Oberlandesgericht Düsseldorf:
Urteil vom 5. Juni 2012
Aktenzeichen: I-20 U 150/11

(OLG Düsseldorf: Urteil v. 05.06.2012, Az.: I-20 U 150/11)

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 8. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf vom 10. Juni 2011 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 40.000,00 Euro abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.

Der Kläger ist ein eingetragener Verein, zu dessen satzungsgemäßen Aufgaben die Wahrung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder gehört. Die Beklagte ist ein pharmazeutisches Unternehmen, das diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke herstellt und vertreibt. Zu ihren Produkten gehört das Mittel „X. T.“. Ausweislich der Produktbeschreibung handelt es sich um ein diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (Bilanzierte Diät) zur diätetischen Behandlung von Reizzuständen der Sehnen (Achillessehne) und Sehnenansätze (Tennisellenbogen). Es enthält die Aminozucker Glucosaminsulfat und Chondroitinsulfat, die Aminosäuren Kollagenhydrolysat und Acetylcystein, die Fettsäuren Eicosapentaensäure und Docosahexaensäure sowie eine Reihe von Vitaminen und Spurenelementen. Seine Zusammensetzung ist mit der des Produkts „X. A.“ identisch, das zur diätetischen Behandlung von arthrotischen Gelenkveränderungen beworben worden war und das Gegen­stand des Verfahrens I - 20 U 194/08 gewesen ist. Auf die als Anlage K 1 vorgelegte Produktbeschreibung wird Bezug genommen.

Der Kläger erachtet die Bewerbung von „X. T.“ mit der vorstehend wiedergegebenen Produktbeschreibung als unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs wettbewerbswidrig, da die dem Produkt zugeschriebene Wirkung entgegen § 11 Abs. 1 Nr. 2 LFGB wissenschaftlich nicht hinreichend belegt und es entgegen § 1 Abs. 4a, § 14b Abs. 1 DiätV nicht wirksam sei.

Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Unterlassung der Bewerbung von „X. T.“ als diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (Bilanzierte Diät) zur diätetischen Behandlung von Reizzuständen der Sehnen (Achillessehne) und Sehnenansätze (Tennisellenbogen) gemäß Anlage K 1 verurteilt und zur Begründung ausgeführt, die Bewerbung sei unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs wettbewerbswidrig, weil dem Lebensmittel Wirkungen beigelegt würden, die nicht hinreichend belegt seien. Erforderlich sei der Nachweis mittels einer randomisierten placebokontrollierten Doppelblindstudie mit einer adäquaten statistischen Auswertung, die durch Veröffentlichung in den Diskussionsprozess der Fachwelt einbezogen worden sei; die allein vorgelegte Beobachtungsstudie W. genüge diesen Anforderungen nicht.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie trägt vor, die Wirksamkeit von „X. T.“ werde durch die Beobachtungsstudie von W. und A. belegt, bei der einem Teil der Probanden „X. T.“ begleitend zur ärztlichen Standardtherapie verabreicht worden sei, während die Kontrollgruppe allein die ärztliche Standardtherapie erhalten habe. Dabei habe die zusätzliche Verabreichung von „X. T.“ zu einer signifikanten Schmerzreduktion um 82,0 Prozent geführt gegenüber 56,1 Prozent in der Kontrollgruppe. Wegen dieser Kontrollgruppe habe in der Verumgruppe ein Placeboeffekt schon gar nicht entstehen können. Eine solche Anwenderbeobachtung sei ein normierter und akzeptierter Wirksamkeitsnachweis, der selbst bei Arzneimitteln anerkannt werde. Eine höhere Evidenz könne nur gefordert werden, wenn die Studie durch im EBM-Hierarchiemodell höher stehende gegenteilige Befunde irrelevant geworden sei.

