Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 11. September 2007
Aktenzeichen: X ZB 15/06

(BGH: Beschluss v. 11.09.2007, Az.: X ZB 15/06)

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 5. Senats (Gebrauchsmuster-Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts vom 4. Juli 2006 wird auf Kosten der Antragsgegnerin mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass an die Stelle der Löschung des deutschen Gebrauchsmusters 202 20 454 die Feststellung tritt, dass die Eintragung dieses Gebrauchsmusters unwirksam war.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 100.000,-- € festgesetzt.

Gründe

I. Die Antragsgegnerin war Inhaberin des nach Abzweigung aus einer europäischen Patentanmeldung mit Anmeldetag 6. Juni 2002 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 6. Juni 2001 angemeldeten Gebrauchsmusters 202 20 454 mit der Bezeichnung "Wellnessgerät" (Streitgebrauchsmusters).

Die Antragstellerin hat die Löschung des Streitgebrauchsmusters beantragt. Die Gebrauchsmusterabteilung hat das Streitgebrauchsmuster unter Zurückweisung des weitergehenden Antrags teilweise gelöscht.

Auf die Beschwerde der Antragstellerin hat das Bundespatentgericht das Gebrauchsmuster in vollem Umfang gelöscht.

Hiergegen richtet sich die - nicht zugelassene - Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin, die während des Rechtsbeschwerdeverfahrens auf das Streitgebrauchsmuster verzichtet hat.

Die Antragstellerin tritt dem Rechtsmittel mit dem vorsorglichen Antrag entgegen, festzustellen, dass die Eintragung des Streitgebrauchsmusters unwirksam war.

II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, da die Antragsgegnerin geltend macht, der angefochtene Beschluss sei nicht mit Gründen versehen und verletze ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 18 Abs. 4 Satz 2 GebrMG i.V.m. § 100 Abs. 3 Nrn. 3 und 6 PatG). Sie ist jedoch nicht begründet, da die geltend gemachten Verfahrensmängel nicht vorliegen.

1. Das Bundespatentgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet. Der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 beruhe sowohl nach dem zuletzt gestellten Hauptantrag als auch nach den Hilfsanträgen der Antragsgegnerin nicht auf einem erfinderischen Schritt. Aus dem deutschen Gebrauchsmuster 200 01 973 (Druckschrift 2) sei in Gestalt einer "Aerobicstange" ein "Wellnessgerät" mit den Merkmalen 1 bis 4 des Streitgebrauchsmusters bekannt, nämlich 1. ein Wellnessgerät aus elastischem Material, im Wesentlichen bestehend aus einem stab- bzw. stangenförmigen Gebilde 2. mit einem Griff und 3. an den in Längsrichtung gesehenen Enden des stab- bzw. stangenförmigen Gebildes ausgebildeten Schutzvorrichtungen, wobei 4. die als Gewicht ausgebildeten Schutzvorrichtungen austauschbar ausgebildet sind.

Das verbleibende Merkmal, nach dem 5. das Material, das den Griff bildet, ausreichende Spannkraft besitzt, um diesen axial zu fixieren, könne nichts zur Schutzfähigkeit beitragen. Zwar sei in der Druckschrift 2 nicht ausdrücklich ausgeführt, wie der Griff auf der Stange befestigt werde. Die Explosionsdarstellung in Figur 2 gebe jedoch den Hinweis, dass der Griff aufgeschoben werde. Zur axialen Fixierung werde der Fachmann (ein Fachhochschulingenieur, wie das Bundespatentgericht an anderer Stelle ausführt) auf möglichst einfache auf seinem Fachgebiet geläufige Maßnahmen zurückgreifen, wie er sie beispielsweise von der Befestigung von Handgriffen aus Schaumstoff an Hometrainern und Fahrrädern kenne. Dort werde bekanntlich der Handgriff gegen dessen radiale Spannkraft auf die Lenkstange aufgeschoben und halte dort allein aufgrund dieser material- und größenabhängigen Spannkraft.

Auch die zusätzlichen Merkmale der Hilfsanträge sowie der Unteransprüche könnten - wie das Bundespatentgericht näher ausführt - die Schutzfähigkeit nicht begründen.

2. Damit ist dem gesetzlichen Begründungszwang genügt.

a) Die Rechtsbeschwerde rügt, die Antragsgegnerin habe - nach Schluss der mündlichen Verhandlung - ein Trainingsgerät "Bodyflex" vorgelegt, mit dem das in der Druckschrift 2 beschriebene Trainingsgerät praktisch ausgeführt sei und bei dem der Griff auf die Hülle gespritzt worden sei, so dass er mit der Hülle verklebt und außerdem zwischen der unterbrochenen Schaumgummiummantelung formschlüssig gesichert sei. Das Bundespatentgericht untersuche nicht, ob der Fachmann überhaupt Veranlassung gehabt habe, sich nach einer anderen Befestigung der Griffe umzusehen als der ihm bekannten Klebung einer Schaumgummiummantelung. Es fehle damit ein wesentliches Element der Begründung.

b) Die Rüge ist unbegründet.

Das Bundespatentgericht hat der Druckschrift 2 den Hinweis entnommen, den Griff aufzuschieben. Die Frage, ob der Fachmann Anlass hatte, nach einer Alternative zu einem aufgespritzten Griff zu suchen, stellte sich dem Bundespatentgericht daher nicht. Auf das vorgelegte Gerät kam es - abgesehen davon, dass die Vorlage überdies erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgt ist - nicht an.

