Landgericht Düsseldorf:
Urteil vom 13. Mai 2009
Aktenzeichen: 12 O 122/09

(LG Düsseldorf: Urteil v. 13.05.2009, Az.: 12 O 122/09)

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Antragstellerin wird nachgelassen, die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Antragsgegnerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Beide Parteien produzieren und vertreiben Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel. Die Antragsgegnerin beabsichtigt den Vertrieb eines Produktes unter der Bezeichnung "xxx", welches sie als diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke bewirbt. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf das Werbeschreiben der Antragsgegnerin vom 19.02.2009 (Bl. 9 bis 11 GA) und die Umverpackung des Produktes (Bl. 35 GA) verwiesen. Nach der Beschreibung soll das Präparat zur diätetischen Behandlung von ADHS-Patienten eingesetzt werden. Es besteht im Wesentlichen aus Seefischöl, Nachtkerzenöl, Magnesium und Zink.

Die Antragstellerin ist der Ansicht, der Antragsgegnerin sei mit der begehrten einstweiligen Verfügung zu untersagen, das Produkt "xx" als diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke in Verkehr zu bringen. Sie trägt insoweit im Wesentlichen vor, dass das Produkt nicht den gesetzlichen Anforderungen an eine ergänzende bilanzierte Diät entspreche und deshalb als solche auch nicht in Verkehr gebracht werden dürfe, die Antragsgegnerin verstoße gegen das lebensmittelrechtliche Irreführungsgebot gemäß § 11 Abs. 1 LFGB. Die Erkrankung ADHS, eine besonders bei Kindern auftretende neurologischpsychiatrische Störung mit Krankheitswert, gehe nicht mit einem besonderen Ernährungserfordernis einher, spezielle diätetische Maßnahmen seien daher nicht erforderlich. In keinem der wichtigsten Standardlehrbücher der Ernährungswissenschaft und Ernährungsmedizin werde, was zwischen den Parteien nicht im Streit steht, auch nur ansatzweise erwähnt, dass Patienten mit ADHS einer speziellen Ernährung bedürften. Es fänden sich noch nicht einmal Hinweise, dass ADHS eine Erkrankung darstelle, die diätetischen Maßnahmen zugänglich wäre und eine besondere Nährstoffzufuhr erforderlich mache, von der Notwendigkeit einer derartigen Ernährung bei Kindern ganz zu schweigen.

Selbst wenn ADHS-Patienten im besonderen Maße der Zufuhr der in "xx" enthaltenen Inhaltsstoffe bedürften, benötigten sie dafür keine spezielle bilanzierte Diät. Auch fehle es bislang an dem erforderlichen Wirksamkeitsnachweis. Das Produkt könne keine bilanzierte Diät im Sinne des § 1, 14 Diätverordnung sein.

Die Antragstellerin beantragt,

im Wege der einstweiligen Verfügung - der Dringlichkeit wegen ohne vorherige mündliche Verhandlung - wird der Antragsgegnerin bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,00 Euro, Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre)

v e r b o t e n ,

im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken das Produkt "Renard" (wie in Anlage Ast 1 präsentiert) als "Diätisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (Bilanzierte Diät)" in den Verkehr zu bringen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück-

zuweisen.

