Verwaltungsgericht Düsseldorf:
Urteil vom 15. August 2000
Aktenzeichen: 17 K 6980/99

(VG Düsseldorf: Urteil v. 15.08.2000, Az.: 17 K 6980/99)

Tenor

Die Ordnungsverfügungen der Beklagten vom 14. September und 25. September 1998 und der hierzu ergangene Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung E vom 23. September 1999 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin ist Eigentümerin der Grundstücke in N, Gemarkung G1 (Erwerb im Jahre Oktober 1994), G2 und G3 (Erwerb am 15. Dezember 1995 für DM 1.850.000,00), postalisch: G- Straße 00. Sie betreibt seit dem Jahre 1995 auf dem Flurstück G1 einen Baumarkt. Die beiden anderen Flurstücke sind bebaut, werden zurzeit aber nicht genutzt.

Auf diesen Grundstücken der ehemaligen Schachtanlage und Kokerei S IV wurden Ende der 80-er Jahre massive Boden- und Grundwasserverunreinigungen mit polycyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) festgestellt. Der Kernbereich der Verunreinigungen befindet sich auf dem Flurstück G2 und G3, im Randbereich der Verunreinigungen liegt das Flurstück G1.

I.

Die Schachtanlage wurde seit dem Jahre 1904 betrieben. Später kamen eine Kokerei mit Nebenanlagen zur Gewinnung von Teer, Ammoniak und Benzol hinzu. Die Kokerei wurde im Jahre 1931 stillgelegt und 1948, vermutlich aber schon vor dem Zweiten Weltkrieg, wieder in Betrieb genommen. Im Jahre 1954 wurde die Kokerei endgültig stillgelegt. 1966 wurde die Anlage aus der Bergaufsicht des Bergamtes N entlassen.

Bereits im Jahre 1965 wurde ein Großteil des Geländes von der S AG an die Stadt N verkauft. Diese überplante es als „GE- Gebiet".

II.

Betreiber der Schachtanlage, Kokerei und Nebengewinnungsanlagen war - mit Betriebsunterbrechungen - seit 1904 die bergrechtliche Gewerkschaft S. Durch Beschluss der Gewerkenversammlung vom 31. Oktober 1951 ist die bergrechtliche Gewerkschaft S in die S Aktiengesellschaft für Bergbau und Chemie (nachfolgend: S AG) nach §§ 278 f. AktG (1937) umgewandelt worden. Gegenstand des Unternehmens war der Bergbau und die Weiterverarbeitung seiner Erzeugnisse einschließlich der Veredelung und Umwandlung der Kohle in Kohlenwertstoffe sowie Vertrieb dieser Produkte und die Herstellung, weitere Verarbeitung und der Vertrieb chemischer und verwandter Produkte. Die Gesellschaft wurde am 22. Januar 1952 beim AG Duisburg im Handelsregister eingetragen (HRB 6467, danach HRB 2641). Der Sitz der Gesellschaft wurde im Jahre 1952 nach I1 verlegt (AG Moers, HRB 1039).

Die außerordentliche Hauptversammlung beschloss am 13. November 1968 die Eingliederung der S AG in I1 in die Deutsche F AG in I2 nach §§ 319 ff. AktG (1965). Die Hauptversammlung der Deutschen F AG stimmte der Eingliederung am 20. Dezember 1968 zu. Die Eintragung im Handelsregister erfolgte am 20. Dezember 1968 (AG Moers, HRB 1039, lfd. Nr. 26).

Die Hauptversammlung der Deutschen F AG beschloss am 2. Juli 1970 Satzungsänderungen, mit denen u.a. die Firma in Deutsche U AG geändert wurde (eingetragen AG Hamburg, HRB 6882 am 12. August 1970).

In der Hauptversammlung vom 3. Dezember 1970 wurde die Umwandlung der S AG auf die Deutsche U AG gemäß §§ 15, 3 bis 8 UmwG (1969) mit Wirkung vom 1. Juli 1970 beschlossen (Vermögensübertragung im Wege der übertragenden Umwandlung - Verschmelzung i.S.d. heutigen § 2 Nr. 1 UmwG). Die Umwandlung wurde eingetragen beim AG Moers HRB 1039, Sonderband V, Blatt 336 ff am 9. Dezember 1970 (lfd. Nr. 35), von da an weitergeführt beim AG Hamburg, HRB 6882.

