Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 30. September 2010
Aktenzeichen: Xa ZR 123/09

(BGH: Beschluss v. 30.09.2010, Az.: Xa ZR 123/09)

Tenor

2. Das Verfahren wird ausgesetzt.

3. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 AEUV folgende Fragen zur Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz (Sortenschutzverordnung, GemSortV) und der Verordnung (EG) Nr. 1768/95 der Kommission vom 24. Juli 1995 über die Ausnahmeregelung gemäß Art. 14 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz (Nachbauverordnung, GemNachbauV) vorgelegt:

a) Ist die angemessene Vergütung, die ein Landwirt dem Inhaber eines gemeinschaftlichen Sortenschutzrechts gemäß Art. 94 Abs. 1 GemSortV zu zahlen hat, weil er durch Nachbau gewonnenes Vermehrungsgut einer geschützten Sorte genutzt und die in Art. 14 Abs. 3 GemSortV und Art. 8 GemNachbauV festgelegten Verpflichtungen nicht erfüllt hat, nach dem Durchschnittsbetrag der Gebühr zu berechnen, die in demselben Gebiet für die Erzeugung einer entsprechenden Menge in Lizenz von Vermehrungsmaterial der geschützten Sorten der betreffenden Pflanzenarten verlangt wird, oder ist stattdessen das (niedrigere) Entgelt zu Grunde zu legen, das im Falle eines erlaubten Nachbaus nach Art. 14 Abs. 3 Spiegelstrich 4 Gem-SortV und Art. 5 GemNachbauV zu entrichten wäre€

b) Falls nur das Entgelt für berechtigten Nachbau zu Grunde zu legen ist: Kann der Sortenschutzinhaber in der genannten Konstellation bei einem einmaligen schuldhaft begangenen Verstoß den ihm gemäß Art. 94 Abs. 2 GemSortV zu ersetzenden Schaden pauschal auf der Grundlage der Gebühr für die Erteilung einer Lizenz für die Erzeugung von Vermehrungsmaterial berechnen€

c) Ist es zulässig oder sogar geboten, bei der Bemessung der nach Art. 94 Abs. 1 GemSortV geschuldeten angemessenen Vergütung oder des nach Art. 94 Abs. 2 Gem-SortV geschuldeten weiteren Schadensersatzes einen besonderen Kontrollaufwand einer Organisation, die die Rechte zahlreicher Schutzrechtsinhaber wahrnimmt, in der Weise zu berücksichtigen, dass das Doppelte der üblicherweise vereinbarten Vergütung bzw. des nach Art. 14 Abs. 3 Spiegelstrich 4 GemSortV geschuldeten Entgelts zugesprochen wird€

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen unvollständig gemeldeten ("verhehlten") Nachbaus von sortengeschützten Pflanzen in Anspruch.

Die Klägerin nimmt die Rechte der Inhaber der unionsrechtlich geschützten Sorten Kuras, Quarta, Solara und Marabel sowie der nach nationalem Recht geschützten Sorte Secura wahr. Die Beklagten sind Landwirte. Sie haben als Mitglieder einer inzwischen aufgelösten Gesellschaft des bürgerlichen Rechts in den Jahren 2001 bis 2004 mit den genannten Sorten Nachbau betrieben. Die Gesellschaft hat der Klägerin hierüber Auskünfte erteilt. Anlässlich einer von der Klägerin durchgeführten Betriebsprüfung ergab sich, dass die tatsächlichen Mengen hinsichtlich aller genannten Sorten höher waren und zum Teil mehr als das Dreifache der gemeldeten Mengen betrugen. Die Klägerin hat für die Differenzmengen auf der Grundlage der so genannten Z-Gebühr, die für die Erteilung einer Lizenz für die Erzeugung von Vermehrungsmaterial verlangt wird, einen Schadensersatzanspruch von 4.576,15 Euro errechnet. Die Beklagten haben die Hälfte dieses Betrags gezahlt. Dies entspricht dem Entgelt, das bei rechtmäßigem Nachbau auf der Grundlage von Art. 14 GemSortV zu zahlen gewesen wäre. Die Klägerin begehrt die Zahlung des verbleibenden Betrags von 2.288 Euro sowie Ersatz vorgerichtlicher Kosten in Höhe von 141,05 Euro.

