Oberlandesgericht Oldenburg:
Beschluss vom 10. Mai 2007
Aktenzeichen: 1 Ws 220/07

(OLG Oldenburg: Beschluss v. 10.05.2007, Az.: 1 Ws 220/07)

Zahlungen, die ein Pflichtverteidiger für seine Tätigkeit im Ermittlungsverfahren von einem Dritten erhalten hat, sind auf seine Pflichtverteidigergebühren für die erste Instanz nach § 58 Abs 3 RVG anzurechnen. Das gilt auch dann, wenn der Verteidiger für das Ermittlungsverfahren keine Festsetzung von Pflichtverteidigergebühren beantragt, um eine solche Anrechnung zu vermeiden.

Tenor

Auf die Beschwerde des Verteidigers gegen den Beschluss des Landgerichts Osnabrück vom 21. März 2007,

durch den seine Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten des Landgerichts Osnabrück vom 8. Januar 2007 zurückgewiesen worden ist,

werden die genannten Beschlüsse insoweit aufgehoben, als eine Festsetzung der vom Verteidiger geltend gemachten Tage- und Abwesenheitsgelder abgelehnt worden ist. Insoweit wird die Sache zur erneuten Entscheidung an den Urkundsbeamten zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet verworfen.

Gründe

Der Beschwerdeführer war im Ermittlungsverfahren als Wahlverteidiger tätig. Mit Beschluss des Landgerichts vom 2. Mai 2006 ist er zum Pflichtverteidiger bestellt worden. Während des weiteren - sehr umfangreichen - Verfahrens war er als solcher tätig.

Der Verteidiger hat mit Schriftsatz vom 8. August 2006 die Festsetzung seiner Pflichtverteidigergebühren und Auslagen in Höhe von insgesamt 4.865,52 € geltend gemacht unter Einschluss einer Grundgebühr gemäß Nr. 4100 VV RVG, aber ohne einen gesonderten Ansatz für seine Tätigkeit im Ermittlungsverfahren. Er hat bei der Antragstellung mitgeteilt, er habe für den ersten Rechtszug von Dritten bisher 2.467 € netto erhalten. Diese Zahlung sei gemäß § 58 Abs. 3 Satz 3 RVG nicht auf seine Pflichtverteidigervergütung anzurechnen, weil er unter Berücksichtigung der Zahlung insgesamt nicht mehr als das Doppelte der ihm aus der Staatskasse zustehenden Gebühren erhalten würde. Speziell für das Ermittlungsverfahren habe er von Dritten Vorschüsse erhalten, er mache insofern für das Vorverfahren aber keine Pflichtverteidigergebühren geltend, so dass auch in- soweit keine Anrechnung stattfinde. Auf Nachfrage des Bezirksrevisors hat er angegeben, die für seine Tätigkeit im Ermittlungsverfahren von dritter Seite erhaltenen Zahlungen hätten sich auf insgesamt 29.582,24 € brutto belaufen (26.409,34 € als Gebühren und 3.172,90 € als Auslagen).

Der Urkundsbeamte des Landgerichts hat den Kostenfestsetzungsantrag zurückgewiesen, weil die vom Verteidiger vereinnahmten Zahlungen nach § 58 Abs. 3 RVG insgesamt auf die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren anzurechnen seien. Die hiergegen gerichtete Erinnerung des Verteidigers hat das Landgericht mit Beschluss vom 21. März 2007 zurückgewiesen. Der dagegen eingelegten Beschwerde des Verteidigers hat das Landgericht nicht abgeholfen.

Die Beschwerde ist nach §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 RVG zulässig. In der Sache bleibt sie überwiegend ohne Erfolg.

Das Landgericht hat darauf abgestellt, die erheblichen Zahlungen, die der Verteidiger nach seiner Angabe allein für seine Tätigkeit im Ermittlungsverfahren erhalten hat, seien nach § 58 Abs. 3 RVG anzurechnen, weil sie für einen Verfahrensabschnitt gezahlt worden seien, für den auch die Staatskasse Gebühren zu zahlen habe. Als Verfahrensabschnitt im Sinne der genannten Vorschrift sei nämlich der Instanzenzug anzusehen. Da das Ermittlungsverfahren zur 1. Instanz zähle, seien hierfür vom Verteidiger erhaltene Zahlungen auf seine Pflichtverteidigervergütung anzurechnen.

Abgesehen von der auch vorgenommenen Anrechnung auf Auslagen (dazu s.u.) trifft diese Entscheidung des Landgerichts zu. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung.

