Verwaltungsgericht Köln:
Beschluss vom 26. April 2004
Aktenzeichen: 11 L 673/04

(VG Köln: Beschluss v. 26.04.2004, Az.: 11 L 673/04)

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin. Der Streitwert wird auf 500.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 4. März 2004 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 26. Februar 2004 anzuordnen,

hat keinen Erfolg. Der nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Antrag ist nicht begründet.

Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Verwaltungsgericht die gemäß § 80 Abs. 2 TKG entfallende aufschiebende Wirkung einer Klage gegen den von der Antragstel- lerin angefochtenen Bescheid anordnen, wenn das Interesse der Antragstellerin am vorläufigen Aufschub der Vollziehung das öffentliche Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung des Bescheids überwiegt. Dies ist der Fall, wenn sich der Bescheid bei der im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig erweist. Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt, da die Erfolgsaussichten in der Hauptsache derzeit offen sind und ein überwiegendes privates Interesse der Antragstellerin an einer Ausset- zung der Vollziehung nicht besteht.

Rechtsgrundlage für die Verfügung ist § 43c Abs. 1 Satz 4 des Telekommunikati- onsgesetzes (TKG) vom 25. Juli 1996 (BGBl. I S. 1120), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs von 0190er-/0900er- Mehrwertdiensterufnummern vom 9. August 2003, BGBl. I, S. 1590. Nach dieser Norm kann die Antragsgegnerin den Rechnungssteller bei gesicherter Kenntnis einer rechtswidrigen Nutzung auffordern, für diese Nummer keine Rechnungslegung vor- zunehmen. Bedenken gegen die Anwendbarkeit des TKG ergeben sich nicht daraus, dass die Anbieterin der in Rechnung gestellten Internetdienstleistungen - die Firma E. Ltd. - ihren Sitz in Großbritannien hat. Denn Anknüpfungspunkt für die Verfü- gung ist nicht die Erbringung der Dienstleistung, sondern die Verwendung eines An- wählprogrammes, das eine Verbindung zu einer deutschen Festnetzrufnummer her- stellt und damit in den Regelungsbereich des TKG fällt.

Die Verfügung ist formell nicht zu beanstanden; insbesondere bestehen keine Zweifel an der Zuständigkeit der Antragsgegnerin. § 43 c Abs. 1 TKG ermächtigt die Antragsgegnerin, Anordnungen im Rahmen der Nummernverwaltung zu treffen und insbesondere im Fall der rechtswidrigen Nutzung einer Nummer die Rechnungsle- gung für diese Nummer zu untersagen. Da sich die angegriffene Verfügung auf einen Verstoß gegen §§ 43c Abs. 1 Sätze 1 und 4 TKG i.V.m. § 43b Abs. 6 TKG stützt, war die Antragsgegnerin für den Erlass der Verfügung zuständig; die Frage, ob die Vor- aussetzungen dieser Normen tatsächlich vorlagen, berührt hingegen nicht die Zu- ständigkeit der Antragsgegnerin, sondern ist allein eine Frage der materiellen Rechtmäßigkeit der Verfügung.

Ob auch die materiellrechtlichen Voraussetzungen des § 43c Abs. 1 Sätze 1 und 4 TKG gegeben sind, insbesondere ob eine rechtswidrige Nutzung im Sinne des § 43c Abs. 1 Satz 4 TKG vorliegt, ist nach dem derzeitigen Verfahrensstand of- fen.

Eine unmittelbare Anwendung des § 43c Abs. 1 Satz 4 TKG auf die hier im Streit befindliche Konstellation scheidet aus. Wie sich aus dem Gesetzeszusammenhang mit § 43c Abs. 1 Satz 3 TKG ergibt, regelt die Vorschrift unmittelbar nur die rechts- widrige Nutzung einer 0190er- oder 0900er-Mehrwertdiensterufnummer. Im vorlie- genden Fall wird jedoch durch das Anwählprogramm nicht eine solche 0190er- oder 0900er-Mehrwertdiensterufnummer angewählt, sondern eine normaltarifierte Fest- netzrufnummer (069-000000000).

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ergibt sich eine unmittelbare An- wendung des § 43c Abs. 1 Satz 4 TKG auch nicht aus einem Verstoß gegen § 43b Abs. 6 TKG. Nach dieser Vorschrift dürfen kostenpflichtige Dialer, bei denen neben der Telekommunikationsdienstleistung Inhalte abgerechnet werden, nur über Ruf- nummern aus einer von der Regulierungsbehörde hierzu zur Verfügung gestellten Gasse angeboten werden. Der Begriff des Dialers wiederum ist in § 43b Abs. 5 Satz 1 TKG gesetzlich definiert; es handelt sich demnach um "Anwählprogramme über 0190er- oder 0900er-Mehrwertdiensterufnummern". Der Begriff des "Dialers" kann aufgrund der ausdrücklich in den Gesetzestext aufgenommenen Legaldefinition in den verschiedenen Absätzen des § 43b TKG nicht unterschiedlich ausgelegt wer- den; der Gesetzgeber wollte ersichtlich eine einheitliche Begriffsdefinition schaffen.