Die Beklagte beantragt,

in Abänderung des Urteils des Landgerichts Düsseldorf vom 10.06.2011 [38 O 176/10] die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das landgerichtliche Urteil. Der Bundesgerichtshof habe zwischenzeitlich die vom erkennenden Senat im Verfahren I - 20 U 194/08 vertretene Auffassung gebilligt, dass jedenfalls dann, wenn objektiv messbare organische Befunde nicht vorliegen, sondern sich die Wirksamkeit vor allem am Befinden der Patienten erkennen lassen soll, eine wissenschaftlich fundierter Wirksamkeitsnachweis grundsätzlich die Vorlage einer randomisierten, place­bo­kontrollierten Doppelblindstudie mit einer adäquaten statistischen Auswertung, die durch Veröffentlichung in den Diskussionsprozess der Fachwelt einbezogen worden ist, erfordere. Dies gelte auch vorliegend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands erster Instanz wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil, Bl. 61 ff. d. GA., wegen des Parteivorbringens im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Landgericht hat die Beklagte zu Recht zur Unterlassung der Bewerbung des Mittels „X. T.“ als diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) zur diätetischen Behandlung von Behandlung von Reizzuständen der Sehnen (Achillessehne) und Sehnenansätze (Tennisellenbogen) verpflichtet.

Der Kläger ist gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG prozessführungs- und anspruchsberechtigt. Die Voraussetzungen der Angehörigkeit einer erheblichen Zahl von Unternehmen, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben, und einer für die Wahrnehmung seiner satzungsgemäßen Aufgabe erforderlichen personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung betreffen nicht nur die sachlichrechtliche Anspruchsberechtigung, sondern auch die prozessuale Klagebefugnis (BGH, GRUR 2006, 873, 874 - Augenoptiker-Mittelstandsvereinigung) und sind daher von Amts wegen zu prüfen.

Vorliegend unterliegt die Klagebefugnis keinen Bedenken. Es reicht, dass die Gewerbetreibenden aus der einschlägigen Branche im Verband - bezogen auf den maßgeblichen Markt - in der Weise repräsentativ sind, dass ein missbräuchliches Vorgehen des Verbandes ausgeschlossen werden kann; es kommt nicht entscheidend darauf an, ob den Verbandsmitgliedern nach Anzahl, Bedeutung oder Umsatz im Verhältnis zu allen auf diesem Markt tätigen Unternehmen eine repräsentative Stellung zukommt (BGH, GRUR 2009, 692 Tz. 12 - Sammelmitgliedschaft VI). Dass der Kläger diese Voraussetzung erfüllt, ist dem Senat aus einer Vielzahl anderer Verfahren bekannt und wird auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen. Für das Vorhandensein der erforderlichen personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung spricht beim Kläger, der seit vielen Jahren entsprechend tätig ist und in dieser Zeit immer als entsprechend ausgestattet angesehen worden ist (zuletzt BGH, GRUR 2010, 749 - Erinnerungswerbung im Internet), eine tatsächliche Vermutung (BGH, GRUR 1997, 476 - Geburtstagswerbung II).

Der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Unterlassung der Bewerbung des Mittels „X. T.“ als diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) zur diätetischen Behandlung von Reizzuständen der Sehnen (Achillessehne) und Sehnenansätze (Tennisellenbogen) aus § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG i. V. mit §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i. V. mit §§ 1 Abs. 4a, 14b Abs. 1 DiätV.

Gemäß § 1 Abs. 4a DiätV hat ein als bilanzierte Diät beworbenes und vertriebenes Mittel der Ernährung von Patienten mit einem sonstigen medizinischen Ernährungsbedarf zu dienen. Eine bilanzierte Diät dient der Ernährung von Patienten mit einem speziellen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf, wenn sie zur Deckung dieses Bedarfs bestimmt ist und sich, wie sich aus § 1 Abs. 2 Nr. 2 DiätV ergibt, auch für diesen Ernährungszweck eignet (BGH, GRUR 2009, 75, 77 - Priorin, m. Verw. a. Rathke/Gründig, in: Zipfel/Rathke, § 1 DiätV Rn. 89a). Nach § 14b Abs. 1 S. 1 DiätV muss die Herstellung von bilanzierten Diäten auf vernünftigen medizinischen und diätetischen Grundsätzen beruhen. Bilanzierte Diäten müssen sich gemäß den Anweisungen des Herstellers sicher und nutzbringend verwenden lassen und wirksam sein in dem Sinne, dass sie den besonderen Ernährungserfordernissen der Personen entsprechen, für die sie bestimmt sind, § 14b Abs. 1 S. 2 DiätV. Das Mittel muss den angestrebten medizinischen Zweck erreichen, mag auch ein ins Einzelne gehender Nachweis des diätetischen Wirkungszusammenhangs nicht erforderlich sein. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Inhaltsstoffe der bilanzierten Diät als solche wirksam sind, entscheidend ist, dass das Mittel in seiner Kombination der einzelnen Inhaltsstoffe die angegebene Wirkung erzielt (BGH, GRUR 2009, 75, 77 - Priorin, m. Verw. a. Herrmann, Rechtliche Problemstellungen bei ergänzenden bilanzierten Diäten in arzneitypischer Darreichungsform, 2008, S. 274 m. w. Nachw.). Der Nachweis muss folglich für die gesamte Beschaffenheit des Produkts, also nicht nur für einzelne Bestandteile geführt werden und auch etwaige Wechselwirkungen der einzelnen Bestandteile umfassen (Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, C 140, § 14 b DiätV, Rn. 9 i a.E.).