Zwischen der Gesellschaft und der RWE-Mineralöl und Chemie Beteiligungsgesellschaft mbH (E) wurde am 3. April 1989 ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag geschlossen, dem die Gesellschafterversammlung am 5. April 1989 und die Hauptversammlung am 8. Juni 1989 zustimmten. Die Firma wurde durch Beschluss der Hauptversammlung geändert in RWE-E1 Aktiengesellschaft für Mineralöl und Chemie (AG Hamburg, HRB 6882, lfd. Nr. 86, nachfolgend: RWE-E1 AG).

III.

Im zweiten Weltkrieg war das Gelände von Bombenabwürfen betroffen.

Nach einer von der Klägerin vorgelegten Luftbildauswertung der MSP GmbH Dortmund, waren nach dem Bericht vom Mai 1995 insgesamt 74 Bombentrichter auszumachen, die überwiegend in der näheren Umgebung der Schachtanlage lokalisiert wurden. Bombentrichter auf dem Werksgelände waren in der Minderzahl. Bei dem Gebäude Nr. 23 (Lager) waren Veränderungen im Grauton der Dachflächen feststellbar, die auf Reparaturarbeiten hinweisen könnten.

Dem Ergänzungsbericht vom 5. März 1996 sind als Anlage Trefferpläne beigefügt. Ausweislich dieser Pläne befindet sich allein ein Bombentrichter auf dem von der Ordnungsverfügung betroffenen Grundstück, bzw. auf der Grundstücksgrenze. Ein einziges Gebäude auf diesem Grundstück ist markiert mit „Kriegsschäden möglich".

Nach Angaben des Beklagten waren auf Grund der Lichtbildauswertung die Gebäude Nr. 22 und 24, in denen sich die Benzol- und Ammoniakfabrik sowie Benzolbehälter befanden, von Treffern betroffen.

IV.

Mit nicht vollständig übermittelter Ordnungsverfügung vom 14. September 1998, neugefasst durch Ordnungsverfügung vom 25. September 1998, Gz. 60-7/66.30.47/2(6-1) forderte die Beklagte die Klägerin zur Vorlage einer Sanierungsplanung auf und zur Abstimmung dieser Planung mit ihm auf. Gleichzeitig drohte die Beklagte die Ersatzvornahme an.

Die Beklagte stützte die Ordnungsverfügungen auf §§ 31, 31a, 34 und 35 des Landesabfallgesetz für das Land Nordrhein- Westfalen (LAbfG NW).

Zur konkreten Verunreinigungssituation verwies sie auf die den Ordnungsverfügungen beigefügten Gutachten. Dabei zog sie zur Beurteilung, ob die Gefahrenschwelle überschritten sei, den „C-Wert" der sog. „Hollandliste" heran.

Zur Begründung führte sie weiter aus:

Die bisher im Bereich der ehemaligen Schachtanlage und Kokerei S IV im Auftrag der Beklagten durchgeführten Untersuchungen hätten ergeben, dass durch kokereispezifische Ablagerungen im Boden, die im Zentralbereich (Gebiet I) bis zum Tertiär reichten, eine massive Boden- und Grundwasserverunreinigung durch polycyklische Kohlenwasserstoffe (PAK) und andere kokereispezifische Stoffe vorhanden sei. Die dadurch bedingte Verunreinigung des Grundwassers stelle eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar, die sie zum Einschreiten nach § 14 OBG NW ermächtige.

Zur Inanspruchnahme der Klägerin führte die Beklagte aus:

„Die Maßnahmen sind gemäß § 18 OBG gegen die I AG als Grundstückseigentümerin zu richten. Hinsichtlich der Störerauswahl verweise ich auf meine Schreiben vom 24.09.96 und 28.04.98.

Die Eigentümerin des Grundstücks [...] ist für diesen Zustand nach § 18 OBG verantwortlich unabhängig davon, worauf dieser gefährliche Zustand zurückzuführen ist.

Neben dem Zustandsverantwortlichen kann zur Gefahrenabwehr auch derjenige, der durch sein Handeln oder Unterlassen den gefährlichen Zustand verursacht hat, als Verhaltensstörer in Anspruch genommen werden.

