Bundespatentgericht:
Beschluss vom 4. April 2007
Aktenzeichen: 29 W (pat) 98/06

(BPatG: Beschluss v. 04.04.2007, Az.: 29 W (pat) 98/06)

Tenor

1. Die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 16 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 22. August 2005 und 19. Mai 2006 werden aufgehoben.

2. Das Deutsche Patent- und Markenamt wird angewiesen, die Löschung der Marke 303 18 956 anzuordnen.

Gründe

I.

Die Wortmarke Focus Printist unter der Nummer 303 18 956 im Register eingetragen für die Waren Papier, Pappe (Karton) und Waren aus diesen Materialien, soweit in Klasse 16 enthalten.

Gegen die Eintragung wurde Widerspruch erhoben aus der älteren Wortmarke FOCUS eingetragen für die Waren und Dienstleistungen der Klasse 16:

Druckereierzeugnisse und Verlagserzeugnisse, insbesondere Magazine; Zeitschriften, Zeitungen und Broschüren, Bücher; Lichtbilderzeugnisse, Fotografien (soweit in Klasse 16 enthalten);

Klasse 41:

Veröffentlichung und Herausgabe von Druckereierzeugnissen, insbesondere von Magazinen, Zeitungen, Zeitschriften, Broschüren und Büchern, sowie von Lehr- und Informationsmaterial einschließlich gespeicherter Ton- und Bildinformation, Produktion von Ton- und Bildaufzeichnungen auf Ton- und Bildträger.

Die Markenstelle für Klasse 16 des Deutschen Patent- und Markenamts hat den Widerspruch mit Beschluss vom 22. August 2005 und die dagegen gerichtete Erinnerung der Widersprechenden mit Beschluss vom 19. Mai 2006 zurückgewiesen. Zwischen den von der angegriffenen Marke erfassten Waren und den Waren und Dienstleistungen der Widerspruchsmarke fehle es an der erforderlichen Ähnlichkeit. Die von der jüngeren Marke erfassten Waren würden regelmäßig von der papierverarbeitenden Industrie hergestellt, während es sich bei den von der Widerspruchsmarke erfassten Druckerei- und Verlagserzeugnissen um typische Produkte von Druckereien und Verlagen handele. Auch in Bezug auf den Verwendungszweck, den Vertriebsweg und die Abnehmerkreise wiesen die beiderseitigen Waren keine Berührungspunkte auf. Wegen dieser erheblichen Warenferne sei die Gefahr von Verwechslungen ausgeschlossen. Die von der Widersprechenden geltend gemachte erhöhte Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke führe zu keinem anderen Ergebnis. Sie könne nur für die Ware "Druckereierzeugnisse" zugestanden werden, die aber nicht im Verzeichnis der angegriffenen Marke enthalten sei.

Gegen diese Beschlüsse richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Zur Begründung trägt sie vor, dass es sich bei der Widerspruchsmarke um eine bekannte Marke handele. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu "coccodrillo" und "Ferrari-Pferd" strahle die Bekanntheit einer Marke auch auf benachbarte Waren- und Dienstleistungsbereiche aus. Da der weitere Zeichenbestandteil "Print" der jüngeren Marke für die vom Schutz erfassten Papier- und Pappwaren rein beschreibend sei, stünden sich für den Zeichenvergleich die identischen Zeichen "Focus" gegenüber. Angesicht der gesteigerten Kennzeichnungskraft und der hochgradigen Markenähnlichkeit sei trotz der Warenferne eine Verwechslungsgefahr für das Publikum zu befürchten.

Die Widersprechende und Beschwerdeführerin beantragt, die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 16 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 22. August 2005 und 19. Mai 2006 aufzuheben und die Löschung der Marke anzuordnen.

Die Markeninhaberin und Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie tritt der Beschwerde mit der Begründung entgegen, dass es für die Annahme einer Verwechslungsgefahr an der erforderlichen Ähnlichkeit der beiderseitigen Waren fehle. Das Wort "Focus" sei für Druckereierzeugnisse als beschreibender Hinweis auf einen Themenschwerpunkt kennzeichnungsschwach, so dass der Widerspruchsmarke selbst unter Berücksichtigung ihrer Bekanntheit allenfalls eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft zukomme.

II.

Die nach § 66 Abs. 1 und 2 MarkenG zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Die Beschlüsse der Markenstelle waren aufzuheben und das Deutsche Patent- und Markenamt zur Löschung der jüngeren Marke anzuweisen, weil für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht (§ 42 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 9 Abs. 1 Nr. 2, § 43 Abs. 2 Satz 1 MarkenG).

