Bundespatentgericht:
Beschluss vom 13. August 2002
Aktenzeichen: 30 W (pat) 202/01

(BPatG: Beschluss v. 13.08.2002, Az.: 30 W (pat) 202/01)

Tenor

Auf die Beschwerde der Widersprechenden werden die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 9 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 4. Juli 2001 und vom 2. März 2001 aufgehoben.

Wegen der Gefahr von Verwechslungen mit der Marke 2 905 874 wird die Löschung der eingetragenen Marke 396 29 244 hinsichtlich folgender Waren und Dienstleistungen angeordnet:

Elektrische Apparate und Instrumente (soweit in Klasse 9 enthalten), insbesondere Geräte der Funk- und Nachrichtentechnik, der Telekommunikation sowie Geräte für die Navigation, Peilung und Ortung; Sender, Sendeempfänger, Empfänger, Antennen, Sensoren, Modems, Transponder, Funketiketten, Prozessrechner, Steuer- und Kontrollgeräte Funk-Schreib-/-Lesegeräte für Transponder oder Funketiketten, insbesondere Tunnel-Schreib-/-Lesegeräte Rahmenantennen-Schreib-/-Lesegeräte, mobile Schreib-/-Lesegeräte, Desk-Top-Schreib-/-Lesegeräte, Transponder Funketiketten-Schreib-/Ausgabegeräte, Transponder/Funketiketten-Lese-/Einsammelgeräte; Geräte zur Aufzeichnung, Übertragung und Wiedergabe von Daten, Ton und Bild, insbesondere Geräte zur Gewinnung, Übertragung, Auswertung und Erkennung von Informationen, wie Sprach-, Video- und Datensignalen; Rechenmaschinen, Datenverarbeitungsgeräte und Computer, Magnetaufzeichnungsträger, beispielsweise mit Programmen versehene maschinenlesbare Datenträger aller Art; optisch lesbare Speicher, Computerprogramme; Schiffahrts-, Vermessungs-, photographische, Film-, optische Wäge-, Meß-, Signal-, Kontroll-, Rettungs- und Unterrichtsapparate und -instrumente, soweit in Klasse 9 enthalten; Teile sämtlicher vorgenannter Waren und/oder aus diesen Waren und/oder ihren Teilen zusammengesetzte Anlagen, Maschinen und Geräte (soweit in Klasse 9 enthalten), insbesondere Logistiksysteme für den Transport- oder Produktionsbereich, Identifizierung-, Steuerung- oder Abfertigungssysteme für Objekte und/oder Personen; Gepäckidentifizierungs-, steuerungs- und/oder -transportsysteme, Ladungseinheiten-, Verfolgungs- und/oder Steuerungssysteme, Fahrgastabfertigungssysteme, Zutrittskontrollsysteme, Datenfunksysteme mit oder ohne Zugang zu Kabelnetzen, Systeme und Komponenten zur Datennetzkoppelung, autarke lokale bzw regionale Funkkommunikationsnetze sowie automatische Produktfertigungs- und -lagersysteme; Spezialbehälter, insbesondere Spezialgehäuse, die den vorgenannten Apparaten, Instrumenten, Geräten, Maschinen, Anlagen bzw. deren Teilen angepasst sind; Dienstleistungen auf dem Gebiet der Telekommunikation; Entwicklung; Erstellung, Wartung und Pflege von Programmen für die Datenverarbeitung; Vermietung von Datenverarbeitungsanlagen und -systemen und Teilen davon; Entwicklung, Erstellung, Wartung, Pflege und Vermietung von kundenspezifischen Hard- und/oder Software-Systemen und deren Teile für das Logistikwesen, für die Industrieausrüstung sowie für die Telekommunikation, sowie von Datenfunksystemen mit oder ohne Zugang zu Kabelnetzen oder von Systemen zur Datennetzkoppelung.

Gründe

I.

Für zahlreiche Waren und Dienstleistungen der Klassen 9, 35, 36, 37, 38, 39 und 42 ua die im Tenor dieses Beschlusses genannten ist die Buchstabenfolge TSM als Marke in das Register eingetragen worden.

