit (insbesondere in Presse, Rundfunk und Fernsehen) und im Internet begehrt wird. Dies ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem weit formulierten Antrag, folgt allerdings aus der Begru€ndung des Unterlassungsanspruchs. Diese bezieht sich in der geltend gemachten Grundrechtsbeeintra€chtigung und deren Rechtfertigung allein auf die in der Presse und auf der Internetseite www.datenschutz.de geta€tigten A€ußerungen.

Der so verstandene zula€ssige Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO ist vollumfa€nglich begru€ndet.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag € auch schon vor Klageerhebung € eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Vera€nderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden ko€nnte, oder auch zur Regelung eines vorla€ufigen Zustandes, vor allem bei dauernden Rechtsverha€ltnissen, wenn dies no€tig erscheint, um wesentliche Nachteile fu€r den Antragsteller abzuwenden. Nach § 123 Abs. 3 VwGO iVm § 920 Abs. 2, § 294 Abs. 1 ZPO sind dabei sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. der materielle Grund, fu€r den der Antragsteller vorla€ufig Rechtsschutz sucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere durch die Eilbedu€rftigkeit der Regelung begru€ndet wird, glaubhaft zu machen.

Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Nach der im Eilverfahren nur mo€glichen summarischen Pru€fung steht der Antragstellerin ein o€ffentlich-rechtlicher Anspruch auf Unterlassen gegen den Antragsgegner hinsichtlich der tenorierten A€ußerungen zu.

Diese A€ußerungen des Antragsgegners in der Zeitschrift €Der Spiegel€, Ausgabe 34/13 (Anlage Ast 2, Bl. 24 f. der Gerichtsakte), auf Spiegel-online am 18.8.2013 (Anlage Ast 3, Bl. 26 f. der Gerichtsakte), wa€hrend eines Interviews auf Bayern 2 am 19.8.2013 (Anlage Ast 4, Bl. 28 f. der Gerichtsakte), eines Interviews mit der Deutschen Welle vom 21.8.2103 (Anlage Ast 5, Bl. 30 ff. der Gerichtsakte), eines Interviews mit der TAZ am 20.8.2013 (Anlage Ast 6, Bl. 34 f. der Gerichtsakte) und auf www.datenschutz.de (Anlage Ast 1, Bl. 26 der Gerichtsakte) greifen in das Grundrecht der Antragstellerin auf Berufsfreiheit (Art. 12 GG) ein. Die Antragstellerin wird in den Artikeln namentlich genannt und die A€ußerungen des Antragsgegners zielen auf die Datenverarbeitung bei der Antragsstellerin ab. Es handelt sich dabei nicht mehr um allgemeine Informationen, sondern um gezielte Hinweise bzw. Warnungen. Diese A€ußerungen sind geeignet, die Antragstellerin in der Ausu€bung ihrer beruflichen Ta€tigkeit bzw. in ihren beruflichen Entfaltungsmo€glichkeiten nachhaltig einzuschra€nken (Art. 12 GG). Dieses Grundrecht ist auch auf juristische Personen des Privatrechts anwendbar. Daru€ber hinaus du€rfte auch das Recht am eingerichteten und ausgeu€bten Gewerbebetrieb - geschu€tzt durch Art. 14 GG - betroffen sein.

Diese Eingriffe in die grundrechtlich geschu€tzten Rechtspositionen der Antragstellerin sind nicht gerechtfertigt.