Das Landgericht hat die Beklagten antragsgemäß verurteilt. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision streben die Beklagten weiterhin die Abweisung der Klage an. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

II. Das Berufungsgericht hat seine die erstinstanzliche Verurteilung bestätigende Entscheidung hinsichtlich der unionsrechtlich geschützten Sorten wie folgt begründet:

Der Klägerin stehe gegen die Beklagten ein Zahlungsanspruch aus Art. 94 Abs. 1 und 2 GemSortV zu. Die Beklagten hätten eine Sortenschutzverletzung begangen, weil sie ihren Anzeigepflichten gemäß Art. 14 Abs. 3 GemSortV nicht in ordnungsgemäßem Umfang nachgekommen seien. Die deshalb geschuldete Entschädigung sei nach der Lizenzanalogie zu bemessen. Maßgeblich sei dabei nicht die Nachbaugebühr, sondern die Gebühr für die Erteilung einer Lizenz für die Vermehrung, also die Z-Lizenzgebühr. Eine Beschränkung der Anspruchshöhe auf die Nachbaugebühr führe zu einer nicht zu rechtfertigenden Privilegierung des unredlichen Landwirts. Die Beklagten hätten zudem schuldhaft gehandelt, weshalb der Klägerin auch ein Anspruch auf Schadensersatz zustehe.

III. Die Entscheidung über die Revision hängt hinsichtlich der unionsrechtlich geschützten Sorten von den in der Entscheidungsformel genannten Bestimmungen der Sortenschutzverordnung ab.

1. Die Klägerin kann wegen Verletzung der Gemeinschaftssortenschutzrechte gemäß Art. 94 Abs. 1 GemSortV Zahlung einer angemessenen Vergütung und gemäß Art. 94 Abs. 2 GemSortV Ersatz des weiteren Schadens verlangen.

a) Nach Art. 13 Abs. 2 Buchst. a GemSortV ist die Vermehrung von Erntegut einer geschützten Sorte grundsätzlich nur mit Zustimmung des Sortenschutzinhabers zulässig. Nach der Ausnahmeregelung in Art. 14 Abs. 1 GemSortV können Landwirte zur Sicherung der landwirtschaftlichen Erzeugung zu Vemehrungszwecken im Feldanbau in ihrem eigenen Betrieb das Ernteerzeugnis bestimmter, in Art. 14 Abs. 2 GemSortV aufgeführter Sorten verwenden, das sie in ihrem eigenen Betrieb durch Anbau von Vermehrungsgut gewonnen haben, wobei es sich nicht um eine Hybride oder eine synthetische Sorte handeln darf. Gemäß Art. 14 Abs. 3 GemSortV ist diese Ausnahmeregelung nur wirksam, wenn der Landwirt bestimmte Verpflichtungen einhält, die in der Nachbauverordnung konkretisiert werden.

b) In der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist geklärt, dass sich ein Landwirt, der dem Sortenschutzinhaber keine angemessene Entschädigung zahlt, wenn er das durch Nachbau gewonnene Vermehrungsgut einer geschützten Sorte nutzt, nicht auf Art. 14 Abs. 1 GemSortV berufen kann, sondern eine Sortenschutzverletzung begeht und deshalb nach Art. 94 GemSortV auf Unterlassung, Zahlung einer angemessenen Entschädigung und bei schuldhaftem Handeln auch auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden kann (EuGH, Urteil vom 10. April 2003 - C-305/00, Slg. 2003 I 3525 = GRUR 2003, 868 Rn. 71 - Christian Schulin gegen Saatgut-Treuhandverwaltungsgesellschaft mbH).

c) Für den hier zu entscheidenden Fall, dass der Landwirt seinen Auskunftspflichten nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist, kann nichts anderes gelten.

Die Gesellschaft, für deren Verbindlichkeiten die Beklagten als Gesellschafter einzustehen haben, hat durch die Erzeugung von Vermehrungsmaterial Handlungen vorgenommen, die gemäß Art. 13 Abs. 2 Buchst. a GemSortV grundsätzlich dem Sortenschutzinhaber vorbehalten sind. Die Ausnahmeregelung in Art. 14 Abs. 1 GemSortV greift nicht, weil die Gesellschaft die in Art. 14 Abs. 3 Spiegelstrich 6 GemSortV und Art. 8 Abs. 2 Satz 2 Buchst. c GemNachbauV festgelegte Pflicht, die Menge des Ernteguts anzugeben, nicht ordnungsgemäß erfüllt hat. Dabei kann dahingestellt bleiben, bis zu welchem Zeitpunkt die Verpflichtung zur Auskunft und zur Zahlung eines angemessenen Entgelts spätestens erfüllt werden muss, um eine Haftung nach Art. 94 GemSortV auszuschließen. Im Streitfall sind die Beklagten jedenfalls deshalb zum Schadensersatz verpflichtet, weil die Gesellschaft für die in Rede stehenden Zeiträume unzutreffende Angaben gemacht und dadurch ihre Auskunftspflicht hinsichtlich der nicht gemeldeten Mengen verletzt hat. Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht angenommen, dass diese Pflichtverletzung schuldhaft begangen worden ist.

