Bundespatentgericht:
Beschluss vom 19. Oktober 2006
Aktenzeichen: 23 W (pat) 327/04

(BPatG: Beschluss v. 19.10.2006, Az.: 23 W (pat) 327/04)

Tenor

1. Der Einspruch wird als unzulässig verworfen.

2. Der Antrag der Patentinhaberin, der Einsprechenden die Kosten der mündlichen Verhandlung aufzuerlegen, wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Patentinhaberin ist eingetragene Inhaberin des am 13. April 2002 beim Deutschen Patent- und Markenamt angemeldeten Patents mit der Bezeichnung "Rundsteckverbinder für abgeschirmte elektrische Kabel" (Streitpatent). Nach Veröffentlichung der Patenterteilung am 20. November 2003 hat die Einsprechende am 20. Februar 2004 Einspruch gegen das Patent erhoben und beantragt, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Patentschrift und auf den Einspruchsschriftsatz vom 20. Februar 2004 verwiesen.

II.

Die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts für die Entscheidung über den Einspruch ergibt sich aus § 147 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG in der bis einschließlich 30. Juni 2006 gültigen Fassung. Danach ist nicht das Patentamt, sondern das Patentgericht zuständig, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Einspruchsfrist nach dem 1. Januar 2002 zu laufen begonnen hat und der Einspruch vor dem 1. Juli 2006 eingelegt worden ist. Diese befristete Regelung ist nach Ablauf von insgesamt 4 Jahren und 6 Monaten zum 1. Juli 2006 ohne weitere Verlängerung ausgelaufen, so dass ab 1. Juli 2006 die Zuständigkeit für die Entscheidung in den Einspruchsverfahren wieder auf das Patentamt zurückverlagert wurde. Das Bundespatentgericht bleibt für die in dem bezeichneten befristeten Zeitraum zugewiesenen Einspruchsverfahren weiterhin zuständig. Der Gesetzgeber hat eine anderweitige Zuständigkeit für diese Verfahren nicht ausdrücklich festgelegt und deshalb kommt insoweit der allgemeine Rechtsgrundsatz der "perpetuatio fori" (analog § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO und analog § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG) zum Tragen, wonach eine einmal begründete Zuständigkeit grundsätzlich bestehen bleibt. Dieser Grundsatz gilt auch bei einer gesetzlichen Änderungen der Zuständigkeit und wirkt sich dahingehend aus, dass die neue Zuständigkeitsregelung ohne eine ausdrückliche Regelung für die Vergangenheit erst ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens gilt und in der Vergangenheit liegende Sachverhalte nicht erfasst (vgl. dazu Thomas/-Putzo, ZPO, 27. Aufl., § 261 Rdn. 16). Der Grundsatz der perpetuatio fori, der im Rahmen von gerichtlichen Zuständigkeitsfragen (örtliche und sachliche Zuständigkeit) seinen gesetzlichen Ausfluss in § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO und im Rahmen von Fragen des Rechtswegs zu den Gerichten der unterschiedlichen Gerichtszweige seinen gesetzlichen Ausfluss in § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG gefunden hat, ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, der auch bei Zuständigkeitsfragen bzw. Zuständigkeitsänderungen im Verhältnis von Gericht und Verwaltungsbehörde jedenfalls dann zum Tragen kommt, wenn es - wie vorliegend - um die Frage der fortdauernden Zuständigkeit des Gerichts geht.

Die Aufhebung der Vorschrift des § 147 Abs. 3 PatG durch das "Gesetz zur Änderung des patentrechtlichen Einspruchsverfahrens und des Patentkostengesetzes" vom 26. Juni 2006 (BGBl 2006, Teil I, Seite 1318) führt insoweit zu keiner anderen Beurteilung. Insbesondere kann daraus nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber abweichend vom Rechtsgrundsatz der perpetuatio fori die Verfahren, für die das Bundespatentgericht nach § 147 Abs. 3 PatG bereits zuständig geworden ist, der Zuständigkeit des Bundespatentgerichts wieder entziehen wollte, um sie dem Patentamt zuzuweisen. Wenn der Gesetzgeber dies gewollte hätte, hätte er eine ausdrückliche Regelung treffen müssen. Dies zeigt schon der Vergleich mit dem Normalfall einer Zuständigkeitsänderung, bei der an der Geltung des Rechtsgrundsatzes der perpetuatio fori kein Zweifel besteht. Denn auch in den Fällen, in denen eine Zuständigkeitsregelung aufgehoben und durch eine neue ersetzt wird, ist die alte Zuständigkeitsregelung ab dem Wirkungszeitpunkt der Neuregelung im Gesetz regelmäßig nicht mehr enthalten. Nichts anderes kann gelten, wenn eine befristete Zuständigkeitsregelung nach dem Ablauf der Frist aus dem Gesetz wieder gestrichen wird, auch wenn dies angesichts der im Gesetz ausdrücklich verankerten Befristung nicht notwendig wäre, um die gewollte Zuständigkeitsänderung herbeizuführen. Aus dem Umstand einer nicht zwingend notwendigen Streichung kann jedenfalls nicht auf eine Absicht des Gesetzgebers geschlossen werden, die Zuständigkeit auch für den Zeitraum der Befristung ändern zu wollen. Als Grund für die Streichung liegt es wesentlich näher anzunehmen, dass der Gesetzgeber das Gesetz baldmöglichst von abgelaufenen Regelungen bereinigen wollte, die er ansonsten zu einem späteren Zeitpunkt hätte streichen müssen.