Der Nachweis der nutzbringenden Wirkung der bilanzierten Diät obliegt der Beklagten als Anbieterin des Mittels „X. T.“. Wer mit einer an das Gesundheitsbewusstsein der von ihm angesprochenen Verkehrskreise appellierenden Aussage werbend hervortritt, die den Eindruck einer wissenschaftlich gesicherten Erkenntnis vermittelt, übernimmt die Gewähr für deren Richtigkeit und muss daher im Streitfall die wissenschaftliche Absicherung dieser Werbeangabe auch beweisen (BGH, GRUR 1991, 848, 849 - Rheumalind II; BGH, GRUR 1971, 153, 155 - Tampax). Für den Nachweis des in § 14b Abs. 1 S. 2 DiätV ausdrücklich normierten Wirksamkeitserfordernisses gilt nichts anderes, auch dieser ist vom Hersteller beziehungsweise Vertreiber die bilanzierten Diät zu erbringen (OLG Karlsruhe; MD 2004, 1248, 1253). Diese Beweislastverteilung folgt aus der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung der vorgenannten Vorschrift. Die Richtlinie 1999/21/EG bestimmt in Art. 3 Satz 2, dass die Wirksamkeit einer bilanzierten Diät durch anerkannte wissenschaftliche Daten zu belegen ist (OLG Frankfurt, LMRR 2006, 1 - Priorin-Kapseln, bestätigt durch BGH, GRUR 2009, 75, 77 - Priorin; vgl. a. BGH, GRUR 2010, 359 Tz. 17 - Vorbeugen mit Coffein, zum gleichlautenden § 27 Abs. 1 Nr. 1 LFGB).).

Der Nachweis der Wirksamkeit ist durch die Vorlage von Studien zu erbringen, die nach allgemein anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt worden sind (BGH, GRUR 2009, 75 Tz. 24 - Priorin), wobei sich die hinreichende wissenschaftliche Absicherung schon aus einer einzelnen Arbeit ergeben kann, sofern diese auf überzeugenden Methoden und Feststellungen beruht (GRUR 2010, 359 Tz. 18 - Vorbeugen mit Coffein). Auch dies folgt aus Art. 3 Satz 2 der Richtlinie 1999/21/EG, wonach die Wirksamkeit durch allgemein anerkannte wissenschaftliche Daten zu belegen ist. Diese Klarstellung ist unter dem Gesichtspunkt der richtlinienkonformen Auslegung von § 14b Abs. 1, § 1 Abs. 4a DiätV ergänzend heranzuziehen (BGH, GRUR 2009, 75, 78 - Priorin).

Ein wissenschaftlich fundierter Wirksamkeitsnachweis erfordert grundsätzlich die Vorlage einer randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudie mit einer adäquaten statistischen Auswertung, die durch Veröffentlichung in den Diskussionsprozess der Fachwelt einbezogen worden ist (OLG Frankfurt, LMRR 2006, 1 - Priorin-Kapseln). Jedenfalls dann, wenn objektiv messbare organische Befunde nicht vorliegen, erlaubt allein eine solche Studie eine Aussage über die Wirksamkeit des Produkts. Bei einer Untersuchung, die sich nicht auf objektive Befunde wie Gewebeveränderungen stützen kann, sondern die auf eine Beurteilung des subjektiven Empfindens der Probanden angewiesen ist, besteht die Gefahr, dass nicht die Wirksamkeit des verabreichten Mittels, sondern die Überzeugungskraft des behandelnden Arztes das Ergebnis der Studie bestimmt. Dieser sogenannte Placebo­effekt schließt nach Ansicht des Senats eine Berücksichtigung nicht dem "Goldstandard" entsprechender Studien jedenfalls in derartigen Fällen aus.

