Amtsgericht Mannheim:
Urteil vom 19. November 2010
Aktenzeichen: 3 C 249/10

(AG Mannheim: Urteil v. 19.11.2010, Az.: 3 C 249/10)

1. Der Herausgabeanspruch an sämtlichen Unterlagen aus dem beendeten Mandatsverhältnis mit dem Steuerberater wird durch einen Anspruch auf Abgabe einer Zustimmungs-/Freigabeerklärung gegenüber der DATEV eG ersetzt bzw. ergänzt. 2. Ein mögliches Zurückbehaltungsrecht des Steuerberaters ergibt sich entweder aus § 66 StBerG oder § 273 BGB. 3. Dem Steuerberater steht ein Zurückbehaltungsrecht an heraus begehrten Unterlagen nicht aus anderen, nicht bezahlten Aufträge desselben Mandanten zu; die notwendige Konnexität ist restriktiv zu handhaben.

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, die Finanzbuchhaltungsdaten aus dem Rechnungswesenprogramm (...) betreffend die Klägerin für die Geschäftsjahre 2006 bis 2008 gegenüber der DATEV eG, P. Straße ..., ... N., dergestalt freizugeben, daß der jetzige Steuerberater der Klägerin, (...) von der DATEV eG abrufen kann.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin in Höhe von 124,65 EUR durch Zahlung an die Kanzlei (...) von deren Honoraransprüchen gegen die Klägerin freizustellen.

3. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch die Klägerseite gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Herausgabe von Finanzbuchhaltungsdaten, hier in Form von Freigabeerklärungen gegenüber der Datev eG.

Zwischen den Parteien bestand seit dem Jahr 2003 eine Rahmenvereinbarung, in deren Ausführung die Beklagte für die Klägerin für die Jahre 2006 bis 2008 unter anderem die Finanzbuchhaltung erstellte. Die hierfür anfallenden Steuerberaterkosten sind von Klägerseite vollständig und fristgerecht gezahlt.

Zwischenzeitlich wird die Finanzbuchhaltung der Klägerin nicht mehr von der Beklagten, sondern von der Steuerberatungsgesellschaft (...) geführt. Die Beklagte verweigert die Herausgabe der entsprechenden Daten, verweigert eine entsprechende Freigabeerklärung gegenüber der DATEV eG.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte sei zu einer derartigen Verweigerung nicht berechtigt. Sie habe die für die Finanzbuchhaltung anfallenden Kosten ordnungsgemäß gezahlt, weshalb sie einen Anspruch darauf habe, auf diese Daten Zugriff nehmen zu können.

Weitere Aufträge, insbesondere eine Zwischenbilanz auf den 29. Februar 2008 bzw. ein Jahresabschluß für das Jahr 2008, seien von ihr gegenüber der Beklagten nicht beauftragt worden, weshalb hier auch keine Zahlungsansprüche bestünden.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, die Finanzbuchhaltungsdaten aus dem Rechnungswesenprogramm (...) betreffend die Klägerin für die Geschäftsjahre 2006 bis 2008 gegenüber der Datev eG, P. Straße ..., ... N., dergestalt freizugeben, daß der jetzige Steuerberater der Klägerin, (...) von der Datev eG abrufen kann,

2. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin in Höhe von 124,65 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit durch Zahlung an die Kanzlei (...) von deren Honoraransprüchen gegen die Klägerin freizustellen.

Die Beklagte beantragt

Klageabweisung.

Sie trägt vor, sie sei von Klägerseite beauftragt worden, den Jahresabschluß 2008 und einen Zwischenabschluß auf den 29.02.2008 zu erstellen. Die hierfür abgerechneten Leistungen gemäß Rechnungen über 2.875,04 EUR bzw. 797,54 EUR seien von Klägerseite nicht bezahlt worden, weshalb ihr ein Zurückbehaltungsrecht auch an den bereits bezahlten Buchhaltungsunterlagen zustehe.

Das Gericht hat mündlich verhandelt im Termin vom 14.10.2010. Auf das Sitzungsprotokoll (Bl. 119 ff.) wird hingewiesen.

Bezug wird genommen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.

