Bundespatentgericht:
Beschluss vom 13. Juli 2005
Aktenzeichen: 9 W (pat) 322/03

(BPatG: Beschluss v. 13.07.2005, Az.: 9 W (pat) 322/03)

Tenor

Das Patent wird widerrufen.

Gründe

I.

Gegen das am 21. Dezember 2000 angemeldete und am 14. November 2002 veröffentlichte Patent 100 64 395 ist Einspruch mit der Begründung erhoben worden, die streitpatentgemäße Niveauregelanlage habe für einen durchschnittlichen Fachmann am Anmeldungstag nahegelegen. Dessen einschlägigen Fachkenntnissen sei insbesondere das vom Senat mit Zwischenverfügung vom 1. Juni 2005 in das Verfahren eingeführte "Controler Aera Network (CAN)" zuzurechnen. Mit dieser gängigen Art der Steuergerätekoppelung sei es ohne weiteres möglich, bei einer gattungsgemäßen Niveauregelanlage zusätzliche Funktionen darzustellen.

Die Einsprechende beantragt, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt, das Patent aufrechtzuerhalten, hilfsweise, das Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechtzuerhalten:

Patentansprüche 1 und 9, eingereicht in der mündlichen Verhandlung am 13. Juli 2005, Beschreibung Spalten 1 bis 6 mit Bezugszeichenliste Sp 6 f., 1 Zeichnung, jeweils wie erteilt.

Weiter erklärte die Patentinhaberin die Teilung des Patents.

Die Patentinhaberin widerspricht den Ausführungen der Einsprechenden in sämtlichen Punkten. Nach ihrer Überzeugung ist der mit Haupt- und Hilfsantrag verteidigte Gegenstand der jeweiligen Patentansprüche 1 neu gegenüber dem genannten Stand der Technik und beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag lautet:

Niveauregelanlage für ein Kraftfahrzeug mit Luftfedern (8a-8d), die zur Niveauregulierung eines Fahrzeugaufbaus mit Druckluft befüllt oder entleert werden können, und mit einem Steuergerät (14), das die Funktionen Befüllen und Entleeren in Abhängigkeit von dem Niveau des Fahrzeugaufbaus regelt, wobei das Steuergerät (14) der Niveauregelanlage über einen Nachrichtenkanal (52) mit einem weiteren Steuergerät (50) des Kraftfahrzeuges in Verbindung steht, dadurch gekennzeichnet, dassdas weitere Steuergerät (50) mit mindestens einem Schalter (46; 54; 56; 58) zur Auslösung einer zusätzlichen Funktion in der Niveauregelanlage verbunden ist, und über den Nachrichtenkanal (52) eine Signalsequenz an das Steuergerät (14) der Niveauregelanlage sendet, wenn der Schalter (46; 54; 56; 58) von einem ersten Zustand in einen zweiten Zustand überführt wird, und dassdas Steuergerät (14) der Niveauregelanlage die zusätzliche Funktion durchführt, wenn es die Signalsequenz empfängt.

Rückbezogene Patentansprüche 2 bis 9 sind dem Patentanspruch 1 nachgeordnet.

Der Patentanspruch 1 nach dem Hilfsantrag lautet (Unterschiede fett):

Niveauregelanlage für ein Kraftfahrzeug mit Luftfedern (8a-8d), die zur Niveauregulierung eines Fahrzeugaufbaus mit Druckluft befüllt oder entleert werden können, und mit einem Steuergerät (14), das ausschließlich die üblichen Funktionen Befüllen und Entleeren in Abhängigkeit von dem Niveau des Fahrzeugaufbaus regelt, wobei das Steuergerät (14) der Niveauregelanlage über einen Nachrichtenkanal (52) mit einem weiteren Steuergerät (50) des Kraftfahrzeuges in Verbindung steht, dadurch gekennzeichnet, dassdas weitere Steuergerät (50) mit mindestens einem Schalter (46; 54, 56, 58) zur Auslösung einer zusätzlichen Funktion in der Niveauregelanlage verbunden ist, und über den Nachrichtenkanal (52) eine Signalsequenz an das Steuergerät (14) der Niveauregelanlage sendet, wenn der Schalter (46, 54, 56, 58) von einem ersten Zustand in einen zweiten Zustand überführt wird, und dassdas Steuergerät (14) der Niveauregelanlage die zusätzliche Funktion durchführt, wenn es die Signalsequenz empfängt unddazu ausschließlich Komponenten der Niveauregelanlage ansteuert, die zur Durchführung der üblichen Funktionen ohnehin vorhanden sind.

