Verwaltungsgericht Aachen:
Urteil vom 28. November 2012
Aktenzeichen: 8 K 2366/10

(VG Aachen: Urteil v. 28.11.2012, Az.: 8 K 2366/10)

Tenor

Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 30. November 2010 verurteilt, den Klägern Zugang zu den vollständigen Unterlagen über die in den Jahren 2006 und 2009 betreffend das Grundstück "G.---straße 65" in E. durchgeführten Kanal-TV-Untersuchungen zu gewähren.

Die Beklagte und die Beigeladene tragen die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Kläger jeweils zur Hälfte. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen die Beigeladene und die Beklagte jeweils selbst.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldner können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leisten.

Tatbestand

Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks G straße 65 in E. , das sie 2010 von der am 30. Mai 2011 verstorbenen Frau - genannt H. - C. , geb. H1. , vertreten durch ihre Tochter, Frau Gisela C. -H2. , erworben haben. Die Beigeladenen sind die Mitglieder der Erbengemeinschaft nach Frau C. .

Die Kläger begehren von der Beklagten, ihr die Ergebnisse von Kanal-TV-Untersuchungen der Entwässerungsleitungen des Grundstücks zugänglich zu machen, die zurzeit der Eigentümerschaft der Frau C. gefertigt wurden.

Der notarielle Kaufvertrag über das Grundstück vom 3. August 2010 enthält unter Ziffer 10 a) eine Abrede über einen Ausschluss von Rechten der Erwerber wegen Sachmängeln von Grundstück und Gebäude, verbunden mit der Versicherung der Veräußerin, dass ihr versteckte Mängel nicht bekannt seien, sie sich aber verpflichte, auf ihre Kosten bis Ende 2010 neue Kanalhausanschlüsse (Abwasser- und Regenwasserkanäle) herzustellen.

Nach Eintragung als Eigentümer in das Grundbuch am 20. September 2010 und Inbesitznahme des Grundstücks wandten sich die Kläger unter Berufung auf erhebliche Schwierigkeiten mit der Entwässerung des erworbenen Grundstücks an die Beklagte und beantragten nach § 4 Abs. 1 Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen (IFG NRW) Zugang zu folgenden Informationen:

1. Inhalt von Beschwerden früherer Anwohner

2. Konkrete Ergebnisse einer Kamerabefahrung ungefähr 2006

3. Konkrete Ergebnisse einer Kamerabefahrung ungefähr 2008

4. Vorhandensein von Forderungen der Beklagten an die bisherige Eigentümerin, eine Rückstausicherung einzubauen bzw. zu reparieren oder Sanierungs- oder Reparaturmaßnahmen an der Entwässerung vorzunehmen

5. Vorhandensein anderer Anforderungen der Beklagten an die Voreigentümerin bezüglich der Entwässerung, ggf. welche.

Mit Bescheid vom 30. November 2010 gab die Beklagte dem Antrag teilweise statt und übersandte den Klägern das Beschwerdeschreiben eines im Haus wohnenden Mieters vom 29. September 2008 sowie drei Schreiben der Beklagten, nämlich vom 14. Oktober 2008, vom 12. Dezember 2008 und vom 15. Juni 2009. Der Bescheid enthielt ferner die Angabe, dass es weitere Anforderungen an die Voreigentümerin nicht gegeben habe. Im Übrigen, hinsichtlich der erbetenen Unterlagen über Kanal-TV-Untersuchungen, verweigerte die Beklagte den Informationszugang unter Berufung auf § 10 Abs. 1 Satz 3 IFG NRW.

Die Kläger haben am 29. Dezember 2010 Klage erhoben.

Nach Klageerhebung wandte sich die Beklagte mit der Bitte um Mitteilung an die Tochter der Voreigentümerin, Frau Gisela-C. -H2. , ob sie mit einer Freigabe der Informationen aus den Kanal-TV-Untersuchungen vom 6. Juli 2008 und vom 14. April 2009 einverstanden sei, was diese mit Anwaltsschreiben vom 24. Januar 2011 verneinen ließ.

Im April 2011 schlossen die Kläger und die Voreigentümerin eine Vereinbarung, wonach die Voreigentümerin in Erfüllung der Ziffer 10 a) des Kaufvertrages neue Kanalhausanschlussleitungen herstellt, was inzwischen geschehen ist.

