Bundespatentgericht:
Urteil vom 31. März 2009
Aktenzeichen: 3 Ni 30/08

(BPatG: Urteil v. 31.03.2009, Az.: 3 Ni 30/08)

Tenor

1.

Das europäische Patent 0 711 887 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

2.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten des Rechtsstreits und der Nebenintervention gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des am 13. April 1995 angemeldeten undu. a. mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in deutscher Sprache erteilten europäischen Patents 0 711 887 (Streitpatent), das vom Deutschen Patentund Markenamt unter der Nummer DE 595 00 006 geführt wird und die Bezeichnung "Werkzeug zur Nacharbeit von Fugen aus dauerelastischer Fugenmasse" trägt. Das Streitpatent beansprucht die deutsche Priorität DE 94 13 523 U vom 23. August 1994 und umfasst 10 Patentansprüche, die sämtlich mit der vorliegenden Nichtigkeitsklage angegriffen sind, und wie folgt lauten:

1. Werkzeug zur Nacharbeit von Fugen, die mit dauerelastischer Fugenmasse, insbesondere Kunststoffmasse gefüllt sind, welches eine ebene Platte mit einer im Wesentlichen konstanten Dicke und mit einem umlaufenden, beidseitig senkrecht zur Plattenebene (1) überstehenden Rand (2) ist, der seinerseits aus drei aneinander anschließenden Kanten besteht, wobei zwei Kanten (3,4) gerade sind und eine Kante (5) bogenförmig verläuft, wobei die beiden geraden Kanten (3, 4) sowie die längere der beiden geraden Kanten (3) und die gebogene Kante

(5) einen spitzen Winkel einschließen, dadurch gekennzeichnet, dass das Werkzeug aus einem Elastomer besteht und im Innern relativ dünn und weich ist und somit durch Biegen optimal angepasst werden kann.

2.

Werkzeug nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die gebogene Kante (5) in einem konvexen Bogen verläuft.

3.

Werkzeug nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass die Ecke, die von der längeren der beiden geraden Kanten (3) und von der gebogenen Kante (5) gebildet wird, abgerundet ist.

4.

Werkzeug nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass der Abstand der gebogenen Kante (5) von der längeren gerade Kante (3) stetig in Richtung der kürzeren geraden Kante (4) zunimmt.

5.

Werkzeug nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die kürzere gerade Kante (4) bogenförmig in die gebogene Kante (5) übergeht.

6.

Werkzeug nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass der Winkel zwischen kürzerer gerader Kante (4) und gebogener Kante (5) ein rechter Winkel ist.

7.

Werkzeug nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Stirnfläche des Randes (2) ganz oder teilweise senkrecht der Plattenebene (1) verläuft.

8.

Werkzeug nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Außenseite des Randes (2) in einer Kante in seine Oberund/oder Unterseite übergeht.

9.

Werkzeug nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass der Überstand des Randes (2) in Richtung auf das Plattenzentrum zu abnimmt.

10.

Werkzeug nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Platte eine Dicke von 3 bis 20 mm, vorzugsweise 5 bis 10 mm, die längere gerade Kante

(3) eine Länge von 50 bis 120 mm und die kürzere gerade Kante (4) eine Länge von 30 bis 60 mm aufweist und der Rand (3) auf jeder Seite 1 bis 5 mm übersteht.

Die Klägerinnen, die das Streitpatent vollumfänglich angreifen und den Nichtigkeitsgrund fehlender Patentfähigkeit wegen mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit geltend machen, beziehen sich u. a. auf folgende Dokumente:

HA 2 (E1) Das Heimwerker-Magazin "Selbst ist der Mann", Nr. 11, November 1988, Deckblatt und Seite 73;

HA 3 (E2) Gebrauchsmuster DE 85 03 947 U1.

