Bundespatentgericht:
Beschluss vom 25. Januar 2001
Aktenzeichen: 6 W (pat) 25/00

(BPatG: Beschluss v. 25.01.2001, Az.: 6 W (pat) 25/00)

Tenor

Das Patent wird mit den in der mündlichen Verhandlung als Hilfsantrag 1 überreichten 5 Patentansprüchen und den übrigen Unterlagen lt. Erteilung beschränkt aufrechterhalten. Insoweit wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe

I Die Erteilung des Patents auf die am 27. April 1995 eingereichte Patentanmeldung ist am 6. Februar 1997 veröffentlicht worden.

Der erteilte Patentanspruch 1 lautet:

"Scheibenbremse für Fahrzeuge, insbesondere Straßenfahrzeuge, mit einem eine Bremsscheibe umfassenden Bremssattel, in dessen rückwärtigen, bremsscheibenabgewandten und weitgehend geschlossenen Bereich eine Zuspanneinheit angeordnet ist, wobei die Zuspanneinheit mit einem von einem Betätigungszylinder schwenkbaren Drehhebel versehen ist und der Drehhebel mittels eines Exzenters auf eine gegen Federkraft in Richtung der Bremsscheibe verschiebbare, wenigstens eine mit einem Druckstück versehene Stellspindel aufweisende Brücke einzuwirken vermag, gekennzeichnet durch folgende Merkmale:

die Zuspanneinheit (13) ist als vormontierte Einheit bei von der Bremsscheibe (3) abgenommenem Bremssattel (1) durch die der Bremsscheibe zugewandte Öffnung in den Bremssattel einführbar."

Zur Fassung der Ansprüche 2 bis 6, die direkt oder indirekt auf den Patentanspruch 1 rückbezogen sind, wird auf die Patentschrift verwiesen.

Nach Prüfung von drei Einsprüchen hat die Patentabteilung 12 des Deutschen Patent- und Markenamts durch Beschluß vom 3. März 2000 das Patent in vollem Umfang aufrechterhalten. Dabei ist sie auch auf die Zulässigkeit der erteilten Patentansprüche eingegangen. Patentanspruch 1 sei durch die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen gedeckt. Er gehe auf den ursprünglichen Anspruch 1 zurück und sei durch Angaben aus der ursprünglichen Beschreibung geändert worden. Der weitgehend geschlossene rückwärtige Bereich nach dem Oberbegriff des erteilten Anspruchs 1 sei im Kennzeichen des ursprünglichen Anspruchs 1 unter a) offenbart. Die einteilige Ausbildung dieses Bereichs nach dem ursprünglichen Anspruch 1 beziehe sich auf das Ausführungsbeispiel nach Fig 1 der Anmeldung. Der Fachmann entnehme den ursprünglichen Unterlagen, dass eine einteilige Gestaltung des Bremssattels besonders kostensparend sei, weil es als einteiliges Gussteil hergestellt werden könne. Weiterhin werde ihm vermittelt, dass es vor allem darauf ankomme, dass der bremsscheibenabgewandte, rückwärtige Bereich des Bremssattels im wesentlichen geschlossen sei. Um die im Stand der Technik ausgemachten Nachteile zu beseitigen, sei es danach nicht unbedingt erforderlich, dass der Bremssattel einteilig ausgebildet sei. Der Fachmann erkenne also auch aus den ursprünglichen Unterlagen, dass es genüge, den rückwärtigen Bereich im wesentlichen geschlossen auszubilden. Auf die Forderung nach einer Einteiligkeit des Bremssattels könne mithin verzichtet werden. Die vor der Erteilung vorgenommene Änderung des Hauptanspruchs gehe somit nicht über die Angaben in den ursprünglichen Unterlagen hinaus und sei zulässig.

Gegen diesen Beschluß hat die Einsprechende III Beschwerde eingelegt.

Mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2000 eingegangen am 5. Oktober 2000, hat die Patentinhaberin die Teilung des Patents erklärt. Abgeteilt hat sie den Gegenstand des erteilten Unteranspruchs 6.

In der mündlichen Verhandlung hat die Patentinhaberin Patentansprüche 1 bis 5 gemäß Hilfsantrag 1 und Patentansprüche 1 bis 5 gemäß Hilfsantrag 2 eingereicht.

Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 lautet:

"Scheibenbremse für Fahrzeuge, insbesondere Straßenfahrzeuge, mit einem eine Bremsscheibe umfassenden einteiligen Bremssattel, in dessen rückwärtigen, bremsscheibenabgewandten und weitgehend geschlossenen Bereich eine Zuspanneinheit angeordnet ist, wobei die Zuspanneinheit mit einem von einem Betätigungszylinder schwenkbaren Drehhebel versehen ist und der Drehhebel mittels eines Exzenters auf eine gegen Federkraft in Richtung der Bremsscheibe verschiebbare, wenigstens eine mit einem Druckstück versehene Stellspindel aufweisende Brücke einzuwirken vermag, gekennzeichnet durch folgende Merkmale:

die Zuspanneinheit (13) ist als vormontierte Einheit bei von der Bremsscheibe (3) abgenommenem Bremssattel (1) durch die der Bremsscheibe zugewandte Öffnung in den Bremssattel einführbar."

Zur Fassung der Ansprüche 2 bis 5 gemäß Hilfsantrag 1 wird auf die überreichten Unterlagen verwiesen.

Zur Begründung ihrer Beschwerde vertritt die Einsprechende die Auffassung, dass der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 durch das Fehlen eines auf die Einteiligkeit des Bremssattels gerichteten Merkmals gegenüber den ursprünglichen Unterlagen unzulässig erweitert sei. Dieser Einspruchsgrund sei vom Senat auch noch im Beschwerdeverfahren zu überprüfen. Durch das Suffix "-bar" im Merkmal der Einführbarkeit der Zuspanneinheit (letztes Wort im Anspruch) könne die Aufgabe nicht gelöst werden. Im übrigen komme es für die Lösung der Aufgabe nicht auf die spezielle Art der Zuspanneinheit mit einem Exzenter an und Öffnungen in nicht von Bremskräften belasteten Bereichen des Bremssattels seien für den Patentgegenstand ebenfalls unwesentlich. Damit werde der Patentgegenstand durch den Stand der Technik nahgelegt.

Die Einsprechende beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise das Patent mit den in der mündlichen Verhandlung als Hilfsantrag 1 überreichten 5 Patentansprüchen, weiter hilfsweise mit den als Hilfsantrag 2 überreichten 5 Patentansprüchen, jeweils mit den übrigen Unterlagen lt. Erteilung beschränkt aufrechtzuerhalten und die Beschwerde insoweit zurückzuweisen.

Die Patentinhaberin ist der Auffassung, daß die behauptete unzulässige Erweiterung während der Einspruchsfrist nicht als Widerrufsgrund genannt worden sei und daher im Beschwerdeverfahren vom Senat auch nicht mehr aufgegriffen werden dürfe. Darüber hinaus liege eine unzulässige Erweiterung gar nicht vor, da der Fachmann aus den ursprünglichen Unterlagen erkenne, dass das Patent zwei selbständige Erfindungen beinhalte, nämlich erstens, sowie expressis verbis angegeben, mit einteiligem Bremssattel, und zweitens, wie es sich für den fachkundigen Leser aus dem Merkmal der Vormontage der Zuspanneinheit und deren Einführung in den Bremssattel von der Bremsscheibenseite her erschließe, ohne notwendige Einteiligkeit des Bremssattels. Des weiteren werde der Patentgegenstand nicht durch den Stand der Technik nahegelegt.

Im übrigen wird auf den Inhalt der Akte verwiesen.

II Die Beschwerde ist zulässig und hat insoweit Erfolg, als sie zur Aufhebung des Beschlusses der Patentabteilung 12 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 3. März 2000 und zur beschränkten Aufrechterhaltung des Patents auf Grundlage der Patentansprüche 1 bis 5 nach Hilfsantrag 1 führt.

1.) Das Patent betrifft gemäß Haupt- und Hilfsanträgen eine Scheibenbremse für Fahrzeuge.

