Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 30. Juli 2003
Aktenzeichen: 5 StR 221/03

(BGH: Beschluss v. 30.07.2003, Az.: 5 StR 221/03)

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten P wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 14. Januar 2003, soweit es ihn betrifft, gemäß § 349 Abs. 4 StPO a) aufgehoben bezüglich der Fälle 3, 4, 6, 7, 9, 10, 12 und 13 der Urteilsgründe; hinsichtlich dieser Fälle wird der Angeklagte freigesprochen; insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten;

b) im übrigen dahin abgeändert, daß der Angeklagte P wegen vorsätzlicher Konkursverschleppung und Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt wird, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt ist.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten P wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Der Angeklagte trägt die verbleibenden Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

Das Landgericht hat den allein revidierenden Angeklagten P wegen vorsätzlicher Konkursverschleppung und Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen in zwölf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit der Sachrüge. Die Revision hat in dem aus dem Beschlußtenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte - ebenso wie der Mitangeklagte O - Gesellschafter und Mitgeschäftsführer der O & P G , die im Jahre 1993 gegründet wurde und deren Geschäftsgegenstand die Durchführung von Zimmererund Bautischlerarbeiten war. Im Zuge der allgemeinen Wirtschaftskrise im Baugewerbe geriet das Unternehmen im Jahr 1997 in wirtschaftliche Schwierigkeiten; es war spätestens mit Ablauf des 30. September 1997 zahlungsunfähig und erheblich überschuldet. Obwohl der Angeklagte die Zahlungsunfähigkeit erkannte, stellten er und der Mitangeklagte O keinen Insolvenzantrag. Sie veräußerten im Notartermin vom 5. Dezember 1997 ihre Geschäftsanteile an die Om G , die von einem sogenannten "Firmenbeerdiger" beherrscht wurde. Dessen Funktion bestand im wesentlichen darin, durch Sitzund Firmenänderungen die Gläubiger der Gesellschaft faktisch abzuschütteln und sie zur Aufgabe der Verfolgung ihrer Ansprüche zu veranlassen. Im Notartermin wurden der Angeklagte und der Mitangeklagte O als Geschäftsführer abberufen und durch den Mitangeklagten S ersetzt.

Der Angeklagte unterließ es ebenso wie der Mitangeklagte O

, die Arbeitnehmerbeiträge an die Sozialversicherungsträger abzuführen. Dies betraf gegenüber jeweils unterschiedlichen gesetzlichen Krankenkassen die Beiträge für Oktober 1997 (Fälle 2, 5, 8 und 11 der Urteilsgründe), für November 1997 (Fälle 3, 6, 9 und 12) und für Dezember 1997 (Fälle 4, 7, 10 und 13). Die O & P G hat dadurch Beitragsrückstände in Höhe von etwa 23.000 DM auflaufen lassen. Nach den Feststellungen des Landgerichts verfügte sie jedenfalls bis 17. Dezember 1997 auf ihrem Geschäftskonto über einen Betrag in Höhe von 18.000 DM, bevor der Mitangeklagte O diese Summe auf das Konto eines anderen, von ihm beherrschten Unternehmens überwies.

II.

Die Revision des Angeklagten führt zu einem Teilfreispruch hinsichtlich des Vorwurfs der Nichtabführung von Arbeitnehmerbeiträgen an die Sozialversicherung für die Monate November und Dezember 1997 und folglich zu einer Herabsetzung der Gesamtstrafe.

1. Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht den Angeklagten wegen vierer tatmehrheitlich begangener Vergehen des Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen nach § 266a Abs. 1 StGB verurteilt, soweit er die Arbeitnehmerbeiträge für Oktober 1997 nicht an die jeweiligen Sozialversicherungsträger abgeführt hat.

a) Einer Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 StGB steht nicht entgegen, daß nach den Feststellungen des Landgerichts die O & P G bereits seit 30. September 1997 zahlungsunfähig war.

aa) Allerdings bedeutet der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit, den der Angeklagte nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts erkannt hat, daß der Geschäftsführer nach § 64 Abs. 1 GmbHG unverzüglich, spätestens aber nach drei Wochen, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hätte beantragen müssen. Diese Drei-Wochen-Frist des § 64 Abs. 1 GmbHG ist eine Höchstfrist, die mit der Kenntnis des Organs beginnt (BGHZ 75, 96, 110 f.). Sie dient dazu, den Organen der Gesellschaft noch die Möglichkeit zu geben, Sanierungsversuche durchzuführen (vgl. Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG 4. Aufl. § 64 Rdn. 12 ff.; Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, GmbHG 17. Aufl. § 64 Rdn. 44). Deshalb ist der Insolvenzantrag dann früher zu stellen, wenn sich bereits vor Ablauf der DreiWochen-Frist ersehen läßt, daß mit einer fristgerechten Sanierung nicht ernstlich zu rechnen ist.

bb) Während des Laufs der Drei-Wochen-Frist des § 64 Abs. 1 GmbHG ist - wie sich aus dem besonderen Zweck der Schutzvorschrift des § 64 Abs. 2 GmbHG ergibt - die verteilungsfähige Vermögensmasse einer insolvenzreifen GmbH im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger zu erhalten und eine zu ihrem Nachteil gehende bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger zu verhindern (BGHZ 143, 184, 188 f.; 146, 264, 274 f.). Dementsprechend hat der Gesetzgeber, um den Schutz der Massesicherung zu verstärken, in § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG eine persönliche Haftung der Geschäftsführer für den Fall angeordnet, daß nach Eintritt der Insolvenzreife Zahlungen der Gesellschaft geleistet werden.

Die Ersatzpflicht des Geschäftsführers hat Auswirkungen auf die Auslegung des § 266a Abs. 1 StGB. Der Gedanke der Sicherung der Masse ist im Rahmen der den Geschäftsführern eingeräumten zeitlichen Zwischenphase für Sanierungsbemühungen im Hinblick auf Sozialversicherungsbeiträge zu beachten. Da die Sozialversicherungsbeiträge im hier in Betracht kommenden Gesamtvollstreckungsverfahren (vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 3b GesO) nicht denselben absoluten Vorrang - wie außerhalb des Gesamtvollstreckungsverfahrens durch § 266a Abs. 1 StGB - genießen, würde eine Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge letztlich die Masse schmälern. Dieses Ergebnis wäre mit dem Schutzzweck des § 64 Abs. 2 GmbHG nicht vereinbar, der die Massesicherung und -erhaltung gewährleisten soll (vgl. Goette DStR 2003, 604 m.w.N.). Dazu stünde aber die strafbewehrte Pflicht zur Zahlung von Arbeitnehmerbeiträgen in Widerspruch. Dieser ist nach dem auch hier geltenden Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsordnung dadurch aufzulösen, daß die Regelung des § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG während des Laufs der DreiWochen-Frist die Nichtabführung der Arbeitnehmerbeiträge rechtfertigt.

Zwar ist die Bestimmung des § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG als Ersatzanspruch gegen den Geschäftsführer ausgestaltet. Jedoch setzt dies voraus - um im Wege einer zivilrechtlichen Sanktion zu einem entsprechenden Ersatzanspruch zu kommen -, daß es einen Normbefehl gibt, dessen Verletzung in Form eines Ausgleichsanspruches kompensiert wird. Auch wenn der Grundsatz der Massesicherung und -erhaltung nur in der negativen Form, als Anspruchsgrundlage für den Verletzungsfall formuliert ist, steht dies deshalb der Annahme einer Rechtfertigung auch in strafrechtlicher Hinsicht nicht entgegen. Da der Geschäftsführer sich nach § 266a Abs. 1 StGB im Falle einer Nichtzahlung deshalb weder strafbar macht noch zivilrechtlich für die Nichtabführung der Beiträge in Anspruch genommen werden kann - es entstehen keine Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a Abs. 1 StGB -, befindet er sich in keiner Pflichtenkollision, wenn er die Sozialversicherungsbeiträge nicht abführt. Dementsprechend kann der Geschäftsführer, wenn er dennoch zahlt, sich nicht ohne weiteres darauf berufen, mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns im Sinne des § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG gehandelt zu haben (BGHZ 146, 264, 275).