Die Klägerinnen berufen sich insoweit im Hinblick auf die fehlende Neuheit des Patentgegenstandes gemäß Patentanspruch 1 auf das Dokument HA2 und im Hinblick auf die fehlende erfinderische Tätigkeit auf die Druckschriften HA2 und HA3 und machen geltend, dass sich für den maßgeblichen Fachmann ausgehend von dem in Dokument HA 2 offenbarten "Kunststoffkeil" als gattungsgemäßer und nächstliegender Stand der Technik lediglich die Problemstellung hätte ergeben können, aus welchem Kunststoff das Werkzeug beschaffen sei. Diese Lücke über die spezifische Eigenschaft des Materials werde aber durch die vorveröffentlichte Druckschrift HA 3 gefüllt, die bereits 1985 ein entsprechendes Werkzeug, nämlich eine elastische Fugenschablone aus Gummi oder gummiähnlichem Material mit einer Shore-Härte von ca. 60-70, offenbart habe. Der Fachmann sei deshalb bei der Suche nach einem geeigneten Werkstoff zur Herstellung des Werkzeugs zwangsläufig auf die HA 3 gestoßen. Dies gelte auch für die Unteransprüche. Der Beklagte könne sich auch nicht auf die in der Entscheidung T 0064/01 der Technischen Beschwerdekammer 3.2.3 des Europäischen Patentamts vom 29. Januar 2003 (B3) geäußerte Ansicht berufen, dass die in der HA 3 angegebene Shore-Härte von ca. 60-70 derjenigen zwischen Feldspat und Quarz entspreche.

Denn diese Bewertung beruhe offensichtlich auf einem Irrtum und sei mit dem Offenbarungsgehalt der HA 3 nicht vereinbar, wie das LG Mannheim (HA 6) und OLG Karlsruhe (HA 7) in dem anhängigen Verletzungsverfahren ebenfalls ausdrücklich bestätigt hätten.

Die Klägerinnen beantragen, das europäische Patent EP 0 711 887 B2 mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang für nichtig zu erklären.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält den Gegenstand des Streitpatents für patentfähig und macht geltend, dass das in Dokument HA 2 dargestellte und mit "Kunststoffkeil" bezeichnete Werkzeug nicht die mit Merkmal 10 beanspruchte Beschaffenheit eines Elastomers aufweise. Auch die HA 3 offenbare nur ein Werkzeug, welches aufgrund des angegebenen Bereichs der Shore-Härte von 60-70 ein Biegen des Werkzeugs während des Arbeitens nicht gestatte, da diesem Wertebereich eine Härte entspreche, die sich zwischen den Materialien Feldspat und Quarz einordne. Derartige Materialien ließen sich aber nicht biegen. Insoweit macht sich der Beklagte auch die Gründe der Entscheidung B3 zu Eigen.

Der Beklagte verweist zur Stützung seines Vorbringens auf folgende Unterlagen:

B1a Internetauszug zur Härte von Gummihämmern B1b Katalogauszug über "Hochelastik Labor-Rollen" der Firma FTA B1c Internetauszug über Angebote von Motorradreifen B2 Tabelle zum Begriff "Härte" aus Brockhaus-Enzyklopädie, 19. Auflage, Band 9, Seite 502 B3 Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.2.3 des Europäischen Patentamts vom 29. Januar 2003, Aktenzeichen T 0064/01 -3.2.3, über die Aufrechterhaltung des Patents EP 0 711 887 B2.

Der Senat hat informationshalber das Verfahren 3 Ni 19/05 in das Verfahren eingeführt. Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

Gründe

I.

Die Klage ist zulässig und begründet. Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund fehlender Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit a EPÜ i. V. m. Art. 56 EPÜ) führt zur Nichtigerklärung des Streitpatents mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland, da der Patentgegenstand gegenüber dem sich aus HA 2 i. V.m. HA 3 ergebenden Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, sondern für den hier maßgeblichen Fachmann nahegelegt war.

1. Das Streitpatent betrifft nach der Streitpatentschrift [0001] ein Werkzeug zur Nacharbeit von Fugen, die mit dauerelastischer Fugenmasse, insbesondere Kunststoffmasse gefüllt sind, welches eine ebene Platte mit einer im Wesentlichen konstanten Dicke und mit einem umlaufenden, beidseitig senkrecht zur Plattenebene überstehenden Rand ist, der seinerseits aus drei aneinander anschließenden Kanten besteht, wobei zwei Kanten gerade sind und eine Kante bogenförmig verläuft, wobei die beiden geraden Kanten sowie die längere der beiden geraden Kanten und die gebogene Kante einen spitzen Winkel einschließen.