Diesem Patentanspruch 1 sind ebenfalls Patentansprüche 2 bis 9 nachgeordnet.

II.

Die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts ist durch PatG § 147 Abs 3 Satz 1 begründet. Der Einspruch ist zulässig. Er hat auch in der Sache Erfolg.

Das Patentbegehren nach Hauptantrag ist der Patentschrift zu entnehmen. Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag enthält außer sämtlichen Merkmalen des erteilten Patentanspruchs 1 weitere Merkmale, die aus der Beschreibung des Streitpatents hervorgehen, vgl insb Abs [0007], [0020], [0025] und [0029]. Die Ursprungsoffenbarung ist unbestritten.

Durchschnittsfachmann ist ein Maschinenbauingenieur der Fahrzeugtechnik, der bei einem Kfz-Hersteller oder -Zulieferer mit der Entwicklung und Adaption von druckluftbasierten Niveauregelanlagen befasst ist und am Prioritätstag des Streitpatents über mehrjährige Berufserfahrung verfügt. Zu seinem einschlägigen Fachwissen zählt die intensive Kenntnis über das international standardisierte "Controler Aera Network" (CAN) für die Steuergerätekopplung in Kraftfahrzeugen wie es beispielhaft in Bosch, Kraftfahrtechnisches Taschenbuch, 22. Auflage (1998), S 800/801 offenbart ist.

In der Beschreibungseinleitung der Streitpatentschrift ist als gattungsbildende Niveauregelanlage für ein Kraftfahrzeug zutreffend diejenige der DE 199 02 049 A1 der Patentinhaberin angegeben. Nach Fig 1 verfügt diese Niveauregelanlage für ein Kraftfahrzeug über Luftfedern 6a-6d, die zur Niveauregulierung eines Fahrzeugaufbaus mit Druckluft befüllt oder entleert werden können, und über ein zentrales Steuergerät 12, das die Funktionen Befüllen und Entleeren in Abhängigkeit von dem Niveau des Fahrzeugaufbaus regelt, vgl auch Sp 5 Z 53 bis Sp 6 Z 21.

Das Onboard Kommunikationssystem "CAN" ist am Anmeldetag des Streitpatents im einschlägigen Fachbereich unbestritten bekannt. In einem Steuergeräteverbund auf der Grundlage von CAN ist das Steuergerät 12 der vorbekannten Niveauregelanlage durch einen Nachrichtenkanal in Gestalt eines seriellen Bussystems mit weiteren Steuergeräten des Kraftfahrzeuges gekoppelt, vgl insb aaO S 800, linke Spalte iVm dem Bild "Lineare Busstruktur". Insbesondere Bedieneinheiten werden dabei über eine serielle Schnittstelle angeschlossen, vgl insb aaO S 800, rechte Spalte, Abs 1. Die Adressierung der Botschaften erfolgt inhaltsbezogen. Damit ist sichergestellt, dass das jeweilige Steuergerät nur diejenigen Informationen erhält, welches es verarbeiten kann, bzw. für seine jeweilige Steuerungsfunktion benötigt. Die räumliche Anordnung der Bedieneinheit zum jeweiligen Steuergerät ist beliebig, weil die Informationsübertragung durch den seriellen Bus erfolgt, an dem alle Steuergräte angeschlossen sind.