Eine explizite Rechtsgrundlage fu€r gezielte Warnungen und Hinweise existiert im Landesdatenschutzgesetz in Schleswig-Holstein nicht. Der Antragsgegner kann sich fu€r diese A€ußerungen nicht auf § 43 Abs. 1, Abs. 3 S. 2 LDSG als Rechtsgrundlage berufen. So beschreibt die Vorschrift die Beratungsaufgabe des Antragsgegners gegenu€ber den Bu€rgern. Eine Kompetenz zu o€ffentlichen A€ußerungen und Grundrechtseingriffen la€sst sich daraus nicht ableiten. Eine solche Befugnis la€sst sich auch nicht aus § 39 Abs. 4 S. 2 LDSG ableiten. Die Berechtigung bzw. Verpflichtung zur Vorlage eines Ta€tigkeitsberichts umfasst nicht die gesetzliche Erma€chtigung zu o€ffentlichen Warnungen und darin liegenden Grundrechtseingriffen. Dies zeigt auch ein Vergleich mit § 26 Abs. 1 S. 2 BDSG, wonach der Bundesdatenschutzbeauftragte mittlerweile explizit dazu erma€chtigt ist, die O€ffentlichkeit zu informieren (noch anders und damit ohne Rechtsgrundlage VG Ko€ln, Beschluss vom 11.3.1999, 20 L 3757/98, zit. nach juris, Rn. 18 ff.).

Letztlich kann diese Frage allerdings offen bleiben, da sich die Kammer der Rechtsprechung anschließt, wonach mit der Warnung eines Staatsorgan verbundene Eingriffe in Grundrechte durch dessen Aufgabenstellung in Verbindung mit der Wahrnehmung von Schutzpflichten - insbesondere zum Erhalt zentraler Grundrechtspositionen - legitimiert sind, wenn ein hinreichend gewichtiger, dem Inhalt und der Bedeutung des beru€hrten Grundrechts entsprechender Anlass besteht und wenn die negativen Werturteilte nicht unsachlich sind, sondern auf einem im wesentlichen zutreffenden oder zumindest sachgerecht und vertretbar gewu€rdigten Tatsachenkern beruhen (st. Rspr. BVerfG, Beschluss vom 15.9.1989, 1 BvR 881/89 - Transzendentale Meditation -, NJW 1989, 3269, 3270; BVerfG, Beschluss vom 26.6.2002, 1 BvR 558/91, 1 BvR 1428/91, zit nach juris, Rn. 49 ff.; BVerwG, Urteil vom 23.5.1989, 7 C 2/87, NJW 1989, 2272, 2273 f.; BVerwG, Beschluss vom 13.3.1991, 7 B 99/90, zit. nach juris, Rn. 7). Ein hinreichender Anhaltspunkt fu€r eine Warnung besteht dabei, wenn eine Gefahr fu€r verfassungsrechtlich geschu€tzte Rechtsgu€ter oder zumindest der begru€ndete Verdacht einer Gefahr vorliegt (OVG Mu€nster, Beschluss vom 31.5.1996, 5 B 993/95, NVwZ 1997, 302). Entsprechend dem Verha€ltnisma€ßigkeitsgrundsatz mu€ssen die staatlichen A€ußerungen nicht nur geeignet sein, den zu gewa€hrleistenden o€ffentlichen und privaten Belagen im notwendigen Umfang Rechnung zu tragen. Sie mu€ssen sich daru€ber hinaus auch strikt innerhalb der Grenzen der Erforderlichkeit und der Angemessenheit bzw. Zumutbarkeit halten (BVerfG, Beschluss vom 15.9.1989, 1 BvR 881/89 - Transzendentale Meditation -, NJW 1989, 3269, 3270).

Der Kammer ist bewusst, dass es sich dabei um Ausnahmen vom Vorbehalt des Gesetzes handelt, der fu€r die Bundesregierung und deren Warnungen entwickelt worden ist. Diese Rechtsprechung wurde allerdings mit beachtlichen Argumenten auf die O€ffentlichkeitsarbeit des Bundesdatenschutzbeauftragten ausgedehnt (VG Ko€ln, Beschluss vom 11.3.1999, 20 L 3757/98, zit. nach juris; zustimmend die Anmerkung von Geis zu diesem Beschluss, MMR 1999, 744; zustimmend auch Mu€ller, Das datenschutzpolitische Mandat des BfD, RVD 2004, 211, 213). So fu€hrte das VG Ko€ln (aaO, Rn. 31 ff.) zur Stellung des Bundesdatenschutzbeauftragten aus:

