Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 25. Januar 2012
Aktenzeichen: 13 U 41/11

(OLG Köln: Urteil v. 25.01.2012, Az.: 13 U 41/11)

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 4. Februar 2011 - 82 O 30/09 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Dieses Urteil sowie das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner wegen Unterlassung eines Pflichtangebots gemäß § 35 Abs. 2 Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (im Folgenden: WpÜG) im Wege der Teilklage auf Abnahme von 300.000 Stück Aktien der C International AG, L, gegen Zahlung einer Gegenleistung von 987.000,00 € in Anspruch. Hilfsweise begehrt sie die Zahlung von Zinsen in Höhe von 987.000,00 € gemäß § 38 WpÜG.

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 4. Februar 2011 (GA 418 ff.), auf das wegen der tatsächlichen Feststellungen, der erstinstanzlichen Anträge und der Einzelheiten der Entscheidungsbegründung Bezug genommen wird (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO), abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei zwar zulässig, insbesondere seien die Existenz der Klägerin nachgewiesen, das Landgericht Köln gemäß § 66 Abs. 1 WpÜG sachlich, örtlich und international zuständig und das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin zu bejahen. Die Klage sei jedoch in der Sache nicht begründet, weil § 35 Abs. 2 WpÜG weder einen privatrechtlichen Individualanspruch der Aktionäre der Zielgesellschaft gegen den Kontrollerwerber auf Abnahme ihrer Aktien begründe, noch als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB anzusehen sei und damit auch über § 823 Abs. 2, § 249 BGB keinen Anspruch auf Abnahme der Aktien begründen könne. Aus den Gründen, die gegen die Annahme eines Schutzgesetzes sprächen, seien zudem keine Ansprüche aus §§ 1004, 826 BGB oder anderen deliktsrechtlichen Normen gegeben. Auch der Hilfsantrag auf Zinszahlung gemäß § 38 WpÜG sei nicht begründet, weil diese Vorschrift keinen selbständigen Anspruch auf Zinszahlung bei unterlassener Vorlage eines Pflichtangebots begründe, sondern nur eine unselbständige Nebenforderung auf Verzinsung eines Anspruchs auf die Gegenleistung im Fall der Annahme des - möglicherweise verzögerten - Pflichtangebots. Mangels Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin könne offen bleiben, ob und wie die Klägerin die C-Aktien tatsächlich erworben habe, ob sie die Beklagten - wie von diesen behauptet -, in kollusivem Zusammenwirken mit deren damaligem Vermögensverwalter L2 und weiteren Hintermännern habe sittenwidrig schädigen wollen und ob die streitgegenständlichen Ansprüche verjährt seien.

Mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzlichen Anträge unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens weiter.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Köln (Az. 82 O 30/09)

1 die Beklagten zu verurteilen, Zug um Zug gegen Übereignung von Stück 300.000 Aktien der C International AG, Köln (ISIN DE00052xxxxx) an sie € 987.000,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank spätestens seit dem 19. Juni 2004 zu zahlen,

hilfsweise

2 die Beklagten zu verurteilen, an sie € 987.000,00 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen unter Verteidigung des erstinstanzlichen Urteils und unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vortrags wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und auf die zu den Akten gereichten Unterlagen verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht als zulässig, in der Sache aber unbegründet abgewiesen.

A.

Die Klage ist zulässig.

Das Landgericht Köln hat seine internationale Zuständigkeit zutreffend aus der - insoweit doppelfunktionalen (vgl. Zöller/Geimer, ZPO 28. Aufl. IZPR Rdn. 37 m.w.Nachw.) - nationalen örtlichen Zuständigkeitsregelung des § 66 WpÜG hergeleitet. Diese ist einschlägig, weil die Klägerin Ansprüche aus diesem Gesetz geltend macht und die Zielgesellschaft C AG ihren Sitz in L hat. Auch die Existenz der Klägerin, d.h. ihre wirksame Gründung nach dem Recht der Britisch-Westindischen Inseln und ihre ausreichende Substanz für die dortige Ansässigkeit, hat das Landgericht in nicht zu beanstandender - und von den Beklagten in der Berufung auch nicht substantiell angegriffener - Weise aufgrund der vorgelegten Original-Gründungsurkunde (Anl. K 19 = AH 50) bejaht. Schließlich ist auch das Rechtsschutzinteresse der Klägerin aus den vom Landgericht genannten Gründen nicht wegen des von den Beklagten erhobenen Vorwurfs missbräuchlichen Verhaltens zu verneinen.

