Bundespatentgericht:
Urteil vom 15. Mai 2003
Aktenzeichen: 3 Ni 22/01

(BPatG: Urteil v. 15.05.2003, Az.: 3 Ni 22/01)

Tenor

Das europäische Patent 0 124 886 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des am 3. Mai 1984 angemeldeten und ua mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten Europäischen Patents 0 124 886 (Streitpatent), das vom Deutschen Patentund Markenamt unter der Nummer 34 84 858 geführt wird und für das der Beklagte die Priorität der deutschen Patentanmeldungen DE 33 16 551 und DE 33 16 552 jeweils vom 6. Mai 1983 in Anspruch genommen hat. Das Streitpatent betrifft eine Vorsatzschalung für eine Wand oder Decke und umfasst 6 Patentansprüche. Patentanspruch 1 in der in der mündlichen Verhandlung überreichten Fassung lautet:

"1. Vorsatzschalung für eine Wand (1) oder Decke aus an ihren Längsseiten mit Nuten (10) versehenen Holzoder Holzwerkstoffplatten, die mittels in die Nuten (10) greifender Krallen (7) an Profilen (2) montiert sind, die an der Wand (1) bzw. Decke befestigt sind, dadurch gekennzeichnet, daß die Profile (2) an der Wand (1) bzw. Decke befestigt sind mittels Verankerungen die aus durch die Profile (2) hindurch in in die Wand (1) bzw. Decke gesetzte Dübel greifenden Schrauben (3) als Zugelementen und gegen die Wand (1) bzw. Decke sowie gegen die Profile (2) abgestützten, elastischen Abstandhaltern (4) als den Zugelementen entgegengerichteten und mit ihnen zusammenwirkenden nachgiebigen Druckelementen bestehen."

Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar zurückbezogenen erteilten Patentansprüche 2 bis 6 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Die Klägerin macht geltend, das Streitpatent sei nicht patentfähig, weil es nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Sie bezieht sich zur Begründung auf folgende Druckschriften bzw Dokumente:

K3 Anlage 3 DE 28 44 920 A1, K4 Anlage 4 Neuheiten für Haus -Garten und Balkon. Firmenschrift der Firma KORILIT Kunststoff-Gesellschaft mbH & Co. KG, 5414 Vallendar bei Koblenz, K5 Anlage 5 C..., W.../K..., K6 Anlage 6 C1..., B..., K7 Anlage 7 So wird's gemacht!. Montageanleitung für ein Spalier. C..., K8 Anlage 8 Schreiben der Fa. Rüde GmbH Kunststoffverarbeitung, 79725 Laufenburg, vom 8. Januar 2001, K9 Anlage 9 Schreiben der Fa. Oskar Lehmann GmbH &

Co. KG, 32825 Blomberg, vom 2. Januar 2001, K10 Anlage 10 nicht existent K11 Anlage 11 AU 413 954 B, K12 Anlage 12 DE 30 24 285 A1, K13 Anlage 13 DE 30 32 343 A1, K14 Anlage 14 DE 30 46 297 A1, K15 Anlage 15 Erstbescheid vom 2. Dezember 1988 mit Erwiderung vom 7. April 1989 zum Erteilungsverfahren des Streitpatents, K16 Anlage 16 Antwort eines Mitbewerbers auf die Abmahnung aus dem Streitpatent "an den Vertreter des Beklagten" vom Oktober 1995, K17 EP 0 643 181 B1, K18 DE1798948U, K19 DE1292355C.

Die eingeführten Druckschriften werden im folgenden als K3 bis K19 zitiert, und zwar angelehnt an die fortlaufende Nummerierung der Anlagen zu den Schriftsätzen der Klägerin.

Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 124 886 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

Der Beklagte verteidigt das Patent mit der erteilten Fassung der Patentansprüche 2 bis 6 und in der Fassung des Patentanspruchs 1 wie in der mündlichen Verhandlung überreicht und beantragt insoweit, die Klage abzuweisen.

Er tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und hält das Streitpatent unter Hinweis auf die Dokumente B1 EP0124886A2 B2 DE 12 92 355 C (auch K19)

für patentfähig (Bezeichnung als B1 und B2 zum Zweck der einfachen Zitierung ebenfalls durch den Senat).

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich als begründet.

Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit führt zur Nichtigkeit des Streitpatents in vollem Umfang, da der Gegenstand des Streitpatents in der Fassung der verteidigten Patentansprüche 1 bis 6 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, Art II § 6 Abs 1 Nr 1 IntPatÜG, Art 138 Abs 1 lit a, Art 52, 56 EPÜ.

I 1.

Das Streitpatent betrifft in der verteidigten Fassung eine Vorsatzschalung für eine Wand oder Decke aus an ihren Längsseiten mit Nuten versehenen Holzoder Holzwerkstoffplatten, die mittels in die Nuten greifender Krallen an Profilen montiert sind, die an der Wand bzw. Decke befestigt sind. Nach den Angaben der Streitpatentschrift ist die herkömmliche Befestigungsart einer Wandoder Deckenverschalung, auf der Wand bzw. Decke eine Unterkonstruktion aus Holzlatten anzubringen und auf dieser die Schalungsplatten anzunageln. Die Unregelmäßigkeiten der Wand würden dabei durch Zwischenlegung von Keilen o dgl unter der Unterkonstruktion an deren Befestigungsstellen ausgeglichen (Streitpatentschrift Sp 1 Z 9-16). Zur Vereinfachung der Montage sei eine Unterkonstruktion aus Metallprofilen entwickelt worden, mit in die Nuten der Platten greifenden Krallen

(DE 12 92 355 C (B2) bzw (K19)). Ein anderer Vorschlag zur Montagevereinfachung gehe gemäß DE 28 44 920 A1 (K3) dahin, die Platten durch in ihre Nuten greifende Federn zu verbinden und diese unter Verzicht auf eine Unterkonstruktion unmittelbar an der Wand zu befestigen durch Verankerungen, die aus durch die Federn hindurch in Wanddübel greifenden Schrauben als Zugelementen und gegen die Wand sowie gegen die Federn abgestützten, elastischen Abstandhaltern als den Zugelementen entgegengerichteten und mit ihnen zusammenwirkenden nachgiebigen Druckelementen bestehen. Zugleich ergebe sich eine gute Wärmeund Schalldämmung (Streitpatentschrift Sp 1 Z 17-49).

2.

Aufgabe des Streitpatents ist es danach, die Montage einer Vorsatzschalung weiter zu vereinfachen, wobei die Möglichkeit wärmeund schalldämmender Ausführungen erhalten bleiben soll (Streitpatentschrift Sp 1 Z 50-53).

3.

Zur Lösung beschreibt Patentanspruch 1 in der verteidigten Fassung eine 1.

Vorsatzschalung für eine Wand oder Decke, 2.

aus an ihren Längsseiten mit Nuten versehenen Holzoder Holzwerkstoffplatten, 3.

die mittels in die Nuten greifender Krallen 4.

an Profilen montiert sind, 5.

die an der Wand bzw. Decke befestigt sind, 6.

wobei die Profile an der Wand bzw. Decke befestigt sind, mittels Verankerungen, 7.

die aus durch die Profile hindurch in die Wand bzw. Decke gesetzte Dübel greifenden Schrauben als Zugelementen 8.

und gegen die Wand bzw. Decke sowie gegen die Profile abgestützten, elastischen Abstandhaltern als den Zugelementen entgegengerichteten und mit ihnen zusammenwirkenden nachgiebigen Druckelementen bestehen.

II 1.

Der Gegenstand des Streitpatents gemäß geltender Anspruchsfassung ist neu, was auch die Klägerin nicht mehr ernsthaft in Abrede gestellt hat. In keinem der im Verfahren befindlichen Dokumente sind nämlich alle Merkmale des Streitpatents vorbeschrieben.

2.

Es bedurfte aber keiner erfinderischen Leistung, um zum Gegenstand der verteidigten Patentansprüche zu gelangen.

2.1. Als nächstliegenden Stand der Technik sieht der Senat in Übereinstimmung mit den Parteien die Entgegenhaltung DE 30 32 343 A1 (K13) an. In ihr wird eine 1.