Die Kläger tragen vor, die Verweigerung von Auskünften zu den beiden TV-Kanaluntersuchungen sei rechtswidrig. Als jetzige Eigentümer hätten sie das berechtigte Interesse, alle für sie wichtigen Umstände ihres Eigentums zu erfahren, und zwar auch, ob die Verkäuferin entgegen der in Ziffer 10 a des Kaufvertrages abgegeben Erklärung bereits vor Abschluss des Vertrages Kenntnis von weiteren Mängeln gehabt habe. Hieraus könne sich u. U. gemäß § 444 BGB wegen etwaigen arglistigen Verschweigens ergeben, dass der vertragliche Ausschluss der Sachmängelhaftung unwirksam sei. Überwiegende schutzwürdige Belange i. S. d. § 9 Abs. 1 e) IFG NRW seien nicht gegeben.

Die Sache sei nicht durch den Abschluss der außergerichtlichen Vereinbarung vom April 2011 erledigt. Das Interesse an der Kenntnis, ob und welche Mängel die Verkäuferin ggf. verschwiegen habe, sei dadurch nicht berührt.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 30. November 2010 zu verurteilen, den Klägern Zugang zu den vollständigen Dokumentationen der TV-Kanal-Untersuchungen vom Jahr 2006 und vom Jahr 2009 betreffend die Grundstücksentwässerungsanlage des Grundstücks "G.---straße 65" in E. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, die von den Klägern geforderten Unterlagen enthielten personenbezogene Daten Dritter. Die ehemalige Grundstückseigentümerin bzw. deren Tochter habe der Freigabe widersprochen. Die TV-Kanaluntersuchungen seien von der Voreigentümerin in Auftrag gegeben worden, befänden sich daher in ihrem Eigentum. Die Herausgabe der in der Verwaltungsakte befindlichen Kopien sei wegen Urheberrechtsschutzes nicht möglich. Die Voreigentümerin bzw. die Beigeladenen, hätten ein schutzwürdiges Interesse an der Zurückhaltung der geforderten Unterlagen, nämlich den Schutz ihres Eigentumsrechts/Urheberrechts an den von ihr in Auftrag gegebenen Gutachten. U. U. könnten auch die Firmen, die die Kanaluntersuchungen vorgenommen hätten, Urheberrechtsschutz geltend machen.

Die Beigeladenen beantragen,

die Klage abzuweisen.

Sie tragen vor, nach der im Anschluss an einen Ortstermin vom 4. April 2011 getroffenen umfassenden außergerichtlichen Vereinbarung, wonach die Voreigentümerin neue Kanalhausanschlussleitungen herstelle und mittlerweile hergestellt habe, fehle es an einem Rechtsschutzinteresse für das Auskunftsbegehren. Gewährleistungsansprüche wegen vermeintlicher Sachmängel seien nicht ersichtlich und nicht existent.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig.

Eine Erledigung der Hauptsache ist nicht eingetreten. Der im Nachklang zum Grundstückskaufvertrag vom 3. August 2010 geschlossene zivilrechtliche außergerichtliche Vergleich über die Neuherstellung der Grundstücksentwässerungsleitungen vom April 2011 und seine Umsetzung tangieren die öffentlichrechtliche Frage, ob ein Anspruch der Grundstückseigentümer auf vollständigen Zugang zu den über ihr Grundstück vorhandenen Unterlagen gemäß § 4 Abs. 1 IFG NRW besteht, nicht.

Die Klage ist auch begründet. Der Ablehnungsbescheid vom 30. November 2010 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, soweit er eine Versagung des begehrten Informationszugangs enthält. Er wird insoweit aufgehoben. Die Kläger haben einen Anspruch auf vollständigen Zugang zu den bei der Beklagten vorhandenen Unterlagen bzw. Dokumentationen der TV-Kanal-Untersuchungen vom Jahr 2006 und vom Jahr 2009 betreffend die Grundstücksentwässerungsanlage ihres Grundstücks G. straße 65 in E. .

Anspruchsgrundlage für das Begehren der Kläger ist § 4 Abs. 1 IFG NRW. Danach hat jede natürliche Person nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den in § 2 IFG NRW genannten Stellen Anspruch auf Zugang zu den bei dieser Stelle vorhandenen amtlichen Informationen.