€Unstreitig ist der Bundesbeauftragte fu€r Datenschutz nicht die Bundesregierung bzw. ein Bundesminister; er hat auch nicht die gleichen umfassenden Amts- und Leitungsaufgaben gegenu€ber dem Gemeinwesen. Auf der anderen Seite ist er aber auch nicht nur ein nachgeordnetes Staatsorgan. Sein Amt ist durch Gesetz (§ 22 BDSG) eingerichtet, er wird nicht von der Bundesregierung bestellt, sondern vom Deutschen Bundestag mit mehr als der Ha€lfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder gewa€hlt (§ 22 Abs. 1 S. 1 BDSG); er ist in der Ausu€bung seines Amtes unabha€ngig und nur dem Gesetz unterworfen (§ 22 Abs. 4 BDSG). Dem korrespondiert eine umfassende Aufgabenzuweisung auf dem erkennbar wegen seiner Bedeutung und seiner Grundrechtsrelevanz besonders hervorgehobenem Gebiet des Datenschutzes. Dazu geho€ren nicht nur die Kontrollbefugnisse bei den o€ffentlichen Stellen des Bundes (§§ 24, 25 BDSG). Bedeutsamer ist im vorliegenden Zusammenhang, daß der Bundesbeauftragte nicht nur sowohl der Bundesregierung als auch dem Bundestag auf Anforderung Gutachten zu erstellen und Berichte zu erstatten hat (§ 26 Abs. 2 S. 1 BDSG), sondern daß er auch von sich aus die Bundesregierung in Fragen des Datenschutzes beraten und ihr Empfehlungen zur Verbesserung des Datenschutzes geben kann (§ 26 Abs. 3 BDSG) und sich auch jederzeit von sich aus an den Deutschen Bundestag wenden kann (§ 26 Abs. 2 Satz 3 BDSG).

Der strukturell und rechtlich herausgehobenen Stellung des Bundesbeauftragten fu€r Datenschutz entspricht auch die in der Staatspraxis bisher vorzufindende Ausscho€pfung dieser Amtsstellung fu€r die Belange des Datenschutzes durch den Bundesbeauftragten. Dazu geho€rt insbesondere die umfassende und durch Pra€sentation auch gegenu€ber der O€ffentlichkeit gekennzeichnete Darstellung der Vorga€nge und Entwicklungen im Bereich des Datenschutzes in dem dem Bundestag alle zwei Jahre zu erstattenden (§ 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG) Ta€tigkeitsbericht. (...)€

Dies ist auch auf den schleswig-holsteinischen Antragsgegner u€bertragbar. Sein Beho€rdenleiter - der Landesdatenschutzbeauftragte - wird nach § 35 LDSG durch den Landtag mit mehr als der Ha€lfte seiner Mitglieder fu€r die Dauer von fu€nf Jahren gewa€hlt. Der Antragsgegner hat insbesondere die Einhaltung des Landesdatenschutzgesetzes sowie anderer Vorschriften u€ber den Datenschutz bei den o€ffentlichen Stellen, auf die jenes Gesetz Anwendung findet, zu u€berwachen. Ebenso ist er im Bereich der nicht-o€ffentlichen Stellen zusta€ndige Aufsichtsbeho€rde nach § 38 BDSG. Diese ihm zugewiesenen Aufgaben nimmt der Antragsgegner nach § 38 Abs. 1 LDSG in Unabha€ngigkeit wahr und ist nur dem Gesetz unterworfen.