d) Der damit entstandene Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Vergütung und Schadensersatz ist durch die Mitwirkung bei der Betriebsprüfung nicht wieder entfallen. Die Ansprüche aus Art. 94 GemSortV sind nicht allein auf Nachholung der nicht ordnungsgemäß erfolgten Mitwirkungshandlung (hier auf Korrektur der unrichtigen Auskunft) gerichtet. Sie sind deshalb durch die spätere Korrektur der Angaben - die ohnehin nicht auf Initiative der Beklagten erfolgt ist - nicht weggefallen.

2. Danach hängt die Entscheidung des Rechtsstreits von der Frage ab, wie die nach Art. 94 Abs. 1 GemSortV geschuldete angemessene Vergütung und der nach Art. 94 Abs. 2 GemSortV geschuldete Schadensersatz zu bemessen sind.

a) In der Literatur wird aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach ein Landwirt, der die in Art. 14 Abs. 3 GemSortV festgelegten Pflichten nicht erfüllt, eine Sortenschutzverletzung begeht, zum Teil abgeleitet, dass die angemessene Vergütung anhand des Durchschnittsbetrages der Gebühr zu berechnen sei, die in demselben Gebiet für die Erzeugung einer entsprechenden Menge in Lizenz von Vermehrungsmaterial der geschützten Sorten der betreffenden Pflanzenarten verlangt wird (Leßmann/Würtenberger, Handbuch zum deutschen und europäischen Sortenschutz, 2. Auflage, § 3 Rn. 70; Krieger, Der Nachbau von geschützten Pflanzensorten in Deutschland, S. 219). Ergänzend wird auf die Regelung in Art. 18 Abs. 2 GemNachbauV hingewiesen, nach der bei wiederholten vorsätzlichen Verstößen gegen die Pflicht aus Art. 14 Abs. 3 Spiegelstrich 4 GemSortV mindestens ein Pauschalbetrag in Höhe des Vierfachen der genannten Gebühr als Schadensersatz geschuldet ist. Soweit ersichtlich haben sich alle bislang mit der Frage befassten Instanzgerichte in Deutschland dieser Auffassung angeschlossen (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 14. Oktober 2004 - 2 U 18/04, InstGE 5, 31). Sie wird auch in den Materialien zu der Regelung im deutschen Sortenschutzgesetz vertreten, die mit den Bestimmungen über den gemeinschaftlichen Sortenschutz insoweit im Wesentlichen inhaltsgleich ist (BT-Drucks. 13/7038, S. 14).

b) Nach einer anderen Auffassung führt die Anwendbarkeit von Art. 94 GemSortV nicht dazu, dass ein Verletzer, der die Möglichkeit hat, die Sonderregelung in Art. 14 GemSortV in Anspruch zu nehmen, und die dafür geltenden Voraussetzungen nicht einhält, in jeder Hinsicht gleich zu behandeln ist wie ein Dritter, der nicht zu dem in Art. 14 Abs. 1 GemSortV genannten Personenkreis gehört. Wenn die Schutzrechtsverletzung lediglich daraus resultiert, dass der Verletzer die in Art. 14 Abs. 3 GemSortV und in der Nachbauverordnung normierten Verhaltenspflichten nicht beachtet hat, soll die nach Art. 94 Abs. 1 GemSortV zu zahlende Vergütung vielmehr anhand des Entgelts zu bemessen sein, das im Falle eines berechtigten Nachbaus geschuldet ist (Keukenschrijver, Festschrift für Eike Ullmann, S. 465, 471; Scharen in: Benkard, Patentgesetz, 10. Auflage, § 9c PatG Rn. 24).