Nach den für den Haupt- und die Hilfsanträge gleichlautenden Darlegungen in der Beschreibungseinleitung der Patentschrift 195 15 063 ist bei bekannten Scheibenbremsen innerhalb des rückwärtigen Teiles eines eine Bremsscheibe umfassenden Bremssattels eine mit einem von einem Betätigungszylinder beaufschlagbaren Drehhebel versehene Zuspanneinrichtung vorgesehen, welche eine zwei Stellspindeln mit Druckstücken tragende, am Bremssattel verschiebbar abgestützte Brücke aufweist. Das auf den bremsscheibenabgewandten Teil der Brücke exzentrisch einwirkende Ende des Drehhebels stützt sich am rückwärtigen Ende des Bremssattels ab. Der rückwärtige Abschnitt des Bremssattels ist als gesondertes Gehäuse ausgeführt, welches entlang einer Trennlinie mit dem Bremssattel verschraubbar ist. Die Bremsreaktionskräfte werden bei Bremsbetätigung rückwärtig in den aufgeschraubten Gehäuseabschnitt eingeleitet, was Verschraubungs-, Festigkeits- und Dichtprobleme hervorrufen kann, insbesondere bei den bei Scheibenbremsen der in Rede stehenden Art geforderten Standzeiten. Des weiteren ist ein einteiliger Bremssattel bekannt, welcher in seinem rückwärtigen, die Reaktionskräfte der Zuspanneinheit aufnehmenden Bereich weitgehend geschlossen ist. Die Zuspanneinheit wird bei derartigen Scheibenbremsen in ihren Einzelteilen durch eine im wesentlichen seitlich angesetzte Öffnung eingeführt. Die endgültige Montage erfolgt demnach innerhalb des Bremssattels, was mit beträchtlichem Zeitaufwand und gegebenenfalls mit dem Problem ungenauer Einpassung verbunden ist.

Die zu lösende Aufgabe besteht daher darin, eine Scheibenbremse der gattungsgemäßen Art so auszugestalten, dass bei problemfreier Einleitung der Brems-Reaktionskräfte am Bremssattel eine noch weitergehende Schließung des Bremssattelgehäuses ermöglicht ist. Hierdurch sollen am Bremssattel vorhandene Dichtbereiche vollkommen unbeeinflußt sein von Brems- bzw Bremsreaktionskräften, um bei Formstabilität des Bremssattelgehäuses die geforderte Betriebssicherheit während längeren Einsatzes zu gewährleisten.

Diese Aufgabe soll gemäß Haupt- und Hilfsanträgen mit den Merkmalen des jeweiligen Patentanspruchs 1 gelöst werden.

2.) Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag ist gegenüber der sich aus dem Gesamtinhalt der Anmeldeunterlagen ergebenden ursprünglichen Offenbarung unzulässig erweitert.

Entsprechend § 38 PatG sind bis zum Beschluß über die Erteilung des Patents Änderungen der in der Anmeldung enthaltenen Angaben nur insoweit zulässig, als sie den Gegenstand der Anmeldung nicht erweitern. Damit kann der Gegenstand der Anmeldung nicht über den aus den Unterlagen vom Anmeldetag entnehmbaren objektiven Offenbarungsinhalt hinaus erstreckt werden. Die Grenze für die Zulässigkeit von Änderungen einer Anmeldung ist somit stets der Gegenstand der Anmeldung, wie er sich aus den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen ergibt. Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Änderung ist daher immer, dass ein Merkmal, auf das das Schutzbegehren bezogen werden soll, in den ursprünglichen Unterlagen für den Fachmann, an den sich eine Patentanmeldung wendet, als zur Erfindung gehörend erkennbar offenbart ist bzw dass durch Weglassen von Merkmalen ein ursprünglich enger definierter Gegenstand nicht umfassender wird, wenn dieser umfassendere Gegenstand ursprünglich nicht als offenbart erkennbar war. Daran mangelt es im vorliegenden Fall.

Im erteilten Patentanspruch 1 ist das Merkmal enthalten, dass die "Scheibenbremse .... einen eine Bremsscheibe umfassenden Bremssattel" aufweist. Dieses den Bremssattel beschreibende Merkmal umfasst alle Möglichkeiten der Ausbildung eines Bremssattels mit der einzigen Einschränkung, dass er eine Bremsscheibe umfassen muss. Das im erteilten Patentanspruch 1 verwendete Merkmal des Bremssattels läßt somit offen, aus wie vielen Teilen der Bremssattel besteht, dh ob er ein- oder mehrteilig ist.