3. Das Bundespatentgericht hat auch nicht den Anspruch der Antragsgegnerin auf rechtliches Gehör verletzt.

a) Das Bundespatentgericht hat ausgeführt, dass der nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangene Schriftsatz keine Veranlassung zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gebe, weil es für die Beurteilung der Schutzfähigkeit des Streitgebrauchsmusters auf den Offenbarungsgehalt des druckschriftlichen Standes der Technik ankomme. Hiernach hat es den nachgereichten Schriftsatz zur Kenntnis genommen und sich mit seinem Inhalt auseinandergesetzt.

b) Dass das Bundespatentgericht nicht ausdrücklich die von der Antragsgegnerin vorgetragenen Indizien für eine erfinderische Tätigkeit (Förderung des Gebrauchszwecks, Nachahmung durch Wettbewerber, wirtschaftlichen Erfolg) erörtert hat, begründet gleichfalls keine Gehörsverletzung.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist verletzt, wenn im Einzelfall deutlich wird, dass Vorbringen überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BVerfGE 65, 293, 295; 70, 288, 293; 86, 133, 145 f.; st. Rspr.). Grundsätzlich ist jedoch davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Parteivorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat, ohne dass das Gericht verpflichtet wäre, sich in den Gründen seiner Entscheidung mit jedem Vorbringen ausdrücklich zu befassen. Erst dann, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von besonderer Bedeutung ist, nicht eingeht, lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfGE 86, 133, 146).

Die häufig als "Beweisanzeichen" bezeichneten Hilfskriterien zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit oder des erfinderischen Schritts mögen zwar im Einzelfall einen Anhaltspunkt gegen das Naheliegen einer Lösung bieten können, können aber die inhaltliche Bewertung des Standes der Technik nicht ersetzen (Sen.Urt. v. 18.9.1990 - X ZR 29/89, GRUR 1991, 120 - Elastische Bandage); davon ist ersichtlich auch das Bundespatentgericht ausgegangen. Der Umstand, dass es die von der Antragsgegnerin angeführten Hilfskriterien nicht ausdrücklich erwähnt hat, lässt daher nicht darauf schließen, dass es sie nicht auf ihre Bedeutung für die Entscheidung geprüft hat.

c) Schließlich kann die Rechtsbeschwerde auch nicht mit der Rüge durchdringen, das Bundespatentgericht habe in der mündlichen Verhandlung die Schutzfähigkeit der Unteransprüche mit keinem Wort zur Diskussion gestellt.

Das Bundespatentgericht hat begründet, warum die Unteransprüche ebenfalls keinen schutzfähigen Gegenstand enthalten; die betreffenden Ausführungen greift die Rechtsbeschwerde auch nicht an. Zu einer Erörterung in der mündlichen Verhandlung war das Bundespatentgericht entgegen der Auffassung der Beschwerde nicht verpflichtet. Da die Antragstellerin das Streitgebrauchsmuster insgesamt angegriffen hat, musste die Antragsgegnerin auch mit der vollständigen Löschung des Gebrauchsmusters rechnen und hatte damit die als fehlend beanstandete Gelegenheit, auch zu den Unteransprüchen Stellung zu nehmen und insbesondere dazu vorzutragen, ob und gegebenenfalls warum nach ihrer Auffassung der Gegenstand eines Unteranspruchs auch dann auf einem erfinderischen Schritt beruhe, wenn dies für den für sich genommenen Gegenstand des Hauptanspruchs zu verneinen sei. Erst dann, wenn das Bundespatentgericht insoweit seiner Entscheidung rechtliche Erwägungen oder Tatsachenfeststellungen zugrunde legen wollte, mit denen die Antragsgegnerin nicht rechnen und zu denen sie sich infolgedessen auch nicht äußern konnte, wäre das Bundespatentgericht von Verfassungs wegen gehalten gewesen, die hierfür erheblichen Gesichtspunkte spätestens in der mündlichen Verhandlung zur Sprache zu bringen. Derartiges macht die Rechtsbeschwerde jedoch nicht geltend.

4. Nachdem die Antragsgegnerin auf das Streitgebrauchsmuster verzichtet hat, ist für eine Löschung, wie sie das Bundespatentgericht ausgesprochen hat, kein Raum mehr. Dies ist auch noch im Rechtsbeschwerdeverfahren zu berücksichtigen und führt im Streitfall zu der auch dem Rechtsbeschwerdegericht möglichen (vgl. BGHZ 168, 142, 144 - Demonstrationsschrank) Feststellung, dass die Eintragung des Streitgebrauchsmusters unwirksam war. Das für die Feststellung der Unwirksamkeit des Gebrauchsmusters erforderliche Rechtsschutzbedürfnis (vgl. Sen.Beschl. v. 14.2.1995 - X ZB 19/94, GRUR 1995, 342 - tafelförmige Elemente; v. 17.12.1996 - X ZB 4/96, GRUR 1997, 213, 214 f. - Trennwand) hat die Antragstellerin mit ihrem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen dargelegt, sie sei vor dem Landgericht Düsseldorf aus einem auf die prioritätsbegründende Anmeldung zurückgehenden Patent in Anspruch genommen worden und müsse auch die Inanspruchnahme aus dem Streitgebrauchsmuster gewärtigen.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 18 Abs. 4 Satz 2 GebrMG i.V.m. § 109 Abs. 1 Satz 2 PatG.

III. Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich gehalten.

Scharen Mühlens Meier-Beck Asendorf Gröning Vorinstanz:

Bundespatentgericht, Entscheidung vom 04.07.2006 - 5 W (pat) 419/05 -






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Beschluss v. 11.09.2007
Az: X ZB 15/06


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