Die Beklagte ist eine öffentliche Stelle i. S. v. §§ 1, 2 IFG NRW. Sie gehört als eigenbetriebsähnliche Einrichtung der Stadt E. zum Kreis der auskunftspflichtigen öffentlichen Stellen, da sie, wie in § 2 Abs. 1 IFG NRW vorausgesetzt, Einrichtung einer Gemeinde ist und Aufgaben der öffentlichen Verwaltung - nämlich die Stadtentwässerung - wahrnimmt.

Der begehrte Zugang zu den Ergebnissen der Kanaluntersuchungen fällt in den Anwendungsbereich des § 2 IFG NRW. Die entsprechenden Unterlagen befinden sich (teilweise als Fotokopien) bei der Beklagten. Sie stellen Informationen i. S. d. Begriffsbestimmung des § 3 IFG NRW dar. Hiervon umfasst sind alle Medien, die Informationen in Schrift-, Bild-, Ton- oder Datenverarbeitungsform oder in sonstiger Form speichern können, also hier auch etwaige Videoaufnahmen.

Hinsichtlich des Antrages der Kläger bestehen keine spezielleren Anspruchsgrundlagen, die nach der Subsidiaritätsklausel des § 4 Abs. 2 IFG NRW dem hier verfolgten Anspruch vorgehen. Nach dieser Vorschrift gehen besondere Rechtsvorschriften über den Zugang zu amtlichen Informationen, die Auskunftserteilung oder die Gewährung von Akteneinsicht den Vorschriften des IFG NRW vor.

Solche dem IFG NRW vorgehenden Regelungen greifen hier nicht ein. Insbesondere geht dem Informationsfreiheitsgesetz nicht ein etwaiger Anspruch nach § 29 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) NRW vor,

vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 31. Januar 2005 - 21 E 1487/04 -, NJW 2005, 2028, 2029.

Es kann deshalb hier dahin stehen, ob überhaupt ein strikter Anspruch nach § 29 VwVfG oder lediglich ein diesbezüglicher Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung vorliegt. Das Bestehen eines Anspruchs ist zweifelhaft, weil es an der Voraussetzung eines anhängigen Verwaltungsverfahrens fehlt. Außerhalb eines Verwaltungsverfahrens besteht aber unter der Voraussetzung der Glaubhaftmachung eines berechtigten eigenen Interesses ein Anspruch auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens hinsichtlich der begehrten Einsichtnahme,

BVerwG, Urteil v. 16. September 1980 - 1 C 52.75 -, BVerwGE 61, 15, Urteil v. 23. Juni 1982 - 1 C 222.79 -, Buchholz 316 Nr. 2 zu § 29 VwVfG, Urteil v. 5. Juni 1984 -- 5 C 73/82 -, Buchholz 316 Nr. 6 zu § 29 VwVfG; BayVGH, Urteil v. 22. März 1988 - Nr. 21 B 87.03439 -, BayVBl. 1988, 404., OVG NRW, Urteil vom 22. Juli 1988 - 20 A 1063/87 -, VG Göttingen, Urteil vom 11. Februar 2009 - 1 A 393/06 -, siehe auch Herrmann in Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, § 29, Rdnr. 7

Ein solcher Anspruch könnte hier gegeben sein, wenn die Kläger als Eigentümer ein berechtigtes Interesse nachweisen könnten. Möglicherweise wäre diesbezüglich sogar von einer Ermessensreduzierung auf die Stattgabe als allein richtiges Ergebnis (Ermessensreduzierung "auf Null") auszugehen.

Entgegen der Ansicht der Beklagten und der Beigeladenen steht dem Informationsbegehren nicht der gesetzliche Verweigerungsgrund des § 9 Abs. 1 IFG entgegen. Nach dieser Vorschrift ist der Antrag abzulehnen, soweit durch das Bekanntwerden der Information personenbezogene Daten offenbart werden.

