Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg:
Beschluss vom 2. November 2009
Aktenzeichen: 5 Ta 113/09

(LAG Baden-Württemberg: Beschluss v. 02.11.2009, Az.: 5 Ta 113/09)

1. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit in Beschlussverfahren betreffend den Antrag der Arbeitgeberin auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur fristlosen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds ist nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG in Anlehnung an die sich aus § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG (jetzt § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG n. F.) ergebende Wertung zu bewerten (Aufgabe der bisherigen Rechtssprechung).

2. Dies kann auch für eine (weiter mögliche) Wertfestsetzung im Auftragsverhältnis zwischen der Arbeitgeberin und den Verfahrensbevollmächtigten der Arbeitgeberin und im Verhältnis zwischen dem einzelnen Betriebsratsmitglied und seinen Verfahrensbevollmächtigten angenommen werden.

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 1. September 2009 - 4 BV 4/09 - abgeändert.Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit der Rechtsanwälte T. und S. wird auf EUR 15 000,00 festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beschwerde der Antragsteller/Beschwerdeführer (im Folgenden Antragsteller) richtet sich gegen die Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit, die das Arbeitsgericht im Zusammenhang mit einem Antrag der Arbeitgeberin auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung des im Ausgangsverfahren zu 3 beteiligten Arbeitnehmers vorgenommen hat.

Die Arbeitgeberin unterhält in N. einen Betrieb mit ca. 112 Arbeitnehmern, die allerdings auf zahlreiche Standorte in der Bundesrepublik Deutschland verteilt sind.

Der im Ausgangsverfahren zu 3 Beteiligte war Mitglied des im Ausgangsverfahren zu 2 beteiligten Betriebsrats. Die Arbeitgeberin hat dem Betriebsratsmitglied eine Arbeitsverweigerungshaltung vorgeworfen und deshalb mit Antrag vom 19. Mai 2009 die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des mit dem Beteiligten zu 3 bestehenden Arbeitsverhältnisses beantragt. Der Beteiligte zu 3 war seit 1. Oktober 1990 bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin beschäftigt und erzielte zuletzt ein durchschnittliches Brutto-Monatseinkommen in Höhe von etwa EUR 5 000,00.

Das Beschlussverfahren endete durch Rücknahme des Antrags durch die Arbeitgeberin, nachdem die Beteiligten in einem anderen Beschlussverfahren einen Vergleich abgeschlossen hatten, der die Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Betriebsratsmitglieds zum Gegenstand hat.

Mit Schriftsatz vom 27. Juli 2009 haben die Antragsteller des Wertfestsetzungsverfahrens um Mitteilung des Wertes des Verfahrensgegenstands gebeten. Mit Verfügung vom 31. Juli 2009 wurden die Arbeitgeberin, der Betriebsrat und die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats vom Arbeitsgericht angehört, und dieses teilte mit, dass es den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit der Antragsteller auf EUR 4 000,00 festzusetzen beabsichtigt. Mit Schriftsatz vom 10. August 2009 haben die Antragsteller gegen diese Absicht Bedenken erhoben und eine Festsetzung des Wertes in Anlehnung an § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG und damit dem dreifachen Brutto-Monatsentgelt des Betriebsratsmitglieds und damit EUR 15 000,00 beantragt.

Mit formlos übermitteltem Beschluss vom 1. September 2009 hat das Arbeitsgericht den Gegen-standswert der anwaltlichen Tätigkeit auf EUR 6 000,00 festgesetzt. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragsteller vom 10. September 2009, mit der sie weiterhin die Festsetzung eines Werts von EUR 15 000,00 in Anlehnung an § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG erreichen wollen.