Wenn der Durchschnittsfachmann ausgehend von diesem Stand der Technik mit der Aufgabe konfrontiert wird, die Niveauregelanlage oder präziser, den ohnehin im Fahrzeug vorhandenen Drucklufterzeuger der Niveauregelanlage für eine weitere Funktion, zBsp für einen Reifenfüllanschluss zu verwenden, ohne die vorhandenen Komponenten der Niveauregelanlage an sich zu verändern, macht er sich in nächstliegender Weise die Eigenschaften des CAN-Systems zu Nutze. Er wird dazu lediglich eine zusätzliche Bedieneinheit (Schalter) zur Auslösung einer separaten Funktion in der Niveauregelanlage vorsehen, der eine Signalsequenz in Form eines CAN-unterstützten Botschaftsformats an das Steuergerät der Niveauregelanlage sendet, wenn der Schalter von einem ersten Zustand in einen zweiten Zustand überführt wird. Da die zusätzliche Bedieneinheit ihr Steuersignal auf den Datenbus geben muss, ist sie zwingend über eine Schnittstelle an das CAN-System anzuschließen. Derartige Schnittstellen sind entweder eigenständig ausgebildet oder es können, falls vorhanden, auch noch freie Anschlüsse anderer Steuergeräte genutzt werden. Selbstverständlich wird das Steuergerät der Niveauregelanlage die zusätzliche Funktion (zBsp Reifenfüllen) durchführen, wenn es die entsprechende Signalsequenz der Bedieneinheit empfängt.

Dagegen wendet die Patentinhaberin ein, eine derartige Betrachtung sei rückschauend. Die streitpatentgemäße Idee beruhe auf zwei Schritten, dem Auslösen der Zusatzfunktion durch einen Schalter und der Benachrichtigung des weiteren Steuergeräts, welches nicht dasjenige der Niveauregelanlage sei. Darin vermag der Senat jedoch keinen erfinderischen Unterschied zu erkennen. Vielmehr ist er der Überzeugung, dass das Streitpatent lediglich eine CAN-Applikation beinhaltet bzw nachbildet, wie vorstehend dargestellt. Da CAN seit 1993, also bereits 7 Jahre vor dem Anmeldetag des Streitpatents, international genormt (DIN ISO 11898) und in der Fahrzeugtechnik am Anmeldetag zu nahezu 100% verbreitet ist, muss es als einschlägiges Grundwissen des eingangs definierten Durchschnittsfachmannes angesehen und entsprechend berücksichtigt werden.

Demnach ist der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag nicht patentfähig, so dass der Patentanspruch 1 nicht beständig ist.

Die rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 9 teilen dieses Schicksal und haben ebenfalls keinen Bestand.

Soweit die Merkmale der beanspruchten Bremskraftregelvorrichtung nach Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag mit denjenigen des Hauptantrages übereinstimmen, gelten die vorstehenden Ausführungen auch hier. Die zusätzlichen Merkmale dienen laut Aussage des Vertreters der Patentinhaberin in erster Linie einer Klarstellung. In den Oberbegriff des geltenden Patentanspruchs 1 wurde eingefügt, dass die Niveauregelanlage "ausschließlich die üblichen Funktionen Befüllen und Entleeren" regelt. Dies ist bei der gattungsbildenden Anlage unbestritten auch der Fall und somit aus der DE 199 02 049 A1 vorbekannt. Das weitere Merkmal, wonach "dazu ausschließlich Komponenten der Niveauregelanlage an(ge)steuert (werden), die zur Durchführung der üblichen Funktionen ohnehin vorhanden sind." ist eher eine Randbedingung der Aufgabenstellung, wie sie von einem Kraftfahrzeughersteller in der Praxis vorgegeben wird, als ein beschränkendes Merkmal. Wie in der vorstehenden Begründung zum Hauptantrag allerdings schon aufgezeigt worden ist, stellt sich diese Bedingung bzw Beschränkung als eine übliche CAN-Applikation dar, die mit den Kenntnissen des Durchschnittsfachmannes ohne weiteres auszuführen ist.

Insoweit ist der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag ebenfalls nicht patentfähig, so dass dieser Patentanspruch einer beschränkten Aufrechterhaltung des Patents nicht zugrundegelegt werden kann.

Gleiches gilt für die rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 9 .

Petzold Dr. Fuchs-Wissemann Bork Richter Bülskämper ist urlaubsbedingt an der Unterschrift verhindert.

Petzold Bb






BPatG:
Beschluss v. 13.07.2005
Az: 9 W (pat) 322/03


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