Bundespatentgericht:
Beschluss vom 21. September 2005
Aktenzeichen: 28 W (pat) 231/03

(BPatG: Beschluss v. 21.09.2005, Az.: 28 W (pat) 231/03)

Tenor

Auf die Beschwerde der Widersprechenden wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 31 vom 8. April 2003 aufgehoben.

Wegen des Widerspruchs aus der Marke 908 820 wird der angegriffenen IR-Marke IR 648 116 "Boissons à base de cafe , de cacao ou de chocolat; sirops; produits pour la preparation des boissons; boissons à base de jus des fruits" der Schutz für die Bundesrepublik Deutschland versagt.

Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

Gründe

I.

Gegen die für Waren der Klassen 03, 21, 29 bis 33, darunter 30 P‰te pour g‰teaux; p‰tes alimentaires; bonbons; cafe; the; cacao; sucre; riz; tapioca; succedanes du cafe; farines; preparations à base de cereales; pain; biscuits; tartes; articles de p‰tisserie; dragees; glaces comestibles; miel; sirop de melasse; poivre; vinaigre; sauces à salades; epices; glace à rafraîchir; boissons à base de cafe, de cacao ou de chocolat.

32 Bières; eaux minerales, gazeuses et autres boissons sans alcool; sirops; produits pour la preparation des boissons; jus de fruits; boissons à base de jus de fruits.

33 Vins; spiritueux; liqueurs; boissons alcooliquesinternational registrierte Wort-Bild-Marke IR 648 116 ist Widerspruch aus der rangälteren Wort-Bild-Marke 908 820 eingelegt worden, die seit dem 17. August 1973 für die Waren der Klassen 05, 30 und 32

"Schnelllösliche Fruchtextrakte zur Herstellung von alkoholfreien Getränken, schnelllöslicher Tee-Extrakt zur Herstellung von schwarzem Tee, schnelllösliche Tee-Ersatz-Extrakte und Tee-Ersatz-Pulver zur Herstellung von Kamillen-, Kräuter-, Pfefferminz- und Früchtetees"

eingetragen ist.

Mit Beschluss vom 8. April 2003 hat die Markenstelle für Klasse 31 des Deutschen Patent- und Markenamts den Widerspruch mit der Begründung zurückgewiesen, die Widersprechende habe auf die von der IR-Markeninhaberin erhobene Einrede die Benutzung ihrer Marke nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Die eingereichten Unterlagen deckten schon rein zeitlich nur den Benutzungszeitraum nach § 43 Abs 1 Satz 1 MarkenG iVm § 114 MarkenG (also von 1991 bis 1996) ab, nicht aber den ebenfalls einschlägigen Benutzungszeitraum nach Satz 2 dieser Vorschrift - also fünf Jahre vor Erlass der Entscheidung über den Widerspruch, d.h. von 1998 bis 2003 -; darüber hinaus fehle in den eingereichten Unterlagen auch eine Aufschlüsselung der Umsatz- und Absatzzahlen nach den verschiedenen Warengruppen, deren konkreter Benutzungsumfang sich daher nicht feststellen ließe.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden, die zunächst rügt, dass die Markenstelle den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt habe, weil sie der Widersprechenden die Stellungnahme der IR-Markeninhaberin vom August 1998, in der die Nichtbenutzungseinrede mit sachlichen Ausführungen aufrecht erhalten worden sei, erst fünf Jahre später, nämlich mit dem Beschluss vom April 2003, zur Kenntnis gebracht habe. Mit der Relevanz des zweiten Benutzungszeitraums habe sie daher nicht rechnen müssen, nachdem die von der Markenstelle gewährte Frist zur Vorlage von Benutzungsunterlagen im Juni 1998 abgelaufen sei und sie über die Aufrechterhaltung der Benutzungseinrede keine Nachricht erhalten habe. Insoweit hätte es eines Hinweises der Markenstelle bedurft. Selbstverständlich sei die Widerspruchsmarke auch nach 1997 fortlaufend benutzt worden, und zwar primär für Brausetabletten auf Vitamin- und Mineralienbasis, wie die im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen belegten. Der Widerspruch werde im Übrigen auf die Waren