Mit ausführlich begründetem Beschluss vom 12. Oktober 2009 hat das Arbeitsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Mit Verfügung vom 15. Oktober 2009 hat der Vorsitzende der Beschwerdekammer darauf hingewiesen, dass am vorliegenden Wertfestsetzungsverfahren und Beschwerdeverfahren lediglich der Betriebsrat, die Arbeitgeberin und die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats als Beschwerdeführer zu beteiligen sind. Gegenstand des Verfahrens sei ausschließlich die Festsetzung des Wertes der anwaltlichen Tätigkeit der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats im Verhältnis zu deren Auftraggeber, dem Betriebsrat. Lediglich wegen der Regelung des § 40 BetrVG sei die Arbeitgeberin an dem Wertfestsetzungsverfahren, vertreten durch ihre Verfahrensbevollmächtigten, zu beteiligen. Der Wert der anwaltlichen Tätigkeit der übrigen am Ausgangsverfahren beteiligten Rechtsanwälte sei nicht festzusetzen. Zugleich wies der Vorsitzende der Beschwerdekammer darauf hin, dass die Entscheidung des Arbeitsgerichts der langjährigen und ständigen Rechtsprechung der Streitwertbeschwerdekammer des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg entspräche. Die Beteiligten erhielten Gelegenheit, bis 29. Oktober 2009 abschließend Stellung zu nehmen. Hiervon hat kein Beteiligter Gebrauch gemacht.II.

Die gemäß § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Antragsteller ist begründet. Auf die Beschwerde der Antragsteller ist der angefochtene Beschluss des Arbeitsgerichts Heilbronn abzuändern und der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf EUR 15 000,00 festzusetzen. Das Arbeitsgericht ist in seinem angefochtenen Beschluss zutreffend von der ständigen Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg ausgegangen und hat diese seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Allerdings wird an dieser Rechtsprechung nicht weiter festgehalten und sie mit der vorliegenden Entscheidung ausdrücklich aufgegeben. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit in Beschlussverfahren betreffend den Antrag der Arbeitgeberin auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur fristlosen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds ist nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG in Anlehnung an die sich aus § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG (jetzt § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG n. F.) ergebende Wertung zu bewerten.

1. Zu bewerten ist im Entscheidungsfall der Antrag der Arbeitgeberin auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsmitglieds nach § 103 Abs. 2 BetrVG. Dieser Antrag ist im Verhältnis zwischen dem Betriebsratsgremium und seinen Verfahrensbevollmächtigten nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG zu bewerten, wobei eine Anlehnung an die sich aus § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG (jetzt § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG n. F.) ergebende Wertung zu erfolgen hat.

a) Für die Bewertung derartiger Streitigkeiten gilt nach der ständigen und langjährigen Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg (LAG Baden-Württemberg 4. Oktober 2001 - 3 Ta 100/01 - zitiert nach juris; 10. Dezember 2004 -3 Ta 196/04 - zitiert nach juris), dass der Maßstab für die Bewertung der Bestimmung des § 23 Abs. 2 und 3 RVG (früher § 8 Abs. 2 Satz 2 BRAGO) zu entnehmen ist. Hiernach ist der Gegenstandswert nach billigem Ermessen zu bestimmen. In Ermangelung genügender tatsächlicher Anhaltspunkte für eine Schätzung und bei nicht vermögensrechtlichen Gegenständen ist der Gegenstandswert mit EUR 4 000,00, nach Lage des Falles niedriger oder höher, jedoch nicht über EUR 500 000,00, anzunehmen. Abweichungen von diesem Wert in der einen oder in der anderen Richtung setzen Tatsachen voraus, die ihn als erkennbar unangemessen erscheinen lassen. Hierbei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für den Wert der Leistung des Rechtsanwalts bestimmend sind. Demnach ist in erster Linie auf tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten in der Sache abzustellen, sodann ist das Interesse des Auftraggebers zu berücksichtigen und sonstige im Einzelfall wertbildende Umstände sind ins Auge zu fassen. Eine analoge Anwendung des § 42 Abs. 4 Satz 1 (und Satz 2) GKG (jetzt § 42 Abs. 3 Satz 1 und 2 GKG n. F.) hat die vormals für das Streitwertbeschwerderecht zuständige Kammer 3 mehrfach verworfen. Auch eine Heranziehung zur Ermessenskonkretisierung hat sie insoweit abgelehnt (vergleiche LAG Baden-Württemberg 4. Oktober 2001 - 3 Ta 100/01 - zitiert nach juris; 10. Dezember 2004 - 3 Ta 196/04 - zitiert nach juris). Damit hat sich die Beschwerdekammer gegen anderslautende Entscheidungen von Landesarbeitsgerichten gewandt, die - mit unterschiedlichen Ausprägungen - die Vorschrift des § 42 Abs. 4 GKG (jetzt § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG) in Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG und § 99 Abs. 4 BetrVG zur Ermessenkonkretisierung heranziehen wollen. Weiter hat die Beschwerdekammer 3 auch darauf hingewiesen, dass der in § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG genannte Wert bei nicht vermögensrechtlichen Ansprüchen einen Regelwert darstellt, der nur signifikanten Umständen eine Abweichung nach unten oder oben gebietet (LAG Baden-Württemberg 10. Dezember 2004 - 3 Ta 196/04 - zitiert nach juris, zu II 3 der Gründe). Danach sind im jeweiligen Wertfestsetzungsverfahren ausgehend von dem Regelwert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG Gesichtspunkte festzustellen, die eine Erhöhung oder Verminderung dieses Wertes zu rechtfertigen vermögen, ohne dass ein Rückgriff auf die Regelung des § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG (jetzt § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG n. F.) möglich wäre.