Die Kammer ist der Auffassung, dass eine O€ffentlichkeitsarbeit aus o.g. Gru€nden vom landesdatenschutzrechtlichen Mandat umfasst ist (vgl. zu dieser Befugnis der Landesdatenschutzbeho€rden Petri, in: Simitis, Bundesdatenschutzgesetz, § 38, Rn. 46, 7. Auflage 2011; wohl auch von Lewinski, Formelles und informelles Handeln der datenschutzrechtlichen Aufsichtsbeho€rden, RDV 2001, 275, 279 f.). Die Information der O€ffentlichkeit u€ber datenschutzrechtliche Vorga€nge geho€rt zu den Aufgaben des Antragsgegners, um seinen gesetzlichen Auftrag des Datenschutzes erfu€llen zu ko€nnen. Damit ist es dem Antragsgegner grundsa€tzlich nicht genommen, o€ffentlich - auch scharf - Kritik zu u€ben. Seine O€ffentlichkeitsarbeit muss sich allerdings an den eingangs genannten strengen Maßsta€ben messen lassen (vgl. VG Ko€ln, aaO; Mu€ller, aaO, S. 214; von Lewinski, aaO, S. 280; Petri, in Simitis, Bundesdatenschutzgesetz, § 38, Rn. 46, 7. Auflage 2011).

Die hier streitgegensta€ndlichen A€ußerungen des Antragsgegners u€berschreiten die Grenzen einer zula€ssigen O€ffentlichkeitsarbeit und stellen sich als unzula€ssige Warnungen bzw. Hinweise dar.

Dazu im Einzelnen:

Die A€ußerungen des Antragsgegners, die Antragstellerin €handele unzula€ssig€, €begehe einen Rechtsversto߀ und €ihr Gescha€ftsmodell sei illegal€, sind allesamt als rechtliche Bewertungen von Tatsachen anzusehen. Soweit der Landesdatenschutzbeauftrage darauf verweist, die A€ußerungen seien seine subjektiven rechtlichen Bewertungen, von denen er u€berzeugt sei, verkennt er seine o€ffentliche Wahrnehmung. Dem Landesdatenschutzbeauftragten als Beho€rdenleiter des Antragsgegners kommt eine besondere Fachkompetenz zu. In der O€ffentlichkeit wird seine rechtliche Bewertung eines Sachverhaltes aufgrund seines Expertenwissens kaum hinterfragt und vielmehr als objektiv richtig unterstellt. Dies gilt umso mehr, als er in den hier streitigen rechtlichen Bewertungen einen Absolutheitsanspruch erhebt und einen offensichtlichen Rechtsverstoß unterstellt. Rechtsunsicherheiten werden nicht dargestellt.

Fu€r derartig weitreichende und absolut wirkende rechtliche Bewertungen in der O€ffentlichkeit hat der Antragsgegner nach Auffassung der Kammer zuna€chst die Zusta€ndigkeitsordnung des Datenschutzes zu beachten. Danach sind fu€r die Aufsicht nicht-o€ffentlicher Stellen nach § 38 BDSG die von den La€ndern eingerichteten Stellen zusta€ndig. Unstreitig ist vorliegend fu€r die Antragstellerin das Bayerische Landesamt fu€r Datenschutzaufsicht die zusta€ndige Aufsichtsbeho€rde, d.h. berechtigt, gegenu€ber der Antragstellerin Maßnahmen nach § 38 BDSG einzuleiten bzw. Ermittlungen anzustellen, ist nicht der Antragsgegner. Vorliegend hat die zusta€ndige Aufsichtsbeho€rde ein Verfahren eingeleitet, Erkenntnisse mittels Kontrollen etc. ermittelt, gepru€ft und mit dem Ergebnis abgeschlossen, dass keine datenschutzrechtlich unzula€ssigen Datenverarbeitungen bei der Antragstellerin feststellbar sind. Das seit September 2013 angewandte Anonymisierungsverfahren wurde vom Bayerischen Landesamt fu€r Datenschutzaufsicht empfohlen. Vor diesem Hintergrund obliegt es zuvorderst dem Bayerischen Landesamt fu€r Datenschutzaufsicht, nach pflichtgema€ßem Ermessen u€ber eine Vero€ffentlichung zu entscheiden.