Nach der in der Literatur und Rechtsprechung herrschenden Auffassung ist grundsätzlich der Verhaltensverantwortliche vor dem Zustandverantwortlichen in Anspruch zu nehmen ist. Dieser Grundsatz tritt dann zurück, wenn der Handlungs- /Verhaltensstörer nicht eindeutig feststeht, nicht leistungsfähig oder nicht greifbar ist [...]. Der Verursacher selbst ist nicht mehr greifbar. Die heutige Rechtsnachfolgerin der früheren Betreiberfirma ist mit dieser nicht identisch. Er hat eine mehrfache Rechtsnachfolge stattgefunden.

Die Altlast ist betriebsspezifisch für den früheren Betrieb und daher wahrscheinlich auf den damaligen Betrieb der Anlage zurückzuführen. Jedoch sind Kriegseinwirkungen nach den Ihnen bekannten Bombenabwurfkartierungen nicht auszuschließen. Eine Abgrenzung der jeweiligen Verursachung ist heute nicht mehr möglich. [...].

Gegen eine Inanspruchnahme der Rechtsnachfolgerin spricht auch, dass dem früheren Betreiber der Anlage nicht nachzuweisen ist, dass er gegen normierte Verhaltens- und Unterlassungspflichten verstoßen hat. Es ist ungewiss, welche betrieblichen Vorgänge die Verunreinigung im Einzelnen ausgelöst haben. Es ist daher nicht feststellbar, ob durch rechtswidriges Verhalten die Gefahrenschwelle überschritten und damit die mittelbare Ursache für den Eintritt der Gefahr gesetzt wurde.

Eine Klärung der Frage, ob die abstrakte Verhaltensverantwortlichkeit eine der Gesamtrechtsnachfolge fähige Pflicht ist, steht noch aus. Versteht man die Verhaltensverantwortlichkeit lediglich dahin, [...], fällt der Rechtsnachfolgerin keine Verantwortlichkeit zur Last.

Betrachtet man die ordnungsbehördliche Verfügung dagegen als bloße Konkretisierung einer ohnehin kraft Gesetz bestehenden materiellen Polizeipflicht, fehlt es an einer derartigen Pflichtenstellung der Rechtsnachfolgerin [...]."

V.

Den dagegen erhobene Widerspruch wies die Bezirksregierung E mit Widerspruchsbescheid vom 23. September 1999, zugestellt am 4. Oktober 1999 zurück.

Die Bezirksregierung begründet ihre Entscheidung damit, dass die Vorlage eines Sanierungsplanes auf § 31 Abs. 4 LAbfG NW gestützt werden könne. Die Klägerin sei zutreffend als Zustandsstörerin herangezogen worden.

Zur „Störerauswahl" führte die Bezirksregierung aus:

„Bei einer Mehrheit von Störern ist nach den Grundsätzen des allgemeinen Ordnungsrechts der Heranziehung des Verursachers kein prinzipieller Vorrang eingeräumt. D.h. die Behörde ist nicht gezwungen, den Verursacher der Störung vor dem Eigentümer des Grundstücks in Anspruch zu nehmen. [...].

Das der Behörde eingeräumte Auswahlermessen orientiert sich vielmehr an der Effektivität der Sanierung. Eine rasche und erfolgversprechende Gefahrenabwehr steht vor allgemeinen Gerechtigkeitserwägungen bzgl. der Verursachung (Vorwerfbarkeit) im Vordergrund [...]. Dementsprechend ist es nicht zu beanstanden, wenn - wie hier geschehen - der Inanspruchnahme des Verursachers der Störung die des Eigentümers vorgezogen wird, weil die Durchsetzung einer möglichen Ordnungspflicht gegenüber dem Verursacher gewichtige rechtliche und/oder tatsächliche Hindernisse entgegenstehen.

Der potentielle ursprüngliche Handlungsstörer [...] ist nicht mehr vorhanden. Am Ende einer langen Kette von Rechtsnachfolgen [...] stand die RWE-E1. Diese (möglicherweise Gesamt-) Rechtsnachfolgerin einer ursprünglich abstrakten Polizeipflicht, die erst durch die Ordnungsverfügung des Kreises X vom 14. September 1998 konkretisiert worden ist, ist freiwillig nicht bereit, die hier erforderlichen Maßnahmen zur Sanierung der Altlast durchzuführen.