Demgegenüber enthält der am Anmeldetag eingereichte Patentanspruch 1 das Merkmal, dass "der Bremssattel ... einteilig ausgebildet" ist. Gemäß diesem Merkmal ist eine mehrteilige Ausbildung des Bremssattels ausgeschlossen.

Auch den gesamten übrigen am Anmeldetag eingereichten Unterlagen vermag der Fachmann - ein Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Allgemeiner Maschinenbau mit mehrjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der Konstruktion von Scheibenbremsen für Fahrzeuge - keine nicht einteilige Ausbildung des Bremssattels zu entnehmen.

Schon die Beschreibungseinleitung Absatz 2 der Seite 1 der ursprünglichen Beschreibung stößt den fachkundigen Leser allein auf die sich aus der Mehrteiligkeit des gattungsgemäßen Bremssattels ergebenden Nachteile, nämlich dass bei einem mehrteiligen Bremssattel an der Trennlinie zwischen den Teilen Verschraubungs-, Festigkeits- und Dichtprobleme bestehen. Folgerichtig und nachvollziehbar wird im folgenden Absatz als Aufgabe "eine problemfreie Einleitung der Brems-Reaktionskräfte am Bremssattel" genannt, wobei im besonderen "am Bremssattel vorhandene Dichtbereiche vollkommen unbeeinflußt sein" sollen. Diese Aufgabe wird gemäß Seite 2, Abs 2 durch die kennzeichnenden Merkmale des Patentanspruchs 1 gelöst. Dort wird als Erstes postulliert: Der Bremssattel ist einteilig ausgebildet. Alle weiteren Merkmale des Anspruchs 1 sind diesem Merkmal untergeordnet.

Im weiteren Text befassen sich die folgenden Stellen mit der Einteiligkeit des Bremssattels:

Seite 2, Absatz 3, Zeile 1: "... die einteilige Gestaltung des Bremssattels ....", Seite 2, letzte 2 Zeilen: "Figur 1 ... Darstellung des einteiligen Bremssattels ....".

Seite 3, letzter Absatz, 1. Satz: "Der Bremssattel ist gemäß der Erfindung einteilig ausgeführt, dh der eine Zuspanneinheit 13 aufnehmende Abschnitt und der die Bremsscheibe 3 umfassende Abschnit sind einteilig als Guss- oder Schmiedeteil ausgeführt."

Seite 3, drittletzte Zeile: "des einteiligen Bremssattels", Seite 4, letzter Absatz, Zeile 1, 2: "... Abschnitt des einteiligen Bremssattels ....".

Seite 6, Absatz 2, Zeilen 13, 14: "... am einteilig mit dem Bremssattel bestehenden rückwärtigen Sattelabschnitt ...".

Seite 6, Absatz 2, Zeile 15: "des einteiligen Bremssattels"

Seite 7, Absatz 2: "... das Prinzip der Verwendung eines einteiligen Bremssattels ....".

Irgendwelche Textstellen, die eine andere, nicht einteilige Ausgestaltung des Bremssattels in den Bereich von Überlegungen rücken lassen, sind den ursprünglichen Anmeldeunterlagen nicht zu entnehmen.

Der Grundgedanke, den ein fachkundiger Leser den gesamten ursprünglichen Unterlagen entnimmt, zielt - beginnend mit den Mängeln des Standes der Technik - auf die zwingende Einteiligkeit des Bremssattels, wobei die Definition dieser Einteiligkeit ebenfalls an verschiedenen Stellen der ursprünglichen Beschreibung, der Seite 3, letzter Absatz, 1. Satz, der Seite 4, Absatz 3, 1. Satz und der Seite 7, 2. Absatz, letzte 10 Zeilen in Verbindung mit Seite 6, letzter Absatz erfolgt.