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin führt dies innerhalb der Systema- tik der §§ 43b und 43c TKG nicht zu Wertungswidersprüchen. Der Gesetzgeber hat in den neugefassten Vorschriften ausdrücklich nur die Anwahl von 0190er- oder 0900er-Mehrwertdiensterufnummern erfasst. Ein Anwählprogramm, das eine Verbin- dung zu einer sonstigen Rufnummer herstellt, ist also nicht ein unzulässiger Dialer im Sinne des § 43b Abs. 6 TKG, sondern ist vielmehr überhaupt kein "Dialer" im Sinne des Gesetzes, vgl. § 43b Abs. 5 TKG, und unterfällt somit nicht dem unmittelbaren Regelungsbereich des Gesetzes.

Offen und im Rahmen der hier gebotenen summarischen Prüfung nicht zu klären ist jedoch die Frage, ob § 43c Abs. 1 Satz 4 TKG auf die vorliegende Fallkonstellation analog angewendet werden kann oder ob die Antragsgegnerin sich möglicherweise auch auf die allgemeinere Norm des § 43c Abs. 1 Satz 1 TKG als Ermächtigungsgrundlage für ihre Verfügung stützen kann.

Bei dieser Prüfung wird zu berücksichtigen sein, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung des TKG ausdrücklich den Missbrauch mit den 0190er-/0900er- Mehrwertdienstenummern bekämpfen wollte, die wiederum dazu dienen, Dienstleistungen schnell und einfach über die Telefonrechnung der jeweiligen Telekommunikationsgesellschaft abzurechnen.

Vgl. Deutscher Bundestag, Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs von 0190er-/0900er-Mehrwertdienstenummern, Begründung, Drucksache 15/907, S. 8.

Eine derartige Abrechnung über die Telefonrechnung erfolgt bei der Antragstellerin gerade nicht, sondern diese schickt den Verbrauchern separate Rechnungen über die angeblich in Anspruch genommenen Internetdienstleistungen zu.

Andererseits spricht jedoch Vieles dafür, dass es sich bei der vorliegenden Abrechnungsvariante um eine Umgehung des Gesetzes handelt, die davon profitiert, dass der Gesetzgeber in § 43b Abs. 6 TKG nicht jedes Anwählprogramm in eine bestimmte Rufnummerngasse verwiesen hat - was angesichts der bei Anwählprogrammen generell gegebenen Missbrauchsmöglichkeiten möglicherweise nahe gelegen hätte -, sondern nur diejenigen Anwählprogramme, die Verbindungen zu 0190er- oder 0900er-Mehrwertdiensterufnummern herstellen. Eine Umgehung des Gesetzes kommt deswegen in Betracht, weil über die nunmehr praktizierte Art der Abrechnung im Ergebnis wieder Blocktarifierungen für die Inanspruchnahme von Internet-Dienstleistungen ermöglicht werden, die durch § 43b Abs. 3 TKG gerade verhindert bzw. an strengere Voraussetzungen geknüpft werden sollten. Aus Sicht des Verbrauchers besteht zudem nur ein geringer Unterschied zwischen der vorliegend gewählten Art der Abrechnung, bei der über das Anwählprogramm die Telefonnummer des Verbrauchers in Erfahrung gebracht wird und diesem dann per Post eine gesonderte Rechnung zugeschickt wird, und der Abrechnung über einen Dialer im Sinne des Gesetzes, bei der die Abrechnung direkt über die Telefon- rechnung erfolgt.

Die abschließende Prüfung der subsidiären Anwendbarkeit des § 43c Abs. 1 Satz 1 TKG bzw. der analogen Anwendbarkeit des § 43c Abs. 1 Satz 4 TKG wirft deshalb schwierige Rechtsfragen auf und muss daher einem eventuellen Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Da die Erfolgsaussichten somit zum der- zeitigen Verfahrensstand als offen zu beurteilen sind, überwiegt das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin nicht das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung.

Darüber hinaus geht die Interessenabwägung auch unabhängig von der Entscheidung in der Hauptsache zu Lasten der Antragstellerin aus.