B.

Die Klage ist jedoch - sowohl hinsichtlich des Haupt- als auch des Hilfsantrags - nicht begründet.

1.

Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die streitige Frage etwaiger Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagten wegen eines Kontrollerwerbs materiell nach deutschem Recht zu beurteilen ist.

Ob die Geltung deutschen Rechts - wie die Beklagten meinen - bereits daraus folgt, dass § 1 WpÜG als autonome Kollisionsnorm anzusehen ist, bedarf keiner Entscheidung, weil sie sich andernfalls auch aus dem jeweils geltenden Rechtsstatut ergibt: Maßgebliches Gesellschaftsstatut (für die Frage etwaiger Ansprüche aus einer Kontrollsituation) ist im vorliegenden Fall sowohl bei Anknüpfung an das Recht des Gesellschaftssitzes als auch an das Gründungsrecht der Gesellschaft (vgl. Nachweise bei Kegel/Schurig, IPR 9. Aufl. § 17 II S. 575) deutsches Recht. Auch speziell für die rechtliche Bewertung gesellschaftsrechtlicher Übernahmeangebote ist insoweit an das deutsche Sitzrecht der C International AG anzuknüpfen (vgl. Nachweise zum Meinungsstand bei Kegel/Schurig a.a.O. S. 581). Etwaige Ansprüche aus unerlaubter Handlung sind schließlich gemäß Art. 4 Abs. 3 ROM II ebenfalls nach deutschem Recht zu beurteilen, weil der Rechtsstreit angesichts des Kernvorwurfs einer (nach deutschem Recht) rechts- oder gar sittenwidrigen Kontrollübernahme einer deutschen Aktiengesellschaft eine "engste Verbindung" zu Deutschland aufweist

2.

Zweifelhaft ist nach Ansicht des Senats dagegen bereits, ob man mit der Begründung des Landgerichts die Aktivlegitimation der Klägerin für etwaige Individualrechte aus §§ 35 ff. WpÜG bejahen kann.

Nach Ansicht des Landgerichts hat die Klägerin diese (unterstellten) Rechte im August 2008 allein aufgrund ihres Erwerbs der C-Aktien originär erworben, weil die Verpflichtungen des Kontrollerwerbers nach allgemeiner Ansicht auch nach Unterschreitung der Kontrollgrenze fortbestehe; die zwischen den Parteien streitige Frage, ob der Klägerin diese Rechte (auch) derivativ im Zuge der Abtretung von der Zedentin T übertragen worden seien, bedürfe daher keiner Entscheidung.

Diese Schlussfolgerung erscheint dem Senat nicht überzeugend. Es trifft zwar zu, dass die Verpflichtungen aus § 35 WpÜG und die daran anknüpfenden Sanktionen nach allgemeiner Meinung unabhängig von der Dauer des Verstoßes sind und auch bei späterer Unterschreitung der Kontrollgrenze grundsätzlich bis zur Erfüllung der Verpflichtung fortbestehen (vgl. etwa Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider WpÜG 2005 § 35 Rdn. 74; Ekkenga/Schulz, in: Ehricke/Ekkenga/Oechsler, WpÜG § 35 Rdn. 18, jeweils mit weiteren Nachweisen). Das besagt aber noch nichts darüber, gegenüber wem diese Verpflichtungen des (zwischenzeitlichen) Kontrollerwerbers fortbestehen sollen. Insbesondere lässt sich daraus nicht ohne Weiteres schließen, dass diese Verpflichtung originär auch gegenüber jedem Aktienerwerber erwachsen soll, der seine Beteiligung in Kenntnis einer bereits beendeten Kontrollsituation erwirbt. Vielmehr spricht nach Ansicht des Senats Einiges dafür, insoweit den Gedanken des Bundesgerichtshofs in der sog. "K-Optik"-Entscheidung (BGH NZG 2006, 623 ff., Tz. 24) zu übertragen. Danach gebietet es das Interesse eines Aktienerwerbers bei einem Erwerb nach dem Ende des Beherrschungsvertrages (hier: nach dem Ende der Kontrollsituation) nicht, ihm ein Abfindungsrecht einzuräumen, weil er die Beteiligung in Kenntnis der früheren Beherrschungssituation an einer nicht mehr beherrschten Gesellschaft zu einem Zeitpunkt erwirbt, zu der der rechtfertigende Grund entfallen ist, ihm ein Sonderaustrittsrecht gegen Zahlung einer gerichtlich (hier: auch behördlich) kontrollierten und ggfls. festgesetzten Abfindung durch das (ehemals) herrschende Unternehmen (hier: dem ehemaligen Kontrollerwerber) zu gewähren.