In [0002] ist ausgeführt, dass bei der Bearbeitung von Fugen das überschüssige Fugenmaterial oft nur sehr schwer geglättet oder abgetragen werden könne. Als Werkzeuge kämen dabei die Spachtel oder ähnliche Hilfsmittel in Betracht. An Kanten, Ecken oder anderen unzugänglichen Stellen sei jedoch mit diesen Werkzeugen eine Bearbeitung nicht oder nur sehr schwer möglich, weil die Form und die Abmessungen der Werkzeuge kein Glattstreichen an ungünstigen Punkten erlaubten. Außerdem seien die Werkzeuge auch bei ebenen Flächen umständlich zu handhaben, da sie meist einen Griff aufwiesen, der mit der ganzen Hand umfasst werde. Von den bekannten Werkzeugen werde die Fugenmasse in dem Sinne nur schlecht aufgenommen, dass sie während des Glattstreichens wieder von dem Werkzeug falle und dadurch Teile in der Umgebung, z. B. Fliesen, verunreinige (vgl. [0003]).

Zum Stand der Technik verweist die Streitpatentschrift in [0005] auf ein aus dem -unbestritten zum Stand der Technik zu rechnenden -Prospekt HA 2 bekanntes, gattungsgemäßes und dort als Kunststoffkeil bezeichnetes Werkzeug, welches sich aber nur in begrenztem Umfang zur Aufnahme des abgetragenen Materials eigne.

2.

Vor diesem technischen Hintergrund bezeichnet es die Streitpatentschrift als zu lösendes technisches Problem, ein Werkzeug anzugeben, mit dem bei verbesserter Handhabung Fugen geglättet werden können, und mit dem überschüssiges Fugenmaterial exakt und ohne weitere Hilfsmittel abgetragen werden kann ([0006]).

3.

Zur Lösung dieser Aufgabe beschreibt Patentanspruch 1, nach Merkmalen gegliedert, ein Werkzeug zur Nacharbeit von Fugen, die mit dauerelastischer Fugenmasse, insbesondere Kunststoffmasse gefüllt sind;

M1 das Werkzeug ist eine ebene Platte, M2 die Platte weist eine im Wesentlichen konstante Dicke auf, M3 die Platte hat einen umlaufenden Rand (2), M4 der Rand (2) steht beidseitig senkrecht zur Plattenebene (1) über, M5 der Rand (2) besteht seinerseits aus drei aneinander anschließenden Kanten, M6 zwei Kanten (3, 4) sind gerade, M7 eine Kante (5) verläuft bogenförmig, M8 die beiden geraden Kanten (3, 4) schließen einen spitzen Winkel ein, M9 die längere (3) der beiden geraden Kanten und die gebogene Kante (5)

schließen einen spitzen Winkel ein, dadurch gekennzeichnet, dass M10 das Werkzeug aus einem Elastomer besteht, M11 das Werkzeug im Innern relativ dünn ist, M12 das Werkzeug im Innern relativ weich ist, M13 das Werkzeug somit durch Biegen optimal angepasst werden kann.

Hierzu wird in der Streitpatentschrift in [0007] ausgeführt: "Erfindungsgemäß wird die Aufgabe dadurch gelöst, dass das Werkzeug aus einem Elastomer besteht und im Innern relativ dünn und weich ist und somit durch Biegen optimal angepasst werden kann." In [0008] heißt es u. a.: "Durch den umlaufenden Rand wird das überschüssige, abgestriffene Fugenmaterial löffelartig vom Werkzeug aufgenommen, wodurch verhindert wird, dass sich das Fugenmaterial wieder an Fliesen oder anderen der Fuge benachbarten Teile absetzt. Außerdem ist das Werkzeug durch die Kanten verstärkt, wodurch die Platte am Rand relativ hart ist und eine maximale Kraftentwicklung gegeben ist, ohne dass die Flexibilität des Werkzeugs leidet, da es im Inneren relativ dünn und weich ist und somit durch Biegen optimal angepasst werden kann". In [0009] heißt es: "Als Material findet ein Elastomer Verwendung, um ausreichende Flexibilität, genügende Festigkeit am Rand und Abriebfestigkeit zu erreichen". In [0010] heißt es u. a.: "Um die Flexibilität im Inneren und die Festigkeit am Rand zu gewährleisten ist es außerdem notwendig, das Werkzeug entsprechend zu bemaßen".