cc) Läßt der Geschäftsführer die Frist für die Stellung des Konkursantrages verstreichen, fällt diese sich aus § 64 Abs. 2 GmbHG ergebende Rechtfertigung weg. Dies gilt namentlich dann, wenn die Insolvenzreife des Unternehmens fortbesteht. Die aus § 64 Abs. 2 GmbHG hergeleitete Rechtfertigung knüpft nämlich nicht an der Insolvenzreife des Unternehmens an sich an, sondern sie privilegiert lediglich die noch aussichtsreichen Sanierungsversuche nach Eintritt der Krise, und zwar beschränkt auf einen Zeitraum von höchstens drei Wochen. Daraus folgt, daß die Nichtbeachtung der strafbewehrten Pflicht zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge nach Ablauf der Frist nicht mehr gerechtfertigt ist. Soweit noch verfügbare Mittel des Unternehmens zur Verfügung stehen, sind diese dann in erster Linie für die Begleichung der Arbeitnehmerbeiträge im Sinne des § 266a Abs. 1 StGB einzusetzen. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, daß sich aus der Strafbewehrung der Nichtabführung von Arbeitnehmerbeiträgen nach § 266a Abs. 1 StGB deren Vorrang ergibt (BGHSt 47, 318, 321).

(1) Soweit in der Literatur (Radtke NStZ 2003, 154, 156; Tag JR 2002, 521, 522) diese Vorrangrechtsprechung kritisiert wird, vermögen die vorgebrachten Einwände nicht zu überzeugen. Weshalb ein Vorrangverhältnis nur durch außerstrafrechtliche Normen (insbesondere des Zivilrechts oder des öffentlichen Rechts) begründet werden kann (so aber Radtke aaO), ist nicht nachvollziehbar. Vielmehr gebietet gerade die strafrechtliche Beurteilung eine Prüfung, ob trotz tatbestandlicher Verwirklichung eines Strafgesetzes (hier § 266a Abs. 1 StGB) die Strafbarkeit entfallen kann. In Betracht käme - von schuldbeseitigenden Gesichtspunkten abgesehen - nur der Rechtfertigungsgrund einer Pflichtenkollision. Hierfür wäre aber erforderlich, daß die Pflichten gleichgewichtig sind (vgl. Lenckner in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. Vorbem. §§ 32 ff. Rdn. 71 ff. m.w.N.). Daran fehlt es indes, wenn die Nichterfüllung der alternativen Verbindlichkeiten nicht strafbewehrt ist.

Entgegen der Auffassung von Tag (aaO) stützt weiterhin die Regelung des § 266a Abs. 6 (früher Abs. 5) StGB dieses Ergebnis. Ersichtlich regelt nämlich Satz 1 Nr. 2 dieses Absatzes nicht den (tatbestandsausschließenden - vgl. BGHSt 47, 318, 320) Fall, daß überhaupt keine finanziellen Mittel mehr vorhanden sind, sondern den Sachverhalt, daß diese in für den Fortbestand des Betriebes notwendige Zahlungen geflossen sind (vgl. Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 266a Rdn. 23). Da der Gesetzgeber für diese Fallkonstellation nur einen fakultativen Strafbefreiungsgrund normiert hat, erlaubt dies wiederum den Schluß, daß er in der Begleichung anderer Verbindlichkeiten weder einen Tatbestandsausschluß noch eine Rechtfertigung gesehen hat, mithin diese Verbindlichkeiten ungeachtet ihrer wirtschaftlichen Bedeutung für den Betrieb als rangniedriger eingestuft hat. Aus der Beschränkung der Strafbewehrung allein auf die Arbeitnehmerbeiträge läßt sich ebenfalls kein Argument gegen die Vorrangrechtsprechung des Senats herleiten.