Nach § 3 Abs. 1 Datenschutzgesetz Nordrhein-Westfalen (DSG NRW) sind personenbezogene Daten Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (betroffene Person). Diese Definition, die wortgleich mit der in § 3 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) enthaltenen Definition ist, umfasst alle Angaben über den Betroffenen selbst, seine Identifizierung und Charakterisierung oder einen auf ihn beziehbaren Sachverhalt; dazu gehören innerhalb eines sehr weiten Begriffsverständnisses auch die rechtlichen, sozialen, wirtschaftlichen und sonstigen Beziehungen des Betroffenen zur Umwelt,

vgl. Gola/ Schomerus, Bundesdatenschutzgesetz, 8. Aufl. 2005, § 3 Rnr. 4 ff. ; Dammann in: Simitis (Hrsg.), Kommentar zum Bundesdatenschutzgesetz, 5. Aufl. 2003, § 3 Rnrn. 7, 11.

In den hier streitgegenständlichen Unterlagen über die Prüfung der Grundstücksentwässerungsleitungen dürften personenbezogene Daten enthalten sein, nämlich der Name der (früheren) Grundstückseigentümerin und die Grundstücksbezeichnung.

Zu bezweifeln ist allerdings, dass diese Daten gegenüber den Klägern als den Grundstückserwerbern schutzbedürftig sind (und etwa geschwärzt werden müssten, wie dies die Beklagte in den den Klägern zur Verfügung gestellten Schreiben vom 14. Oktober 2008, vom 12. Dezember 2008 und vom 15. Juni 2009 vorgenommen hat). Denn es liegt in der Natur der Sache, dass die Vertragspartner des Grundstückskaufvertrages jeweils ihre (dort festgehaltenen) persönlichen Daten (sogar einschließlich Geburtsdaten und Geburtsnamen) und selbstverständlich die Bezeichnung des Grundstücks, das Gegenstand des Vertrages ist, bereits kennen. Jede Geheimhaltung bereits bekannter Daten geht ins Leere.

In Zweifel zu ziehen ist weiter, ob die Berichte über die beiden Kanal-TV-Untersuchungen personenbezogene Daten der Voreigentümerin oder ihrer bevollmächtigten Tochter darstellen oder enthalten, die im Interesse der Beigeladenen zu schützen sind. Hinsichtlich der persönlichen Daten der Frau C. -H2. gilt das eben Gesagte. Diese sind bereits aus dem Grundstückskaufvertrag ersichtlich, einschließlich Geburtsdatum, Geburtsnamen und Wohnadresse. Abgesehen von Namen und der Grundstücksbezeichnung enthalten die Unterlagen über die Kanaluntersuchungen Ausführungen über den Zustand der Anschlussleitungen, ggf. Fotos und einen Film, der das Innere der Schmutzwasserleitung und der ehemals auf dem Grundstück vorhandenen beiden Oberflächenwasserleitungen zeigt. Dabei dürfte es sich nicht um personenbezogene Daten Dritter handeln, wie auch der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat.

Ob in den betreffenden Unterlagen personenbezogene Daten enthalten sind, kann aber offen bleiben, weil - wenn man hier eine wirksame Verweigerung des Einverständnisses durch die Voreigentümerin unterstellt - eine Verweigerung jedenfalls durch § 9 Abs. 1 e) IFG NRW überwunden wird. Nach dieser Vorschrift ist ein Informationszugang trotz fehlender Einwilligung betroffener Dritter zu gewähren, wenn die Antragstellerin oder der Antragsteller ein rechtliches Interesse an der Kenntnis der begehrten Information geltend macht und überwiegende schutzwürdige Belange der betroffenen Person der Offenbarung nicht entgegen stehen.

§ 9 Abs. 1 IFG dient dem Schutz des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung, mit dem die Befugnis des Einzelnen gewährleistet ist, grundsätzlich über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Dieses Recht ist allerdings nicht schrankenlos gewährleistet, sondern im überwiegenden Allgemeininteresse beschränkt, wenn eine Gesetzesvorschrift dies vorsieht,

Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Urteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 -, BVerfGE 65, 1, 42 ff. = NJW 1984, 419 ff. (sog. Volkszählungsurteil).

Eine solche gesetzliche Regelung stellt § 9 Abs. 1 2. Halbsatz IFG NRW dar. Nach § 9 Abs. 1 e) IFG NRW ist ein rechtliches Interesse erforderlich, d. h. ein solches, das dem Antragsteller eine qualifizierte Rechtsposition verschafft. Er muss daher ein gerade ihm zustehendes subjektives Recht geltend machen können, in dessen Zusammenhang er die Informationserteilung begehrt.