b) Demgegenüber vertreten zahlreiche Landesarbeitsgerichte die Auffassung, dass der auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur fristlosen Entlassung eines Betriebsratsmitglieds gerichtete Antrag des Arbeitgebers nach § 103 Abs. 2 BetrVG im Rahmen des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG in Anlehnung an § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG (jetzt § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG n. F.) zu bewerten ist, wobei teilweise eine vollständige Ausschöpfung des Wertrahmens angenommen wird, teilweise aber ein Abschlag von 20 % vorgenommen wird und teilweise eine Reduktion auf lediglich zwei Monatsgehälter erfolgt (vergleiche LAG Berlin 28. März 1974 - 2 Ta 15/74 DB 1975, 503 [nur Leitsatz]; LAG Berlin 19. August 2003 - 17 Ta (Kost) 6064/03 - EzA-SD 2004, Nr. 1, 9 [nur Leitsatz] zitiert nach juris; auch LAG Baden-Württemberg 25. November 1981 - 1 Ta 147/81 - DB 1982, 860; LAG Bremen 15. August 1984 - 3 TaBV 2/84 - DB 1984, 2416 [Kurzwiedergabe]; LAG Düsseldorf 11. Mai 1999 - 7 Ta 143/99 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 41 = NZA-RR 2000, 592 [nur Leitsatz]; LAG Hamm 22. Oktober 2003 - 10 TaBV 145/03 - EzA-SD 2003 Nr. 25, 15 [nur Leitsatz] zitiert nach juris; LAG Köln 20. Oktober 1998 - 13 Ta 233/98 - AGS 200, 106 = BB 1999, 1072 [nur Leitsatz] zitiert nach juris, zu 2 der Gründe; LAG Nürnberg 21. Juni 2001 - 6 Ta 115/01 - JurBüro 2001, 595 = MDR 2001, 1378, zu III der Gründe; LAG Rheinland-Pfalz 30. März 2004 - 2 Ta 69/04 - NZA-RR 2004, 373 = LAGE BRAGO § 8 Nr. 58, zu II 2 der Gründe; LAG Schleswig-Holstein 1 Ta 178/06 NZA-RR 2007, 541, zu II 3 der Gründe unter ausdrücklicher Aufgabe der früheren anderslautenden Rechtsprechung; vergleiche auch GK-ArbGG/Schleusener Stand 65. Ergänzung September 2009 § 12 Rn. 446; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge-Germelmann ArbGG 7. Auflage 2009 § 12 Rn. 145; Meier Streitwerte im Arbeitsrecht 2. Auflage 2000 Rn. 433 ff.).

c) Die nunmehr ausschließlich für Streitwertbeschwerden zuständige Beschwerdekammer schließt sich der als überwiegend zu bezeichnenden Auffassung der anderen Landesarbeitsgerichte und dem wohl überwiegenden Schrifttum an und bewertet den Antrag auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur fristlosen Kündigung eines Mitglieds des Betriebsrats und damit den Wert der anwaltlichen Tätigkeit des Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsratsgremiums im Verfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG in Anlehnung an die Regelung des § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG (jetzt § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG n. F.). Zwar sprechen gegen die Heranziehung dieser Wertvorschrift dogmatische Gesichtspunkte, im Hinblick auf eine praktikable, vorhersehbare und transparente Festsetzung der Werte der anwaltlichen Tätigkeit unter Berücksichtigung allgemeiner Überlegungen im arbeitsgerichtlichen Streitwertrecht sprechen jedoch die besseren Argument für eine Heranziehung der Wertmaßstäbe.