Die Antragsgegnerin wendet ein, es sei in den letzten Jahren sehr wohl deutlich geworden und wissenschaftlich gesichert, dass ADHS-Patienten einen besonderen medizinsich bedingten Nährstoffbedarf an bestimmten ungesättigten Fettsäuren und Mineralstoffen aufwiesen und ihre Erkrankung diätetischen Maßnahmen zugänglich sei. Insoweit verweist die Antragsgegnerin auf - allgemein zugängliche und bekannte - Studien, die gezeigt hätten, dass ein Mangel an Omega-3-Fettsäuren bzw. eine Imbalanz zwischen Omega-3 und Omega-6-Fettsäuren mit einer Reihe von Verhaltensauffälligkeiten sowie neurologischen und psychiatrischen Störungen assoziiert seien, entsprechende Beziehungen fänden sich auch zum ADHS-Syndrom. Besonders überzeugend und beispielhaft genannt sei nach Ansicht der Antragsgegnerin das Ergebnis der Oxford-Durham-Studie, an welcher anlässlich einer doppelblind- und placebokontrollierten Untersuchung 117 Kinder teilgenommen hätten und bei der langkettige Omega-3-Fettsäuren EPA und DHA in Kombination mit der Omega-6-Fettsäure GLA zugeführt worden seien. Die diätetische Behandlung habe zu signifikanten Verbesserungen des Lesens, der Aussprache und des Verhaltens im Vergleich zum Placebo geführt, nach einem einseitigen Crossover seien die gleichen Effekte auch bei den vormals placebobehandelten Kindern beobachtet worden. Diese Studie hat die Antragsgegnerin - in englischer Sprache - vorgelegt mit Schriftsatz vom 22.04.2009 (Bl. 52 ff. GA). Zudem hat sie sich berufen auf eine sogenannte Johnson-Studie, veröffentlicht im Jahr 2008 (Bl. 61 ff. GA). Insoweit vertritt die Antragsgegnerin die Auffassung, Aufmachung und Inverkehrbringung als "bilanzierte Diät" seien rechtmäßig, da nach neuerer Rechtsprechung des BGH ein medizinisch bedingter Nährstoffbedarf schon dann vorliege, wenn die Patienten einen besonderen Nutzen aus der kontrollierten Aufnahme bestimmter Nährstoffe ziehen könnten, ein ins Einzelne gehender Nachweis sei nicht erforderlich. Dies sei nach den vorgelegten Studien der Fall.

Zur Vervollständigung des Vorbringens der Parteien zum Sach- und Streitstand wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen verwiesen.

Gründe

Der Antragstellerin steht der erhobene Unterlassungsanspruch aus den §§ 8 Abs. 1, 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit den §§ 11 LFBG, 1, 14 b Diätverordnung unter Berücksichtigung des beiderseitigen Parteivorbringens nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu, so dass die von ihr beantragte einstweilige Verfügung nicht zu erlassen, sondern ihr Antrag zurückzuweisen war. Ein solcher Anspruch würde dann bestehen, wenn das Produkt "xx" nicht die Anforderungen an eine bilanzierte Diät erfüllen würde. Das ist indes nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit festzustellen.

Die Bezeichnung eines Mittels als bilanzierte Diät ist irreführend im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 LFGB, wenn dieses Mittel nicht die Voraussetzungen eines diätetischen Lebensmittels für besondere medizinische Zwecke nach § 1 Abs. 1, 2, 4 a und 14 Diätverordnung erfüllt. Darunter versteht man Erzeugnisse, die auf besondere Weise verarbeitet oder formuliert und für die diätetische Behandlung von Patienten bestimmt sind. Sie dienen der ausschließlichen oder teilweisen Ernährung von Patienten mit eingeschränkter, behinderter oder gestörter Fähigkeit zur Aufnahme, Verdauung, Resorption, Verstoffwechselung oder Ausscheidung gewöhnlicher Lebensmittel oder bestimmter darin enthaltener Nährstoffe oder ihrer Metaboliten oder der Ernährung von Patienten mit einem sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf, für deren diätetische Behandlung eine Modifizierung der normalen Ernährung, andere Lebensmittel für eine besondere Ernährung oder eine Kombination aus beiden nicht ausreichen, § 1 Abs. 4 a Satz 2 Diätverordnung.

Dass es sich bei dem Produkt "Renard" um ein Lebensmittel im Sinne des LFGB handelt steht außer Streit. Das Produkt dient der Nahrungsergänzung und ist kein Medikament.