Insbesondere ist streitig, ob und inwieweit über Kriegseinwirkungen während des Zweiten Weltkrieges auf dem Anlagengelände die (oder ein Teil der) nun zu beseitigenden Kontaminationen verursacht wurden. [...] Dadurch konnte nicht ausgeschlossen werden, dass infolge der Bombeneinwirkungen Produkte oder Produktrückstände des ursprünglichen Anlagenbetreibers aus Leitungen und Behältnissen ausgetreten sind.

Mit der z.Z. zur Verfügung stehenden Untersuchungs- und Analysemethoden ist es ausgeschlossen, eine Kontamination wie die vorliegende eindeutig der einen (unsachgemäße Betriebsführung, Leckagen) oder anderen Ursachen (Bombeneinwirkungen) zuzuordnen. [...] Denn nicht eine Wahrscheinlichkeit, sondern der Nachweis der Verursachung ist Grundlage für die Inanspruchnahme des Handlungsstörers."

VI.

Die dagegen am 2. November 1999 erhobene Klage wird von der Klägerin im Wesentlichen wie folgt begründet:

Beurteilungszeitpunkt für die Rechtmäßigkeit einer Ordnungsverfügung sei die letzte Behördenentscheidung, also die der Widerspruchsentscheidung vom 23. September 1999. Zu diesem Zeitpunkt habe bereits das Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG) gegolten, so dass § 31 Abs. 4 Satz 1 LAbfG NW als Ermächtigungsgrundlage ausscheide.

Das Nachschieben einer anderen Ermächtigungsgrundlage sei nicht möglich, da dadurch die Ordnungsverfügung in ihrem Wesen, also in ihrem Regelungsgegenstand, verändert werde (Ermessensentscheidung). Ermessenserwägungen seien nämlich nicht nur Bestandteil der Begründung, sondern auch Ausdruck des Regelungsgegenstandes, also des Inhalts, der dem Ordnungspflichtigen aufgegeben wird und in dem sich auch Gesetzeszweck und Handlungsziel der Ermächtigungsgrundlage widerspiegelten.

Zudem kenne das geltende Recht einen Sanierungsplan (vgl. § 6 Abs. 2 BBodSchV i.V.m. Anhang 3), wie er der Klägerin in der angefochtenen Ordnungsverfügung aufgegeben wurde, nicht; die tatbestandlichen Voraussetzungen (abgestimmtes Verhalten notwendig, in besonderem Maße schädliche Umwelteinwirkungen) seien nicht gegeben.

Das Bundes-Bodenschutzgesetz erweitere den Kreis der Verantwortlichen; nunmehr sei auch der Gesamtrechtsnachfolger des Verursachers möglicher Adressat einer Ordnungsverfügung. Die RWE-E1 AG sei Rechtsnachfolgerin der Betreiberin, die - durch Zeugenaussagen belegt - die schädliche Bodenverunreinigung maßgeblich mitverursacht habe. Diese Rechtsnachfolge beruhe auf einer einzigen Umwandlung im Jahre 1970.

Die Klägerin beantragt:

die Ordnungsverfügungen des Beklagten vom 14. September und 25. September 1998 und den hierzu ergangenen Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung E vom 23. September 1999 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen

Sie führt aus, eine Schadensverursachung durch Kriegseinwirkung könne nicht mit vernünftiger Sicherheit ausgeschlossen werden. Auf Grund der Leitungen, die teilweise über Flur geführt worden seien, seien nämlich Kriegseinwirkungen als realistische, zumindest nicht fern liegende Möglichkeit nicht auszuschließen. Damit sei eine im Wege der Rechtsnachfolge übergegangene Verhaltenshaftung nicht mehr nachzuweisen. Entsprechend könne weder der positive Nachweis einer Verursachung durch den Betreiber erbracht werden noch könne eine Verursachung durch Dritte ausgeschlossen werden. Die Feststellung des Verursachers scheitere damit an unüberwindbaren tatsächlichen Hindernissen.

Die Verfügung könne auch unter Geltung der §§ 10, 4 BBodSchG aufrecht erhalten bleiben. Sie sei durch die Gefahrenlage gerechtfertigt. Die Einkapselung der Altlast erfordere eine Detailplanung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der überreichten Gutachten der Klägerin Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtene Ordnungsverfügung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

I.