c) Nach Auffassung des Senats ist die Auslegung von Art. 94 Abs. 1 GemSortV nicht offenkundig. Der Wortlaut der Vorschrift ("angemessene Vergütung") lässt beide Auslegungsmöglichkeiten zu. Die Regelungssystematik, wonach der Landwirt bei Verstößen gegen die in Art. 14 Abs. 3 GemSortV festgelegten Verpflichtungen eine Sortenschutzverletzung begeht, könnte für die zuerst genannte Auffassung sprechen. Das nach Art. 94 Abs. 1 GemSortV entscheidende Kriterium der Angemessenheit spricht demgegenüber eher dafür, dem Sortenschutzinhaber nur insoweit einen Ausgleich zuzubilligen, als seine Rechtsposition durch die Pflichtverletzung beeinträchtigt worden ist. Unter diesem Gesichtspunkt könnte es überzogen erscheinen, die bei einem Verstoß gegen die Pflichten aus Art. 14 Abs. 3 GemSortV geschuldete Vergütung nach denselben Maßstäben zu bestimmen wie die Vergütung bei unerlaubter Vornahme von Handlungen, die stets der Zustimmung des Sortenschutzinhabers bedürfen. Dies könnte dafür sprechen, bei der Bemessung der angemessenen Vergütung zu berücksichtigen, ob ein Verletzer die Möglichkeit hat, die Sonderregelung in Art. 14 GemSortV in Anspruch zu nehmen, und die Schutzrechtsverletzung lediglich daraus resultiert, dass er die dafür maßgeblichen Verhaltenspflichten nicht beachtet hat.

Die Erwägung, die Bemessung der angemessenen Vergütung anhand des nach § 14 Abs. 3 Spiegelstrich 4 GemSortV und Art. 5 GemNachbauV ohnehin geschuldeten Entgelts könnte für potentielle Verletzer einen Anreiz bilden, ihren Pflichten aus Art. 14 Abs. 3 GemSortV nicht oder unzureichend nachzukommen, führt nicht zwingend zu einer abweichenden Beurteilung. Die angemessene Vergütung gemäß Art. 94 Abs. 1 GemSortV wird auch bei nicht schuldhaften Verletzungshandlungen geschuldet. Dies spricht eher dagegen, sonstige Zielsetzungen, insbesondere die Erzielung einer Straf- oder Abschreckungswirkung, bei der Bemessung dieser Vergütung zu berücksichtigen.

3. Sofern die angemessene Vergütung gemäß Art. 94 Abs. 1 GemSortV anhand des Entgelts für rechtmäßigen Nachbau zu bemessen ist, stellt sich die Anschlussfrage, ob der Sortenschutzinhaber den nach Art. 94 Abs. 2 GemSortV zu ersetzenden weiteren Schaden in der Weise berechnen darf, dass er pauschal die höhere Vergütung für die Erteilung einer Lizenz für die Erzeugung von Vermehrungsmaterial ansetzt.

a) Nach Art. 94 Abs. 2 GemSortV hat der Verletzer dem Sortenschutzinhaber im Falle eines schuldhaften Verstoßes auch den weiteren aus der Verletzung entstandenen Schaden zu ersetzen. Dazu gehören alle Schäden, die über den Entgang einer angemessenen Vergütung, die schon nach Art. 94 Abs. 1 GemSortV zu ersetzen ist, hinausgehen. Solche Schäden hat die Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit - abgesehen von vorgerichtlich entstandenen Anwaltskosten - nicht geltend gemacht.

b) Art. 94 Abs. 2 GemSortV könnte auch dahin auszulegen sein, dass der Sortenschutzinhaber bei schuldhaftem Handeln des nachbauenden Landwirts seinen Schaden pauschal auf der Grundlage der üblichen Gebühr für die Erzeugung von Vermehrungsmaterial in Lizenz berechnen darf.

(1) Nach der ständigen Rechtsprechung der deutschen Gerichte kann der wegen Verletzung eines Immaterialgüterrechts zu ersetzende Schaden auf drei unterschiedliche Arten ermittelt werden. Der Geschädigte kann den Schaden anhand der ihm konkret entstandenen Vermögenseinbußen berechnen. Alternativ kann er den Schaden anhand des vom Verletzer erzielten Gewinns oder anhand einer angemessenen Lizenzgebühr ermitteln. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt es sich hierbei nicht um verschiedene Ansprüche mit unterschiedlichen Rechtsgrundlagen. Es geht vielmehr nur um Variationen bei der Ermittlung des gleichen einheitlichen Schadens (BGH, Urteil vom 25. September 2007 - X ZR 60/06, BGHZ 173, 374 Rn. 7 - Zerkleinerungsvorrichtung), oder genauer formuliert, um unterschiedliche Methoden zur Ermittlung eines zur Kompensation des Schadens des Schutzrechtsinhabers angemessenen und erforderlichen Betrags (Melullis, GRUR Int. 2008, 679, 682). Der zu ersetzende Schaden liegt bereits in der Beeinträchtigung des absoluten Rechts und der mit diesem verbundenen, allein dem Inhaber zugewiesenen Nutzungsmöglichkeiten (BGHZ 173, 374 Rn. 16 - Zerkleinerungsvorrichtung; BGH, Urteil vom 14. Mai 2009 - I ZR 98/06, BGHZ 181, 98 Rn. 69 - Tripp-Trapp-Stuhl; Melullis, GRUR Int. 2008, 679, 682; v. Ungern-Sternberg, GRUR 2009, 460, 462).