Diese Auffassung hat der Senat in seinem im Verhältnis der Parteien ergangenen Urteil vom 24. November 2009, Az. I-20 U 194/08, dargelegt (LMRR 2009, 74 = ZLR 2010, 343 = MD 2010, 170). Er hat sich dabei auf die breit angelegte GAIT-Studie gestützt. Die im vorliegenden Verfahren als Anlage K 10 vorgelegte, im New England Journal of Medicine 2006, Vol. 354 No. 8, S. 795 ff, veröffentlichte US-Studie stellt die mit großem Abstand breiteste Untersuchung zur Kniegelenkarthrose dar, bei der 1.583 Probanden im Rahmen einer randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudie in fünf Gruppen eingeteilt und 24 Wochen lang mit einem Placebo (P), Celecoxib (CE), Glucosaminhydro­chlorid (G), Chondroitinsulfat (CS) oder einer Kombination aus Glucosamin­hydro­chlorid und Chondroitinsulfat (G+CS) behandelt worden sind. Danach war eine pharmakologische Wirkung von Glucosaminhydrochlorid und Chondroitin­sulfat nicht festzustellen. Im Bereich Schmerzempfinden bekundeten zwar 79,2 Prozent der Probanden mit mittleren bis starken Schmerzen eine Verbesserung bei Einnahme einer Kombination aus Glucosaminhydrochlorid und Chondroitin­sulfat. Allerdings äußerten auch 54,3 Prozent der Probanden aus der Placebo­gruppe Gleiches. Bei Probanden mit leichten Schmerzen war bei Werten von 62,9 Prozent und 61,7 Prozent sogar kein Unterschied zwischen Verum- und Placebogruppe festzustellen.

Die Auffassung, dass eine nicht randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie bei subjektiven Empfindungen wie Schmerzen wegen des ausgeprägten Placeboeffekts letztendlich wertlos ist, hat hierdurch eine eindringliche Bestätigung gefunden. Ein Ergebnis, dass nicht umsonst die Redaktion des Deutschen Ärzteblattes in einer Mitteilung vom 23. Februar 2006 zu der Sorge veranlasst hat, der nachgewiesene gute Placeboeffekt könne von den Anbietern von Chondroprotektiva genutzt werden, um Patienten von der Wirksamkeit ihrer Präparate zu überzeugen, obwohl in Wirklichkeit ein „Null-Effekt“ festgestellt worden sei (Anlage K 11). Ein deutlicher Placeboeffekt gerade bei Schmerzen wird im Übrigen immer wieder festgestellt. So hat der Senat in dem Verfahren I - 20 U 194/08 noch beispielhaft auf die Veröffentlichungen von Siegmund-Schultze, Schon Zuschauen wirkt: Positive Erwartung lindert Schmerz, Deutsches Ärzteblatt 2008; 105(37): A-1889; und W. Zhang et al., The placebo effekt and its determinants in osteoarthritis, Annals of the Rheumatic Diseases 2008; 67: 1716 - 1723, verwiesen.

Die gegen das Urteil des Senats vom 24. November 2009 gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde ist vom Bundesgerichtshof durch Beschluss vom 1. Juni 2011, Az. I ZR 199/09, zurückgewiesen worden, wobei der Bundesgerichtshof die Entscheidung des Senats, der Nachweis der Wirksamkeit könne allein durch eine randomisierte placebokontrollierte Doppelblindstudie erfolgen, ausdrücklich gebilligt hat.