Weiterhin erläutert die Beschreibung in den Absätzen [0018] und [0019], dass die Zeichnung (nachfolgend abgebildet)

in schematischer Darstellung ein erfindungsgemäßes Werkzeug zeigt mit der Sicht auf eine Plattenebene (1), welche von einem umlaufenden Rand (2) umgeben wird, der wiederum aus einer längeren geraden Kante (3), einer kürzeren geraden Kante (4) und einer gebogenen Kante (5) gebildet wird, so dass ungefähr die Form eines Dreiecks entsteht. Die Ecke zwischen der längeren geraden Kante (4) und der gebogenen Kante ist abgerundet und ist ebenso wie der Winkel, der von den beiden geraden Kanten (3, 4) eingeschlossen wird, spitz. Die Außenseite des umlaufenden Randes (2) verläuft senkrecht der Plattenebene (1) und geht in rechtem Winkel in die Oberund Unterseite des Randes (2) über, so dass eine weitere Kante entsteht, mit der sich überschüssiges Material gut aus einer Fuge abstreifen lässt.

II.

1.

Als zuständiger Durchschnittsfachmann ist vorliegend ein mit der Ausführung von Verfugungsarbeiten vertrauter Handwerksmeister im Bereich Innenausbau / Fliesen / Sanitär anzusehen.

2.

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents erweist sich als nicht patentfähig. Die zur Lösung der Problemstellung beanspruchte technische Lehre des angegriffenen Patentanspruchs 1, welche ausgehend von der HA 2 als nächstliegend ergebenden Stand der Technik objektiv darin zusehen ist, durch geeignete Auswahl des Kunststoffmaterials eine verbesserte Handhabung des Werkzeugs zu erzielen, war dem Fachmann in Kenntnis der Druckschrift HA 3 nahegelegt und bedurfte keiner erfinderischen Tätigkeit.

2.1 Hinsichtlich der kennzeichnenden Merkmale des angegriffenen Patentanspruchs 1 ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass einzig das Merkmal M10, welches für das Material des Werkzeugs ein Elastomer angibt, eine gegenständlich unterscheidbare Konkretisierung gegenüber dem Stand der Technik darstellt. In dieser Materialangabe unterscheidet sich der Gegenstand des Streitpatents insbesondere von dem Kunststoffkeil nach der HA 2. Da diesem Prospekt keinerlei weitere Angaben zum Material des unbestritten in seiner geometrischen Beschaffenheit (Merkmale M1 bis M9) identisch mit dem Patentgegenstand übereinstimmenden Keils zu entnehmen sind, ist das Werkzeug nach dem angegriffenen Patentanspruch 1 als neu anzusehen. Zwar umfasst der Begriff Kunststoff auch Elastomere; ob ein solches aber bei dem in dem Prospekt abgebildeten Kunststoffkeil vorliegt, bleibt mangels weiterer diesbezüglicher Angaben offen, so dass die HA 2 jedenfalls kein Werkzeug speziell aus einem Elastomer offenbart.

Nach dem Merkmal M11 des Patentanspruchs 1 soll das Werkzeug "im Inneren relativ dünn" sein. Diese Eigenschaft ergibt sich nach Auffassung des Senats jedoch zwangsläufig aus den Merkmalen M1 bis M4 im Oberbegriff des Anspruchs 1 insofern, als bei einer ebenen Platte mit im Wesentlichen konstanter Dicke, welche einen beidseitig senkrecht zur Plattenebene überstehenden, umlaufenden Rand aufweist, aufgrund der geometrischen Verhältnisse das Innere der Platte notwendigerweise dünner ist als der diese umgebende Rand. Da weitere Angaben im Anspruchswortlaut dazu fehlen, gegenüber welcher anderen Größe das Platteninnere "relativ dünn" sein soll, verbleibt als Bezugsgröße alleine der überstehende Rand des Werkzeugs. Dem Merkmal M11 kommt somit keine konkrete gegenständliche Unterscheidungskraft zu, die über die in den Merkmalen M1 bis M4 definierten geometrischen Verhältnisse hinausgeht.