aa) Ausgangspunkt für die Bewertung und damit die Festsetzung des Wertes der anwaltlichen Tätigkeit der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsratsgremiums für ein Verfahren auf Ersetzung der Zustimmung zur fristlosen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds nach § 103 Abs. 2 BetrVG ist und bleibt § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG. Ausgehend von dem in § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG vorgegebenen Regelwert (vergleiche LAG Baden-Württemberg 10. Dezember 2004 - 3 Ta 196/04 - zitiert nach juris, zu II 3 der Gründe) sind die Interessen des Betriebsratsgremiums zu bewerten. Dabei kommt dem Organisationsschutzinteresse des Betriebsrats im Rahmen des Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 103 Abs. 2 BetrVG erhebliches Gewicht zu. Zielrichtung des Abweisungsantrags des Betriebsrats ist die Respektierung als Organ der Betriebsverfassung. Der Betriebsrat ist durch das Verfahren in seiner wirtschaftlichen Stellung als Organ nicht von den Auswirkungen des Antrags betroffen. Es geht ausschließlich um die Frage, inwieweit der Arbeitgeber durch die beabsichtigte Maßnahme die Ausübung der betriebsverfassungsrechtlichen Befugnisse des Betriebsrats zu Unrecht stört, wenn er als Folge der beabsichtigten Beendigung des Arbeitsverhältnisses in die personelle Zusammensetzung des Gremiums eingreift. Es ist lediglich die Organstellung des Betriebsrats betroffen. Es geht also um die Gewährungsleistung seiner Beteiligungsrechte. Hieraus sich ergebende Streitigkeiten verfolgt der Betriebsrat nicht als Subjekt von Eigentums- oder Vermögensrechten, sondern von Teilhaberrechten im Rahmen der Betriebsverfassung. Diese sind nicht vermögensrechtlicher Natur. Es ist deshalb in Bezug auf die wertbildenden Faktoren für das Interesse des Betriebsrats auf die Wahrung seiner Mitbestimmungsrechte sowie den Aufwand seiner Verfahrensbevollmächtigten im Rahmen des Ausgangsverfahrens abzustellen unter Berücksichtigung der tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten des Verfahrens. Auch die Stellung des vom Antrag betroffenen Betriebsratsmitglieds, etwa ob dieses Vorsitzender des Gremiums oder ein sonstiges Mitglied ist, ist in die Bewertung einzustellen, da hiervon durchaus die Wirksamkeit der Wahrnehmung der Beteiligungsrechte abhängen kann.

bb) Diese Gesichtspunkte werden gerade im Verfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG aber in besonderem Maße von Gesichtspunkten des Kündigungsschutzes des betroffenen Betriebsratsmitglieds beeinflusst und sogar überlagert. Dies wird besonders deutlich, wenn man die Interessenlage des Arbeitgebers und des betroffenen einzelnen Betriebsratsmitglieds ins Auge fasst. Zwar sind deren Interessen gerade nicht zwingend deckungsgleich mit den Interessen des Gremiums, unbeachtlich sind sie aber nach Auffassung der Beschwerdekammer nicht. Im Rahmen des Verfahrens nach § 103 Abs. 2 BetrVG wird letztlich mit präjudizieller Wirkung über die Berechtigung einer beabsichtigten fristlosen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses entschieden.

(1) Wird die Zustimmung des Betriebsratsgremiums rechtskräftig nicht ersetzt, so ist das Kündigungsverfahren noch vor dem Ausspruch einer Kündigung beendet, denn der Arbeitgeber kann die Kündigung mangels Zustimmung des Betriebsratsgremiums nicht wirksam aussprechen. Dies bedeutet für das Gremium zugleich, dass seine personelle Zusammensetzung unverändert bleibt und damit das Organisationsschutzinteresse verwirklicht ist. Für das am Verfahren nach § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG kraft gesetzlicher Anordnung in § 103 Abs. 2 Satz 2 BetrVG beteiligte Betriebsratsmitglied ist damit ebenfalls das Kündigungsverfahren des Arbeitgebers abgeschlossen, denn die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber kann mangels Zustimmung des Gremiums nicht wirksam ausgesprochen werden. Sein Arbeitsverhältnis bleibt ungekündigt bestehen und er kann sein Mandat als Betriebsratsmitglied weiter ausüben.