Als Ermächtigungsgrundlage für die angefochtene Verfügung kommt nicht mehr das Landesabfallgesetz in Betracht, sondern allein das am 1. März 1999 in Kraft getretene Bundes- Bodenschutzgesetz. Damit trat entgegenstehendes Landesrecht außer Kraft (Art. 31 GG),

Peine, NVwZ 1999, 1165; Kobes, Das Bundes- Bodenschutzgesetz, in: NVwZ 1998, 786 (787); Vierhaus, Das Bundes-Bodenschutzgesetz, in: NJW 1998, 1262 (1269).

Denn zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Ordnungsverfügung ist auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen, also den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheid. Zu dieser Zeit galt bereits das Bundes-Bodenschutzgesetz.

II.

Auf der Basis dieser Ermächtigungsgrundlage lässt sich die Ordnungsverfügung nicht aufrecht erhalten, da sie Ermessensfehler (Ermessensdefizit) aufweist. Denn die Beklagte hat die RWE-E1 AG nicht in ihre Überlegung bei der Auswahl des Verantwortlichen mit einbezogen, bzw. diese aus ermessensfehlerhaften Erwägungen nicht miteinbezogen.

Die RWE-E1 AG ist nämlich als Gesamtrechtsnachfolgerin der Verursacherin, der ehemaligen bergrechtlichen Gewerkschaft S, Verantwortliche im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG und deshalb in die Auswahlentscheidung entsprechend dieser Regelung einzubeziehen. Das hat die Beklagte unterlassen.

III.

Die RWE-E1 AG ist Gesamtrechtsnachfolgerin der bergrechtlichen Gewerkschaft S.

Gesamtrechtsnachfolger im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG ist diejenige natürliche oder juristische Person, die kraft Gesetzes alle Rechte und Pflichten ihres Rechtsvorgängers übernimmt und damit vollständig in die Stellung seines Rechtsvorgängers eintritt,

Giesberts, in: Fluck, Kreislaufwirtschafts- Abfall- und Bodenschutzrecht, 24. Erg.Lfg., Stand: Juni 2000, Bd. 2, § 4 BBodSchG Rn. 183.

Dabei ist der Formenwechsel (heute: §§ 190 ff. UmwG 1994) im zivilrechtlichen Sinne keine wirkliche Gesamtrechtsnachfolge, sondern eine Fortsetzung der Unternehmens in Rechtsidentität,

vgl. § 202 Abs. 1 Ziff. 1 UmwG 1994: der formwechselnde Rechtsträger besteht in der in dem Umwandlungsbeschluss bestimmten Rechtsform weiter; Becker, Die neue öffentlich- rechtliche Haftung für die Sanierung schädlicher Bodenverunreinigungen und Altlasten nach § 4 III BBodSchG, in: DVBl. 1999, 134 (136).

Auf Grund der Rechtsidentität übernimmt das fortsetzende Unternehmen alle Rechten und Pflichten des formwechselnden Rechtsträgers und ist daher deren Gesamtrechtsnachfolger i.S.d. § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG,

Giesberts, a.a.O..

Die bergrechtliche Gewerkschaft S ging durch Formenwechsel auf die S AG über. Nach § 279 Abs. 1 AktG 1937 besteht die Gewerkschaft von der Eintragung an als Aktiengesellschaft weiter (Rechtsidentität).

Die nachfolgenden Sitzverlegungen, Firmenänderungen oder Änderungen des Unternehmensgegenstandes lassen die Identität des Unternehmens unberührt. Die Eingliederung nach §§ 319 ff. AktG 1965 in die Deutsche F AG (nachher umfirmiert in Deutsche U AG) führt dabei nicht zum Erlöschen des eingegliederten Unternehmens (vgl. § 327 AktG 1965: Ende der Eingliederung), so dass auch durch diese Eingliederung kein Gesamtrechtsnachfolgetatbestand ausgelöst wird (Rechtsidentität).

Mit der Umwandlung der S AG nach §§ 15, 3 bis 8 UmwG 1969 auf die Deutsche U AG galt die S AG als aufgelöst (§§ 15 Abs. 1 Satz 1, 5 Satz 2 UmwG 1969, bzw. i.V.m. § 9 Abs. 2 UmwG 1969). Das Vermögen der Aktiengesellschaft einschließlich der Schulden ging damit auf die aufnehmende Gesellschaft über (§ 5 Satz 1 UmwG 1969 i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 1 UmwG 1969, bzw. § 9 Abs. 2 UmwG 1969). Damit liegt ein Gesamtrechtsnachfolgetatbestand im Sinne des § 4 Abs. 3 BBodSchG vor. Der nachfolgende Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag lässt die Existenz des Unternehmens unberührt (vgl. § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG 1965); selbiges gilt für die spätere Umfirmierung in RWE-E1 AG (Rechtsidentität).