1. Die Frage der markenrechtlichen Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Dabei ist von einer Wechselwirkung zwischen den Beurteilungskriterien der Waren- und Dienstleistungsähnlichkeit, der Markenähnlichkeit und der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke in der Weise auszugehen, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder durch eine erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (vgl. EuGH GRUR 1998, 922, Rn. 17 ff. - Canon; BGH GRUR 2006, 60, 61 - coccodrillo). Nach diesen Grundsätzen muss im vorliegenden Fall die Verwechslungsgefahr bejaht werden.

2. Für die Beurteilung der Waren- und Dienstleistungsähnlichkeit ist von der Registerlage auszugehen, da Benutzungsfragen nicht zu erörtern waren. Zu berücksichtigen sind dabei nach ständiger Rechtsprechung alle erheblichen Umstände, die das Verhältnis der Waren oder Dienstleistungen zueinander kennzeichnen. Dazu zählen insbesondere die Art, der Verwendungszweck und die Nutzung sowie ihre Eigenart als miteinander konkurrierende oder ergänzende Waren oder Dienstleistungen (vgl. EuGH GRUR 1998, 922, Rn. 23 - Canon; GRUR 2006, 582, Rn. 85 - VITAFRUIT; BGH GRUR 2001, 507, 508 - EVIAN/REVIAN; GRUR 2004, 241, 243 - GeDIOS). Soweit sich dabei Waren und Dienstleistungen gegenüberstehen, ist eine Ähnlichkeit regelmäßig dann anzunehmen, wenn der Verkehr der Fehlvorstellung unterliegt, dass der Erbringer der Dienstleistungen, für die die Widerspruchsmarke geschützt ist, auch als Hersteller der in Rede stehenden Waren am Markt auftritt (vgl. BGH a. a. O. - GeDIOS).

2.1. Keine Ähnlichkeit besteht nach diesen Grundsätzen zwischen den von der Widerspruchsmarke erfassten Dienstleistungen "Veröffentlichung und Herausgabe von Druckereierzeugnissen, insbesondere von Magazinen, Zeitungen, Zeitschriften, Broschüren und Büchern, sowie von Lehr- und Informationsmaterial einschließlich gespeicherter Ton- und Bildinformation; Produktion von Ton- und Bildaufzeichnungen auf Ton- und Bildträger" und den Waren der angegriffenen Marke "Papier, Pappe (Karton) und Waren aus diesen Materialien, soweit in Klasse 16 enthalten". Papier und Pappe sind zwar Ausgangsmaterial für eine Vielzahl von Verlagsprodukten und finden daher bei der Erbringung der genannten Dienstleistungen regelmäßig Verwendung. Bei der Inanspruchnahme von Verlagsdienstleistungen nimmt der Verkehr diese Materialien aber nicht als eine selbständige Ware wahr, zumal Verlage regelmäßig nicht als Hersteller von Papier und Pappe am Markt auftreten und ihre Dienstleistungen nicht zusammen mit Papier- und Pappwaren anbieten. Für die Annahme einer Ähnlichkeit dieser Waren und Dienstleistungen fehlt es damit an Berührungspunkten.

2.2. Im Ähnlichkeitsbereich liegen hingegen die Waren "Druckereierzeugnisse und Verlagserzeugnisse, insbesondere Magazine; Zeitschriften, Zeitungen und Broschüren, Bücher" der Widerspruchsmarke mit den von der jüngeren Marke erfassten Waren "Papier, Pappe (Karton) und Waren aus diesen Materialien". Papier und Pappe einerseits und Druckereierzeugnisse in Form von Briefpapier, Quittungsblöcken, Glückwunschkarten usw. andererseits werden regelmäßig zusammen in Bürobedarfs- und Schreibwarengeschäften angeboten. Auch hinsichtlich der Nutzung und der Herstellung bestehen Berührungspunkte. Zum einen finden sowohl unbedrucktes Papier als auch bedrucktes Schreibpapier in der privaten bzw. geschäftlichen Korrespondenz Verwendung und zum anderen werden Papier- und Pappwaren auch mit Aufdruck hergestellt, wie z. B. Geschenkpapier, Papierservietten, Papiertaschentücher usw.. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass mit der Einführung des Digitaldrucks für den Verkehr die Differenzierung zwischen einem Druckereierzeugnis im Sinne eines in einem Druckbetrieb gefertigten Produkts und Papierwaren, die am privaten Computer oder in einem Kopiergeschäft bedruckt wurden, oft nicht mehr möglich ist. Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass das angesprochene Publikum bei den beiderseitigen Waren von einer gemeinsamen betrieblichen Herkunft ausgehen wird, wenn sie mit derselben Marke gekennzeichnet sind.

3. Für die Widerspruchsmarke ist im Bereich der verfahrensgegenständlichen Waren von durchschnittlicher Kennzeichnungskraft auszugehen.