Dies gilt analog auch für die Angabe im Merkmal M12, dass das Werkzeug "im Inneren relativ weich" sein soll. Wiederum mangels weiterer diesbezüglicher Angaben im Patentanspruch 1 ist nämlich davon auszugehen, dass das in Rede stehende Werkzeug materialeinheitlich aus dem in Merkmal M10 beanspruchten Elastomer besteht, so dass insbesondere das Platteninnere und der Rand aus demselben Material bestehen. Es liegt im Fachwissen des Fachmanns, dass die konkrete Elastizität eines Materials bei ansonsten gleichen Verhältnissen von dessen Dicke abhängt. Es ist für ihn daher selbstverständlich, dass ein relativ dünner Bereich (Inneres der Platte) weicher sein muss als ein demgegenüber dickerer Bereich in Form der überstehenden Plattenränder. Auch das Merkmal M12 gibt somit keine Konkretisierung des Gegenstandes des Patentanspruchs 1, die nicht schon in den Merkmalen M1 bis M4 i. V. m. der Materialangabe nach Merkmal M10 vorweggenommen ist.

Schließlich kann auch dem Merkmal M13 des Patentanspruchs 1 lediglich entnommen werden, dass das Werkzeug biegbar ist. Die Angabe, wonach "das Werkzeug somit durch Biegen optimal angepasst werden kann", könnte nur insoweit als merkmalsbildend angesehen und zur Abgrenzung gegenüber dem Stand der Technik herangezogen werden, als hierin eine körperliche oder funktionale Eigenschaft des beanspruchten Gegenstands liegt. Die Frage, ob eine bestimmte Anweisung zum Gegenstand eines Anspruchs des Patents gehört, entscheidet sich danach, ob sie in dem betreffenden Patentanspruch Ausdruck gefunden hat (vgl. zur st. Rspr. BGH GRUR 2007, 959 -Pumpeinrichtung, BGH GRUR 2007, 778 -Ziehmaschinenzugeinheit; BPatG GRUR 2009, 145, 147 -Fentanylpflasterm. w. H.). Dies ist durch Auslegung des Offenbarungsgehalts des Patentanspruchs und ergänzend der Patentschrift, soweit dieser Niederschlag in den Ansprüchen gefunden hat, zu ermitteln. Den Grundsätzen zu Art. 69 Abs. 1 EPÜ folgend, ist bei der Auslegung eines europäischen Patents der Patentanspruch seinem technischen Sinn nach aufzufassen. Das heißt, dass der Erfindungsgedanke unter Ermittlung von Aufgabe und Lösung, wie sie sich aus dem Patent ergeben, zu bestimmen (vgl BGH Mitt. 1999, 304, 307 -Spannschraube) und maßgebend ist, wie der angesprochene Fachmann die Angaben versteht (vgl. BGH GRUR 2004, 47, 49 -blasenfreie Gummibahn I) und welche Schlussfolgerungen er hieraus für die erfindungsgemäße Beschaffenheit zieht (vgl. zum Herstellungsanspruch: BGH GRUR 2001, 1129, 1133 -zipfelfreies Stahlband). Wenn danach die einzelnen Merkmale auch unter Einbeziehung von Beschreibung und Zeichnungen des betreffenden Patents durch Auslegung zu ermitteln sind, so darf die Einbeziehung jedoch nicht zu einer sachlichen Einengung oder inhaltlichen Erweiterung des durch den Wortlaut festgelegten Patentgegenstands führen (st. Rspr. vgl. z. B. BGH GRUR 2007, 959 -Pumpeinrichtung und BGH GRUR 2007, 778 -Ziehmaschinenzugeinheit -jeweils unter Hinweis auf GRUR 2004, 1023, 1024 -Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung). Auch darf nicht etwa deshalb eine einengende Auslegung zu Grunde gelegt werden, weil mit dieser die Schutzfähigkeit eher bejaht werden kann (BGH GRUR 2004, 47, 49 -blasenfreie Gummibahn I). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann entgegen der Rechtsansicht des Beklagten den kennzeichnenden Merkmalen des Anspruchs 1 des Streitpatents auch unter Berücksichtigung des gesamten Offenbarungsgehalts der Patentschrift weder eine näher spezifizierte Wechselwirkung zwischen der Geometrie des Werkzeugs und der -nicht offenbarten -Elastizitätskonstante bzw. Shore-Härte des verwendeten Kunststoffmaterials entnommen werden, noch insbesondere eine merkmalsbildende Ausgestaltung des Werkzeugs hinsichtlich einer besonders vorteilhaften Verformung bei bestimmungsgemäßem Gebrauch.

Der objektive Merkmalsumfang des Patentanspruchs 1 beschränkt sich nach alledem auf ein Werkzeug mit den Merkmalen M1 bis M9, welches gemäß Merkmal M10 aus einem Elastomer besteht. Alleine in letzterer Materialangabe unterscheidet sich somit der Gegenstand des Streitpatents von dem Kunststoffkeil nach dem Prospekt HA 2.