Gründe

Die zulässige Klage ist im Wesentlichen begründet, der Klägerin steht gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf eine Freigabeerklärung gegenüber der Datev eG bezüglich der Finanzbuchhaltungsdaten für die Geschäftsjahre 2006 bis 2008 zu, §§ 667, 675, 611 BGB.

Die Beklagte ist nach Beendigung des Mandats verpflichtet, sämtliche Unterlagen einschließlich der im Rechenzentrum gespeicherten Daten an die Klägerin herauszugeben (vgl. LG Hannover, DStRE 2009, 1416 ff.). Dieser Herausgabeanspruch wird durch entsprechende Zustimmungserklärungen / Freigabeerklärungen gegenüber der datenführenden Stelle, hier gegenüber der DATEV eG ersetzt bzw. ergänzt (Olbing / Wollweber, Das Zurückbehaltungsrecht des Steuerberaters, DStR 2009, 2700 ff.).

Vorliegend ist von einer Beendigung der Zusammenarbeit der Parteien auszugehen, die Klägerin hat mit der Lohnbuchhaltung ein anderes Steuerberatungsbüro beauftragt, sie verlangt entsprechende Daten bei der Beklagten heraus. Sie hat gleichzeitig spätestens mit Schreiben vom 28.04.2010 (aber nach dem Wortlaut des Schreibens bereits deutlich früher) deutlich gemacht, dass sie an einer weiteren Zusammenarbeit mit der Beklagten nicht mehr interessiert ist. Damit ist mindestens von einer konkludenten Kündigung des Vertrages auszugehen, die das Vertragsverhältnis beendete.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte mit der Erstellung von Zwischenabschlüssen auf den 29.02.2008 bzw. mit der Erstellung des Jahresabschlusses 2008 durch die Klägerin beauftragt wurde, da ihr jedenfalls an den herausverlangten Daten und den entsprechend begehrten Freigabeerklärungen bezüglich dieser Daten kein Zurückbehaltungsrecht zusteht.

Ein derartiges Zurückbehaltungsrecht ergibt sich weder aus § 66 StBerG noch aus § 273 BGB.

Ein Zurückbehaltungsrecht nach § 66 StBerG besteht nicht.

Nach § 66 II StBerG kann der Steuerberater seinem Auftraggeber die Herausgabe der Handakten verweigern, bis er wegen seiner Gebühren und Auslagen befriedigt ist.

Handakten sind dabei nur die Schriftstücke, die der Steuerberater aus Anlass seiner beruflichen Tätigkeit von dem Auftraggeber erhalten hat, § 66 III StBerG.

Entsprechendes gilt für elektronisch gespeicherte Daten, § 66 IV StBerG, wobei die Herausgabe hier dann in Form entsprechender Freigabeerklärungen erfüllt wird.

Es bestehen bereits Bedenken, ob die herausverlangten Finanzbuchhaltungsdaten für die Jahre 2006 bis 2008 Handakten i.S. dieser Vorschriften darstellen.

Die Klägerin hat der Beklagten für die Jahre 2006 bis 2008 Grunddaten und Angaben zur Verfügung gestellt, die dann von der Beklagten in die Finanzbuchhaltung eingearbeitet wurden. Das Ergebnis dieser Bearbeitung hat die Beklagte also nicht von der Klägerin "erhalten", sondern - trotz Bezahlung der eigenen Dienstleistung - "behalten", obwohl sie - betrachtet man lediglich diesen Vorgang - zu einer entsprechenden Herausgabe nach Vertragsbeendigung verpflichtet gewesen wäre. Es könnte daher durchaus der Ansatz vertreten werden, Handakten sind lediglich solche Daten, die umfassend wissentlich und willentlich aus dem Bereich des Auftraggebers stammen.

Letztlich ist diese Frage jedoch nicht zu entscheiden, da es vorliegend an der notwendigen Konnexität zwischen der (möglichen) Forderung der Beklagten gegenüber der Klägerin aus den erstellten Abschlüssen und der Forderung der Klägerin auf Herausgabe der bereits bezahlten Daten fehlt.

