Landgericht Düsseldorf:
Urteil vom 10. Oktober 2008
Aktenzeichen: 39 O 99/08

(LG Düsseldorf: Urteil v. 10.10.2008, Az.: 39 O 99/08)

Tenor

Es wird festgestellt, dass den Klägern für die in ihrem Eigentum befindlichen Vorzugsaktien der Beklagten ein Stimmrecht gemäß § 140 Abs. 2 Satz 1 AktG sowie Nachzahlungsrechte für die seit dem Geschäftsjahr 2003 nicht geleisteten Vorzugsdividenden in Höhe von derzeit 7,05 Euro je Vorzugsaktie zustehen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Feststellungsklage ist zulässig und begründet.

I.

Die Feststellungsklage ist zulässig. Die Kläger haben ein rechtliches Interesse an der Feststellung des Fortbestands ihres Stimmrechts und Rechts auf Nachzahlung der Vorzugsdividende, weil zwischen den Parteien Streit über den Bestand dieser Rechte besteht und zur Klärung dieser Frage keine bessere Rechtsschutzmöglichkeit besteht. Die Anfechtungsklage gegen Hauptversammlungsbeschlüsse mit der Begründung, die Kläger seien zu Unrecht vom Stimmrecht ausgeschlossen worden, stellt keine bessere Rechtsschutzmöglichkeit dar. Mit einer Anfechtungsklage würde die Frage des Stimmrechts nicht rechtskräftig geklärt, weil dies nur eine nicht in Rechtskraft erwachsende Vorfrage der Entscheidung über die Anfechtungsklage ist.

II.

Die Klage ist begründet.

Die Kläger haben bis zur Nachzahlung der seit 2003 aufgelaufenen Vorzugsbeträge (7,05 € je Aktie bis einschließlich Geschäftsjahr 2007) gemäß § 140 Abs. 2 Satz 1 AktG ein Stimmrecht. Unstreitig ist die Vorzugsdividende mehr als zwei Jahre nicht ausgezahlt worden. Der Anspruch auf Nachzahlung dieser Beträge und mit ihm das Stimmrecht ist nicht nach § 227 Abs. 1 InsO in Folge des Insolvenzplans erloschen. Nach § 227 Abs. 1 InsO wird der Schuldner mit der im Insolvenzplan vorgesehenen Befriedigung der Insolvenzgläubiger von seinen restlichen Verbindlichkeiten gegenüber diesen Gläubigern befreit. Das Nachzahlungsrecht der Kläger und der anderen Vorzugsaktionäre wird nicht von der Restschuldbefreiung erfasst.

Nach dem Wortlaut des § 227 Abs. 1 InsO betrifft die Restschuldbefreiung (nur) die Verbindlichkeiten der Insolvenzschuldnerin gegenüber den Insolvenzgläubigern. Die Kläger und die anderen Vorzugsaktionäre waren aber keine Insolvenzgläubiger. Das Nachzahlungsrecht stellt nämlich keine Insolvenzforderung dar, weil zur Zeit der Insolvenzeröffnung noch kein Zahlungsanspruch bestand, der Gegenstand des Insolvenzverfahrens hätte werden können. Insolvenzgläubiger ist gem. § 38 InsO nur der Gläubiger, der einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner hat. Ein solcher Vermögensanspruch fehlt, wenn ein forderungs- oder haftungsbegründendes Rechtsgeschäft bei Verfahrenseröffnung erst in Aussicht genommen oder versprochen worden ist, aber nicht schon bedingt oder befristet vorgenommen wurde (Ehricke in Münchener Kommentar zur InsO, § 38 Rdnr. 17). Das Nachzahlungsrecht ist kein bedingter oder befristeter Anspruch. Mangels abweichender Regelung in der Satzung entsteht ein Zahlungsanspruch erst durch den Gewinnverwendungsbeschluss der Hauptversammlung (Volhard, Münchener Kommentar zum AktG, § 140 Rdnr. 14). Ein solcher Beschluss ist für die Vorzugsbeträge ab dem Geschäftsjahr 2003 (noch) nicht gefasst worden.