Anderes ergibt sich auch nicht aus Rechtsprechung (OLG Frankfurt ZIP 2007, 864 ff.; AG 2008, 87 ff.) oder Literatur (Baums/Hecker, in: Baums/Thoma, WpÜG, Loseblattkommentar Stand 5. Lfg. Januar 2011, § 35/298; Geibel/Süßmann, WpÜG 2. Aufl. 2008 § 29 Rdn. 18 ff. und § 35 Rdn 35; Hommelhoff/Witt, in: Haarmann/Schüppen, Frankfurter Kommentar zum WpÜG, 2. Aufl. § 59 Rdn. 31 f.; Noack/Zetsche, in: Schwark/Zimmer, WpÜG, 4. Aufl. § 59 Rdn. 7; Steinmeyer, in: Steinmeyer/Häger, WpÜG § 35 Rdn. 96 und Santelmann, ebenda § 59 Rdn. 35; Seibt ZIP 2004, 1829, 1835; desweiteren Geibel/Süßmann BKR 2002, 52, 64). Vielmehr wird dort - soweit Minderheitsaktionären überhaupt ein Individual(schadensersatz)anspruch zuerkannt wird - der Kreis der Anspruchsberechtigten teilweise sogar ausdrücklich auf Aktionäre zum Zeitpunkt der Kontrollerlangung beschränkt (vgl. etwa Baums/Hecker, a.a.O.; Seibt ZIP 2004, 1829, 1835; Derst, Ansprüche von Aktionären bei unterlassenem Pflichtangebot, Mannheim 2010, Seiten 99 - 106).

3.

Der Senat braucht diese Frage aber nicht zu entscheiden, weil sich unabhängig davon - wie das Landgericht im Weiteren zutreffend angenommen hat - aus §§ 35 WpÜG bereits keine zivilrechtliche Anspruchsgrundlage der Minderheitsaktionäre gegen den Bieter ergibt.

a)

§ 35 Abs. 2 WpÜG stellt keine selbständige Anspruchsgrundlage der Aktionäre gegen den Kontrollerwerber auf Abnahme ihrer Aktien und Zahlung einer Gegenleistung bei unterlassenem Pflichtangebot dar.

Der Senat schließt sich insoweit den zutreffenden, ausführlichen Erwägungen im angefochtenen Urteil des Landgerichts an, auf die er zur Vermeidung von Wiederholungen vollumfänglich Bezug nimmt. Die Einwände der Berufung geben keinen Anlass zu einer davon abweichenden Beurteilung:

aa)

Wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, ist dem Wortlaut der Vorschrift keinerlei Anhaltspunkt für eine Anspruchsbegründung zu entnehmen. Sie regelt lediglich abstrakt eine Veröffentlichungspflicht sowie die Pflicht zur Vorlage eines Angebots gegenüber der BaFin, ohne sich ansatzweise dazu verhalten, welche Rechtsfolgen diese Verpflichtung im Verhältnis zu den Aktionären der Zielgesellschaft haben soll. Insofern ist der Wortlaut - anders als zB die vom Landgericht als Gegenbeispiele angeführten Vorschriften der §§ 320b, 327b AktG - völlig offen.

bb)