Ein besonderer Anlass, der es hier seitens des - unzusta€ndigen - Antragsgengers erforderlich machte, trotz des abgeschlossenen Verfahrens der zusta€ndigen Aufsichtsbeho€rde sowie der Umsetzung eines Verschlu€sselungsverfahrens nach deren Empfehlung, in der O€ffentlichkeit die gezielt gegen die Antragstellerin gerichteten A€ußerungen abzugeben, ist nicht ersichtlich.

Soweit zwischen den Datenschutzbeho€rden weiterhin Unstimmigkeiten u€ber die rechtlichen Voraussetzungen einer ausreichenden Anonymisierung nach § 300 Abs. 2 S. 2 SGB V bestehen, ist es nicht erforderlich, diese Diskussionen o€ffentlich, mit gezielten A€ußerungen gegen die Antragstellerin auszutragen. Sicherlich geho€rt es auch zu den Aufgaben des Antragsgegners u€ber die Landesgrenzen hinweg, auf einen einheitlichen Datenschutz in der Bundesrepublik Deutschland hinzuwirken. Allerdings ist es fu€r die Erfu€llung dieser Aufgabe ausreichend, die Diskussionen im Rahmen der Fachkreise - intern - zu fu€hren.

Mo€chte der Antragsgegner seine abweichende Sichtweise in der O€ffentlichkeit kundtun, ist es zum Schutze des Grundrechts auf informelle Selbstbestimmung nicht erforderlich, auf ein einzelnes Unternehmen Bezug zu nehmen und diesem ein rechtlich unzula€ssiges Handeln bzw. einen Rechtsverstoß bzw. ein illegales Gescha€ftsmodell zu unterstellen. Derartige A€ußerungen in der O€ffentlichkeit sind aufgrund der Tatsache, dass die zusta€ndige Aufsichtsbeho€rde bereits gehandelt hat, nicht erforderlich. Will der Antragsgegner auch eine o€ffentliche Diskussion u€ber die Anonymisierung von Patientendaten anstoßen, kann dieses Ziel dadurch erreicht werden, dass er seine Rechtsauffassung in allgemein informierender Weise - ohne Grundrechtsbetroffenheit einzelner Unternehmen - darlegt.

Eine andere Sichtweise folgt auch nicht aus der Stellung des Antragsgegners als Aufsichtsbeho€rde fu€r die in Schleswig-Holstein ansa€ssigen Apotheken, die ihre Rezepte zur Abrechnung an die Antragstellerin u€bergeben. Dies rechtfertigt na€mlich keine deutschlandweite Warnung, die unmittelbar gegen die Antragsgegnerin gerichtet ist. Vielmehr wa€ren insoweit Maßnahmen bzw. Hinweise in Bezug auf die seiner Aufsicht unterliegenden Apotheken ausreichend und angemessen.

Die Unabha€ngigkeit des Antragsgegners a€ndert an dieser Beurteilung ebenfalls nichts, da diese im Rahmen der bestehenden Gesetze wahrzunehmen ist.

Daru€ber hinaus hat der Antragsgegner nicht glaubhaft gemacht, dass seine A€ußerungen auf einer ausreichend ermittelten Tatsachengrundlage beruhen. Die von ihm getroffenen rechtlichen Bewertungen erwecken wegen seiner Fachkompetenz eine besondere Wirkung in der O€ffentlichkeit. Unzweifelhaft fu€hrt die o€ffentliche Aussage, dass die Antragstellerin unzula€ssig handele bzw. ihr Gescha€ftsmodell illegal sei bzw. sie einen Rechtsverstoß begehe, durch eine kompetente o€ffentliche Stelle zu wirtschaftlichen Einbußen bei der Antragsstellerin. Gerade diese gravierenden Auswirkungen machen es notwendig, dass die rechtlich bewerteten Tatsachen auf einer gru€ndlichen und sorgfa€ltigen Sachverhaltsermittlung beruhen.