Vor diesem Hintergrund ist die Beobachtungsstudie von W. und A. nicht geeignet, die Wirksamkeit von „X. T.“ zu belegen. Sie zeigt vielmehr nachgerade exemplarisch die Problematik bei einem Verzicht auf eine randomisierte placebokontrollierte Doppelblindstudie auf. Ein objektiv messbarer Nutzen von „X. T.“, wie eine messbare Regeneration der Sehnen, ist nicht festgestellt worden. Die Studie erschöpft sich in der Attestierung einer Verbesserung der Schmerzsituation der Probanden, wobei diese den Grad der von ihnen empfundenen Schmerzen selbst in einer Skala einzuordnen hatten. Zwar sind die insoweit ermittelten Werte einer Schmerzreduktion um 60 Prozent bei 83,1 Prozent der Probanden gegenüber 43,5 Prozent in der Kontrollgruppe auf den ersten Blick beeindruckend. Gerade Schmerz ist aber eine zutiefst subjektive Empfindung, die im besonderen Maße von den Erwartungen des Probanden beeinflusst wird. Insoweit kann nur erneut auf die Erkenntnisse aus der GAIT-Studie verwiesen werden, ausweislich der nach Einnahme eines Placebos bei Probanden mit mittleren bis starken arthrotischen Schmerzen eine deutliche Schmerzreduktion bei 54,3 Prozent der Probanden festzustellen war, bei Patienten mit leichten Schmerzen äußerten sogar 61,7 Prozent der Probanden aus der Placebogruppe eine Verbesserung. Insoweit spielt es keine Rolle, dass es vorliegend nicht um Schmerzen infolge der Degeneration der Gelenkknorpel, sondern infolge der Sehnen beziehungsweise Sehnenscheiden geht. Entscheidend ist allein, dass das Schmerzempfinden ein zutiefst subjektives Gefühl ist.

Zudem wird der von W. und A. für „X. T.“ ermittelte Wert durch den Wert der Kontrollgruppe relativiert, da beide Gruppen die ärztliche Standardtherapie erhalten haben und „X. T.“ den Patienten der einen Gruppe (EG) lediglich zusätzlich gegeben wurde. Der verbleibende Effekt kann auf eine überzeugende Präsentation von „X. T.“ zurückzuführen sein, die Ermittlung gegenüber der Kontrollgruppe war nicht geeignet, einen Placeboeffekt auszuschließen. Es macht psychologisch einen großen Unterschied, ob man „nur“ die ärztliche Standardtherapie erhält oder ob man zusätzlich die Segnungen eines neuen (Wunder-)Mit­tel erfahren darf. Ob die ermittelte Schmerzreduktion Ergebnis ärztlicher Überzeugungskraft oder der nutritiven Wirksamkeit des Produkts war, wäre nur durch einen Vergleich mit den Ergebnissen aus einer Placebogruppe, die zusätzlich zur ärztlichen Standardtherapie ein Placebo erhält, bei dem weder Ärzte noch Patienten wissen, wer das Produkt und wer das Placebo erhält, möglich gewesen. Ohne diesen Vergleich bleibt die Frage, ob „X. T.“ eine nutritive Wirksamkeit zukommt oder ob es sich bei den Ergebnissen der Anwenderbeobachtung um einen reinen Placeboeffekt handelt, Spekulation.

Für die von der Beklagten kurz vor der mündlichen Verhandlung als Anlage BB 2 vorgelegte weitere Anwenderbeobachtungsstudie von Frau Dr. G. gilt nichts anderes. Auch hier wurde „X. T.“ zusätzlich zur ärztlichen Standardtherapie verabreicht, während die Kontrollgruppe nur Standardtherapie erhielt. Es fällt allerdings auf, das der „Vorsprung“ von „X. T.“ gegenüber der Studie W. und A. in der Studie G. auf die Hälfte geschrumpft ist. So hat Frau G. für die zusätzliche Gabe von „X. T.“ eine Schmerzreduktion von 76,7 Prozent und für alleinige ärztliche Standardtherapie eine solche von 55,9 Prozent ermittelt. Solche Schwankungen in Abhängigkeit vom durchführenden Arzt verdeutlichen den Einfluss der Präsentation des zu untersuchenden Mittels und unterstreichen die Notwendigkeit, jedwede subjektive Beeinflussung im Versuchsaufbau durch eine doppelblind angelegte Studie auszuschließen.