IV.

Die bergrechtliche Gewerkschaft S war auch Verursacherin der schädlichen Bodenverunreinigung.

Ursächlich ist diejenige Handlung, durch welche die betreffenden bodenverunreinigenden Stoffe in den Boden gelangt sind,

Giesberts, a.a.O., § 4 BBodSchG Rn. 167.

Die Verursachung bezieht sich dabei schutzgutbezogen auf die Herbeiführung einer Altlast. Denn die gegenwärtigen Gefahren und Störungen sind Folgen der Altlast und nicht einer gesonderten „Verursachung", so dass derjenige Verursacher im Sinne des § 4 Abs. 3 BBodSchG ist, wenn ihm die damalige Herbeiführung heute als „Altlast" zugerechnet werden kann,

Becker, a.a.O., Seite 135.

Die schädlichen Bodenverunreinigungen des Altstandortes sind durch den Betrieb der Anlage entstanden, zumindest mitverursacht worden. Darauf deuten nicht nur die Aussagen der Personen hin, die noch den Betriebsablauf mitbekommen haben, sondern auch der typische Umgang mit umweltgefährdenden Stoffen hin, wie er seinerzeit bei solchen Betrieben erfolgte.

Die von der Beklagten angesprochenen Kriegseinwirkungen sind für das Gericht nicht Ursache einer schädlichen Bodenverunreinigung. Dabei ist zunächst festzustellen, dass kein Bombentrichter anhand der ausgewerteten Luftbildaufnahmen das betreffende Grundstück getroffen hat. Allein ein Bombentrichter ist auf der Grundstücksgrenze auszumachen. Dieser kann aber nicht die Bodenverunreinigung ausgelöst haben, da er nicht im Bereich der Hauptverunreinigung liegt und zentrale Produktionseinrichtungen nicht davon betroffen waren. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass es sich bei dem vorgelegten Gutachten über die Bombentreffer um ein Privatgutachten der Klägerin hat. Das Gericht hat aber keinen Anlass, an der Richtigkeit zu zweifeln. Die Beklagte ist dem Ergebnis des Gutachtens auch nicht entgegen getreten.

Das in dem Trefferplan mit „Kriegseinwirkungen möglich" markierte Gebäude hat dabei nach Auffassung des Gerichts keine wesentliche Ursache für die schädlichen Bodenverunreinigungen gesetzt. Denn auf Grund der vorerwähnten Aussagen über den Betriebsablauf und die Kenntnis über den gewöhnlichen Betrieb solcher Anlagen ist ein maßgeblicher Mitverursachungsbeitrag des Anlagenbetreibers anzunehmen. Das OVG Lüneburg führt dazu aus:

„[...] Da die Mitverursachung der Gefahr ausreicht, um die Verantwortlichkeit des Verursachers zu begründen (OVG Münster, Urt. v. 29.3.1984, UPR 1984, 279/280; vgl. auch VGH Mannheim, Urt. v. 19.10.1993, NVwZ-RR 1994, 565), wäre diese nur dann ausgeschlossen, wenn ein Handlungsablauf plausibel dargelegt würde, welcher der Annahme einer Mitursächlichkeit entgegenstände. [...]"

OVG Lüneburg, Urteil vom 7. März 1997 - 7 M 3628/96 -, in: NJW 1998, 97; vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 4. März 1996 - 10 S 2687/95 -, in: UPR 1996, 239.

Dass aber eine Gefährdung der Schutzgüter des Bundes- Bodenschutzgesetzes ausgeblieben wäre, wenn die Kriegseinwirkungen hinweggedacht würden, behauptet selbst die Beklagte nicht und entspricht nicht der Lebenswirklichkeit.

Einschränkungen sind lediglich insoweit geboten, als dem Anlagenbetreiber Folgewirkungen nicht mehr zugerechnet werden können, die wie etwa außergewöhnliche Naturereignisse, Natur- oder Umweltkatastrophen und Kriegseinwirkungen nicht mehr adäquat kausal auf den Betrieb der Anlage zurückgeführt werden können,

VGH München, Urteil vom 1. März 1993 - 20 CS 92.2386 - NVwZ-RR 1994, 314.