Auch den Gesetzgebungsmaterialien ist kein Ansatz dafür zu entnehmen, dass der Gesetzgeber mit § 35 Abs. 2 WpÜG einen individuellen zivilrechtlichen (Erfüllungs-)Anspruch der Zielaktionäre begründen wollte. Zwar sollte ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs auch die rechtliche Stellung der Minderheitsaktionäre bei Unternehmensübernahmen gestärkt und ihnen die Möglichkeit gegeben werden, auch in Fällen einer Übernahme ohne vorangehendes öffentliches Übernahmeangebot ihre Beteiligung an dem Unternehmen zu einem angemessenen Preis zu veräußern (Begr. RegE BT-DRs. 14/7034 S. 28, 30). Das besagt allein aber noch nichts darüber, auf welchem Weg diese Stärkung der Rechtsstellung bzw. der Eröffnung einer Veräußerungsmöglichkeit erreicht werden sollte. Dass dies durch die Schaffung eines (zudem quasi stillschweigend unterstellten) zivilrechtlichen Anspruchs geschehen sollte, ist keinesfalls zwingend; naheliegender erscheint vielmehr, dass der Gesetzgeber die in §§ 59, 60 WpÜG geschaffenen Sanktionen, die Möglichkeit der Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen, die ggfls. eingreifende Verzinsung nach § 38 WpÜG und insbesondere die Aufsicht durch die BaFin für ausreichend erachtet hat. Hierfür spricht insbesondere - wie das Landgericht zu Recht angenommen hat - die in der Begründung des Regierungsentwurfs zum KapMuG enthaltene Äußerung, das KapMuG erfasse keine Erfüllungsansprüche auf Abschluss von Verträgen nach dem WpÜG, "da das WpÜG entsprechende Individualansprüche von Anlegern auf den Abschluss solcher Verträge nicht vorsieht" (Begr. ReE BT-Drs. 15/5091 Seite 20). Dem steht nicht entgegen, dass es sich hierbei (nach der Klägerin: "nur") um eine Äußerung der Exekutive und nicht des Parlaments handelte, die zudem zu einem anderen Gesetz und Jahre später erfolgte. Immerhin hat es - soweit ersichtlich - niemand (auch nicht das Parlament) im Laufe des weiteren Gesetzgebungsverfahrens des KapMuG für erforderlich gehalten, diese Prämisse des Regierungsentwurfs in Frage zu stellen oder gar zu korrigieren. Daher kann auch davon ausgegangen werden, dass diese Äußerung das generelle Grundverständnis zum WpÜG wiedergab (so hat diese Begründung zB Steinmeyer (in Steinmeyer/Häger, WpÜG 2. Aufl. 2007 § 35 Rdn. 108) veranlasst, unter Aufgabe der Auffassung der Vorauflage einen Individualanspruch zu verneinen).

Auch die Übernahmerichtlinie 2004/25/EG vom 21. April 2004 (Abl. 2004 L 142/12) gebietet nicht die Annahme eines privatrechtlichen Individualanspruchs. Zwar wird darin ebenfalls das Ziel des Schutzes der Minderheitsaktionäre betont, das zudem grundsätzlich unter dem in Art. 10 EG normierten Effektivitätsgrundsatz steht. Dieser Grundsatz wird in Art. 17 der Richtlinie allerdings nur in Bezug auf die Festlegung von Sanktionen präzisiert, während Art. 4 Abs. 6 Satz 1 der Richtlinie ausdrücklich bestimmt, dass die Richtlinie nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten berührt, festzulegen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Parteien des Angebots Rechte im Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren geltend machen können. Der deutsche Gesetzgeber ist daher - unter Wahrung des Effektivitätsgrundsatzes und der vorgegebenen Festlegung von "Sanktionen" - grundsätzlich in der Ausgestaltung des Schutzes der Minderheitsaktionäre frei (vgl. zur europarechtlichen Analyse Pohlmann ZGR 2007, 1, 5 ff.; so auch zB Derst, a.a.O. Seiten 21 - 23; a.A. zB Johannisbauer, Subjektive öffentliche Rechte Dritter und Rechtsschutz im WpÜG, Münster 2005, Seiten 73 - 75).