(2) Wird hingegen die Zustimmung des Betriebsratsgremiums rechtskräftig ersetzt, so ist das individualrechtliche Kündigungsverfahren betreffend das Betriebsratsmitglied zwar nicht schon beendet. Wegen der präjudiziellen Wirkung der Zustimmungsersetzungsentscheidung des Arbeitsgerichts für das nachfolgende Kündigungsschutzverfahren (vergleiche hierzu statt vieler nur KR-Etzel 9. Auflage 2009 § 103 BetrVG 139 ff.), sind jedoch mit Ausnahme sonstiger Unwirksamkeitsgründe die für die Prüfung der Wirksamkeit der außerordentlichen fristlosen Kündigung des Betriebsratsmitglieds bindende Fakten geschaffen.

(3) Im Rahmen des Zustimmungsersetzungsverfahrens werden damit für ein Kündigungsschutzverfahren bindende Fakten geschaffen und damit in weiten Teilen bereits ein späteres Kündigungsschutzverfahren vorweg genommen.

cc) Für eine Ausrichtung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit an die Wertung des § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG (jetzt § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG n. F.) spricht auch, wenn man die weiteren im Nachgang zu einem Beschlussverfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG möglichen Wertfestsetzungsverfahren mit in die Betrachtung einbezieht. Neben dem im vorliegenden Beschwerdeverfahren zu beurteilenden Wertfestsetzungsverfahren zwischen dem Betriebratsgremium, seinen Verfahrensbevollmächtigten und dem Arbeitgeber sind regelmäßig noch im Verhältnis des Arbeitgebers und seinen Verfahrensbevollmächtigten und im Verhältnis des Betriebsratsmitglieds und dessen Verfahrensbevollmächtigten ein Wertfestsetzungsverfahren durchzuführen. In diesen beiden Wertfestsetzungsverfahren liegt eine Anlehnung an die Wertungen aus § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG (jetzt § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG n. F.) im Hinblick auf die präjudizielle Wirkung des Beschlussverfahrens nach § 103 Abs. 2 BetrVG noch viel näher, wie sich aus dem zuvor unter II 1 c bb Gesagten ergibt.

dd) Weiter ist zu beachten, dass durch eine Anlehnung an § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG (jetzt § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG n. F.) bei der Wertfestsetzung auch kaum nachvollziehbare Wertungsdifferenzen zwischen dem Beschlussverfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG einerseits und dem möglicherweise noch nachfolgenden Kündigungsschutzverfahren andererseits verhindert werden können. Es ist nur schwerlich nachvollziehbar, dass im vorangehenden Beschlussverfahren mangels greifbarer, eine Abweichung vom Regelwert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG rechtfertigender Umstände des konkreten Beschlussverfahrens eine Bewertung mit einem Betrag in Höhe von EUR 4 000,00 erfolgen muss, während im nachfolgenden weitgehend präjudizierten Kündigungsschutzverfahren eine Bewertung mit dem Betrag des für die Dauer eines Vierteljahres zu leistenden Arbeitsentgelts erfolgt. Dies kann bei in Vollzeit tätigen Betriebsratsmitgliedern mit höheren Vergütungen ebenso zu einer erheblichen und kaum nachvollziehbaren Differenz führen, ebenso wie bei einem geringen Umfang in Teilzeit oder gar auf geringfügiger Basis tätigen Betriebsratsmitglied. Diese Diskrepanz ist auch nur schwerlich über die unterschiedlichen Bewertungsgrundsätze zu rechtfertigen.

ee) Daneben ist nach Auffassung der Beschwerdekammer auch zu berücksichtigen, dass gerade im Beschlussverfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG die ansonsten im Rahmen von Bewertungen nach § 23 Abs. 3 Satz 2 BetrVG anzuziehenden Gesichtspunkte, wie tatsächliche und rechtliche Schwierigkeit des Ausgangsfalles, Arbeitsaufwand des Rechtsanwalts, sich kaum von denen eines Kündigungsschutzverfahrens unterscheiden. Im Beschlussverfahren wird die Frage des Vorliegens eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB mit bindender Wirkung beurteilt. Damit ist aber der Aufwand und die rechtliche und tatsächliche Schwierigkeit eines Beschlussverfahrens und der damit für den Rechtsanwalt verbundene Aufwand dem eines Kündigungsschutzverfahrens sehr stark angenähert. Dies gilt nicht nur für den den Arbeitgeber oder das einzelne Betriebsratsmitglied vertretenden Rechtsanwalt, sondern auch für den das Betriebsratsgremium vertretenden Rechtsanwalt. Dieser muss sich mit dem Vortrag des Arbeitgebers zum wichtigen Grund im Detail auseinandersetzen.