(2) Es besteht auch kein Wertungswiderspruch zur Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (BGHZ 149, 100 ff.; ZIP 2003, 1666 ff.). Das entspricht im übrigen auch der eigenen Auffassung dieses Senats (kritisch hierzu OLG Dresden ZIP 2003, 360, 364). Der IX. Zivilsenat weist selbst darauf hin, daß die Vorrangrechtsprechung des 5. Strafsenats den Zeitraum betreffe, der dem Insolvenzverfahren vorgelagert sei; für das Insolvenzverfahren komme der Regelung des § 266a Abs. 1 StGB aber nicht die Bedeutung zu, daß der Sozialversicherungsträger die Arbeitnehmerbeiträge bevorzugt behalten dürfe (BGH ZIP 2003, 1666, 1668).

Dieser Auffassung tritt der Senat bei. Zum Vorfeld des Insolvenzverfahrens hat der Gesetzgeber für die Erfüllung der Pflicht zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge den besonderen strafrechtlichen Schutz nach § 266a Abs. 1 StGB vorgesehen, wobei der Arbeitgeber einer Strafbarkeit nur unter den engen Voraussetzungen des § 266a Abs. 6 StGB entgehen kann. Mit dieser Vorschrift will der Gesetzgeber die Zahlung sicherstellen, weil erfahrungsgemäß in der sich abzeichnenden oder eingetretenen Krisensituation anderenfalls gerade die Ansprüche der Sozialkassen häufig nicht bedient würden. Der Arbeitgeber hat gerade an derartigen Zahlungen regelmäßig kein Eigeninteresse. Dies würde zu einem ganz erheblichen Ausfall bei den Sozialkassen führen. Anders ist dagegen die Situation im Insolvenzverfahren, das innerhalb eines förmlichen Rahmens abzuwickeln und das auf eine gemeinschaftliche Befriedigung aller Gläubiger unter Wahrung des Gleichheitsgrundsatzes gerichtet ist (vgl. Flöther/Bräuer DZWIR 2003, 353, 355 m.w.N.). Der Gleichbehandlungsgrundsatz gilt - von den inzwischen auslaufenden Vorschriften des § 59 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 und § 61 Abs. 1 KO sowie § 13 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 und § 17 Abs. 3 GesO abgesehen - gleichermaßen für private wie hoheitliche Gläubiger (BGH ZIP 2003, 1666, 1668).

Abgesehen davon, daß der Insolvenzverwalter nur unter bestimmten Voraussetzungen anfechten kann (vgl. § 129 Abs. 1 InsO), besteht im Insolvenzverfahren eine hinreichende Gewähr dafür, daß die vorhandene Masse unter Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes verteilt wird. Die Verteilung der Masse bestimmt sich dementsprechend abschließend nach den Regelungen der Insolvenzordnung (bzw. für den hier vorliegenden Altfall nach der Gesamtvollstreckungsordnung). Da aber die Interessenlage bei Zahlungen im Vorfeld einer Krise oder auch in der Krise eine andere ist, abhängig davon, ob es überhaupt zur Durchführung eines Insolvenzverfahrens kommt, ist auch eine unterschiedliche gesetzliche Regelung für beide Sachverhaltskonstellationen kein Wertungswiderspruch. Diese unterschiedliche Interessenlage stellt im übrigen auch den Grund dafür dar, daß eine vorrangige Zahlungspflicht außerhalb der Insolvenz nicht notwendig zu einem Behaltendürfen der Leistungen im Insolvenzverfahren führt.