Bei dieser eindeutigen Sachlage ist die Auffassung der Patentinhaberin, der fachkundige Leser der Anmeldeunterlagen könne aus dem Merkmal der Vormontage der Zuspanneinheit und deren Einführung in den Bremssattel von der Bremsscheibenseite her eine Ausführungsform ohne zwingende Einteiligkeit des Bremssattels erkennen, reine Spekulation. Denn die für den in Betracht gezogenen Stand der Technik allein reklamierten Nachteile (Verschraubungs-, Festigkeits- und Dichtprobleme), die mit der vorliegenden Erfindung gerade beseitigt werden sollen, würden bei einer Mehrteiligkeit, ohne die geringste Verbesserung erreicht zu haben, wieder vorhanden sein. An der Abstützung von Brücke und Drehhebel am rückwärtigen Ende des Bremssattels änderte sich nämlich gegenüber dem in Betracht gezogenen Stand der Technik dadurch nichts.

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Zusammenfassend ist somit festzustellen, daß der Fachmann den am Anmeldetag eingereichten Unterlagen nur entnehmen kann, daß die einteilige Ausbildung des Bremssattels zwingend ein Teil der offenbarten Lehre ist. Da der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag kein die Einteiligkeit des Bremssattels betreffendes Merkmal enthält, ist dieser Patentanspruch gegenüber dem Offenbarungsumfang der am Anmeldetag eingereichten Anmeldungsunterlagen unzulässig erweitert.

Die Patentansprüche 2 bis 5 gemäß Hauptantrag fallen mit dem in Bezug genommenen Patentanspruch 1.

Entgegen der Auffassung der Patentinhaberin hat der Senat die vorstehende unzulässige Erweiterung auch aufgreifen dürfen.

Wie der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung "Aluminium-Trihydroxid" (GRUR 1995, 333, 337) ausgeführt hat, hat das Deutsche Patent- und Markenamt im Einspruchsverfahren die Einspruchsgründe zu prüfen, die von den Beteiligten gemäß § 59 PatG ordnungsgemäß vorgebracht und begründet worden sind. Allerdings sei das Patentamt weder an diese zur Rechtfertigung des Einspruchs geltend gemachten Gründe und Tatsachen gebunden noch in seiner Prüfung, ob das Patent aufrechtzuerhalten sei, auf diese Gründe beschränkt. Vielmehr könne es nach pflichtgemäßem Ermessen von Amts wegen weitere Widerrufsgründe in das Verfahren einbeziehen und aufgrund dieser Gründe das Patent widerrufen. Das Bundespatentgericht sei demgegenüber zwar nicht auf die Rechtskontrolle gegenüber dem Patentamt beschränkt. Durch die Beschwerde werde der angefochtene Beschluss aber nur im Umfang des erstinstanzlichen Streitgegenstandes zur Überprüfung unterbreitet. Insoweit überprüfe es die angefochtene Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht, ohne an den beim Patentamt für die Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalt gebunden zu sein. Es sei allerdings gehindert, von Amts wegen erstmalig neue Widerrufsgründe nach § 21 Abs 1 PatG in das Verfahren einzuführen, die nicht Gegenstand des Einspruchsverfahrens vor dem Patentamt waren. Auch aus dem Untersuchungsgrundsatz des § 87 Abs 1 PatG folge nicht die Befugnis des Bundespatentgerichts, dem Beschwerdeverfahren einen anderen, von den Beteiligten oder dem Deutschen Patent- und Markenamt im Einspruchsverfahren nicht ordnungsgemäß eingeführten Widerrufsgrund zugrunde zu legen und hierauf die Entscheidung über die Beschwerde zu stützen. Neue Einspruchsgründe, die nicht als Grundlage für die Entscheidung der Einspruchsabteilung gedient hätten, dürften grundsätzlich nicht mehr in das Verfahren eingeführt werden.