Soweit die Berufung schließlich meint, der Gesetzgeber hätte einen von ihm beabsichtigten Ausschluss individueller Ansprüche "schlicht und einfach" wie in § 4 Abs. 2 WpÜG oder § 15 Abs. 6 WpHG klarstellen können, reicht das ersichtlich nicht aus, um im Umkehrschluss solche Ansprüche zu bejahen. Mindestens ebenso naheliegend, wenn nicht sogar naheliegender ist, dass der Gesetzgeber keinerlei Anlass für eine solche Klarstellung gesehen hat, weil nach seiner Auffassung schon überhaupt kein Ansatz für die Annahme solcher Ansprüche bestand. Selbst die von der Klägerin in diesem Zusammenhang angeführte Ansicht von Johannisbauer (Subjektive öffentliche Rechte Dritter und Rechtsschutz im WpÜG 2005 Seite 80) lehnt im Ergebnis individuell durchsetzbare zivilrechtliche Primäransprüche ab und erachtet einen Anspruch der Minderheitsaktionäre auf Tätigwerden der BaFin für ausreichend (Johannisbauer a.a.O. S. 83).

cc)

Anderen Vorschriften des WpÜG lässt sich ebenfalls kein Ansatz für eine Auslegung von § 35 Abs. 2 WpÜG als eigenständige Anspruchsgrundlage entnehmen: § 4 Abs. 2 WpÜG regelt - worauf die Beklagten zutreffend hinweisen - nur das Verhältnis zur BaFin, besagt aber nichts über das Rechtsverhältnis zwischen Kontrollerwerber und Minderheitsaktionären. Damit lässt sich aus dieser Vorschrift auch nichts für einen eventuellen Individualanspruch der Minderheitsaktionäre gegen den Kontrollerwerber herleiten.

Ein solcher Anspruch ergibt sich auch nicht inzident daraus, dass § 38 WpÜG als Verzinsungspflicht grundsätzlich einen Hauptanspruch voraussetzt. Das allein besagt noch nichts darüber, wann ein solcher Hauptanspruch gegeben ist/sein soll. § 38 WpÜG kann vielmehr ebenso gut erst dann eingreifen, wenn durch Unterbreitung und Annahme eines Pflichtangebots nach § 35 Abs. 2 WpÜG ein vertraglicher Anspruch auf eine - dann auch zu verzinsende - Gegenleistung begründet wurde.

dd)

Nicht durchgreifend sind auch die Einwände der Berufung gegen die landgerichtlichen Ausführungen zum Rechtscharakter der Norm. Auch wenn es durchaus zutrifft, dass allein die Einordnung eines Gesetzes als (primär) kapitalmarkt-/aufsichtsrechtlich oder als (primär) gesellschaftsrechtlich noch nichts darüber besagt, ob in diesem Gesetz auch individualrechtliche privatrechtliche Ansprüche begründet sein können; vielmehr ist ein Individualanspruch auch in einem vorrangig kapitalmarktrechtlich ausgerichteten Gesetz nicht generell ausgeschlossen. Allerdings - und so dürfte auch die insoweit vielleicht leicht missverständlich formulierten Passage Seite 17 oben des landgerichtlichen Urteils zu verstehen sein - ist die Annahme eines solchen Individualanspruchs bei einem primär kapitalmarkt-/aufsichtsrechtlich ausgerichteten und konzipierten Gesetz eher als Ausnahme anzusehen und bedarf daher besonderer Anknüpfungspunkte, will man nicht nur von einer bloß mittelbaren Stärkung der individuellen Rechtsposition als Rechtsreflex ausgehen.

ee)

Sinn und Zweck der Regelung gebieten ebenfalls keine andere Auslegung. Wie oben im Einzelnen ausgeführt, ergibt sich zwar aus den Gesetzesmaterialien und der Übernahmerichtlinie, dass der Schutz der Minderheitenaktionäre ein wesentliches Ziel des Gesetzgebers war. Es liegen aber keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass der Gesetzgeber deswegen die Schaffung eines Individualanspruchs für erforderlich und die von ihm vorgesehenen übrigen Instrumentarien für nicht ausreichend gehalten haben sollte. Erst Recht ist kein Ansatz dafür ersichtlich, dass er einen solchen Individualanspruch sogar selbstverständlich vorausgesetzt und deswegen als nicht besonders regelungsbedürftig angesehen haben könnte. Das gilt insbesondere auch im Hinblick auf die vom Landgericht zu Recht aufgezeigten rechtspraktischen und damit eigentlich regelungsbedürftigen Probleme, die sich an die Annahme eines solchen Anspruchs anschließen würden (deretwegen zB auch Johannisbauer, a.a.O. Seiten 83, 128 ff., einen privatrechtlichen Primäranspruch verneint). Soweit die Klägerin im Einzelnen ausführt, dass bzw. warum diese Probleme nicht "durchschlagend" sein sollen, ändert dies nichts daran, dass sie jedenfalls eher gegen als für eine "stillschweigende" Schaffung eines Individualanspruchs durch den Gesetzgeber sprechen.