§ 227 Abs. 1 InsO ist nicht im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung dahin auszuweiten, dass die Insolvenzschuldnerin nicht nur von ihren Restverbindlichkeiten gegenüber den Insolvenzgläubigern befreit wird, sondern auch von den Nachzahlungsverbindlichkeiten hinsichtlich der Vorzugsdividende. Es mag zwar sein, dass der Fortbestand der Nachzahlungsrechte der Vorzugsaktionäre ein Sanierungshindernis darstellt und die Sanierungsmöglichkeiten, insbesondere die Bereitschaft potenzieller Investoren, Gelder zur Verfügung zu stellen, bei einem Erlöschen dieser Rechte günstiger sind. Diese gegebenenfalls de lege ferenda zu berücksichtigenden Erwägungen rechtfertigen jedoch de lege lata nicht, den Vorzugsaktionären die Rechte durch einen Insolvenzplan zu entziehen. Nach dem geltenden Recht ist ein Zwangseingriff in Gesellschafterrechte durch den Insolvenzplan nicht vorgesehen und nicht möglich (Eidenmüller im Münchener Kommentar zur InsO, § 217 Rd. Nr. 74 ff.). Dementsprechend kann eine Sanierung durch Kapitalherabsetzung und anschließende Kapitalerhöhung nur durch einen Hauptversammlungsbeschluss erfolgen, wie es im vorliegenden Fall auch in der Hauptversammlung vom 08.03.2007 umgesetzt wurde. Nichts anderes gilt für den Entzug der Vorzugsrechte. Diese können gemäß § 141 Abs. 1 AktG mit Zustimmung der Vorzugsaktionäre beschränkt werden.

Die für eine richterliche Rechtsfortbildung notwendige Regelungslücke liegt nicht vor. Die erwünschte Rechtsfolge - Erlöschen von Nachzahlungsrechten der Vorzugsaktionäre - kann nämlich auch ohne Ausweitung des § 227 Abs. 1 InsO und ohne Begründung eines Zwangseingriffs der Gläubiger erzielt werden. Bei einer juristischen Person wie der beklagten Aktiengesellschaft kann eine Restschuldbefreiung nur gemäß § 227 Abs. 1 InsO durch einen entsprechenden Insolvenzplan erzielt werden. Der Insolvenzplan ist Ausdruck der Gläubigerautonomie. Die Gläubiger können die Wirksamkeit des Insolvenzplans gemäß § 249 InsO von Leistungen Dritter, z. B. der Gesellschafter, abhängig machen. Im vorliegenden Fall hätte die Beteiligung der Vorzugsaktionäre erreicht werden können, indem die Wirksamkeit des Insolvenzplans an die Bedingung geknüpft wurde, dass die Nachzahlungsrechte der Vorzugsaktionäre erlöschen. Die Möglichkeit einer Bedingung gemäß § 249 InsO dient nämlich gerade dazu, Dritte in den Plan einzubeziehen, in deren Rechte die Gläubiger nicht eingreifen dürfen (Sinz, Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 249 Rdnr. 2). Damit besteht kein Bedürfnis für eine richterliche Rechtsfortbildung.

Dem steht nicht entgegen, dass das Verfahren nicht praktikabel ist. Die Notwendigkeit der Beteiligung der Aktionäre und der Vorzugsaktionäre mag zwar zu Unwägbarkeiten beim Zustandekommen des entsprechenden Beschlusses sowie zur Anfechtungsklagen gegen den Beschluss führen. Diese Probleme treten jedoch auch bei der unzweifelhaft den Aktionären vorbehaltenen Kapitalherabsetzung und Erhöhung des Grundkapitals auf und sind als Folge der gesetzlichen Regelung hinzunehmen.

Zudem ist die von der Beklagten vorgeschlagene Rechtsfortbildung nicht mit dem System des Aktien- und Insolvenzrechts vereinbar. Nach beiden Rechtsordnungen sind diejenigen, in deren Recht eingegriffen wird, an dem Verfahren zu beteiligen, im Aktienrecht durch die Beteiligung der Aktionäre gemäß § 141 Abs. 1 AktG, im Insolvenzrecht durch Zustimmung der Gläubiger zum Insolvenzplan gemäß §§ 243 ff. InsO. Die von der Beklagten vorgeschlagene Ausweitung des § 227 Abs. 1 InsO würde in vorliegendem Fall dazu führen, dass die Vorzugsaktionäre ihr Nachzahlungsrecht ohne Beteiligung am Verfahren verlieren, mangels Beteiligung am Insolvenzplanverfahren hiervon nicht einmal Kenntnis erlangen und somit auch keinen Anlass zur Anfechtung des Beschlusses haben. Ein derartiges Verfahren ist weder rechtsstaatlich noch durch die Insolvenzordnung gedeckt.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.

Soweit die Formulierung des Tenors vom Antrag abweicht, liegt darin keine sachliche Abweichung.

Streitwert: 5.000,00 Euro






LG Düsseldorf:
Urteil v. 10.10.2008
Az: 39 O 99/08


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