Vorsatzschalung für eine Wand oder Decke (Anspruch 1 iVm Fig 4), 2.

aus an ihren Längsseiten mit Nuten versehenen Holzoder Holzwerkstoffplatten (Fig 4)

beschrieben, 3.

die mittels in die Nuten greifender Krallen (Anspruch 1 Z 6-9 und Fig 4), 4.

an Profilen montiert sind (Anspruch 1 "C-Schienen" iVm Fig 4), 5.

die an der Wand bzw. Decke befestigt sind (Anspruch 1 und Fig 4), 6.

wobei die Profile mittels Verankerungen an der Wand bzw. Decke befestigt sind (Fig 4).

Damit stimmen die Merkmale 1 bis 6 (Oberbegriff) zwischen Streitpatent und K13 überein. Bei der Nacharbeitung der Lehre aus K13 stößt der Fachmann aber unweigerlich auf das Problem, auch unebene Flächen verkleiden zu müssen und dort bei direktem Anschrauben der Unterkonstruktion an der Wand nicht gewünschte, unebene Oberflächen der Verkleidung zu erhalten. Auf der Suche nach einer Lösung muss ihm die gattungsgleiche DE 28 44 920 A1 (K3) auffallen, nach der solche Unebenheiten mit Hilfe von Verankerungen ausgeglichen werden (vgl S 6 Z 4-17), die 7.

aus durch die Profile hindurch in die Wand bzw. Decke gesetzte Dübel greifenden Schrauben als Zugelementen (vgl K3 Anspruch 1)

8.

und gegen die Wand bzw. Decke sowie gegen die Profile abgestützten, elastischen Abstandhaltern als den Zugelementen entgegengerichteten und mit ihnen zusammenwirkenden nachgiebigen Druckelementen bestehen (vgl K3 Anspruch 1).

Die Merkmale des geltenden Patentanspruchs 1 ergeben sich damit insgesamt und ohne erfinderisches Zutun aus einer Zusammenschau der Dokumente K13 und K3, zu der der Fachmann bei der Lösung des Problems, die Montage von Vorsatzschalungen zu vereinfachen, auch Grund und Anlass hatte.

Eine andere Bewertung der Sachlage ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Argumentation der Beklagten, der Fachmann hätte mindestens drei gedankliche Schritte vollziehen müssen, um die Lehre der K3 in Richtung auf das Streitpatent zu entwickeln. Demnach sprächen diese drei Schritte zumindest in ihrer Gesamtheit soweit für das Vorliegen von erfinderischer Tätigkeit, dass die Vernichtung des Ergebnisses eines Erteilungsakts des Europäischen Patentamts nicht gerechtfertigt sei. Der Fachmann habe nämlich erkennen müssen, dass entgegen der Lehre von K3 doch ein Untergestell von Vorteil sei, und zwar nur ein bestimmtes, nämlich eines mit verschiebbaren Krallen, weil ein Annageln der Krallen auf einer federnd befestigten Unterkonstruktion nicht möglich sei. Zusätzlich habe er einen zwingenden Zusammenhang zwischen der in Figur 1 von K3 insgesamt erkennbaren Art der Verkleidung eines ganzen Zimmers und der dort beschriebenen Verankerungsart lösen müssen, um diese Verankerungsart auf die Profile einer Unterkonstruktion anwenden zu können.

Diese Argumente greifen jedoch nicht, weil -wie es auch durch die Bildung des Oberbegriffs im Patentanspruch 1 des Streitpatents zum Ausdruck kommt -bei der Bewertung der Patentfähigkeit des Streitgegenstands von einem anderen Stand der Technik auszugehen ist. Dort ist jedoch die Verwendung eines Untergestells aus Profilen (dort "C-Schienen" genannt) mit verschiebbaren Krallen für die Montage einer Vorsatzschalung (dort Wandoder Deckenverkleidung genannt) vorausgesetzt. Wenn man dann für die Lösung des Problems einer einfacheren Montage dieses Untergestells, insbesondere auf unebenem Untergrund, die Lehre von K3 heranzieht, fällt es in Anbetracht der Figur 7 in K3 nicht schwer, die Art der Verankerung auch unabhängig von der speziellen Verkleidung eines ganzen Zimmers zu sehen. Dort sind nämlich entsprechend K3 Anspruch 15 die wichtigen Elemente Schrauben, Dübel, Distanzstücke, Leisten und Verkleidungsplatten für sich allein dargestellt und präsentieren sich so direkt für die Verwendung zur Befestigung der C-Schienen nach der Lehre von K13.