Das Zurückbehaltungsrecht des § 66 StBerG erfaßt über den Begriff der Handakten grundsätzlich auch umfassend alle Geschäftsunterlagen, so u.U. auch die hier in Frage stehenden Lohnbuchhaltungsunterlagen, jedoch erfordert der mit einem derartigen weitgehenden Eingriff verbundene Eingriff in die Geschäftstätigkeit des Mandanten zum Ausgleich eine enge Auslegung der Konnexität dahingehend, daß Honorarforderungen aus anderen Aufträgen desselben Mandanten grundsätzlich nicht miteinbezogen werden dürfen (vgl.BGH NJW 97, 2944 zu § 50 Abs. 1 BRAO a.S.).

Hier ist im Rahmen dieser engen Auslegung von zwei separaten Aufträgen auszugehen.

Die Parteien waren vorliegend zwar durch einen einheitlichen Rahmenvertrag miteinander verbunden, im Rahmen dieses Rahmenvertrages wurden jedoch separate Leistungen erbracht, so die unstreitige Lohnbuchhaltung und die Erstellung von (in der Vergangenheit unstreitigen, für das Jahr 2008 jedoch streitigen) Jahresabschlüssen. Sowohl die laufende Lohnbuchhaltung als auch die Erstellung des Jahresabschlusses in diesem Rahmenvertrag ist zwar als Dienstvertrag einzustufen (vgl. BGH NJW RR 2006, 1490), jedoch ändert diese gleiche rechtliche Einstufung nichts daran, daß tatsächlich mit verschiedenen Zielrichtungen gearbeitet wird, nämlich zum einen erfolgt eine Bearbeitung der laufenden Buchhaltung und zum anderen die Erstellung einer auf einen bestimmten Zeitpunkt fixierten Abschlußarbeit.

Diese Unterscheidung rechtfertigt es, bei der gebotenen engen Auslegung von zwei separaten Aufträgen auszugehen. Dies führt dazu, dass dem Herausgabeverlangen bzw. Begehren der Klägerin nach einer entsprechenden Freigabeerklärung für den einen Auftrag ein Zurückbehaltungsrecht wegen Nichtzahlung des anderen Auftrags nach § 66 II StBerG nicht entgegengehalten werden kann.

Darüber hinaus ist ein Zurückbehalten auch dann nicht möglich, wenn die Vorenthaltung der Handakten nach den Umständen unangemessen ist, § 66 II 2 StBerG.

Vorliegend hat die Klägerin die Finanzbuchhaltung in Auftrag gegeben und ordnungsgemäß bezahlt, ohne je das Ergebnis dieses Teilauftrags nutzen zu können, "in den Händen zu halten". In dieser Situation erachtet das Gericht es auch als unangemessen, wenn die Beklagte - wie hier - das grds. im Rahmen des erfüllten und bezahlten Vertrags herauszugebende Ergebnis der eigenen Tätigkeit behält, nur weil es eine gewisse Bedeutung bei der Erstellung und der Dokumentation für einen anderen, noch nicht bezahlten Dienstvertrag hat.

Gleiches gilt im Ergebnis auch für das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB.

Hier mag es zwar sein, daß bei der hier vorzunehmenden weiten Auslegung von einem einheitlichen Lebensverhältnis, demselben Rechtsverhältnis gesprochen werden kann, jedoch ist für die zurückbehaltenen Finanzbuchhaltungsdaten davon auszugehen, daß diese Daten für den laufenden Geschäftsbetrieb benötigt werden. An solchen Geschäftspapieren besteht kein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB (vgl. BGH NJW 97, 2944, 2945).

Die Freigabeerklärung war daher zu erteilen.

Nachdem sich die Beklagte auf Aufforderung der Klägerin hin geweigert hat, diese Daten freizugeben, befand sie sich mit der Freigabe im Verzug, die im Verzug entstandenen Anwaltskosten in Höhe von nachvollziehbar errechneten 124,65 EUR sind daher von Beklagtenseite ebenfalls zu ersetzen. Nicht erkennbar ist jedoch, weshalb bei dem geltend gemachten Freistellungsantrag Verzugszinsen anfallen sollen. Daß die Kanzlei der Klägervertreter der Klägerin entsprechende Verzugszinsen in Rechnung stellt, wird als eher unwahrscheinlich angesehen. Entsprechend war die Klage damit abzuweisen.

Die Nebenentscheidungen ergeben sich damit insgesamt aus §§ 286, 288 BGB, 92, 708 Nr. 11, 711, 108 ZPO.






AG Mannheim:
Urteil v. 19.11.2010
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