Vor diesem Hintergrund würde die von der Klägerin vertretene Auslegung die Grenze zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung überschreiten, zumal es auch keineswegs zwingend wäre, die von der Klägerin angeführte Schutzlücke in Fällen, in denen die BaFin nicht tätig wird, nur auf die von ihr geltend gemachte Weise zu schließen. Denkbar wäre zB auch, dass dem Minderheitsaktionär bei Nichtabgabe eines Angebots - flankierend zu §§ 59, 60 WpÜG - ein pauschalierter Schadensersatz zugebilligt oder evtl. - bei Anerkennung eines individuellen Anspruchs - die zu erbringende Gegenleistung der Höhe nach (Kurswert) festgelegt wird. Möglich wäre aber auch, durch Aufhebung des § 4 Abs. 2 WpÜG ein subjektiv-öffentliches Recht auf Tätigwerden der BaFin zu begründen, das dann Grundlage möglicher Amtshaftungsansprüche sein könnte.

ff)

Die Verneinung eines Individualanspruchs aus § 35 Abs. 2 WpÜG stellt schließlich auch keine Verletzung des Grundrechts der Klägerin aus Art. 14 GG dar. Wie oben und im landgerichtlichen Urteil bereits ausgeführt, werden die Eigentumsrechte der Minderheitsaktionäre durch das Sanktionensystem des WpÜG bereits hinreichend geschützt.

gg)

Letztlich spricht auch die bereits vom Landgericht zitierte Passage der "WMF"- Entscheidung des Bundesgerichtshofs (II ZR 137/05 vom 18. September 2006, juris Tz. 9) gegen die Annahme eines Individualanspruchs aus § 35 Abs. 2 WpÜG. Dort hat der Bundesgerichtshof - wenn auch nur obiter dictum und ohne nähere Begründung - bereits ausgeführt, dass die "Gegenleistung" des § 38 WpÜG (d.h. die angemessene Gegenleistung aufgrund eines Angebots nach § 35 WpÜG) nicht individuell einklagbar sei - d.h. also insoweit auch kein individueller Anspruch des Minderheitsaktionärs bestehe.

b)

§ 35 Abs. 2 WpÜG stellt auch kein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB dar. Auch insoweit nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die ausführliche und zutreffende Begründung im angefochtenen Urteil. Im Hinblick auf die Einwände der Berufung ist lediglich Folgendes zu ergänzen:

Auch wenn die vom Landgericht zum Beleg für seine Auffassung zitierte Literatur teilweise Fehlzitate enthalten und - so die Ansicht der Klägerin - teilweise widersprüchlich, undifferenziert bzw. nicht näher/plausibel begründet sein mag, ändert das in der Sache nichts an den vom Landgericht im Einzelnen dargelegten zutreffenden Argumenten, die gegen einen Schutzgesetzcharakter des § 35 Abs. 2 WpÜG sprechen. Lediglich ergänzend ist daher anzumerken, dass es keinen Widerspruch darstellt, einerseits den von § 35 Abs. 2 WpÜG (auch) bezweckten Schutz von Mindertheitsaktionären zu betonen, andererseits aber den Schutzgesetzcharakter der Norm zu verneinen, weil die Verwirklichung des Schutzes der Minderheitsaktionäre - wie oben ausgeführt - nicht zwingend durch Schaffung eines privatrechtlichen Anspruchs (sei es ein Erfüllungs- oder Schadensersatzanspruch) erfolgen muss.

Entgegen der Ansicht der Klägerin ergibt sich auch aus der "Phoenix"-Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22. Juni 2010 (VI ZR 212/09 = NZG 2010, 1071 ff.) nicht, dass allein der Gesetzeszweck, auch den Schutz von Minderheitsaktionären zu stärken, für die Annahme eines Schutzgesetzes nach § 823 Abs. 2 BGB ausreicht.