Dies macht der Antragsgegner allerdings nicht glaubhaft. Richtig ist zwar, dass die Grundzu€ge der Verschlu€sselung der Daten bei der Antragsstellerin unstreitig sind - soweit es das Verfahren bis August 2013 betrifft. Allerdings hat die Antragstellerin ihr Verschlu€sselungsverfahren umgestellt und legt dazu nicht alle Einzelheiten offen. Die geheimen Teile des Verfahrens kennt der Antragsgegner, wie aus seinen Schriftsa€tzen ersichtlich, nicht. Er hat der Kammer keine brauchbare Tatsachengrundlage zur Verfu€gung gestellt, die seine getroffenen, in den Medien gea€ußerten, rechtlichen Bewertungen rechtfertigten. Dies gilt bezogen auf das Anonymisierungsverfahren bis zum August 2013 sowie insbesondere bezogen auf das seit September 2013 praktizierte Verfahren. Vielmehr erweckt der Antragsgegner den Eindruck als kenne auch er nicht alle Tatsachen, wenn er schreibt, dass er den Abschlussbericht des Bayerischen Landesamtes fu€r Datenschutzaufsicht bra€uchte, da mo€glicherweise darin Tatsachen zu finden seien, die eine Neubewertung zur Folge ha€tten. Die von dem Antragsgegner vorgelegten Protokolle des Du€sseldorfer Kreises (AG 5, Bl. 122 der Gerichtsakte) und die Gutachten (Dammann, Zur Zula€ssigkeit der Lieferung von Abrechnungsdaten durch Apothekenrechenzentren, Anlage AG 9, Bl. 181 ff. der Gerichtsakte; Giesen/Schnoor, Datenschutzrechtlichen Anforderungen an die Verarbeitung und Nutzung anonymisierter Daten fu€r andere Zwecke nach § 300 Abs. 2 S. 2, 2 HS SGB V, AG 6, Bl. 131 ff. der Gerichtsakte) reichen als Tatsachengrundlage nicht aus. Diesen la€sst sich letztlich nicht entnehmen, dass der Antragsgegner u€ber einen ausreichenden Kenntnisstand verfu€gte, um entgegen der Beurteilung der zusta€ndigen Aufsichtsbeho€rde, eine rechtliche Unzula€ssigkeit des Anonymisierungsverfahrens der Antragstellerin o€ffentlich zu proklamieren. Zumal Grundlage des Gutachtens von Dammann (Bl. 181 ff. der Gerichtsakte) sowie der Diskussionen, wie sie sich aus dem Protokoll zur Sitzung des Du€sseldorfer Kreises am 18/19.9.2012 ergeben, Verfahren in Bremen sowie in Nordrhein-Westphalen waren.

Dass hier aufgrund besonders schu€tzenswerter Rechtspostionen ein Gefahrenverdacht und damit eine nicht vollsta€ndig ausermittelte Tatsachengrundlage fu€r die A€ußerungen ausreichend waren (zu dieser Mo€glichkeit vgl. u.a. von Lewinski, aaO, S. 280), ist nicht ersichtlich. Zum einen bestand aufgrund des aufsichtsbeho€rdlichen Verfahrens gegen die Antragsgegnerin kein Handlungsbedarf des Antragsgegners (s.o). Zum anderen war es dem Bayerischen Landesamt fu€r Datenschutzaufsicht anscheinend mo€glich, den Sachverhalt ausreichend zu ermitteln und anhand der erlangten Erkenntnisse ein datenschutzkonformes Handeln der Antragsstellerin anzunehmen. Da der Antragsteller diese Erkenntnisse nicht darlegt, kann kaum von einer ausreichenden Tatsachengrundlage fu€r seine aufgestellten rechtlichen Bewertungen ausgegangen werden.