"Boissons à base de cafe, de cacao ou de chocolat; sirops; produits pour la preparation des boissons; boissons à base de jus des fruits"

beschränkt, die vor allem als Instant-Getränke im Identitäts- bzw. engeren Ähnlichkeitsbereicht lägen, so dass angesichts der klanglichen Identität der Marken, die mit "if" wiedergegeben würden, eine Verwechslungsgefahr auf der Hand liege.

Die Widersprechende beantragt sinngemäß, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und der angegriffenen IR-Marke den Schutz für die Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der im Tenor genannten Waren anzuordnen sowie die Erstattung der Beschwerdegebühr anzuordnen.

Die IR-Markeninhaberin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.

Sie hält ihre Nichtbenutzungseinrede nach wie vor aufrecht und sieht im Übrigen keine relevante Warenähnlichkeit, da es an einer direkten Vertriebsnähe fehle. Im Übrigen käme den vorliegend kurzen Buchstabenkombinationen nur geringe Schutzfähigkeit zu, wobei die jeweils betroffenen Waren des alltäglichen Gebrauchs ohnehin vorwiegend auf Sicht gekauft würden, bei welcher die grafischen Unterschiede unverkennbar zutage träten.

II.

Die Beschwerde der Widersprechenden ist im jetzt noch beantragten Umfang begründet, da die angegriffene Marke insoweit mit ihr verwechselbar ähnlich im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist.

Die Beurteilung der Verwechslungsgefahr erfolgt unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, wobei von einer Wechselbeziehung zwischen den in Betracht kommenden Faktoren, insbesondere der Ähnlichkeit der Marken und der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren sowie der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke auszugehen ist.

Hinsichtlich der Benutzung der Widerspruchsmarke hat der Senat nach Vorlage weiterer eidesstattlicher Versicherungen im Beschwerdeverfahren keine Bedenken, eine rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke für "Brausetabletten (Vitamine/Mineralstoffe)" anzuerkennen, und zwar für beide nach § 43 Abs 1 MarkenG relevanten Zeiträume. Insbesondere schließen die angegebene Höhe des konkret auf Ware und Jahr bezogenen Umsatzes, die Art der Verwendung sowie die weiteren Benutzungsunterlagen (Warenmuster) eine bloße Scheinbenutzung aus. Nach der für die Benutzung von Einzelwaren maßgebenden erweiterten Minimallösung (vgl Ströbele/Hacker, MarkenG, 7. Aufl 2003, § 26 Rdn 210 ff mwN) erfasst die Ware "Vitamin-/Mineral-Tabletten" zumindest die im Warenverzeichnis der Widerspruchsmarke aufgeführten "schnelllöslichen Fruchtextrakte zur Herstellung von alkoholfreien Getränken". Auch wenn solche Brausetabletten eher zu Nahrungsergänzungsmitteln als zu Getränkepulver gehören, spielt es keine Rolle, wie viel oder ob überhaupt ein Fruchtanteil in den Brausetabletten enthalten ist, weil selbst künstlich hergestellte Fruchtextrakte (Fruchtzucker) zumindest als Ersatzstoff anzuerkennen sind. Da sämtliche noch angegriffenen Waren als Instant-Getränke derartige Fruchtextrakte enthalten können - auch Kaffee- und Schokoladenpulver werden mit Fruchtzucker gemischt -, stehen sich Produkte im engeren Ähnlichkeitsbereich gegenüber, was auch von der IR-Markeninhaberin nicht mehr ernsthaft in Abrede gestellt wird. Jedenfalls kann die Verneinung einer Warenähnlichkeit nicht allein auf eine von der IR-Markeninhaberin reklamierte "mangelnde Vertriebsnähe" gestützt werden.