2.2 Das Deutsche Gebrauchsmuster DE 85 03 947 U1 (HA 3) betrifft ein "Werkzeug zum Ausformen von Fugen aus dauerelastischer Silikon-Verfugungsmasse oder dergleichen" und damit ein dem Gegenstand des Streitpatents unmittelbar vergleichbares Werkzeug. Dieser Druckschrift entnimmt der Fachmann im dortigen Anspruch 1 zunächst den Hinweis, für das Material des Werkzeugs "Gummi oder gummiähnliches Material" zu wählen. Zwar ist in dem weiteren Anspruchswortlaut dieses Material mit der Angabe "mit einer Shorehärte von ca. 60 -70" auf einen bestimmten Härtebereich beschränkt; grundsätzlich erfährt der Fachmann aus diesem Anspruch jedoch die Anregung, für ein solches Werkzeug nicht etwa ein starres, relativ hartes Material zu wählen, sondern eines mit gummiähnlichen Eigenschaften, was -unabhängig von der einschränkenden Härtebereichsangabe -unmittelbar auf ein "Elastomer" als dem Fachmann geläufiger Oberbegriff für gummiähnliche Materialien hinführt. Überdies wird der Fachmann in der Beschreibung der HA 3 ausdrücklich auf die "Elastizität der Fugenschablone" mit den daraus folgenden Vorteilen hingewiesen (s. dort Seite 2, Abs. 2, Zeilen 12 ff.). Falls dem Fachmann hinsichtlich einer vorteilhaften Handhabbarkeit des Fugenwerkzeugs überhaupt Zweifel bezüglich des einzusetzenden Materials verbleiben, so wird er jedenfalls aufgrund der o. a. Offenbarungsstellen der HA 3 in naheliegender Weise auf ein Elastomer hingeführt.

Nach Überzeugung des Senats kann es für die Frage der erfinderischen Tätigkeit dahinstehen, ob der -für eine Neuheitsbetrachtung sicherlich relevante -Härtebereich, wie er in Anspruch 1 der HA 3 festgelegt ist, auch beim Gegenstand des Streitpatents gegeben ist. Mangels näherer Angaben zur Härte des verwendeten Elastomers beim Patentgegenstand kommt es vielmehr lediglich darauf an, ob die HA 3 eine hinreichende Anregung dazu vermittelt, für das Material eines derartigen Werkzeugs, wie es mit seinen übrigen Merkmalen aus dem Prospekt HA 2 bekannt ist, ein Elastomer zu wählen. Dies ist aus den oben genannten Gründen zu bejahen, so dass sich eine weitere Betrachtung der Frage unterschiedlicher Härteangaben und deren Definition bzw. Messverfahren (Shore -A-oder D-bzw. Mohssche Härteskala) bereits aus diesem Grund erübrigt. Entsprechend sieht der Senat damit auch die diesbezüglichen Ausführungen in der von der Beklagten in Bezug genommenen Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.2.3 des Europäischen Patentamts vom 29. Januar 2003 als nicht relevant an, wobei der Beklagtenvertreter im Übrigen in der mündlichen Verhandlung nicht mehr ernstlich abgestritten hat, dass diese Beurteilung auf einem Versehen hinsichtlich der unterschiedlichen Shore-Härte-Messverfahren A und D beruhte und die für Elastomere maßgebliche Shore-Härte A überhaupt nicht in die Betrachtungen einbezogen worden ist.

Nach alledem konnte der Fachmann daher, ausgehend von der HA 2 und gestützt auf die HA 3, mithilfe seines allgemeinen Fachwissens, ohne erfinderisch tätig zu werden, zum Gegenstand des angegriffenen Patentanspruchs 1 gelangen. Der Patentanspruch 1 hat deshalb keinen Bestand.

3. Auch die Gegenstände der Unteransprüche 2 bis 10 des Streitpatents erweisen sich mangels entgegenstehender Umstände nicht als patentfähig. Auch hat der Beklagte insoweit trotz ausdrücklichen Hinweises von Seiten des Senats keine entsprechenden weiteren Anträge gestellt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. §§ 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.

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BPatG:
Urteil v. 31.03.2009
Az: 3 Ni 30/08


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