Das Interesse der Antragstellerin an der Rechnungsstellung und ihr daraus resultierendes Interesse am vorläufigen Aufschub der Vollziehung hat gegenüber dem Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung des Bescheids bis zur Rechtskraft der Entscheidung im Hauptsacheverfahren zurückzutreten. Das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin an der Rechnungsstellung ist dabei bereits deswegen weniger schutzwürdig, weil Gegenstand der erstellten Rechnungen zivilrechtlich jedenfalls nicht durchsetzbare und möglicherweise sogar rechtsmissbräuchlich erhobene Forderungen sind, was der Antragstellerin auch bekannt ist bzw. bekannt sein müsste.

Zwar können Verträge auch im Internet nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 145ff. BGB zustande kommen.

Vgl. z.B. zum Zustandekommen von Verträgen bei Internetauktionen BGH, Urteil vom 7. November 2001 - VIII ZR 13/01 -, BGHZ 149, 129 ff.; OLG Köln, Urteil vom 6. September 2002 - 19 U 16/02 -, VersR 2002, S. 1565 f.

Ein Vertrag wird jedoch bei dem von der E. Ltd. praktizierten Modell nicht abgeschlossen, da es auf Seiten des Internetnutzers an einer entsprechenden Willenserklärung fehlt. Dieser bestätigt lediglich den Satz "Ja, ich bin 18 und erkläre mich einverstanden mit den Bedingungen auf dieser Seite" mit der "OK"- Schaltfläche. Die rechtsgeschäftliche Annahme eines Vertrages - hier über die monatliche Nutzung des entsprechenden Internetangebotes zum Preis von 69,95 EUR - lässt sich dieser Erklärung keinesfalls entnehmen, da jegliche Bezugnahme auf einen Vertragsschluss fehlt. Der Verweis auf die in der Schaltfläche nicht weiter konkretisierten "Bedingungen" genügt für den Abschluss eines Vertrages nicht, zumal "Bedingungen" - insbesondere Allgemeine Geschäftsbedingungen, an die die Formulierung erinnert - normalerweise nicht konstitutiv für einen Vertragsschluss sind, sondern grundsätzlich erst durch Abschluss des Vertrages in diesen einbezogen werden und damit Wirksamkeit erlangen können. Es kommt hinzu, dass die E. Ltd. nicht abfragt, wer ihr Internetangebot in Anspruch nimmt, so dass der angebliche Vertragspartner ihr unbekannt bleibt. Die Anschriften der Anschlussinhaber werden vielmehr erst später, teilweise durch Mitarbeiter von Callcentern auf äußerst fragwürdige Weise, beispielsweise unter Angabe einer falschen Identität als Postbediensteter oder Mitarbeiter eines Paketdienstes (vgl. die von der An- tragsgegnerin in der Anlage zu ihrem Schriftsatz vom 25. März 2004 - Gerichtsakte Blatt 56ff- und im Verwaltungsvorgang 2 Blatt 49 dokumentierten Fälle), ermittelt, wobei die Anschlussinhaber mit den Nutzern des Internet-Angebotes nicht zwingend identisch sind.

Die Umstände dieses Geschäftsmodells sind der Antragstellerin in ihren Einzel- heiten bekannt, mit der Folge, dass sie sich bewusst sein musste, bei der Einziehung von Forderungen mitzuwirken, die zivilrechtlich einer Rechtsgrundlage entbehren.

Das Interesse der Antragstellerin an der Fortführung dieses Geschäftsmodells, welches wesentlich davon lebt, dass ein gewisser Prozentsatz der Internetnutzer aus Unsicherheit oder Unkenntnis die Rechnungen trotz Fehlens eines Rechtsgrundes bezahlt, ist im Rahmen des einstweiligen Rechtschutzverfahrens nicht schutzwürdig. Es überwiegt daher auch bei einer nicht an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientierten Interessenabwägung das Interesse der Allgemeinheit an einem effektiven Schutz der Verbraucher.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist gewahrt. Die zeitliche Verzögerung bis zum Hauptsacheverfahren muss von der Antragstellerin hingenommen werden. Auch bei einem späteren Obsiegen in der Hauptsache sind unzumutbare Nachteile, die durch eine verzögerte Rechnungslegung entstehen könnten, nicht ersichtlich; denn es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die fraglichen Forderungen - wenn sie denn bestehen sollten - in nächster Zukunft verjähren könnten und daher nicht mehr durchsetzbar sein könnten.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Bei der Streitwertfestsetzung geht das Gericht gemäß §§ 13 Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 3 GKG vom wirtschaftlichen Interesse der Antragstellerin (Investitionskosten in Höhe von 1.000.000,- EUR, vgl. Antragsschriftsatz vom 5. März 2003) aus und hat diesen Wert im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf die Hälfte reduziert.






VG Köln:
Beschluss v. 26.04.2004
Az: 11 L 673/04


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