Dafür ist aber von der Beklagten nichts vorgetragen worden. Eine solche Aufhebung einer adäquat kausalen Verursachung ergibt sich - wie dargelegt - auch nicht aus den dem Gericht vorliegenden Untersuchungen über die Kriegseinwirkungen.

V.

Ist deshalb die RWE-E1 AG als Gesamtrechtsnachfolgerin der Verursacherin anzusehen, ist diese auch in die Auswahl der Verantwortlichen nach § 4 Abs. 3 BBodSchG einzubeziehen. Diese Ermessensauswahl hat die Beklagte aber nicht ermessensfehlerfrei vorgenommen.

Dabei kann es - wofür vieles spricht - dahinstehen, ob § 4 Abs. 3 BBodSchG eine (regelmäßig einzuhaltende) Reihenfolge der in Anspruch zu nehmenden Verantwortlichen vorsieht. Das würde jedenfalls der Gesetzessystematik, dem Sinn und Zweck des Gesetzes und der Historie entsprechen. Denn die vom Gesetzgeber bewusst gewählte Reihenfolge in § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG,

BT-Ds. 13/6701 Seite 35, abgedruckt bei Giesberts, a.a.O., § 4 BBodSchG Rn. 29,

stellt nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes eine Regel auf, die eine Inanspruchnahme des Verursachers und bzw. dessen Gesamtrechtsnachfolger wegen ihrer Nähe zu den übernommenen Rechten und Pflichten entsprechend dem Prinzip der gerechten Lastenverteilung vorsieht.

Eine Abweichung hiervon ist nur nach dem Grundsatz der Effektivität der Gefahrenabwehr möglich. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in den Fällen des § 4 Abs. 3 BBodSchG - anders als in den Fällen nach § 4 Abs. 1 und 2 BBodSchG - bereits eine schädliche Bodenverunreinigung vorliegt und so regelmäßig mehr Zeit zum Tätigwerden bleibt.

Jedenfalls liegen bei der Auswahl des Verantwortlichen Ermessensdefizite vor, die sich aus der Begründung zur Ordnungsverfügung und zum Widerspruchsbescheid ergeben.

Die Feststellung in der Ordnungsverfügung, ein Verursacher sei nicht greifbar, da eine mehrfache Rechtsnachfolge stattgefunden habe, ist insoweit unrichtig, als nur eine Gesamtrechtsnachfolge stattfand und es sich im Übrigen um Fälle der Rechtsidentität handelt. Allein die Schlussfolgerung, dass der Verursacher nicht greifbar sei, ist zutreffend. Sie ist aber unter Geltung des § 4 Abs. 3 BBodSchG unzutreffend, da deren Rechtsnachfolgerin greifbar ist. Denn darin ist jetzt einfach gesetzlich die Gesamtrechtsnachfolge in die sog. „abstrakte Polizeipflicht" normiert. Alle von der Beklagten angestellten Überlegung hierzu liegen nach Inkrafttreten des Bundes-Bodenschutzgesetz daher neben der Sache und führen zu einer fehlerhaften Ermessensausübung.

Es ist zudem weder ersichtlich noch vorgetragen, dass die RWE-E1 AG rechtlich oder tatsächlich nicht in der Lage ist, die Sanierung durchzuführen. Die insoweit im Widerspruchsbescheid angesprochene Hindernisse greifen jedenfalls nicht durch. Denn die angesprochenen tatsächlichen Hindernisse sind durch die Anordnung der Verantwortlichkeit in § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG ausgeräumt. Die rechtlichen Hindernisse, die RWE-E1 AG werde es auf einen Rechtsstreit ankommen lassen, lagen seinerzeit ebenso für die Klägerin vor. Zumindest deutete - nach Widerspruchserhebung - im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung nichts darauf hin, dass in der Beschreitung des Klageweges ein Unterschied zwischen der Klägerin und der RWE-E1 AG besteht.

VI.

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig, da eine angemessene Vertretung der klägerischen Interessen eine vertiefte Kenntnis des Altlastenrechts und (neuen) Bodenschutzrechts erforderte (§ 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 Abs. 1 VwGO, 709 Satz 1 ZPO.






VG Düsseldorf:
Urteil v. 15.08.2000
Az: 17 K 6980/99


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/19dac7b910c7/VG-Duesseldorf_Urteil_vom_15-August-2000_Az_17-K-6980-99




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share