Gegen die Rückverlagerung der dem Bundespatentgericht nach § 147 Abs. 3 PatG zugewiesenen Einspruchsverfahren auf das Patentamt spricht auch, dass ein solches Verständnis des Gesetzes unter dem Gesichtspunkt einer eindeutigen Zuständigkeitsregelung und damit unter verfassungsrechtlichen Aspekten problematisch wäre. Ob die in dem befristeten Zeitraum zugewiesenen Verfahren tatsächlich beim Bundespatentgericht oder aber wieder vom Patentamt bearbeitet würde, hinge von vielen unabwägbaren Faktoren ab, unter anderen von der Geschäftsbelastung der jeweiligen Technischen Beschwerdesenate des Gerichts und der sich daraus ergebenden jeweiligen Verfahrensdauer. Sogar die Verfahrensbeteiligten könnten durch entsprechende verfahrensverzögernde Maßnahmen maßgeblichen Einfluss auf die Zuständigkeit nehmen.

Schließlich spricht der Sinn und Zweck der ursprünglichen zum 1. Januar 2002 vorgenommenen Zuständigkeitsverlagerung, nämlich das Patentamt für einen befristeten Zeitraum von der Entscheidung über die Einsprüche gegen Patente zu entlasten, gegen eine Rückverlagerung eben jener Verfahren.

III.

Der Einspruch der - ordnungsgemäß geladenen, zur mündlichen Verhandlung am 19. Oktober 2006 jedoch ankündigungsgemäß nicht erschienenen - Einsprechenden ist unzulässig. Er ist zwar form- und fristgerecht nach § 59 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 PatG eingereicht worden, gibt die Tatsachen, die ihn rechtfertigen sollen, aber nicht "im Einzelnen" i. S. d. § 59 Abs. 1 Satz 4 PatG an (vgl. hierzu BGH BlPMZ 1988, 250, Leitsatz 2, 251, li. Sp.., Abs. 1 - "Epoxidation"; Schulte, PatG, 7. Auflage, § 59 Rdn. 77 bis 82).

Die ein Kontaktelement (25) betreffenden Merkmale nach dem kennzeichnenden Teil des Patentanspruchs 1 des Streitpatents sind insofern erfindungswesentlich, als sie letztlich einen mit der Erfindung angestrebten wahlweisen Anschluss einer Kabelabschirmung über die metallische Außenhülle des Steckverbinders oder über einen im Steckverbinder angeordneten Kontakt zu einem Gegenstecker ermöglichen (vgl. die Aufgabe im Abschnitt [0006] i. V. m. den Unteransprüchen 2 und 3 sowie den Abschnitten [0011], [0022] bis [0026], [0034] und [0035] der Streitpatentschrift). Zu diesen Merkmalen hat sich die Einsprechende im vorgenannten Einspruchsschriftsatz pauschal dahingehend geäußert, dass es für den zuständigen Fachmann keiner erfinderischen Tätigkeit bedürfe, das radial ausgebildete Kontaktelement gemäß Abbildung 2 der Druckschrift D3 in ein flaches Biegeteil mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 des Streitpatents umzuwandeln (vgl. den Einspruchsschriftsatz vom 20. Februar 2004, Blatt 3, Absatz 2, letzter Satz). Damit ist im Einspruchsschriftsatz aber beispielsweise nicht der erforderliche Zusammenhang zwischen dem Stand der Technik und dem letzten Merkmal nach dem kennzeichnenden Teil des Patentanspruchs 1 des Streitpatents hergestellt worden, wonach das Kontaktelement (25) mit dem umgebogenen, federnden Ende (28) so angeordnet ist, dass beim Aufschrauben der Schraubhülse (40) die Biegekante (28') des federnden Endes gegen die Innenwand der Schraubhülse (40) drückt. Entsprechendes gilt zudem auch für das Vorbringen an anderer Stelle des Einspruchsschriftsatzes, wonach gemäß Druckschrift D3 das Kontaktelement (Konus) nach Kontaktierung mit dem Schirmgeflecht mit dem Trägerkörper in Verbindung gebracht wird, um auf diese Art und Weise die elektrische Kontaktierung der Abschirmung über die metallische Außenhülle des Steckverbinders herzustellen (vgl. Blatt 3, Absatz 2, vorletzter Satz des Einspruchsschriftsatzes). Denn auch damit ist nicht geltend gemacht worden, dass das Kontaktelement nach Druckschrift D3 - insoweit entsprechend demjenigen nach dem Patentanspruch 1 des Streitpatents - beim Aufschrauben der Schraubhülse gegen die Innenwand der Schraubhülse gedrückt wird.