In dem hier zu entscheidenden Fall wurde nach den Urteilsfeststellungen weder ein Insolvenzverfahren durchgeführt noch die Durchführung eines solchen irgendwann beantragt. Auch aus diesem Grund ist eine Kollision mit der Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs hier ausgeschlossen.

b) Da der Angeklagte das Unternehmen über die Drei-Wochen-Frist hinaus weiterbetrieb, mußte er die Arbeitnehmerbeiträge aus den noch vorhandenen Mitteln abführen. Der Umstand, daß die O & P G ab 30. September 1997 zahlungsunfähig war und der Angeklagte dies wußte, führt hier lediglich zu einer Unterbrechung der Zahlungspflicht nach § 64 Abs. 1 GmbHG von längstens drei Wochen. Die Oktoberbeiträge, die bis spätestens 15. November 1997 fällig waren (vgl. § 23 SGB IV), hätte der Angeklagte bis zu diesem Zeitpunkt an die jeweiligen Einzugstellen überweisen müssen.

aa) Ausreichende Gelder waren trotz Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung noch vorhanden. Aus den Urteilsgründen ergibt sich nämlich, daß auf dem Betriebskonto der O & P G noch 18.000 DM verfügbar waren, die hier vorrangig für die Begleichung der Sozialverbindlichkeiten hätten verwendet werden müssen.

bb) Der Angeklagte P war als Geschäftsführer strafrechtlich verantwortlich (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB) für die Erfüllung der sozialversicherungsrechtlichen Pflichten. Allein der Umstand, daß er mehr den technischen Bereich des Unternehmens betreut hat, berührt - wie das Landgericht zutreffend erkannt hat - hier seine Verantwortlichkeit nicht. Er hatte nämlich nach den Feststellungen des Landgerichts durch betriebswirtschaftliche Auswertungen Kenntnis über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens. Ihm war damit auch die Krisensituation des Unternehmens klar. Der Angeklagte durfte deshalb die Regelung der finanziellen Belange nicht mehr seinem Mitgeschäftsführer O überlassen (vgl. BGHSt 37, 106, 125; BGH NStZ 1997, 125, 126 f.).

c) Zutreffend ist das Landgericht hinsichtlich der Beitragsvorenthaltung gegenüber mehreren Kassen von jeweils selbständigen Taten im Sinne des § 53 Abs. 1 StGB ausgegangen. Die Gesamtsozialversicherungsbeiträge (§ 28d SGB IV) sind an die jeweiligen gesetzlichen Krankenkassen abzuführen, die nach § 28h SGB IV die Einzugstellen für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag bilden. Im vorliegenden Fall waren die Mitarbeiter der O & P G bei vier unterschiedlichen Krankenkassen versichert. Dies bedeutet, daß die Zahlungen gegenüber vier verschiedenen Krankenkassen jeweils durch eine eigenständige Handlung vorzunehmen waren. Allein der Umstand, daß die Zahlungen zum selben Termin fällig werden und auf demselben Rechtsgrund beruhen, verbindet die Verletzung gegenüber unterschiedlichen Adressaten vorzunehmender Handlungspflichten nicht zu einer tateinheitlichen Handlung (vgl. Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 266a Rdn. 28).

2. Hinsichtlich der weiteren Fälle der Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen in den Monaten November 1997 und Dezember 1997 (Fälle 3, 4, 6, 7, 9, 10, 12 und 13 der Urteilsgründe) war der Angeklagte freizusprechen. Insoweit läßt sich nicht ausschließen, daß der Angeklagte zu den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkten (15. Dezember 1997 und 15. Januar 1998) zumindest subjektiv davon ausging, nicht mehr Verantwortlicher der O & P G gewesen zu sein.

a) Das Landgericht leitet eine fortdauernde Verantwortlichkeit des Angeklagten daraus ab, daß die Geschäftsanteilsveräußerung entsprechend § 241 Nr. 4 AktG nichtig und damit auch seine darauf gestützte Abberufung als Geschäftsführer unwirksam gewesen sei.