Ein derartiges subjektives Recht ergibt sich im vorliegenden Fall aus der Eigentümerstellung der Kläger an dem betreffenden Grundstück, um dessen Entwässerungsleitungen es in den begehrten Kanal-TV-Untersuchungsprotokollen geht. Die Kläger sind durch den Eigentumserwerb in die vorherige Position der verstorbenen Mutter der Beigeladenen eingerückt. Sie haben danach über das Grundstück die alleinige allumfassende Verfügungsgewalt, alle mit dem Eigentum an dem Grundstück verbundenen zivilrechtlichen Rechte und Pflichten (§§ 903, 985 ff. Bürgerliches Gesetzbuch - BGB) und zugleich alle öffentlichrechtlichen Verpflichtungen wie z. B. die nach § 61 a Landeswassergesetz (LWG) NRW. Daraus, aus der Rechtsnachfolge gegenüber der vorherigen Eigentümerin im Bezug auf das Grundstück, erwächst gegenüber Behörden, die Informationen über das ihnen gehörende Grundstück verwalten (und sogar von der Voreigentümerin - hier als Nachweis einer ordnungsgemäßen Grundstücksentwässerung - angefordert haben), ein grundsätzlicher Anspruch auf Informationszugang. Dieser Anspruch richtet sich nicht nur auf Unterlagen, die ab dem Zeitpunkt des Eigentumserwerbs entstanden sind, sondern besteht auch in Bezug auf die aktenmäßige Historie, also auch über den aktenmäßigen Werdegang und frühere Inhalte. Schließlich trifft die Grundstückseigentümer auch jegliche Verpflichtung, die aus Handlungen früherer Eigentümer erwachsen, z. B. bei einer vorhandenen Altlast.

Der von den Klägern aufgeworfenen Frage einer u. U. beabsichtigten Schadenersatzklage wegen Grundstücksmängeln im Fall eines Entfallens des Haftungsausschlusses durch erfolgreiche Arglisteinrede der Kläger (ggf. ermöglicht durch Kenntnisse aus dem begehrten Informationszugang) muss demgemäß als Grundlage eines berechtigten Interesses hier nicht weiter nachgegangen werden. Die Kammer weist zur Frage eines besonderen Interesses aus einer anderen als der Eigentümerstellung am betreffenden Grundstück aber auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln hin, in dem der Eigentümer eines mit einer Grunddienstbarkeit belasteten Wegegrundstücks den Zugang zur Bauakte, d. h. auf Einsichtnahme in Bau- und Nutzungsänderungsanträge sowie in hierauf erteilte baurechtliche Genehmigungen betreffend die herrschenden Grundstücke erhielt,

VG Köln, Urteil vom 25. November 2005, - 27 K 6171/03 -, NWVBl 2006, 308.

Eine ähnliche Situation liegt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für Nordrhein-Westfalen vom 22. Juli 1988 zugrunde,

- 20 A 1063/87 -, BauR 1989, 74, NJW 1989, 544.

Nach dieser Entscheidung hat der im Baugenehmigungsverfahren nicht beteiligte Nachbar nach Abschluss des Verfahrens Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht nach § 29 VwVfG (das IFG NRW gab es zur Zeit der Entscheidung noch nicht) in die das Baugenehmigungsverfahren betreffenden Verwaltungsvorgänge, wenn er die Akteneinsicht zur Vorbereitung einer zivilrechtlichen Klage gegen den Bauherrn benötigt. Daraus folge das - auch im Rahmen des § 9 Abs. 1 e) IFG NRW vorausgesetzte - rechtliche Interesse.

Dem Informationszugang stehen keine überwiegenden schutzwürdigen Belange (§ 9 Abs. 1 e) IFG NRW) Dritter entgegen. Den Beigeladenen ist entgegenzuhalten, dass mit der Grundstücksveräußerung jegliche Informationen in den grundstücksbezogenen Behördenakten den Erwerbern kraft Rechtsnachfolge preisgegeben sind. Die Vorstellung der Beigeladenen, sie könnten beanspruchen, dass die Beklagte den neuen Eigentümern grundstücksbezogene Informationen vorenthalten möge, verkennt die Wirkungen der Rechtsnachfolgerschaft. Sie ist nicht schutzwürdig i. S. d. § 9 Abs. 1 e) IFG NRW.