Im vorliegenden Fall hat sich die Einspruchsabteilung ausführlich mit der Frage einer unzulässigen Erweiterung auseinandergesetzt. Wenn sie zum Ergebnis kommt, auf die Forderungen nach einer Einteiligkeit des Bremssattels könne verzichtet werden und die vor der Erteilung vorgenommene Änderung des Hauptanspruchs gehe somit nicht über die Angaben in den ursprünglichen Unterlagen hinaus und sei also zulässig, vertritt die Einspruchsabteilung zwar eine andere Auffassung als der erkennende Senat, es wird aber auch deutlich, dass diese Frage von ihr in das Einspruchsverfahren eingeführt und dort erörtert worden ist. Somit war der Senat weder gehindert, dem Beschwerdeverfahren diesen ordnungsgemäß eingeführten Widerrufsgrund zugrunde zu legen noch hierauf die Entscheidung über die Beschwerde zu stützen. Schließlich ist es die ureigenste Aufgabe des Einspruchsbeschwerdeverfahrens, die Entscheidung - gleich in welcher Richtung - der Vorinstanz zu überprüfen.

3.) Die Patentansprüche gemäß Hilfsantrag 1 sind zulässig und patentfähig. Sie unterscheiden sich von den Patentansprüchen gemäß Hauptantrag einzig und allein darin, dass die Einteiligkeit es Bremssattels vorgeschrieben ist.

a) Die am 5. Oktober 2000 eingegangene Teilung des Stammpatents ist zulässig, da der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 6 aus dem Stammpatent abgeteilt wurde und in diesem nicht mehr weiterverfolgt wird.

b) Die Patentansprüche 1 bis 5 sind der Patentschrift (Patentansprüche 1 bis 5 iVm Beschreibung Sp 1, Z 51, Sp 2, Z 15 und 39 und Sp 5, Z 7) zu entnehmen und in den ursprünglichen Unterlagen (ua Patentansprüche 1 bis 5) offenbart, was auch in der mündlichen Verhandlung nicht strittig war.

c) Der Patentanspruch 1 liefert eine klare technische Lehre zur Lösung der Aufgabe. Der Senat kann sich der Auffassung der Einsprechenden nicht anschließen, dass durch die Verwendung des Begriffes "einführbar" im Patentanspruch 1 die dem Patent zugrunde liegende Aufgabe nicht gelöst werden könne. Der Fachmann versteht den Wortlaut des Patentanspruchs 1 nämlich so, dass die im Oberbegriff des Patentanspruchs 1 näher definierte Zuspanneinheit einschließlich ihres dazugehörigen schwenkbaren Drehhebels in die bremsscheibenzugewandte Öffnung des Bremssattels vormontiert einführbar ist. Damit sind dem Fachmann klare Anweisungen bezüglich der technischen Ausgestaltung von Zuspanneinheit und Öffnung im Bremssattel an die Hand gegeben, ohne dass es weiterer Angaben bedarf, um die entscheidende Richtung zur Lösung der Aufgabe einschlagen zu können.

d) Die unbestritten gewerblich anwendbare Scheibenbremse nach dem Patentanspruch 1 ist in der Gesamtheit der in diesem Patentanspruch angegebenen Merkmale aus keiner der zum Stand der Technik genannten Druckschriften bekannt und somit neu.

Aus der nicht vorveröffentlichten, jedoch prioritätsälteren und Deutschland als Bestimmungsland nennenden WO 96/12900, die somit ausschließlich bei der Neuheitsprüfung zu berücksichtigen ist, ist eine Scheibenbremse bekannt, bei der der Bremssattel an der bremsscheibenabgewandten Seite mit einem Deckel 2 verschlossen ist, auf den die Bremsreaktionskräfte einwirken. Damit unterscheidet sich die patentgemäße Scheibenbremse von der WO 96/12900 bereits durch die einteilige Ausbildung des Bremssattels.

Bezüglich der übrigen Druckschriften ergibt sich die Neuheit aus den folgenden Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit.

e) Die Lehre nach dem Patentanspruch 1 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Aus der deutschen Patentschrift 26 14 321 ist eine Scheibenbremse bekannt, die bereits sämtliche Merkmale des Oberbegriffs des Patentanspruchs 1 aufweist, dem Fachmann jedoch keinerlei Anregung in Richtung der kennzeichnenden Merkmale des Patentanspruchs 1 zu vermitteln vermag. Es ist der gesamten Beschreibung nämlich keine Angabe über eine Gesamtmontage, geschweige denn eine Montage der Zuspanneinheit einschließlich ihres Drehhebels 46 als vormontierte Einheit durch die der Bremsscheibe zugewandte Öffnung in den Bremssattel entnehmbar. Der Fachmann entnimmt vielmehr der einzigen Figur der deutschen Patentschrift, dass zur Montage der Bremse Teile der Zuspanneinheit durch unterschiedliche Öffnungen im Bremssattel eingeführt werden müssen und erst im Bremssattel endgültig zur kompletten Zuspanneinheit zusammengefügt werden können.