3.1. Bei der Feststellung der Kennzeichnungskraft und gegebenenfalls ihrer Steigerung kraft Benutzung ist auf die einzelnen Waren und Dienstleistungen abzustellen, für die die Widerspruchsmarke Schutz genießt (vgl. EuGH GRUR Int. 1999, 734, Rn. 23 - Lloyd; BGH GRUR 2004, 779, 781 - Zwilling/Zweibrüder). Eine gesteigerte Kennzeichnungskraft kann nach der Rechtsprechung nur auf eng benachbarte Produktbereiche ausstrahlen und umfasst nicht den vollständigen Bereich aller ähnlichen Waren (vgl. BGH GRUR 1992, 130, 131 -Bally/BALL; Ingerl/Rohnke, MarkenG, 2. Aufl. 2003, § 9 Rn. 394; Ströbele/Hacker, MarkenG, 8. Aufl. 2006, § 9 Rn. 196).

3.2. Selbst wenn man zu Gunsten der Widersprechenden eine erhöhte Kennzeichnungskraft für die Waren und Dienstleistungen "Magazine, Zeitschriften; Veröffentlichung und Herausgabe von Magazinen, Zeitschriften" als gerichtsbekannt unterstellt, folgt daraus keine Steigerung der Kennzeichnungskraft für den im Verzeichnis der Widerspruchsmarke enthaltenen Oberbegriff der Druckereierzeugnisse. Magazine und Zeitschriften stellen nämlich innerhalb der Druckereierzeugnisse hinsichtlich der Herstellung, des Vertriebs und des Verwendungszwecks einen eigenständigen Produktbereich dar, der nicht als eng benachbart angesehen werden kann zu allen anderen unter den Oberbegriff der Druckereierzeugnisse fallende Waren, wie z. B. Glückwunschkarten, Kalender, Formulare, Plakate, Prospekte, Schulhefte u. Ä.. Da die erhöhte Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke auf die hier verfahrensgegenständlichen Druckereierzeugnisse somit nicht ausstrahlt, ist im vorliegenden Fall für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft auszugehen.

3.3. Die von der Widersprechenden angeführte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht dieser Beurteilung nicht entgegen, denn sie betrifft nicht die Feststellung der Kennzeichnungskraft, sondern die Auswirkung einer erhöhten Kennzeichnungskraft einzelner Bestandteile der Widerspruchsmarke auf die Beurteilung der Markenähnlichkeit (vgl. BGH GRUR 2006, 60, 61 - coccodrillo; GRUR 2004, 594, 597 - Ferrari-Pferd).

4. Unter Berücksichtigung der Warenähnlichkeit und der durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke hält die jüngere Marke den zur Vermeidung einer Verwechslungsgefahr erforderlichen Abstand nicht ein.

4.1. Die Markenähnlichkeit ist anhand des Gesamteindrucks beider Marken nach Schriftbild, Klang und Sinngehalt zu beurteilen, wobei insbesondere die sie unterscheidenden und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind. Abzustellen ist dabei auf die Wahrnehmung des angesprochenen Durchschnittsverbrauchers, der eine Marke regelmäßig in ihrer Gesamtheit erfasst und nicht auf die verschiedenen Einzelheiten achtet (vgl. EuGH GRUR 2005, 1042, Rn. 28 - THOMSON LIFE; BGH GRUR 2006, 60, Tz. 17 - coccodrillo).

4.2. Die Vergleichszeichen enthalten übereinstimmend den Bestandteil "Focus". Im schriftbildlichen und klanglichen Gesamteindruck unterscheidet sich die jüngere Marke aber deutlich in Zeichenlänge und Silbenzahl sowie durch den Bestandteil "Print", der in der Widerspruchsmarke nicht enthalten ist. Auch eine begriffliche Ähnlichkeit besteht nicht, weil der Begriff "Focus" für die in Rede stehenden Waren keinen eindeutigen und klaren Sinngehalt aufweist.

4.3. Dennoch ist eine die Verwechslungsgefahr begründende Markenähnlichkeit anzunehmen. Der Bestandteil "Focus" dominiert den Gesamteindruck, den die zweiteilige jüngere Marke im Gedächtnis der angesprochenen Verkehrskreise hervorruft (vgl. EuGH GRUR Int. 2004, 843, Rn. 32 - MATRATZEN; BGH GRUR 2004, 598, 599 - Kleiner Feigling). Das englische Wort "print" im Sinne von "Druck" hat in Verbindung mit Papier und Pappe eine rein beschreibende Bedeutung und ist ausweislich der in der mündlichen Verhandlung vom Senat überreichten Rechercheunterlagen auch bereits als beschreibender Hinweis auf Druckerpapier gebräuchlich. Es tritt daher im Gesamteindruck der angegriffenen Marke vollständig in den Hintergrund, so dass der Verkehr sich ausschließlich an dem mit der Widerspruchsmarke identischen Bestandteil "Focus" orientieren wird.

5. Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst (§ 71 Abs. 1 Satz 2 MarkenG).






BPatG:
Beschluss v. 04.04.2007
Az: 29 W (pat) 98/06


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