7Nach § 58 Abs. 3 RVG sind in Strafsachen Vorschüsse und Zahlungen, die der zum Pflichtverteidiger bestellte Rechtsanwalt vor oder nach der gerichtlichen Bestellung für seine Tätigkeit für bestimmte Verfahrensabschnitte erhalten hat, auf die von der Staatskasse für diese Verfahrensabschnitte zu zahlenden Gebühren anzurechnen. Die Entscheidung über das Rechtsmittel hängt deshalb hier davon ab, was unter €Verfahrensabschnitt€ in diesem Sinne zu verstehen ist. Das RVG enthält hierzu keine ausdrückliche Begriffsbestimmung.

§ 58 Abs. 3 RVG ist allerdings an die Stelle der früheren Regelung von § 101 Abs. 1 und 2 BRAGO getreten. Hierfür war es seit langem allgemein anerkannt, dass sich die dort angeordnete Anrechnung von Zahlungen für die anwaltliche €Tätigkeit in der Strafsache€ auf alle Zahlungen für Tätigkeiten in einer Instanz des Strafverfahrens bezog. Anzurechnen waren insoweit auch Zahlungen, die für die Tätigkeit des Verteidigers im Vorverfahren gezahlt worden waren, und zwar auch dann, wenn die Bestellung erst später erfolgt war, vgl. etwa OLG Düsseldorf, JurBüro 1993, 537. Dem lag zugrunde, dass sich die gesetzliche Anrechnungsregelung ausdrücklich auch auf Zahlungen vor der Bestellung bezog, und fand seine sachliche Rechtfertigung insbesondere darin, dass der in der ersten Instanz bestellte Pflichtverteidiger nach § 97 Abs. 3 BRAGO unabhängig vom Zeitpunkt seiner Bestellung stets einen Gebührenanspruch gegen die Staatskasse für seine Tätigkeit vor Erhebung der öffentlichen Klage besaß. Letztgenannte Regelung ist nunmehr inhaltsgleich in § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG enthalten.

Die dargestellte Anrechnungsregelung hat durch das Inkrafttreten des RVG keine inhaltliche Änderung erfahren. Insbesondere ist der in § 58 Abs. 3 RVG gebrauchte Begriff €Verfahrensabschnitt€ in Sinne der früheren Regelung von § 101 Abs. 1 BRAGO zu verstehen, also als €Instanz des Strafverfahrens€. Das wird so mehrheitlich in der Literatur vertreten (vgl. Göttlich/Mümmler, RVG, 2. Aufl., S. 721; Gerold/Schmidt RVG, 16. Aufl., Rdn. 36; Hartmann, Kostengesetze § 58 RVG Rdn. 19, 20) und ergibt sich insbesondere aus der Gesetzesbegründung zu § 58 Abs. 3 RVG (BT-Drucksache 15/1971 Seite 203). Dort heißt es zu § 58 RVG: €Absatz 3 übernimmt die Regelung des § 101 Abs. 1 und 2 BRAGO in redaktionell angepasster Form€. Eine inhaltliche Änderung im Sinne einer Einschränkung der Anrechenbarkeit war vom Gesetzgeber demnach gerade nicht beabsichtigt.

Eine Einschränkung der Anrechnungsregelung durch Ausklammern des Ermittlungsverfahrens, wie sie demgegenüber der Beschwerdeführer erstrebt, wäre auch mit dem Sinn und Zweck der Anrechnungsregelung nicht vereinbar. Dies insbesondere deshalb, weil der erstinstanzlich bestellte Verteidiger auch nach der Neuregelung durch das RVG unabhängig vom Zeitpunkt seiner Bestellung Gebühren für das Ermittlungsverfahren erhält (§ 48 Abs. 5 Satz 1 RVG). Einer zusätzlichen, zweiten Vergütung des schon anderweitig honorierten Pflichtverteidigers durch die Staatskasse ist insoweit nach wie vor durch die gesetzliche Anrechnungsregelung entgegenzutreten.

Der eindeutige Wille des Gesetzgebers wird von der entgegengesetzten Ansicht (vgl. Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, § 58 Rdn. 12, OLG Frankfurt Aktz.: 2 Ws 164/06, Beschl. v. 14.12.2006), auf die sich der Beschwerdeführer bezieht, nicht berücksichtigt. Die von dieser Ansicht aus der Gesetzesbegründung zu einer anderen Norm des RVG abgeleitete Auslegung des Begriffs Verfahrensabschnitt vermag angesichts der oben dargestellten eindeutigen Aussage des Gesetzgebers speziell zu § 58 Abs. 3 RVG nicht zu überzeugen.