Die Antragstellerin behauptet zwar, dass ADHS-Patienten keinen sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf im Sinne des § 1 Abs. 4 a Satz 2 Fall 2 Diätverordnung haben. Während Sie unwidersprochen vorgetragen hat, in den Standardlehrbüchern werde nicht erwähnt, dass ADHS-Patienten einer speziellen Ernährung bedürften oder die Erkrankung diätetischen Maßnahmen überhaupt zugänglich wäre, verweist die Antragsgegnerin ebenso unwidersprochen auf den neueren Stand der wissenschaftlichen Forschung und dabei insbesondere auf zwei Studien, nach welchen ein Mangel an bestimmten Fettsäuren bzw. eine Imbalance zwischen bestimmten Fettsäuren mit einer Reihe von Verhaltensauffälligkeiten assoziiert ist.

Der Antragstellerin war nicht aufzugeben Auszüge aus den von ihr benannten Lehrbüchern vorzulegen. Diese geben zwangsläufig nicht jeweils den aktuellen Stand von Wissenschaft, Forschung und Lehre wieder. Entscheidend ist indes, dass die Antragsgegnerin, wenn auch in englischer Sprache, die von ihr in Bezug genommenen Studien überreicht hat. Deren Inhalt hat sie - soweit ersichtlich - zutreffend zusammengefasst. Er ist im Übrigen, was die Antragstellerin einräumt, dieser bekannt. Auch die Ergebnisse der beiden Studien bestreitet die Antragstellerin nicht. Sie vertritt insoweit lediglich die Auffassung, dass die Studien bzw. ihre Ergebnisse nicht ausreichend seien. Auch bemängelt sie das Fehlen einer produktbezogenen Studie, welche unstreitig nicht existiert und von der Antragsgegnerin auch nicht in Auftrag gegeben worden ist.

Ein Nährstoffbedarf ist nach neuerer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der die Kammer folgt, nicht nur dann medizinisch bedingt im Sinne der einschlägigen Vorschriften, die weiter oben zitiert wurden, wenn bestimmte Beschwerden, Krankheiten oder Störungen vorliegen, die einen besonderen Ernährungsbedarf zur Folge haben, sondern auch dann, wenn aufgrund der Beschwerden, Krankheiten oder Störungen sonstige besondere Ernährungserfordernisse bestehen, denen mit einer diesen Erfordernissen angepassten Nährstoffformulierung entsprochen werden kann. Dies wiederum kann bereits dann der Fall sein, wenn die an den bestimmten Beschwerden, Krankheiten oder Störungen leidenden Personen einen besonderen Nutzen aus der kontrollierten Aufnahme bestimmter Nährstoffe ziehen können (BGH GRUR 2008, 1118 bis 1121 "Mobil Plus-Kapseln"). Dass dies der Fall ist, hat die Antragsgegnerin schlüssig vorgetragen. Dass dies nicht richtig sei, wird von der Antragstellerin demgegenüber nicht hinreichend substantiiert dargetan.

Die Antragsgegnerin hat unter Bezugnahme auf die sogenannte Oxford-Durham-Studie aus dem Jahr 2005 vorgetragen, dass die dort untersuchten 117 Schulkinder im Alter von 5 bis 12 Jahren mit entwicklungsbedingten Verhaltensauffälligkeiten über drei bzw. sechs Monate placebokontrolliert und doppelblind mit bestimmten Fettsäuren gefüttert worden seien und der Verzehr zu signifikanten Aufmerksamkeitsverbesserungen geführt hat. Als Ergebnis wurde von den Verfassern der Studie festgehalten, dass Fettsäuren eine sichere und wirksame diätetische Behandlungsmöglichkeit von Kindern mit solchen Verhaltensauffälligkeiten bieten. Das dort verwendete Präparat entsprach in seiner Zusammensetzung im wesentlichen dem Produkt "Renard" der Antragsgegnerin, einzig das Verhältnis der Fettsäuren im Fischöl sei, so die Antragsgegnerin unwidersprochen, nicht im Verhältnis von 1 zu 1 standardisierbar.

