Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 15. März 2012
Aktenzeichen: V ZB 102/11

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 18. März 2011 aufgehoben.

Das Ablehnungsgesuch gegen den Richter am Oberlandesgericht D. wird für begründet erklärt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 612.000 €.

Gründe

I.

Die Parteien haben gegen ein Urteil des Landgerichts Berufung eingelegt. Über diese hat ein Senat des Oberlandesgerichts zu entscheiden, dem ein Richter angehört, dessen Ehefrau als Rechtsanwältin in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers tätig ist. Der Richter hat den Parteien gemäß § 48 ZPO von diesem Verhältnis Mitteilung gemacht. Die Beklagte hat den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das Oberlandesgericht 1 hat das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen, mit der die Beklagte ihr Ablehnungsgesuch weiter verfolgt.

II.

Das Berufungsgericht meint, allein der Umstand, dass der Ehegatte eines Richters als Rechtsanwalt in der Kanzlei eines der beteiligten Prozessbevollmächtigten tätig sei, vermöge dann keine Zweifel an der Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit des Richters zu begründen, wenn dessen Ehegatte das Mandat nicht bearbeite und mit der Angelegenheit auch zuvor nicht befasst gewesen sei. Als Teilzeitkraft im Angestelltenverhältnis sei die Ehefrau des Richters von dem Ausgang des Rechtsstreits allenfalls mittelbar betroffen, da sie an den Einnahmen der Sozietät nicht beteiligt sei. Es bestünden auch keine persönlichen Beziehungen zwischen dem Richter und dem Prozessbevollmächtigten des Klägers, die geeignet seien, Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters zu wecken.

III.

Die Rechtsbeschwerde gegen die Zurückweisung des Gesuchs auf Ablehnung eines Richters am Oberlandesgericht ist infolge der Zulassung durch das Oberlandesgericht als Berufungsgericht nach § 574 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO statthaft (BGH, Beschlüsse vom 8. November 2004 - II ZB 24/03, NJW-RR 2005, 294 und vom 5. Februar 2008 - VIII ZB 56/07, NJW-RR 2008, 800; MünchKomm-ZPO/Gehrlein, 3. Aufl., § 46 Rn. 2; Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., § 46 Rn. 14a). Durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (vom 27. Juli 2001, BGBl. I, S. 1887) ist die uneinheitliche frühere Regelung, nach der die Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs durch das Landgericht als Berufungsgericht zulässig (§ 567 Abs. 3 Satz 2 ZPO aF), die durch das Oberlandesgericht als Berufungsgericht jedoch unstatthaft (§ 567 2 Abs. 4 Satz 1 ZPO a.F.) war, beseitigt und durch eine einheitliche, allerdings von einer Zulassung - hier durch das Berufungsgericht - abhängige Rechtsbeschwerde ersetzt worden (BT-Drucks. 14/4722, S. 69 und 116). Das Rechtsmittel ist auch im Übrigen zulässig und hat in der Sache Erfolg.

1. Die Frage, ob allein eine Ehe oder nahe Verwandtschaft eines Richters mit einem in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Gegners tätigen Rechtsanwalt für die Partei die Besorgnis der Befangenheit im Sinne des § 42 Abs. 2 ZPO begründet, ist streitig.

a) Nach einigen Stimmen ist das zu bejahen (OLG Schleswig OLGR 2000, 390; Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., § 42 Rn. 13). Zur Begründung wird auf § 20 Abs. 1 Nr. 3 BRAO aF verwiesen. Nach dieser Vorschrift konnte der Ehepartner oder ein Verwandter eines Richters in demselben Gerichtsbezirk grundsätzlich nicht als Rechtsanwalt zugelassen werden, womit das Ziel verfolgt wurde, den Anschein zu vermeiden, dass der Rechtsanwalt allein auf Grund der persönlichen Beziehungen zu dem Richter in der Lage sei, seinem Mandanten zu einem ungerechtfertigten Erfolg zu verhelfen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. November 1994 - AnwZ (B) 53/94, NJW-RR 1995, 1266 und vom 4. Mai 1998 - AnwZ (B) 78/97, NJW-RR 1999, 572). Dieser allgemeine, früher schon der Zulassung des Rechtsanwalts entgegenstehende Gesichtspunkt komme in einem Rechtsstreit für eine Partei besonders zum Tragen, wenn der Ehegatte des Richters in der den Gegner vertretenden Anwaltskanzlei (als Sozius oder als angestellter Rechtsanwalt) tätig sei. Allein dieser Umstand vermöge aus der Sicht einer vernünftigen Partei die Besorgnis zu begründen, dass der Richter bei der Ausübung seines Amts davon beeinflusst sein könnte (OLG Schleswig, aaO). Zudem wird darauf verwiesen, dass eine Partei nicht wissen könne, ob der in der Anwaltskanzlei des Gegners tätige Ehegatte mit 4 der Sache tatsächlich befasst sei oder nicht, da dies die interne Aufgabenverteilung in einer Kanzlei betreffe (Zöller/Vollkommer, aaO).