Aus den genannten Gru€nden - unzureichende Tatsachengrundelage und kein Anlass fu€r eine unzusta€ndige Aufsichtsbeho€rde, umfassende rechtliche Beurteilungen abzugeben -, sind die getroffenen A€ußerungen des Antragsgengers, die Antragstellerin handele unzula€ssig, ihr Gescha€ftsmodell sei illegal und sie begehe einen Rechtsverstoß, nicht verha€ltnisma€ßig. Die O€ffentlichkeit kann bei diesen Bewertungen des Antragsgegners nicht erkennen, dass er als nicht zusta€ndige Aufsichtsbeho€rde eine rechtliche Einzelmeinung vertritt.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Bewertung des Antragsgegners, dass der Rechtsverstoß offensichtlich sei, d.h. die Antragsstellerin offensichtlich gegen § 300 Abs. 2 S. 2 SGB V verstoße. Ob in diesem Fall die getroffenen Bewertungen des Antragsgegners in der O€ffentlichkeit zula€ssig wa€ren (vgl. dazu Mu€ller, aaO, S. 214), kann hier dahin stehen, denn ein offensichtlich rechtswidriges Handeln seitens der Antragstellerin liegt nicht vor. Vielmehr stellen sich bei der Frage, ob die Antragstellerin die ihr u€bermittelten personenbezogenen Daten nach § 300 Abs. 2 S. 2 SGB V ausreichend anonymisiert, diverse tatsa€chliche und rechtliche Schwierigkeiten, die in einem Eilverfahren nicht gekla€rt werden ko€nnen. Jedenfalls spricht die abgeschlossene Pru€fung durch die zusta€ndige Aufsichtsbeho€rde sowie die Umstellung des Anonymisierungsverfahrens nach den Empfehlungen ebendieser gegen die Annahme eines offensichtlichen Rechtsverstoßes.

Eine Rechtfertigung der A€ußerungen folgt schließlich nicht aus § 4 Abs. 1 Landespressegesetz (LPrG). Danach sind Beho€rden verpflichtet, den Vertretern der Presse die der Erfu€llung ihrer o€ffentlichen Aufgaben dienenden Ausku€nfte zu erteilen. Unabha€ngig von der Frage, ob die vom Antragsgegner geta€tigten A€ußerungen Ausku€nfte im Sinne der genannten Vorschrift darstellen, hat er schon nicht glaubhaft gemacht, dass es solche Presseanfragen tatsa€chlich gegeben hat. Daru€ber hinaus mu€sste, selbst wenn er diese Aussagen im Rahmen von § 4 Abs. 1 LPrG getroffen ha€tte, der oben genannte Maßstab der Verha€ltnisma€ßigkeit gewahrt bleiben. Im Falle von widerstreitenden Grundrechtspositionen ist ein angemessener Ausgleich zu finden (vgl. zu § 4 BayPrG VG Mu€nchen, Beschluss vom 13.9.2012, M 22 E 12.4275, zit. nach juris, Rn. 64 ff.). Vorliegend sind die A€ußerungen des Antragsgegners aus o.g. Gru€nden unverha€ltnisma€ßig.

Die weiteren einstweilig untersagten A€ußerungen sind ebenfalls unzula€ssig.

Die A€ußerungen des Antragsgegners, die Antragsgegnerin gebe keine anonymisierten, sondern pseudonomysierte Daten heraus, die von ihr vorgenommene Verschlu€sselung der Rezeptdaten sei nicht ausreichend, die von ihr verschlu€sselten Datensa€tze seien eindeutig zuordenbar und eine Zuordnung von Daten zu Patienten sei von ihr beabsichtigt, sind allesamt rechtliche Bewertungen und keine bloße Tatsachenbehauptungen. Denn bei diesen A€ußerungen geht es letztlich um die Frage, ob das von der Antragstellerin gewa€hlte Verschlu€sselungsverfahren eine ausreichende Anonymisierung nach § 300 Abs. 2 S. 2 SGB V darstellt, was eine Rechtsfrage ist. Auch diese rechtlichen Bewertungen stellen sich aus o.g. Gru€nden als unzula€ssig dar.