Der Senat verkennt nicht, dass damit dem Hersteller einer bilanzierten Diät eine erhebliche Belastung auferlegt wird, wobei allerdings die zitierte Entscheidung „Priorin“ zeigt, dass andere Anbieter diätetischer Lebensmittel sich diesen Anforderungen durchaus unterwerfen. Der vom Gesetzgeber bezweckte Schutz der Verbraucher vor nicht wirksamen Präparaten kann nur durch das Erfordernis einer randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudie umfassend verwirklicht werden. Das Risiko beim Angebot nicht wirksamer Präparate erschöpft sich nicht in vergeblichen finanziellen Aufwendungen der Verbraucher. Bei Mitteln, die zur Besserung eines Krankheitsbildes angeboten werden, besteht immer die Möglichkeit, dass Verbraucher einen an sich gebotenen Arztbesuch unterlassen und stattdessen das beworbene Mittel einnehmen. Ist dieses wirkungslos, besteht die Gefahr, dass es allein durch den Zeitablauf zu einer irreparablen Verschlechterung des Gesundheitszustands kommt. Daran vermag der Umstand, dass das Produkt der Beklagten entsprechend den gesetzlichen Vorgaben und ausweislich seiner Verpackung nur unter Aufsicht eines Arztes eingenommen werden darf, nichts zu ändern. Das Produkt ist frei verkäuflich. Von daher ist es letztendlich in das Belieben des Käufers gestellt, ob er diesen Hinweis ernst nimmt oder ignoriert.

Von daher erscheinen dem Senat Abstriche bei den Nachweisanforderungen, die auf die Zulassung spekulativer Erwägungen auf Kosten der Gesundheit des Verbrauchers hinauslaufen, nicht akzeptabel. Die Zulassung eines niedrigeren Standards für bilanzierte Diäten im Rahmen eines Stufenmodells, bei dem der "Goldstandard" nur für Arzneimittel gefordert wird, liefe nicht auf eine vertretbare Absenkung der Anforderungen an den Wirksamkeitsnachweis, sondern auf einen Verzicht auf denselben hinaus, der mit der Verpflichtung des Herstellers, die Wirksamkeit seines Produkts durch allgemein anerkannte wissenschaftliche Daten zu belegen, nicht zu vereinbaren ist. Eine Entscheidung, ob die von den Probanden gefühlten Verbesserungen auf der Wirksamkeit des Mittels oder nur auf dem Glauben an dessen Wirksamkeit beruhen, ist nur möglich, wenn ein zufällig bestimmter Teil der Probanden ein Placebo erhält und wenn weder der behandelnde Arzt noch der Proband dies wissen.

Jedenfalls bei vor allem am Empfinden des Patienten orientierten Nachweisen können Erkenntnisse, die nicht auf einer randomisierten placebokontrollierten Doppelblindstudie beruhen, nicht als anerkannte wissenschaftliche Daten qualifiziert werden. Jeder Wissenschaftler weiß um die Bedeutung des Placebo­effekts bei subjektiven Empfindungen wie Schmerzen. Vor diesem Hintergrund können Studien, die diesen Effekt nicht erfassen, denknotwendig keine anerkannten wissenschaftlichen Daten liefern, weil die Richtigkeit der auf ihnen fußenden Erkenntnisse mit dem Argument, es könne sich auch um einen Placebo­effekt handeln, jederzeit in Zweifel gezogen werden kann. Nicht umsonst fordert auch der Arbeitskreis Lebensmittelchemischer Sachverständiger der Länder und des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin; dass der Nachweis der behaupteten Wirkung eines Lebensmittels in der Regel nur durch eine gezielte Interventionsstudie am Menschen erbracht werden kann, die doppelblind und randomisiert geführt wurde (Bundesgesundheitsblatt 2000, 540). Bei einer ergänzend bilanzierten Diät verfängt auch das Argument, es sei ethisch nicht vertretbar, der Kontrollgruppe lebensnotwendige Vitamine vorzuenthalten, nicht. Das Produkt wird bestimmungsgemäß zusätzlich zur normalen Ernährung verabreicht.