Der Einwand der Beklagten und der Beigeladenen, es handele sich bei den betreffenden Unterlagen um dem Urheberrechtsschutz unterliegende Werke, dessen Weitergabe an die Kläger urheberrechtlich nicht zulässig sei, ist nicht nachvollziehbar.

Ein Recht der Beigeladenen als Rechtsnachfolgerin der Auftraggeberin und damit Erwerberin des Werks und möglicherweise ein Recht der die Abwasserleitungen untersuchenden Unternehmen steht einer Einsichtnahme durch die gegenwärtigen Grundstückseigentümer nicht entgegen.

Ein Eigentumsrecht der Beigeladenen an den betreffenden Unterlagen besteht nicht. Es gibt kein solches Recht früherer Eigentümer, das bis in die Behördenakten reichen könnte. Wie das gesamte Grundstück ist der grundstücksbezogene Bestand an Behördenakten dem Zugriff der früheren Eigentümer entzogen. Die neuen Eigentümer sind - wie oben ausgeführt - nunmehr alleinige Träger zivilrechtlicher und öffentlichrechtlicher Rechte und Pflichten, die mit dem Grundstückseigentum verbunden sind. Das, was sich grundstücksbezogen bei öffentlichen Stellen i. S. d. §§ 1, 2 IFG NRW befindet, ist den neuen Eigentümern "mitverkauft" und übereignet, d. h., die entsprechende Berechtigung zur Einsichtnahme ist übergegangen. Dies erschließt sich zudem daraus, dass es sich bei den Unterlagen über die Ergebnisse der Kanal-TV-Untersuchungen um solche handelt, die die Voreigentümerin nicht aus "freien Stücken", sondern auf amtliche Veranlassung hat erstellen lassen, um eine ordnungsgemäße Grundstücksentwässerung nachzuweisen, was sich aus den o. g. Schreiben der Beklagten vom 12. Dezember 2008 und 15. Juni 2009 erschließt. Zu diesem amtlichen Zweck hat die Beklagte diese Unterlagen sodann zu den Akten genommen und auch zwingend zu den Akten nehmen müssen.

Ein irgendwie geartetes Urheberrecht besteht ebenfalls nicht.

Das Urheberrecht schützt nach den §§ 1 und 2 des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz - UrhG) Werke der Literatur, Wissenschaft und Kunst, insbesondere auch Sprachwerke (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG). Voraussetzung für die Annahme eines "Werkes" in diesem Sinne ist das Vorliegen einer persönlichen geistigen Schöpfung (§ 2 Abs. 2 UrhG). Eine solche kann einerseits in der Gedankenformung und -führung liegen, andererseits aber auch in der Form und Art der Sammlung, der Einteilung und Anordnung des dargebotenen Stoffs,

Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 12. Juni 1981 - I ZR 95/79 -, Kammergericht Berlin, Beschluss vom 11. Mai 2011 - 24 U 28/11 -.

Die Kammer muss nicht beurteilen, ob eine solche schöpferische Gestaltungshöhe z. B. durch einfache juristische Gutachten erreicht wird,

verneint vom Verwaltungsgericht Berlin,

Urteil vom 1. Dezember 2011, - 2 K 91.11 -, JZ 2012, 799,

ähnlich vom Kammergericht Berlin,

Urteil vom 30. Mai 2005, - 26 U 14/04 -,

nach dessen Auffassung Rechtsrat - auch in Manuskriptform oder als Kurzgutachten - regelmäßig der für urheberrechtlichen Schutz erforderlichen Schöpfungshöhe entbehre,

oder ob - wie das VG Berlin meint - in Gestalt eines Architektenentwurfs für einen Zweckbau kein schutzfähiges Werk gegeben sei,

Urteil vom 24. August 2004 - 23 A 1.04 -,

auch wenn diese Entscheidungen eine gewisse Orientierung geben mögen.