Die Beschwerde kann sich auch nicht mit Erfolg darauf stützen, dass der Verteidiger für das Ermittlungsverfahren keine Gebührenfestsetzung beantragt hat. Abgesehen davon, dass die - von ihm geltend gemachte - Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG jedenfalls bei Beginn seiner anwaltlichen Tätigkeit im Ermittlungsverfahren entstanden ist, kommt es auch nicht darauf an, wofür der Verteidiger eine Erstattung beantragt oder nicht. Sonst könnte er durch bloßes teilweises Nichtbeantragen einer Erstattung erreichen, dass Zahlungen, die er für seine innerhalb einer Instanz erbrachte anwaltliche Tätigkeit erhalten hat, nicht auf sein Pflichtverteidigerhonorar angerechnet werden könnten. Das widerspräche dem Grundgedanken der gesetzlichen Regelung. So wie die Zahlungsanrechnung nicht durch eine Vereinbarung des Anwalts mit dem Mandanten oder dem Zahlenden abgewendet werden kann, so kann sie auch nicht durch die Gestaltung des Festsetzungsantrages ausgeschlossen werden. Maßgeblich ist nicht, welche Gebühren vom Pflichtverteidiger gegenüber der Staatskasse geltend gemacht werden, sondern ob dem Pflichtverteidiger ein Gebührenanspruch gegen die Staatskasse zusteht oder nicht, vgl. Riedel/Sußbauer, RVG, 9. Aufl. 2005,§ 58 Rdn. 26; Gerold/Schmidt aaO Rdn. 37; Hartmann, Kostengesetze § 58 RVG Rdn. 19). Da das vorliegend auch für das Ermittlungsverfahren der Fall ist, hat auch insoweit eine Anrechnung der Vorschüsse zu erfolgen.

Diese führt hier wegen der Höhe der erhaltenen Zahlungen dazu, dass dem Verteidiger keine Pflichtverteidigergebühren zustehen. Die Ablehnung der beantragten Festsetzung ist danach insoweit zu Recht erfolgt.

Soweit allerdings mit der angefochtenen Entscheidung auch die beantragte Festsetzung von Auslagen des Verteidigers abgelehnt worden ist, hat das Rechtsmittel Erfolg. Die von einem Pflichtverteidiger erhaltenen Zahlungen sind nach § 58 Abs. 3 Satz 1 RVG (wie früher nach § 101 Abs. 1 Satz 1 BRAGO) auf die aus der Staatskasse zu zahlenden €Gebühren€ anzurechnen. Jedenfalls wenn die Auslagen, auf die von dritter Seite Zahlungen geleistet wurden, nach Art und Höhe konkret bezeichnet sind, scheidet eine Anrechnung aus, soweit bei Gericht nur solche konkreten Auslagen zur Festsetzung angemeldet werden, auf die bislang keine Zahlungen erfolgt sind.

Davon ist hier aufgrund des Antrags des Beschwerdeführers einerseits und seiner detaillierten Aufstellung über die ihm von Dritter Seite bereits erstatteten Auslagen vom 13. Februar 2007 (Bl. 86 d.A.) andererseits überwiegend auszugehen. Der Verteidiger hat von der Staatskasse nur die Post und Telekommunikationspauschale (VV 7002) sowie Tage- und Abwesenheitsgelder (VV 7005) für seine Teilnahme an den gerichtlichen Verhandlungen beansprucht (Bl. 45 d.A.). Auf diese Auslagen ist ihm nach seiner Aufstellung von dritter Seite nur die Post- und Telekommunikationspauschale gezahlt worden, während die übrigen Zahlungen andere Auslagen abdeckten, nämlich Schreibauslagen und Fahrtkosten.

Die Tage- und Abwesenheitsgelder sind daher zugunsten des Verteidigers festzusetzen. Insoweit ist die Sache allerdings noch nicht entscheidungsreif, weil eine Prüfung der Höhe dieser Auslagen durch den Urkundsbeamten bislang nicht erfolgt ist. Eine eigene Entscheidung des Senats hierüber ist nicht tunlich. Die Sache war daher insoweit unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und der Ausgangsentscheidung des Urkundsbeamten an letzteren zurückzuverweisen.

Die Entscheidung über die Beschwerde ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden, nicht erstattet (§ 56 Abs.2 Satz 2 und 3 RVG).






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Az: 1 Ws 220/07


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