Im Übrigen stünde vorliegend die GAIT-Studie einem Wirksamkeitsnachweis selbst bei einer Anwendung des EBM-Hierarchiemodells entgegen. Der Grundsatz, dass der Wirksamkeitsnachweis für die gesamte Beschaffenheit des Produkts, also nicht nur für einzelne Bestandteile, geführt werden muss, steht der Berücksichtigung der zu einzelnen Bestandteilen vorliegenden Studien bei der Beurteilung der Evidenz der vorgelegten Wirksamkeitsnachweise nicht entgegen. Studien, die nicht geeignet sind, einen sicheren Nachweis für die Wirksamkeit eines Produkts zu liefern, können sehr wohl geeignet sein, Zweifel an einem im Hierarchiemodell tiefer stehenden Wirksamkeitsnachweis zu wecken. Von daher ist der im Rahmen der GAIT-Studie festgestellte „Nulleffekt“ bezüglich der schmerzlindernden Wirkung von Glucosaminsulfat und Chondroitin­sulfat geeignet, die Anwenderbeobachtung von W. und A. in Zweifel zu ziehen, da Glucosaminsulfat und Chondroitinsulfat auch die Hauptbestandteile von „X. T.“ sind. Es ist auch unerheblich, dass es sich um eine Untersuchung zur Arthrose handelt, da es sich insoweit hinsichtlich der Zielsetzung Schmerzreduktion um vergleichbare Bereiche handelt. Nicht umsonst hatte die Beklagte zur diätetischen Behandlung von Arthrose unter dem Namen „X. A.“ ein absolut identisch zusammengesetztes Produkt angeboten. Von daher wäre vorliegend ein Wirksamkeitsnachweis selbst bei einer Anwendung des EBM-Hierarchiemodells nur noch mittels einer zumindest vergleichbar breit angelegten randomisierten und placebokontrollierten Doppelblindstudie möglich.

Dieser Verstoß gegen die DiätV ist unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs, § 4 Nr. 11 UWG, auch wettbewerbswidrig. Die Vorschrift § 14b Abs. 1 DiätV dient jedenfalls auch der Regelung des Marktverhaltens im Interesse der Marktteilnehmer. Hierzu gehört jede Regelung, die in ihrem Geltungsbereich das gleichförmige Auftreten der Wettbewerber mit ihren Produkten am Markt gebietet und die dem Schutz des Verbrauchers dient (vgl. BGH, Beschl. v. 4. Dez. 2003, Az. I ZR 119/03).

Der Unterlassungsanspruch ergibt sich auch aus §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V. mit § 11 Abs. 1 Nr. 2 LFGB. Die streitgegenständliche Werbung verstößt gegen § 11 Abs. 1 Nr. 2 LFGB, da dem beworbenen Produkt eine Wirksamkeit beigelegt wurde, die wissenschaftlich nicht belegt ist. Gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 2 LFGB ist es verboten, Lebensmittel unter Angabe einer Wirkung zu bewerben, die wissenschaftlich nicht ausreichend gesichert ist. Insoweit ist die aktuelle Gesetzesfassung gegenüber der im Zeitpunkt der Werbung geltenden unverändert. Hinsichtlich der Anforderungen und der Beweislast kann nichts anderes gelten als generell im Bereich der gesundheitsbezogenen Werbeaussagen. Dieser Verstoß ist aus den vorgenannten Gründen ebenfalls unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs, § 4 Nr. 11 UWG, wettbewerbswidrig (BGH, GRUR 2008, 1118, 1119 - MobilPlus-Kapseln).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht. Der Bundesgerichtshof hat durch Beschluss vom 1. Juni 2011, Az. I ZR 199/09, die Entscheidung des Senats, der Nachweis der Wirksamkeit könne bei einer vor allem am Empfinden des Patienten orientierten Wirksamkeitsbehauptung allein durch eine randomisierte placebokontrollierte Doppelblindstudie erfolgen, ausdrücklich gebilligt.

Der Streitwert wird in Übereinstimmung mit der unbeanstandet gebliebenen erstinstanzlichen Festsetzung auf 75.000,00 Euro festgesetzt.






OLG Düsseldorf:
Urteil v. 05.06.2012
Az: I-20 U 150/11


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