ff) Auch ein Vergleich mit dem Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG gebietet keine andere Beurteilung. Die Beschwerdekammer hat in zahlreichen Entscheidungen betreffend Wertfestsetzungsbeschwerden in Verfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG bereits entschieden, dass in diesen Verfahren eine Anlehnung an § 42 Abs. 4 Satz 1 (und Satz 2) GKG (jetzt § 42 Abs. 3 Satz 1 und 2 GKG n. F.) nicht in Betracht kommt (LAG Baden-Württemberg 30. Juli 2009 - 5 Ta 33/09 -, zu II 1 der Gründe; 28. September 2009 - 5 Ta 68/09 -, zu II 1 a der Gründe; 28. September 2009 - 5 Ta 77/09 -, zu II 1 a der Gründe; 28. September 2009 - 5 Ta 78/09 -, zu II 1 a der Gründe; 28. September 2009 - 5 Ta 79/09 -, zu II 1 a der Gründe). Im Unterschied zum Beschlussverfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG ist am Verfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG der einzelne betroffene Arbeitnehmer nicht Beteiligter des Beschlussverfahrens, und eine präjudizielle Bindungswirkung der Entscheidung im Zustimmungsersetzungsverfahren auf ein nachfolgendes oder parallel stattfindendes individualrechtliches Urteilsverfahren ist nicht gegeben.

gg) Daneben sprechen auch Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für ein Anlehnen an § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG (jetzt § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG n. F.) und damit eine Ausrichtung des Wertes am Einkommen des Betriebsratsmitglieds. Die Festsetzung des Werts hat weitreichende Bedeutung für die Kosten des Beschlussverfahrens für alle Beteiligte hinsichtlich der Vergütung der verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwälte (§ 32 RVG). Der Arbeitgeber hat sowohl seinen eigenen verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwalt zu bezahlen als auch im Hinblick auf § 40 BetrVG den verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwalt des Betriebsratsgremiums. Er hat deshalb ein Interesse bereits vor Einleitung des Beschlussverfahrens, die insoweit zu erwartenden Kosten sicher abschätzen zu können. Das gleiche Interesse hat aber auch das einzelne Betriebsratsmitglied, das regelmäßig seinen Verfahrensbevollmächtigten selbst zu bezahlen hat. Auch die mit der Vertretung im Beschlussverfahren beauftragten Rechtsanwälte haben ein Interesse an einer vorhersehbaren und transparenten Wertfestsetzung. Eine solche vorhersehbare, transparente und rechtssichere, von unsachlichen Einflüssen freie Wertfestsetzung ist durch eine Anlehnung an § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG (jetzt § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG n. F.) nach Überzeugung der Beschwerdekammer am ehesten zu erreichen. Eine im Rahmen des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG mögliche Erhöhung oder Absenkung des Wertes durch Vervielfachung bzw. Teilung des Regelwerts ist demgegenüber nicht ausreichend vorhersehbar, rechtssicher und transparent.

2. Nicht Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist die Frage der Wertfestsetzung im Auftragsverhältnis zwischen der Arbeitgeberin und den Verfahrensbevollmächtigten der Arbeitgeberin und im Verhältnis zwischen dem einzelnen Betriebsratsmitglied und seinen Verfahrensbevollmächtigten. Diese waren - mit Ausnahme der Arbeitgeberin - wie vom Arbeitsgericht bereits zutreffend gesehen, weder am Wertfestsetzungsverfahren selbst noch am Beschwerdeverfahren zu beteiligen.III.

Die Gebühr nach Nr. 8614 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG entfällt, da die Beschwerde erfolgreich war. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 33 Abs. 9 Satz 2 RVG).






LAG Baden-Württemberg:
Beschluss v. 02.11.2009
Az: 5 Ta 113/09


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