Es liegt jedenfalls auf der Hand, dass die Ausführungen über das Ergebnis einer Kanal-TV-Untersuchung und die Untersuchungs-Dokumentation mit Sicherheit nicht die erforderliche Schöpfungshöhe erreichen. Es handelt sich, wie bereits ausgeführt, dabei lediglich um eine technische Zustandsbeschreibung bezüglich der Anschlussleitungen, ggf. verbunden mit der Würdigung, ob und ggf. welche Abhilfe beim Vorhandensein von Mängeln vorzunehmen ist. Darin ist keine geistige Schöpfung i. S. d. §§ 1 und 2 Abs. 2 UrhG zu sehen. Dies gilt auch für erklärende Fotos oder einen Video-Film, die den Kanal-TV-Gutachten ggf. beiliegen. Sie haben gegenüber dem Gutachten selbst nur dienende Bedeutung und zeigen lediglich die Innensicht von Kanalrohren, die auf dem Grundstück der Kläger (außer Funktion) ggf. noch liegen oder jedenfalls lagen.

Soweit die Beklagte den Standpunkt des Bundesgerichtshof anführt,

Urteil vom 29. April 2010 - I ZR 68/08 -, NJW 2010, 2354, ebenso die Vorinstanz, das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg, Urteil vom 2. April 2008- 5 U 242/07 -, VRS 114, 427,

ein in einem Verkehrsunfallschadensgutachten enthaltenes Foto könne ein urheberrechtlich schutzfähiges Werk sein, beachtet sie nicht, dass mit dieser Entscheidung zwar die Einstellung eines solchen Fotos in eine Internet-Restwertbörse für Kraftfahrzeuge als Urheberrechtsverletzung bemängelt, aber ausdrücklich eine Verwendung im Rahmen des Herstellungszwecks als gestattet angesehen wird. Überträgt man diesen aus § 31 Abs. 5 UrhG folgenden Gedanken auf den vorliegenden Fall, so ergibt sich hier eine Unbedenklichkeit einer Verwendung der Unterlagen über die Kanal-TV-Gutachten im Rahmen ihrer Zweckbestimmung, aufgrund derer sie zu den Akten der Beklagten gelangt sind. Dieser Zweck lag - wie bereits erwähnt - in dem amtlich angeforderten Nachweis einer rechtskonformen Entwässerungssituation; eine Akteneinsicht durch spätere Grundstückseigentümer liegt innerhalb dieser Zweckbestimmung.

Davon ganz abgesehen verbietet das Urheberrechtsgesetz bestimmte Verwertungshandlungen, nicht aber eine Akteneinsicht bzw. einen Informationszugang i. S. d. IFG NRW.

Das Recht des Urhebers, § 12 Abs. 2 UrhG, den Inhalt seines Werkes öffentlich mitzuteilen oder zu beschreiben bzw. entsprechende Zustimmungen zu erteilen, wird durch eine Akteneinsicht nicht beeinträchtigt. Veröffentlicht bzw. öffentlich mitgeteilt oder beschrieben ist ein Werk nur, wenn die Allgemeinheit, also ein individuell nicht bestimmbarer Personenkreis, Kenntnis von seinem Inhalt nehmen kann. Dies ist bei einer Akteneinsicht nicht der Fall,

VG Berlin, Urteil vom 1. Dezember 2011, - 2 K 91.11 -, a. a. O.; VG Frankfurt/Main, Urteil vom 23. Januar 2008 - 7 E 3280/06 (V) -, NVwZ 2008, 1384; Schoch, IFG, § 1, Rdnr. 97; Kroitzsch in: Möhring/Nicolini, UrhG, § 12, Rdnr. 8, § 6, Rdnr. 7.

Eine Akteneinsicht tangiert auch nicht das aus § 17 Abs. 1 UrhG folgende Recht des Urhebers, das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes der Öffentlichkeit anzubieten oder in Verkehr zu bringen. Die Kläger haben sich auf das reine Informationszugangsrecht beschränkt und verfolgen keine Veröffentlichungsabsicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig. Diese haben sie nach der Kostenentscheidung selbst zu tragen. Die Beigeladenen haben einen eigenen Antrag gestellt und sind damit unterlegen. Für eine Erstattungsfähigkeit nach § 162 Abs. 3 VwGO ist kein Raum. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.






VG Aachen:
Urteil v. 28.11.2012
Az: 8 K 2366/10


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