b) Der Senat kann dahinstehen lassen, ob die Auffassung des Landgerichts zutrifft. Selbst wenn nämlich der rechtliche Ansatzpunkt des Landgerichts richtig wäre, daß die Geschäftsanteilsabtretung ungeachtet ihres neutralen Charakters wegen der hier konkret beabsichtigten Gläubigerbenachteiligung mit Wirkung inter omnes (vgl. zu den Anforderungen Hüffer, AktG 4. Aufl. § 241 Rdn. 24) nichtig wäre, dann hätte dies nicht zwangsläufig die Folge, daß der Angeklagte seine Geschäftsführerstellung beibehalten hätte. In den Verhandlungen um die einvernehmliche Abberufung der Geschäftsführer könnte hier nämlich zugleich eine Niederlegung dieses Amts durch den Angeklagten selbst gesehen werden. Ersichtlich erfolgte die Aufgabe seiner organschaftlichen Funktion mit dem Willen des Angeklagten. Bei einer derartigen Fallkonstellation liegt es deshalb nahe, aus dem Gesamtzusammenhang eine jedenfalls auch einseitige Niederlegung der Geschäftsführerstellung in Betracht zu ziehen (vgl. BGH DStR 2002, 183; DStR 2003, 602 mit Anm. Goette). Dies entspräche auch dem Interesse des Angeklagten, das gerade darauf gerichtet war, sich der Pflichtenstellung als Geschäftsführer der O & P G zu entledigen.

Eine entsprechende einseitige Niederlegung ist grundsätzlich wirksam (BGHZ 121, 257). Eine Ausnahme hat der Bundesgerichtshof allenfalls dann angenommen, wenn durch die einseitige Niederlegung die insolvenzrechtlichen Pflichten beeinträchtigt werden, insbesondere die notwendige Stellung eines Insolvenzantrages dadurch umgangen werden könnte (vgl. BGHSt 2, 53, 54). Zwar war die O & P G hier konkursreif. Es ist aber fraglich, ob die von der Rechtsprechung gemachte Ausnahme auch dann anzuerkennen wäre, wenn die GmbH durch einen anderen Geschäftsführer weitergeführt wird und damit eine Leitungsverantwortung gewährleistet ist (vgl. zum Streitstand Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, GmbHG 17. Aufl. § 64 Rdn. 41; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG 64. Aufl. Rdn. 21). Maßgebliche Erwägung ist hierbei nämlich, daß in der wirtschaftlichen Krisensituation die Gesellschaft nicht ohne organschaftlich Verantwortlichen bleiben darf, weil dann die Einhaltung der in der Krise maßgeblichen öffentlichrechtlichen Pflichten nicht gewährleistet werden könnte. Ob diese Ausgangslage auch bei einer Sachverhaltskonstellation gegeben sein kann, in der ein mit der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft Vertrauter als neuer Geschäftsführer bestellt wird, kann hier gleichfalls offenbleiben.

c) Im vorliegenden Fall sind die subjektiven Voraussetzungen vom Landgericht nicht näher belegt. Selbst wenn nämlich bei dem Angeklagten eine fortdauernde Pflichtenstellung gegeben wäre, führte dies nur dann zu einer Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 StGB, wenn der Angeklagte trotz seiner Abberufung seine Stellung als nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB Verantwortlicher erkannt hätte. Dies versteht sich nicht von selbst. Eine solche Annahme würde nämlich voraussetzen, daß der Angeklagte eine juristische Wertung vorgenommen hat, die einem juristischen Laien nicht ohne weiteres unterstellt werden kann (vgl. BGHSt 48, 108, 117 f.; BGHR AÜG § 9 Unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung 1).