Ein Vorliegen von erfinderischer Tätigkeit bei der Entwicklung der streitpatentgemäßen Lehre kann aufgrund dieser Argumentation also nicht erkannt werden.

2.2. Auch die Merkmale der weiteren Patentansprüche 2 bis 6 sind durch die Zusammenschau von K13 und K3 nahegelegt:

Die Merkmale des streitpatentgemäßen Patentanspruchs 2 ergeben sich durch Anwendung der Ausgestaltungen nach den Patentansprüchen 2 und 3 von K3.

Die Ausgestaltung des Streitgegenstands mit den Merkmalen des rückbezogenen Patentanspruchs 4 geht nicht über das handwerkliche Können des Fachmanns hinaus. Bei verminderter Stabilität von Kunststoffprofilen gegenüber den Ausführungen aus Metall ist es für ihn selbstverständlich, versteifende Stege einzuführen.

Die Merkmale der streitpatentgemäßen Patentansprüche 3, 5 und 6 sind wie die des streitpatentgemäßen Oberbegriffs ebenfalls bereits in K13 vorgezeichnet:

Die C-Schiene nach Patentanspruch 1 von K13 entspricht dem U-Profil mit an den Enden einwärts gebogenen Schenkeln nach Patentanspruch 3 des Streitpatents (vgl dazu auch K13 Fig 4 und Fig 1).

Nach den Zeilen 6-9 des Patentanspruchs 1 von K13 werden zur Befestigung der Verschalungsplatten (dort Profilleisten) bewegliche Schieber eingesetzt, die die Längskanten der Verschalungsplatten (Profilleisten) übergreifen sollen. Diese Schieber (vgl K13 Fig 4) entsprechen den streitpatentgemäßen Krallen. Sie sind auch an den einwärts gebogenen Schenkeln der U-Profile und damit an diesen Profilen gleitend geführt (vgl den streitpatentgemäßen Patentanspruch 5). Selbst wenn die Widerlager, die eine Rückwärtsbewegung verhindern sollen, bei der Vorwärtsbewegung im Raster dieser Widerlager zu leichten Widerständen führen, so konnte die Klägerin zur Überzeugung des Senats doch argumentieren, dass dies der Annahme der Ausprägung einer gleitenden Führung in K13 nicht widerspricht. Auch in K13 ist von der Einschiebeöffnung an der C-Schiene bis zum Einsatzort an der jüngst eingesetzten Verschalungsplatte (Profilleiste) eine Bewegung der Krallen (Schieber) über längere Strecken vorgesehen. Der Fachmann würde deswegen keinesfalls so große Widerstände bei der Vorwärtsbewegung einbauen, dass man die Verwirklichung des Gedankens einer gleitenden Führung in K13 verneinen könnte.

Auch die Merkmale des streitpatentgemäßen Patentanspruchs 6, nämlich 1.

die Krallen sind Blechstanzteile, 2.

die ursprüngliche Ebene des Bleches liegt im Profil, 3.

die Krallen liegen von hinten an den umgebogenen Enden des Profils an, 4.

ein Teil der Kralle ist nach vorne herausgewinkelt und 5.

der Haken (herausgewinkelte Teil) ist verbreitert, so dass er die umgebogenen Enden des Profils übergreift, entsprechen Merkmalen, die aus K13 bekannt sind (vgl K13 Fig 1 iVm Patentanspruch 1 Z 6, Patentanspruch 3 Z 3 und Patentanspruch 3 Z 1-4). Diese Merkmale lassen sich so auch bei Verbindung mit den Merkmalen nach den direkt und indirekt rückbezogenen Patentansprüchen des Streitpatents durch einfache Zusammenschau der K13 mit K3 ohne erfinderisches Zutun ableiten.

Somit beruhen auch die Merkmale der Unteransprüche mit ihren Rückbeziehungen nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

3. Bei dieser Sachlage brauchte den im Sachvortrag der Klägerin enthaltenen Beweisangeboten nicht nachgegangen zu werden. Die zum Beweis angebotenen Schriften gehen nämlich nicht über den Offenbarungsgehalt der K3 hinaus.

III Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 PatG iVm § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

Hellebrand Brandt Dr. Gerster Dr. Kellner Dr. Egerer Be






BPatG:
Urteil v. 15.05.2003
Az: 3 Ni 22/01


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