Soweit der Antragsgegner meint, die Antragstellerin handele mit Bereicherungsabsicht, mag diese rechtliche Bewertung keine Bezu€ge zu § 263 StGB aufweisen. Jedoch gibt der Antragsgegner selbst an, dass er damit auf § 44 Abs. 1 iVm § 43 Abs. 2 BDSG Bezug nimmt und eine rechtlich relevante Bereicherungsabsicht unterstellt. Diese rechtliche Bewertung ist ebenfalls aus o.g. Gru€nden unzula€ssig.

Schließlich ist auch die Aussage, die Antragstellerin sei an einem der gro€ßten Datenskandale der Nachkriegszeit, als negatives Werturteil in dieser absolut gea€ußerten Weise nicht sachgerecht. Es kann hier dahinstehen, ob die Aussage zu einem fru€heren Zeitpunkt - etwa bezogen auf die unstreitigen Datenschutzverletzungen bis zum Jahre 2010 - gerechtfertigt gewesen wa€re, denn jedenfalls zuku€nftig ist sie dies in dieser allgemein gea€ußerten Weise nicht. Es ist kein Grund ersichtlich, der es erforderlich macht, dass der Antragsgegner in dieser allgemein negativen Weise in der O€ffentlichkeit u€ber die Antragstellerin wertet, dies insbesondere vor dem Hintergrund des abgeschlossenen Pru€fverfahrens durch die zusta€ndige Aufsichtsbeho€rde. Weder dient diese Aussage dem Schutz des Rechts auf informelle Selbstbestimmung noch macht sie die O€ffentlichkeit auf einen datenschutzrechtlichen Missstand aufmerksam.

Die weiteren Voraussetzungen eines Unterlassungsanspruchs hat die Antragstellerin ebenfalls glaubhaft gemacht. Insbesondere besteht eine Wiederholungsgefahr. Zwar hat die Antragstellerin ihr Verschlu€sselungsverfahren im August 2013, d.h. im Zeitpunkt der A€ußerungen des Antragsgegners umgestellt. Der Antragsgegner hat allerdings in diesem Verfahren deutlich gemacht, dass er an seinen A€ußerungen auch in Bezug auf das neue Verschlu€sselungsverfahren festha€lt. Eine Unterlassungserkla€rung hat er nicht abgegeben.

Die Antragsstellerin hat schließlich einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Es besteht die Gefahr, dass der Antragsgegner weiterhin die tenorierten A€ußerungen in der Medieno€ffentlichkeit und im Internet ta€tigen wird. Davor ist die Antragstellerin einstweilen zu schu€tzen, da ihr andernfalls erhebliche wirtschaftliche Nachteile drohen.

Nach alledem war dem Antrag vollumfa€nglich stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Androhung eines Zwangsgeldes folgt aus §§ 167 Abs. 1 VwGO iVm 890 Abs. 1, 2 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG. Die Kammer hat dabei das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin in einem etwaigen Hauptsacheverfahren auf 40.000 € gescha€tzt, welches hier aufgrund der Vorla€ufigkeit des Eilverfahrens zu halbieren war.

Abschließend weist die Kammer darauf hin, dass es dem Antragsgegner unbenommen ist, den Antrag nach §§ 123 Abs. 3 VwGO, 926 Abs. 1 ZPO bei Gericht zu stellen.






Schleswig-Holsteinisches VG:
Beschluss v. 05.11.2013
Az: 8 B 50/13


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/2e064588e193/Schleswig-Holsteinisches-VG_Beschluss_vom_5-November-2013_Az_8-B-50-13




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share