Der Bundesgerichtshof hat in dieser Entscheidung vielmehr ausdrücklich ausgeführt, dass es bei dieser Frage nicht auf die Wirkung des Gesetzes ankommt, sondern auf seinen Inhalt, Zweck und seine Entstehungsgeschichte; es reiche nicht aus, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm als Reflex objektiv erreicht werden könne, sondern er müsse vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen (a.a.O. Tz. 26). Außerdem sei Voraussetzung für die Annahme eines Schutzgesetzes, dass die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruches sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheine, wozu in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den die Norm gestellt ist, geprüft werden müsse, ob es in der Tendenz des Gesetzgebers liegen konnte, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktische Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden mit allen damit zugunsten des Geschädigten gegebenen Beweiserleichterungen zu knüpfen (a.a.O. Tz. 29). Das hat der Bundesgerichtshof in der dortigen Entscheidung für § 34a Abs. 1 Satz 1 WpHG mit der Begründung verneint, dass diese Vorschrift auch Inhalt und Umfang der vertraglichen Verpflichtungen zwischen Anleger und Wertpapierdienstleistungsunternehmen bestimme und mithin im Fall der Zuwiderhandlung vertragliche Schadensersatzsprüche auslösen könne, die eine zusätzliche deliktische Verantwortlichkeit entbehrlich machten (a.a.O. Tz 31).

Auch wenn eine solche vertragliche Beziehung im Fall des § 35 Abs. 2 WpÜG zwischen Kontrollerwerber und Minderheitsaktionären nicht besteht, hat das Landgericht nach Ansicht des Senats auch hier - unter Hinweis auf fehlende Anhaltspunkte für einen intendierten Individual-Schutz in Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Vorschrift und insbesondere im Hinblick auf den Gesamtkontext der Regelung sowie die daran geknüpften Sanktionen - zu Recht angenommen, dass ein deliktischer Schutz der Minderheitsaktionäre nicht in der Tendenz des Gesetzgebers lag, der das geschaffene Sanktionssystem insoweit für ausreichend erachtete, und durch die Annahme eines solchen Schutzgesetzes die gegenteilige Tendenz des Gesetzgebers vielmehr unterlaufen würde.

c)

Schadensersatzansprüche aus §§ 826, 1004 BGB oder anderen deliktsrechtlichen Normen hat das Landgericht ebenfalls - insoweit auch von der Berufung nicht konkret angegriffen - zu Recht verneint; insbesondere die Voraussetzungen für eine Haftung wegen sittenwidriger Schädigung sind danach nicht gegeben.

d)

Schließlich steht der Klägerin auch ein - mit dem Hilfsantrag geltend gemachter - selbständiger Anspruch auf Zinszahlungen gemäß § 38 WpÜG nicht zu.

Die zweifelhafte Frage der Aktivlegitimation der Klägerin (s.o.) bedarf auch hier keiner Entscheidung, weil sich - wie das Landgericht wiederum ausführlich und zutreffend ausgeführt hat - aus bereits § 38 WpÜG kein selbständiger, von der Existenz eines Hauptanspruchs unabhängiger Zinsanspruch ergibt.

Dabei verkennt der Senat nicht, dass der Wortlaut des § 38 WpÜG nicht eindeutig ist, weil die dortige Bezugnahme auf eine "Gegenleistung" nicht nur - mit den Beklagten - als Voraussetzung eines Hauptanspruchs verstanden werden könnte, sondern auch - wie die Klägerin meint - als bloße Bezugsgröße für die Berechnung der Zinsforderung. Auch die Überschrift der Vorschrift ("Anspruch auf Zinsen") lässt durchaus beide Auslegungen zu.