Bei der Prüfung der Verwechslungsgefahr ist damit ein eher strenger Maßstab anzulegen, zumal es sich um weitgehend niedrigpreisige Verbrauchsgüter für Endabnehmer handeln kann, die auch als verständige Durchschnittsverbraucher in solchen Fällen erfahrungsgemäß geringere Sorgfalt beim Erwerb der Waren walten lassen (vgl Ströbele/Hacker, MarkenG, 7. Aufl 2003, § 9 Rdn 153 ff, 157 mwN).

Der danach erforderliche Abstand zur älteren Widerspruchsmarke wird von der jüngeren Marke nicht mehr eingehalten.

Zwar werden die Marken in ihrer Gesamtheit wegen der deutlich unterschiedlichen grafischen Gestaltung nicht miteinander verwechselt werden und genau so wenig kann eine Verwechslungsgefahr allein schon aus dem Umstand abgeleitet werden, dass die sich gegenüberstehenden Marken identische Bestandteile mit dem Kürzel "if" aufweisen, es sei denn, diese könnten in klanglicher Hinsicht isoliert kollisionsbegründend gegenübergestellt werden.

Grundsätzlich wird einer Marke durch ihre Eintragung Schutz nur in der eingetragenen Form gewährt, da im Eintragungsverfahren nur die Schutzfähigkeit der angemeldeten Marke in ihrer Gesamtheit geprüft wird. Daraus folgt jedoch nicht, dass bei der Prüfung der Gefahr von Verwechslungen zwischen einer jüngeren Marke und einer älteren Widerspruchsmarke ausnahmslos von der jeweiligen Marke in ihrer Gesamtheit auszugehen ist. Maßgebend ist vielmehr jeweils der Gesamteindruck der betreffenden Marke, der in Ausnahmefällen vorrangig auch durch einen von mehreren Bestandteilen bestimmt werden kann. Kollisionsbegründend ist ein solcher Bestandteil nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann, wenn er den Gesamteindruck der Marke dergestalt prägt, dass neben ihm ein weiterer oder mehrere andere Bestandteile in den Hintergrund treten. Bei Wort-Bild-Marken trifft dies in der Regel auf die Wortbestandteile als einfachster und kürzester Bezeichnungsform zu (vgl. Ströbele/Hacker, aaO § 9 Rdn 434 mwN), so dass insofern die Bildbestandteile zumindest für die klangliche Verwechslungsgefahr unberücksichtigt bleiben, wenn die kollisionsbegründende Wirkung der Worte nicht ausnahmsweise wegen ihres beschreibenden Charakters ausgeschlossen ist, was bei der angegriffenen Marke hinsichtlich des Wortes "IF" jedoch nicht ersichtlich ist. Es kann daher rechtlich nicht beanstandet werden, wenn die Markenstelle vorliegend diesen Bestandteil der Vergleichsmarken als isoliert kollisionsbegründend herangezogen hat. Wird dieses Kürzel, das sich wegen seiner Prägnanz ohne weiteres als Produktkennzeichnung eignet, vom Verkehr entsprechend aufgegriffen, stehen sich letztlich klangidentische Worte gegenüber. Denn auch die angegriffene Marke wird hauptsächlich in ihrem Wortbestandteil in Erinnerung bleiben, nachdem der weitere Bestandteil mehr dekorativen Charakter hat, falls er überhaupt optisch wahrgenommen wird.

Angesichts der aufgezeigten Warensituation führt diese Konstellation zwangsläufig zur Annahme einer unmittelbaren Verwechslungsgefahr.

Bei dieser Sach- und Rechtslage musste die Beschwerde der Widersprechenden Erfolg haben und der IR-Marke der Schutz in dem beantragten Umfang versagt werden.

Zu einer Kostenentscheidung besteht keine Veranlassung, § 71 MarkenG.