Ausgehend von der Auffassung des Landgerichts, das hier die Geschäftsanteilsveräußerung im Hinblick auf § 241 Nr. 4 AktG und sämtliche darauf aufbauende Folgegeschäfte als unwirksam angesehen hat, hätte der Angeklagte nämlich das Wissen nicht nur um die tatsächlichen Grundlagen haben, sondern zugleich damit rechnen müssen, daß die in Anwesenheit der Altund Neugesellschafter geführten Verhandlungen im Notartermin vom 5. Dezember 1997 nicht zu einem Verlust seiner Geschäftsführerfunktion geführt hätten. Da die Fortdauer der Pflichtenstellung als Geschäftsführer Tatbestandsmerkmal der Strafvorschrift des § 266a Abs. 1 i. V. m. § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist, unterlag der Angeklagte nach § 16 Abs. 1 StGB einem Tatbestandsirrtum, wenn er davon ausging, daß die im Notartermin erfolgte Abberufung auch rechtlich seine Verantwortlichkeit erlöschen ließ (vgl. BGHR StGB § 16 Abs. 1 Umstand 1, 2). Eine nur vorsätzlich zu begehende Beitragsvorenthaltung nach § 266a Abs. 1 StGB hätte deshalb vorausgesetzt, daß der Angeklagte die Unwirksamkeit seiner Abberufung als Geschäftsführer erkannt hätte, weil er überhaupt nur dann von einer strafbewehrten Pflichtenstellung hätte ausgehen müssen (vgl. BGHSt 48, 108, 117 f.; BGHR AÜG § 9 Unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung 1). Diese hier gebotene Prüfung hat das Landgericht unterlassen.

d) Dieser Mangel führt hier zu einem Freispruch hinsichtlich der vorgenannten acht Fälle, bei denen der Fälligkeitszeitpunkt für die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge nach dem 5. Dezember 1997 lag. Dies betrifft die Verletzung der Abführungspflichten für die Monate November und Dezember 1997, weil deren Fälligkeit jeweils am 15. des Folgemonats eintrat.

Das Landgericht hat zur Kenntnis des Angeklagten über die Wirksamkeit der Abberufung keine Feststellungen getroffen. Dies nötigt im vorliegenden Fall nicht zur Aufhebung der Sache und zur Zurückverweisung, weil der Senat ausschließen kann, daß ein neuer Tatrichter noch zureichende Feststellungen treffen könnte, die eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Beitragsvorenthaltung nach § 266a Abs. 1 StGB für diese Monate tragen könnten. Die Tatbegehung liegt bereits nahezu sechs Jahre zurück, weshalb eine Rekonstruktion des Vorstellungsbildes des Angeklagten nicht mehr zu erwarten ist. Im übrigen ist es gerade im Hinblick auf den Angeklagten, der als gelernter Bautischler hauptsächlich für den technischen Bereich des Unternehmens verantwortlich war, eher fernliegend, daß dieser die in einem Notartermin erfolgte Abberufung als Geschäftsführer für unwirksam angesehen haben sollte. Da auch keinerlei Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, daß der Angeklagte sich in der Folgezeit weiter um die Belange des Unternehmens gekümmert hat, sprechen die Gesamtumstände dafür, daß der Angeklagte von der Wirksamkeit seiner Abberufung ausgegangen ist.

3. Der Teilfreispruch führt zu einer Änderung der Gesamtstrafe. Diese setzt der Senat hier selbst auf sieben Monate Gesamtfreiheitsstrafe fest. Im Hinblick auf die rechtskräftige Einsatzstrafe von sechs Monaten Freiheitsstrafe (wegen vorsätzlicher Konkursverschleppung) sowie die vier Einzelgeldstrafen in Höhe von jeweils 30 Tagessätzen erscheint dem Senat auf der Grundlage der rechtsfehlerfreien Strafzumessungserwägungen des Landgerichts die Verhängung einer anderen Gesamtfreiheitsstrafe ausgeschlossen.

III.

Eine Erstreckung der Aufhebung auf den Mitangeklagten O gemäß § 357 StPO kam bei der hier gegebenen Fallgestaltung nicht in Betracht. Soweit der Mitangeklagte O ebenfalls wegen Nichtabführung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung verurteilt wurde, lag dem ein anderer Sachverhalt zugrunde. Der Mitangeklagte O hattenämlich ausweislich der Urteilsgründe eine von dem Mitangeklagten S erteilte Abwicklungsvollmacht. Da der Mitangeklagte O damit nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB als Arbeitgeber im strafrechtlichen Sinne für die Nichtabführung der Beiträge haftet, scheidet hier schon aus diesem Grunde eine die Angeklagten P und O gleichermaßen betreffende Gesetzesverletzung aus.

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BGH:
Beschluss v. 30.07.2003
Az: 5 StR 221/03


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