Ähnlich verhält es sich auch mit der Scheibenbremse gemäß der deutschen Offenlegungsschrift 36 10 569, die den Patentgegenstand ebenfalls nicht nahezulegen vermag. Nachdem die Beschreibung der deutschen Offenlegungsschrift keinerlei Aussage über die Montage bzw den Einbau der Zuspanneinheit enthält, ist der Fachmann - falls er sich beim Studium der deutschen Offenlegungsschrift überhaupt Gedanken über die Montage der Bremse macht - auf das Verständnis der Figuren angewiesen. Diesen entnimmt der Fachmann jedoch, dass die Montage von Teilen der Zuspanneinheit zum einen durch die Deckelöffnung des Zylinderdeckels 13 (Fig 2) und zum anderen von der bremsscheibenzugewandten Öffnung her in den Bremssattel erfolgen muss. Eine Montage der Zuspanneinheit als vormontierte Einheit ist somit nicht möglich, und schon gar nicht von der bremsscheibenzugewandten Seite her, da gemäß Figur 2 zumindest im Mittenbereich der Zuspannvorrichtung der Bremssattel bremsscheibenseitig verschlossen ist. Damit vermag die deutsche Offenlegungsschrift 36 10 569 mangels jeglichen Vorbildes dem Fachmann keinerlei Anregung in Richtung der patentgemäßen Lehre zu vermitteln.

Aus der EP 0 271 864 A 2 ist eine Scheibenbremse einer anderen Grundkonstruktion bekannt. Hier wird die Zuspannbewegung durch Verdrehen zweier Drehkörper mit Nockenflächen gegeneinander erreicht, so dass diese bekannte Konstruktion bereits keinen Exzenter, keine Brücke und keinen schwenkbaren Drehhebel aufweist. Darüber hinaus zeigt diese bekannte Konstruktion keinen bremsscheibenabgewandten weitgehend geschlossenen Bereich eines einteiligen Bremssattels, da dieser an der genannten Stelle mit einem Deckel verschlossen ist. Ein Einbau der Zuspanneinheit von der Bremsscheibenseite her in den Bremssattel ist nicht beschrieben. Auch eine Montage der Zuspanneinheit als vormontierte Einheit ist an keiner Stelle der Beschreibung angesprochen, vielmehr wird angeordnet, dass die Montage durch Zusammenfügung der Einzelteile im Bremssattel erfolgt (Sp 5, Zen 34 bis 37 und Sp 6, Zen 36 bis 43). Da somit wesentliche konstruktive Voraussetzungen fehlen, vermag die EP 0 271 864 A2 - selbst wenn man der Auffassung der Einsprechenden folgen würde, dass der konstruktive Aufbau der Zuspanneinheit entgegen den Merkmalen im Patentanspruch 1 auch andersartig, zB wie bei der EP 0 271 864 A2, sein könne - dem Fachmann keine Anregung in Richtung der patentgemäßen Lehre zu geben.