(2) Dies steht in Einklang mit der - im Streitfall noch nicht anwendbaren - Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (ABl. EU L 195 S. 16; im Folgenden: Richtlinie).

Die Richtlinie dient dem Zweck, die innerstaatlichen Vorschriften über Schadensersatz und weitere Sanktionen bei der Verletzung von Immaterialgüterrechten zu vereinheitlichen. Dieser Zweck legt es nach Auffassung des Senats nahe, die in der Richtlinie normierten Grundsätze auch bei der Auslegung der Sortenschutzverordnung zu berücksichtigen, in deren Anwendungsbereich ein Rückgriff auf innerstaatliches Recht gemäß Art. 93 und Art. 97 Abs. 3 Gem-SortV grundsätzlich ausgeschlossen ist.

Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie haben die Gerichte bei der Festsetzung des Schadensersatzes alle in Frage kommenden Aspekte zu berücksichtigen, wie die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen, einschließlich der Gewinneinbußen für die geschädigte Partei und der zu Unrecht erzielten Gewinne des Verletzers, sowie in geeigneten Fällen auch andere als die rein wirtschaftlichen Faktoren, wie den immateriellen Schaden für den Rechtsinhaber. Stattdessen können sie in geeigneten Fällen den Schadensersatz als Pauschalbetrag festsetzen, und zwar auf der Grundlage von Faktoren wie mindestens dem Betrag der Vergütung oder Gebühr, die der Verletzer hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des betreffenden Rechts des geistigen Eigentums eingeholt hätte.

c) Auch wenn danach viel dafür spricht, dass der Sortenschutzinhaber den ihm nach Art. 94 Abs. 2 GemSortV zu ersetzenden Schaden auf der Grundlage einer angemessenen Lizenzgebühr berechnen darf, folgt daraus im vorliegenden Zusammenhang nicht zwingend, dass als Maßstab für diese Berechnung die übliche Gebühr für die Erzeugung von Vermehrungsmaterial in Lizenz heranzuziehen ist.

Zwar ist die als Schadensausgleich zu zahlende Lizenzgebühr nach Auffassung des Senats aus den oben genannten Gründen so zu bemessen, dass sie den Wert der Nutzung des verletzten Immaterialgüterrechts widerspiegelt. Zu den Faktoren, die für den Wert eines Gemeinschaftssortenschutzrechts bestimmend sind, könnte aber auch der Umstand gehören, dass der Inhaber - anders als bei anderen Immaterialgüterrechten - nicht jede Benutzungshandlung untersagen darf, sondern ein bestimmter Personenkreis unter den in Art. 14 GemSortV und der Nachbauverordnung festgelegten Voraussetzungen befugt ist, das Ernteerzeugnis im eigenen Betrieb zu verwenden, und hierfür lediglich eine Entschädigung zu zahlen hat, die deutlich unter der Gebühr liegt, die Dritte für die Erzeugung von Vermehrungsmaterial in Lizenz zu zahlen haben. Daraus könnte zu folgern sein, dass diese niedrigere Entschädigung auch bei der Schadensberechnung im Wege der Lizenzanalogie zu Grunde zu legen ist, sofern die Schutzrechtsverletzung darin besteht, dass die in Art. 14 GemSortV und der Nachbauverordnung normierten Pflichten nicht eingehalten worden sind.

d) Ein Anspruch auf Schadensersatz auf der Grundlage der Gebühr für die Erzeugung von Vermehrungsmaterial kann auch nicht offenkundig aus Art. 18 Abs. 2 GemNachbauV hergeleitet werden.