Gegen die Annahme einer selbständigen Zinsforderung sprechen aber sowohl die Gesetzesbegründung (der zufolge sich "die im Rahmen eines Pflichtangebots zu erbringende Gegenleistung" durch die Zinspflicht "erhöhen" soll, Begr. RegE BT-Drs. 14/7034 S. 61) als auch systematische Argumente sowie Sinn und Zweck der Regelung. Insbesondere würde der allgemeine Grundsatz der Akzessorietät außer Kraft gesetzt, ohne dass hierfür - wie das Landgericht zutreffend dargelegt hat - ausreichende Anhaltspunkte ersichtlich wären. Dass Aktionäre der Zielgesellschaft nach § 38 Nr. 1 WpÜG bei Verzögerung der Veröffentlichung gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 WpÜG bereits vor der Abgabe eines Angebots einen Anspruch auf Zinsen haben können, reicht für die Annahme, dass diese Verzinsung auch von der (späteren) Entstehung des Hauptanspruchs völlig unabhängig sein soll, nicht aus. Wie bereits das Landgericht ausgeführt hat, ist diese Vorverlegung des Zinsbeginns dadurch zu erklären, dass der Norm damit als Bestandteil des WpÜG-Sanktionssystems weit gehende Wirkung beigemessen werden soll.

Zu bedenken ist auch, dass § 38 WpÜG bei Auslegung als selbständiger Zinsanspruch die Funktion eines eigenständigen, zusätzlichen zivilrechtlichen Sanktions- bzw. Druckmittels zukäme, den Kontrollerwerber durch seine ständig wachsende Zinsverpflichtung gegenüber sämtlichen Aktionären zur Abgabe eines Pflichtangebots zu veranlassen. Dass der Gesetzgeber dieser Vorschrift - unter Ausschaltung des Akzessorietätsgrundsatzes (!) - eine so weitreichende Funktion beimessen wollte, ist angesichts der oben genannten Gesetzesbegründung (Erhöhung der Gegenleistung), der Tatsache, dass er von der Schaffung eines Individual-Hauptanspruchs abgesehen hat, und angesichts des von ihm geschaffenen Sanktionssystems der §§ 59, 60 WpÜG nicht anzunehmen. Zudem stellt sich die Frage, was mit diesem (unterstellt) einmal begründeten Zinsanspruch geschieht, wenn der Aktionär ein schließlich doch noch unterbreitetes Angebot des Kontrollerwerbers nicht annimmt. Es dürfte nicht dem Sinn des Gesetzes entsprechen, ihn auch dann in den Genuss der Verzinsung kommen zu lassen, obwohl er die vom Gesetz vorgesehene Möglichkeit eines Ausscheidens gegen eine (zu verzinsende) Gegenleistung gerade nicht nutzen will. Schließlich spricht außerdem auch hier die kapitalmarkt-/aufsichtsrechtliche Natur des WpÜG, das die Durchsetzung der WpÜG-Pflichten primär in die Hand der BaFin gelegt hat, dagegen, einen selbständigen Zinsanspruch im Fall des unterlassenen Angebots zu bejahen (vgl. Steinmeyer, a.a.O. § 38 Rdn. 4).

Soweit die Berufung sich auch hier im Einzelnen gegen die landgerichtliche Aus- und Bewertung der einschlägigen Literatur wendet, mag es durchaus zutreffen, dass man die einen selbständigen Zinsanspruch ablehnenden Stimmen nicht - wie das Landgericht - als überwiegend bezeichnen kann. Das ändert aber wiederum nichts an der sachlichen Berechtigung der vom Landgericht zur Begründung seiner Ansicht angeführten Argumente, die auch nach Auffassung des Senats durchgreifend sind. Schließlich hat auch der Bundesgerichtshof in der bereits vom Landgericht angeführten "WMF"-Entscheidung (a.a.O., juris Tz. 6) eine gewisse Tendenz zur Ablehnung eines selbständigen Zinsanspruchs erkennen lassen (vgl. dazu auch Goette DStR 2006, 2132, 2136).

4.

Mangels Anspruchsgrundlage kann im Weiteren offen bleiben, ob die Klägerin die Aktien wirksam erworben hat, ob ihr - wie die Beklagten behaupten - kein Schaden entstanden ist, ob ihr der Vorwurf der Kollusion bzw. des Rechtsmissbrauchs zu machen ist und ob ihre (unterstellten) Ansprüche bereits verjährt wären.

5.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 Satz 1 und 2, § 711 ZPO.

Die Revision wird im Hinblick auf die umstrittenen und höchstrichterlich bislang nicht geklärten Fragen zur Rechtsnatur von § 35 Abs. 2 WpÜG und § 38 WpÜG zugelassen.

Streitwert: 987.000,00 €






OLG Köln:
Urteil v. 25.01.2012
Az: 13 U 41/11


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