Aus der deutschen Offenlegungsschrift 43 07 019 ist eine Scheibenbremse bekannt, bei der die Teile der Zuspanneinrichtung nur von der bremsscheibenabgewandten Seite in den Bremssattel eingeführt werden können. Dies ergibt sich insbesondere aus Figur 2, nach der die bremsscheibenzugewandte Öffnung des Bremssattels zu klein ist, um die Zuspanneinheit einschließlich des Drehhebels insgesamt einführen zu können. Weiterhin ist die bremsscheibenabgewandte Seite des Bremssattels mit einem massiven Deckel 12 verschlossen, der sämtliche Zuspannkräfte aufnehmen muss. Gerade das soll aber beim Streitgegenstand vermieden werden, weswegen dort an der bremsscheibenabgewandten Seite der einteilige Bremssattel weitgehend geschlossen ist. Über eine Montage allgemein bzw speziell eine Montage der Zuspanneinheit als vormontierte Einheit ist in der gesamten Schrift nichts ausgesagt. Die einzige Aussage, die Schlüsse für die Montage zulassen könnte, bezieht sich ausschließlich auf die Nachstellvorrichtung, die als Baueinheit eingesetzt werden können soll (Sp 3, Zeilen 64 bis 67). Einen Anhaltspunkt liefert jedoch ausschließlich der Umstand, dass ein ausreichender Freiraum 26 im Deckel zur Verfügung steht, in den eine Nachstellvorrichtung eingesetzt werden könnte. Von der Montage der Nachstelleinrichtung etwa auf die Montage der Zuspanneinheit zu schließen, ist unzulässig, da beide Teile auch bezüglich ihrer Größenordnungen und Einbauverhältnisse nicht miteinander vergleichbar sind. Irgendwelche Hinweise in Richtung der patentgemäßen Lösung sind demnach auch hier nicht vorhanden.

Aus der deutschen Offenlegungsschrift 40 32 886 ist eine Scheibenbremse bekannt, bei der die Gruppen Drehantrieb und Synchronisiereinrichtung von der bremsscheibenabgewandten Seite in den Bremssattel einführbar sind und dieser durch einen aus zwei Einzeldeckeln zusammengesetzten Deckelteil verschlossen wird. Damit handelt es sich gerade um einen solchen Stand der Technik, der mit der Erfindung verbessert werden soll. Eine Anregung in Richtung auf die Erfindung kann die Offenlegungsschrift damit nicht geben.

In der mündlichen Verhandlung wurde noch die Firmenschrift "Lucas Automotive Ltd 1993, 3 Seiten: A 2742, A 2803, A 2804" eingereicht. Diese Schrift enthält im wesentlichen eine Beschreibung der bereits in der EP 0 271 864 A2 dargestellten Scheibenbremse und lässt vor allem in Figur 2 auf Seite A 2742 deutlich erkennen, dass der Bremssattel nicht einteilig ist und der Drehhebel erst nach zumindest teilweise montierter Zuspanneinheit von der bremsscheibenabgewandten Seite her auf der Betätigungswelle festlegbar ist. Damit vermag diese Schrift dem Fachmann keinen Anstoß zu geben, in Richtung der patentgemäßen Lehre vorzugehen.

Die übrigen in der mündlichen Verhandlung zu den Patentansprüchen nach Hilfsantrag 1 sachlich nicht mehr aufgegriffenen weiteren Entgegenhaltungen kommen dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 ersichtlich nicht näher als die vorstehend erörterten Druckschriften. Jedenfalls zeigt keine dieser Entgegenhaltungen auch nur ansatzweise die im Patentanspruch 1 angegebene Lehre, wonach eine Zuspanneinheit, die ua einen schwenkbaren Drehhebel aufweist, als vormontierte Einheit durch die der Bremsscheibe zugewandte Öffnung in den einteiligen Bremssattel einführbar ist.

Nachdem keine einzelne der im Verfahren befindlichen Druckschriften eine Anregung in Richtung des im Prinzip einzigen Merkmals des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1 zu geben vermag, kann selbstverständlich auch eine beliebige Zusammenschau dieser Druckschriften den Fachmann nicht dazu anregen, die Zuspanneinheit als vormontierte Einheit in den Bremssattel von der Bremsscheibenseite her einzuführen.

Nach alldem war es daher nach Überzeugung des Senats nicht möglich, ohne erfinderische Tätigkeit zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 zu gelangen; eine in der Sache andere Beurteilung könnte nur auf einer unzulässigen rückschauenden Betrachtungsweise aus der Kenntnis des Patentgegenstandes heraus beruhen.

4.) Die Patentansprüche 2 bis 5 nach Hilfsantrag 1 betreffen vorteilhafte Ausgestaltungen des Gegenstandes nach dem Patentanspruch 1 und werden von dessen Patentfähigkeit getragen.

Rübel Heyne Trüstedt Schmidt-Kolb Cl/Hu






BPatG:
Beschluss v. 25.01.2001
Az: 6 W (pat) 25/00


Link zum Urteil:
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