Nach dieser Bestimmung ist ein Landwirt, der im Hinblick auf eine oder mehrere Sorten desselben Sortenschutzinhabers wiederholt vorsätzlich die Pflicht zur Zahlung einer angemessenen Nachbauentschädigung verletzt, zum Ersatz des weiteren Schadens gemäß Art. 94 Abs. 2 GemSortV verpflichtet. Hierbei schuldet er mindestens einen Pauschalbetrag, der auf der Grundlage des Vierfachen des Durchschnittsbetrages der Gebühr berechnet wird, die in demselben Gebiet für die Erzeugung einer entsprechenden Menge in Lizenz von Vermehrungsmaterial der geschützten Sorten der betreffenden Pflanzenarten verlangt wird.

Dies könnte dafür sprechen, dass bei der Bemessung des nach Art. 94 Abs. 2 GemSortV zu ersetzenden weiteren Schadens auch außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 18 Abs. 2 GemNachbauV nicht nur der Ausgleich erlittener Vermögenseinbußen, sondern auch andere Zielsetzungen, insbesondere eine Bestrafung oder Abschreckung, von Bedeutung sind.

Dagegen könnte aber sprechen, dass die Berücksichtigung solcher Zwecke in Art. 18 Abs. 2 GemNachbauV nur für einen eng begrenzten Ausnahmefall vorgesehen ist, während Art. 94 Abs. 2 GemSortV für alle übrigen Konstellationen entsprechende Sanktionen gerade nicht vorsieht.

4. Im Zusammenhang mit Art. 94 Abs. 1 und 2 GemSortV wird ferner die Auffassung vertreten, eine Organisation, die im Auftrag zahlreicher Inhaber von Sortenschutzrechten Rechtsverletzungen verfolgt und die Rechte der Inhaber wahrnimmt, könne im Falle einer Rechtsverletzung als Ersatz für den ihr entstehenden Kontroll- und Überwachungsaufwand pauschal einen Zuschlag von 100 % des von einem vertragstreuen Lizenznehmer zu zahlenden Betrages verlangen (Krieger, Der Nachbau von geschützten Pflanzensorten in Deutschland, S. 231 ff.). Diese Auffassung knüpft an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Verletzung von Aufführungsrechten an. In diesem Bereich billigt der Bundesgerichtshof seit langem der Verwertungsgesellschaft, die solche Rechtsverstöße verfolgt, einen so genannten Verletzerzuschlag von 100% der üblichen Lizenzgebühr zu. Ausschlaggebend für die Zubilligung dieses Zuschlages ist der Umstand, dass Verletzungen der betreffenden Rechte nur mit ungewöhnlich hohem Aufwand aufgedeckt werden können. Charakteristisch dafür ist zum einen, dass einschlägige Rechtsverletzungen in unübersehbarem Umfang an verschiedenen Orten gleichzeitig stattfinden können (BGH, Urteil vom 22. Januar 1986 - I ZR 194/83, BGHZ 97, 37, 50 f. - Filmmusik), zum anderen, dass die Verletzungshandlung (die Wiedergabe eines urheberrechtlich geschützten Werks) nicht in einem bestimmten Gegenstand verkörpert ist (BGH, Urteil vom 15. Oktober 1987 - I ZR 96/85, GRUR 1988, 296, 299 - Gema-Vermutung IV).

Eine Anwendung dieser Grundsätze im vorliegenden Zusammenhang kommt nach Auffassung des Senats kaum in Betracht. Dabei kann offenbleiben, ob die Ermittlung von Verstößen gegen die Pflichten aus Art. 14 Abs. 3 Gem-SortV einen vergleichbaren Aufwand erfordert. Es fehlt schon deshalb an einer vergleichbaren Interessenlage, weil eine unerlaubte Nachbauhandlung typischerweise in materiellen Gegenständen verkörpert ist. Der Senat hält aber auch die Beantwortung dieser Frage für nicht offenkundig, zumal Art. 18 Abs. 2 GemNachbauV für einen - hier nicht einschlägigen Sonderfall - eine vergleichbare Regelung vorsieht, nach der der Sortenschutzinhaber sogar das Vierfache der sonst üblichen Gebühr verlangen kann.

Meier-Beck Keukenschrijver Mühlens Gröning Bacher Vorinstanzen:

LG München I, Entscheidung vom 24.01.2008 - 7 O 4210/07 -

OLG München, Entscheidung vom 29.10.2009 - 6 U 2375/08 -






BGH:
Beschluss v. 30.09.2010
Az: Xa ZR 123/09


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