Allerdings war dem Antrag der Widersprechenden auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr gemäß § 71 Abs 3 MarkenG stattzugeben. Denn die Markenstelle hat gleich mehrfach gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verstoßen. Zum Einen hat sie der Widersprechenden den Schriftsatz der Gegenseite vom 26. August 1998 so verspätet zugestellt, dass sie dazu nicht mehr vor Beschlussfassung Stellung nehmen konnte, was auch ursächlich für die Entscheidung war. Denn hätte die Widersprechende von den sachlichen Einwendungen der Gegenseite rechtzeitig erfahren, hätte sie aller Wahrscheinlichkeit nach die erforderlichen Klarstellungen, die sie im Beschwerdeverfahren nachgeholt hat, bereits im Verfahren vor der Markenstelle vorgenommen. Zwar hat ein Widersprechender nach Erhebung einer zulässigen Benutzungseinrede die entsprechenden Unterlagen zur Glaubhaftmachung auf eigene Verantwortung vollständig und mängelfrei vorzulegen (vgl Ströbele/Hacker, aaO § 43 Rdn 66 mwN), was hier zunächst unterblieben war, weil die Widersprechende ihre Umsatzzahlen nicht nach den einzelnen Produkten ihres Warenverzeichnisses differenziert hat, wie von der IR-Markeninhaberin zu Recht bemängelt wurde. Hierbei kann sie grundsätzlich keinen Hinweis der Markenstelle oder des Gerichts erwarten, der sie auf mögliche Mängel in den Unterlagen aufmerksam macht (Ströbele/Hacker aaO, Rdn 71). Liegt aber eine Stellungnahme der Gegenseite zu den Benutzungsunterlagen vor, kann diese nicht einfach - wie etwa bei Schriftsätzen mit reinen Rechtsausführungen - dem Widersprechenden bis zur Beschlussfassung vorenthalten werden, zumal wenn wie hier auch Tatsachen betroffen waren.

Zum Andern hat die Markenstelle ihre Entscheidung auf einen Gesichtspunkt der Benutzungslage, nämlich § 43 Abs 1 S 2 MarkenG, gestützt, der bei Einreichung der Glaubhaftmachungsunterlagen gar nicht relevant war, sondern erst im Zeitpunkt der nahezu fünf Jahre später ergangenen Entscheidung, weil der zunächst nur bis 1997 glaubhaft gemachte Umsatz außerhalb des nun relevanten Benutzungszeitraumes (1998-2003) lag. Dieses Vorgehen war für die Widersprechende, der auf Anfrage schriftlich eine Entscheidung bis Oktober 2000 avisiert worden war, angesichts der langen Verfahrensdauer ohne sonstigen Schriftverkehr überraschend und hätte im Rahmen des allgemeinen Vertauensschutzes nach § 139 ZPO, der auch im Verfahren vor der Markenstelle anwendbar ist, einen entsprechenden Hinweis an die Widersprechende erfordert, weil sie erkennbar diesen entscheidenden Gesichtspunkt übersehen hat (vgl. dazu Ströbele/Hacker aaO Rdn 73). Hat das Amt wie hier das Verfahren erst nach fünfjähriger "Pause" zu Ende geführt und dann die Entscheidung auf § 43 Abs 1 S 2 MarkenG gestützt, so liegt hierin eine Überraschungsentscheidung, die das rechtliche Gehör der Widersprechenden verletzt, da sie im Ergebnis auf eine Verhinderung des Parteivortrages der Widersprechenden zu diesem entscheidenden rechtlichen Gesichtspunkt hinausgelaufen ist (vgl dazu Ströbele/Hacker, aaO, § 83 Rdn 73).

Zur Vermeidung einer weiteren Verfahrensverzögerung hat der Senat jedoch von einer Aufhebung und Zurückverweisung der Sache allein wegen dieser erheblichen Verfahrensmängel abgesehen.

Stoppel Schwarz-Angele Paetzold WA






BPatG:
Beschluss v. 21.09.2005
Az: 28 W (pat) 231/03


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