Der Einspruch war daher als unzulässig zu verwerfen.

IV.

Der Antrag der Patentinhaberin, die Kosten der mündlichen Verhandlung der Einsprechenden aufzuerlegen, war zurückzuweisen. Billigkeitsgründe nach § 147 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 62 Abs. 1 Satz 1 PatG, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, der Einsprechenden Kosten des Verfahrens bzw. der mündlichen Verhandlung aufzuerlegen, sind nicht gegeben. Als solche Gründe können grundsätzlich angesehen werden die Aussichtslosigkeit des Einspruchs oder ein (kostenrelevanter) Verstoß gegen prozessuale Sorgfaltspflichten (vgl. dazu die Billigkeitsgründe bei der Kostenentscheidung im Rahmen des Beschwerdeverfahrens bei Schulte, PatG, 7. Aufl., § 80 Rdn. 13 und 14).

Die Rechtsverfolgung der Einsprechenden konnte jedenfalls nicht von vorne herein als aussichtslos oder nicht erfolgversprechend beurteilt werden. Der Umstand, dass die Einsprechende ihren Einspruch unter dem Gesichtspunkt des § 59 Abs. 1 Satz 4 PatG unzureichend begründet hat, rechtfertigt eine Kostenauferlegung jedenfalls für sich genommen nicht.

Es liegt auch kein kostenrelevanter Verstoß gegen prozessuale Sorgfaltspflichten vor. Insbesondere hat die Einsprechende die Kosten der mündliche Verhandlung vom 19. Oktober 2006 nicht verursacht. Es trifft zwar zu, dass sie in ihrem Einspruchsschriftsatz vom 20. Februar 2002 hilfsweise beantragt hat, mündliche Verhandlung anzuberaumen, wenn ihrem Einspruch nicht bereits im schriftlichen Verfahren stattgegeben wird. Im weiteren Verlauf des Verfahrens hat sie jedoch mitgeteilt, dass sie an der Fortsetzung des Verfahrens nicht interessiert sei. Nach Terminsladung bzw. Umladung hat sie sogar ausdrücklich erklärt, dass sie an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde. Aus diesen Erklärung ergibt sich mit hinreichender Klarheit, dass die Einsprechende an ihrem Terminsantrag nicht festhalten wollte, sondern ihn vielmehr zurückgenommen hat. Der Senat hat deshalb auch nicht im Hinblick auf den hilfsweise gestellten Terminsantrag Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt, sondern deshalb, weil er eine abschließende Klärung sämtlicher Rechtsfragen, zu denen der Meinungsbildungsprozess innerhalb des Senat noch nicht abgeschlossen war, entsprechend § 78 Nr. 3 PatG in einem auf eine mündliche Verhandlung fokussierten Termin für sachdienlich gehalten hat. Ein Termin hätte vermutlich auch dann stattgefunden, wenn die Einsprechende ihren Einspruch zurückgenommen hätte, weil das Verfahren auch nach Einspruchsrücknahme grundsätzlich fortzusetzen ist, § 147 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 61 Abs. 1 Satz 2 PatG. In einem solchen Zusammenhang hätte die Frage der Zulässigkeit des Einspruchs entschieden werden müssen. Deshalb war das Verhalten der Einsprechenden einschließlich ihres hilfsweise gestellten Terminsantrages für die Anberaumung des Termins nicht ursächlich. Eine solche Ursächlichkeit ist nach Auffassung des Senat auch im Rahmen der Kostenentscheidung nach billigem Ermessen nach § 147 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 62 Abs. 1 Satz 1 PatG Voraussetzung für die Kostenauferlegung (vgl. zum Beschwerdeverfahren, Schulte, PatG, 7. Aufl., § 80 Rdn. 17).






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