Dass dieses Ergebnis jüngst in der sogenannten Johnson-Studie aus dem Jahr 2008 bestätigt wurde, zieht die Antragstellerin ebenfalls nicht in Zweifel. Hier wurden 75 Kinder im Alter von 8 bis 18 Jahren ebenfalls randomisiert und doppelblind untersucht, auch hier zeigten sich bedeutsame Verringerungen der ADHS-Symptome nach dem Verkehr eines Präparates mit Omega-3 und Omega-6-Fettsäuren.

Nach der bereits zitierten neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist an den Nachweis der Wirksamkeit einer bilanzierten Diät grundsätzlich keine höhere Anforderung zu stellen als an die wissenschaftliche Absicherung einer sonstigen gesundheitsbezogenen Wirkungsbehauptung.

Unter Berücksichtigung dieser neueren Rechtsprechung ist die Antragsgegnerin den Darlegungsanforderungen in diesem Verfahren nachgekommen.

Ausreichend ist die Feststellung einer nutzbringenden Wirkung der bilanzierten Diät als solcher, was die Antragsgegnerin unter Bezugnahme auf die beiden zitierten Studien dargetan hat. Nicht erforderlich ist ein Wirksamkeitsnachweis der bis ins Einzelne geht und zwar auch nicht hinsichtlich der Wirksamkeit der einzelnen Inhaltsstoffe der bilanzierten Diät.

Der Wirksamkeitsnachweis kann nach neuerer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs durch Vorlage von Studien erbracht werden, die nach allgemein anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt worden sind. Nicht erforderlich ist, dass die Wirksamkeit als solche in der Fachwelt allgemein anerkannt und unumstritten ist (BGH GRUR 2009, 75 bis 79 "Priorin").

Einen wissenschaftlichen Streit oder gar ein ernsthaftes Anzweifeln der beiden Studienergebnisse bringt die Antragstellerin nicht vor. Da an den Nachweis der Wirksamkeit einer bilanzierten Diät aber nach der Rechtsprechung grundsätzlich keine höheren Anforderungen zu stellen sind als an die wissenschaftliche Absicherung einer sonstigen gesundheitsbezogenen Wirkungsbehauptung (BGH a.a.O.) geht die Kammer auf der Grundlage des unwidersprochen gebliebenen Vorbringens der Antragsgegnerin zu Inhalt und Ergebnissen der beiden wissenschaftlichen Studien davon aus, dass ein sonstiger medizinisch bedingter Bedarf an den in dem Produkt der Antragsgegnerin "Renard" enthaltenen Nährstoffen nicht verneint werden kann, da das Beschwerdebild durch die gezielte Zufuhr von Nährstoffen in bestimmter Kombination günstig beeinflusst werden kann und sie daher einen besonderen Nutzen aus der Aufnahme der Nährstoffe ziehen können. Dies genügt für die Annahme, dass das Mittel der Antragsgegnerin für einen medizinisch bedingten Ernährungszweck bestimmt und geeignet ist.

Dass sich das Mittel der Antragsgegnerin durch die Modifizierung der Ernährung oder Verwendung herkömmlicher Nahrungsmittel adäquat ersetzen lässt, § 1 Abs. 4 a Satz 2 Diätverordnung, hat die Antragstellerin nicht hinreichend dargetan. Dass in ist "gut sortierten" Drogeriemärkten eine Vielzahl verschiedener Nährungsergänzungsmittel gibt, in denen jedenfalls teilweise die Inhaltsstoffe von "Renard" enthalten sind, kann dabei problemlos unterstellt werden. Denn dass es Präparate gibt, welche genau die gleiche Kombination von Inhaltsstoffen bei genau den gleichen Anteilen an Nährstoffen aufweisen, behauptet die Antragsgegnerin nicht.

Auch dass ein etwaiger Bedarf durch eine Modifizierung der normalen Erfahrung gedeckt werden könnte, behauptet die Antragstellerin nicht.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war daher zurückzuweisen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 6, 711, 108 ZPO.






LG Düsseldorf:
Urteil v. 13.05.2009
Az: 12 O 122/09


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