b) Dem steht die Ansicht gegenüber, dass die Ehe des Richters mit einer Rechtsanwältin, die zwar Mitglied der Sozietät oder angestellte Anwältin in der den Gegner vertretenden Kanzlei, aber nicht dessen Prozessbevollmächtigte sei, nicht die Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit rechtfertige; es müssten vielmehr konkrete Anhaltspunkte für eine Befangenheit hinzutreten (KG, NJW-RR 2000, 1164, 1165; OLG Celle, OLGR 1995, 272, 273; OLG Hamburg, OLGR 2005, 406; MünchKomm-ZPO/Gehrlein, 3. Aufl., § 43 Rn. 9; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 42 Rn. 4). Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass die Annahme der Befangenheit des Richters wegen der Tätigkeit seines Ehegatten in der Kanzlei des Gegners einem gesetzlichen Ausschließungsgrund im Sinne des § 41 ZPO gleichkäme, der Gesetzgeber aber einen solchen Ausschließungstatbestand in den Katalog des § 41 ZPO nicht aufgenommen habe (OLG Celle, aaO). Auch gebe die inzwischen aufgehobene Vorschrift des § 20 BRAO aF für die Auslegung des § 42 ZPO nichts her, da deren Ziel der Schutz der Rechtspflege vor abstrakten Gefährdungen gewesen sei, während es bei der Frage, ob eine Befangenheit des Richters anzunehmen sei, um eine Entscheidung im konkreten Einzelfall unter Zugrundelegung eines parteiobjektiven Maßstabes gehe (OLG Hamburg, aaO).

Umstände, welche die Besorgnis der Befangenheit in diesen Fällen rechtfertigen, werden dann angenommen, wenn es infolge der Ehe zu einem Gespräch zwischen dem Richter und dem Prozessvertreter des Gegners über den Rechtsstreit gekommen ist (vgl. KG, NJW-RR 2000, 1164, 1165) oder der als Rechtsanwalt tätige Ehegatte des Richters ein besonderes wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Prozesses hat (vgl. LG Hanau, NJW-RR 2003, 1368 - Rechtsstreit über eine Honorarforderung). 6 c) Der Bundesgerichtshof hat zu der Rechtsfrage noch nicht Stellung genommen. Die Entscheidungen, in denen es um persönliche Beziehungen von Richtern zu Rechtsanwälten ging, betrafen Mitglieder in den Vorinstanzen tätiger Rechtsanwaltskanzleien.

2. Der Senat teilt die Ansicht, dass ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann, wenn sein Ehegatte als Rechtsanwalt in der Kanzlei tätig ist, die den Gegner vor diesem Richter vertritt.

a) Ein Ablehnungsgrund nach § 42 Abs. 2 ZPO liegt vor, wenn aus der Sicht der ablehnenden Partei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (Senat, Beschlüsse vom 2. Oktober 2003 - V ZB 22/03, BGHZ 156, 269, 270 und vom 6. April 2006 - V ZB 194/05, NJW 2006, 2492, 2494 Rn. 26). Dafür genügt es, dass die Umstände geeignet sind, der Partei Anlass zu begründeten Zweifeln zu geben, da es bei den Vorschriften der Befangenheit von Richtern darum geht, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität zu vermeiden (BVerfGE, 108, 122, 126 = NJW 2003, 3404, 3405). Die Vorschriften dienen zugleich der Verwirklichung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruchs der Parteien, nicht vor einem Richter stehen zu müssen, dem es an der gebotenen Neutralität fehlt (vgl. BVerfGE 89, 28, 36; BGH, Urteil vom 15. Dezember 1994 - I ZR 121/92, NJW 1995, 1677, 1678).

b) Gemessen daran ist das auf die Tätigkeit der Ehefrau des Richters in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers gestützte Ablehnungsgesuch der Beklagten begründet. Schon die besondere berufliche Nähe der Ehefrau des Richters zu dem Prozessbevollmächtigten des Gegners gibt der Partei begründeten Anlass zur Sorge, dass es dadurch zu einer unzulässigen Ein-8 flussnahme auf den Richter kommen könnte. Auch wenn grundsätzlich davon auszugehen ist, dass Richter über jene innere Unabhängigkeit und Distanz verfügen, die sie befähigen, unvoreingenommen und objektiv zu entscheiden, ist es einer Partei nicht zuzumuten, darauf zu vertrauen, dass eine unzulässige Einflussnahme durch den Gegner unterbleiben wird, und den Richter erst dann abzulehnen, wenn dies doch geschieht und ihr das bekannt wird (zur Begründetheit einer Ablehnung in diesem Falle: vgl. KG, NJW-RR 2000, 1164, 1165).

IV.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Festsetzung des Beschwerdewerts, der hier dem Wert der Hauptsache entspricht (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 1968 - IV ZB 2/68, NJW 1969, 796), folgt aus § 3 ZPO.

Krüger Lemke Schmidt-Räntsch Stresemann Czub Vorinstanzen:

LG Oldenburg, Entscheidung vom 19.11.2010 - 1 O 3447/09 -

OLG Oldenburg, Entscheidung vom 18.03.2011 - 13 U 62/10 - 12






BGH:
Beschluss v. 15.03.2012
Az: V ZB 102/11


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