Nach der Veröffentlichung der Eintragung am 9. August 1997 ist am 22. August 1997 beschränkt Widerspruch gegen die im Tenor genannten Waren und Dienstleistungen erhoben worden von der Inhaberin der älteren Marke 2 905 874 DSM, die seit 1995 für "Elektrische Nachrichten- und Datenaufnahme-, -verarbeitungs-, -sende-, -übertragungs-, -vermittlungs-, -speicher- und -ausgabegeräte; Datenverarbeitungsprogramme (soweit in Klasse 9 enthalten); sämtliche vorgenannten Waren zur ausschließlichen Verwendung auf dem Gebiet der Kommunikationstechnik" eingetragen ist.

Die Markenstelle für Klasse 9 des Deutschen Patent- und Markenamts hat mit Beschluß vom 2. März 2001 den Widerspruch wegen fehlender Gefahr von Verwechslungen zurückgewiesen, weil sich trotz identischer bzw beachtlich ähnlicher Waren die Marken in den Anfangsbuchstaben "T/D" im Klangcharakter hinreichend deutlich unterschieden, zumal Wortanfänge allgemein stärker beachtet seien und es sich zudem um Kurzwörter handele. Die gegen diesen Beschluß eingelegte Erinnerung der Widersprechenden hat das Patentamt mit Beschluß vom 4. Juli 2001 zurückgewiesen.

Die Widersprechende hat Beschwerde eingelegt. Sie hält mit näheren Ausführungen den Markenabstand nicht für ausreichend und deshalb Verwechslungsgefahr für gegeben.

Die Widersprechende beantragt sinngemäß, die angefochtenen Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 9 des Deutschen Patent- und Markenamts aufzuheben und die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen, soweit der Widerspruch gegen sie gerichtet ist.

Eine Äußerung zur Sache seitens der Inhaberin der angegriffenen Marke ist im Beschwerdeverfahren nicht zur Akte gelangt.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt sowie auf die patentamtlichen Beschlüsse Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Widersprechenden hat in der Sache Erfolg. Es besteht Verwechslungsgefahr iSv § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG, so daß wegen des Widerspruchs aus der Marke 2 905 874 die Löschung der Eintragung der angegriffenen Marke anzuordnen ist, soweit der Widerspruch gegen sie gerichtet ist.

Die Beurteilung der Verwechslungsgefahr erfolgt durch Gewichtung von in Wechselbeziehung zueinanderstehenden Faktoren, insbesondere der Ähnlichkeit der Marken, der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren sowie der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke, so daß ein geringer Grad der Ähnlichkeit der Waren durch einen hohen Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr. zB BGH GRUR 2000, 506, 508 - ATTACHÉ/TISSERAND; BGH GRUR 2002, 342, 343 - ASTRA/ESTRA-PUREN jew mwN).

Nach diesen Grundsätzen kann eine Verwechslungsgefahr im vorliegenden Falle nicht verneint werden. Auch wenn zu Gunsten der Inhaberin der angegriffenen Marke davon auszugegangen wird, daß die im vorliegenden Fall betroffenen Waren und Dienstleistungen sich nicht durchweg an das allgemeine Publikum wenden, sondern zum Teil nur von sachlich und technisch versierten oder jedenfalls interessierten Abnehmern erworben oder in Anspruch genommen werden und deshalb (zum Teil) von einer gesteigerten Aufmerksamkeit auszugehen ist, schließt das hier unter den gegebenen Umständen selbst noch im Bereich eines gewissen Abstands der beiderseitigen Waren und Dienstleistungen die Verwechslungsgefahr nicht aus.

Der Senat geht bei seiner Entscheidung von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft und damit von einem normalen Schutzumfang der Widerspruchsmarke aus, da entgegenstehende Anhaltspunkte nicht ersichtlich sind. Mit dem Inkrafttreten des Markengesetzes (1.1.1995) ist das abstrakte Schutzhindernis von Buchstaben entfallen, so daß auch die Bewertung des Schutzes der Marke nach der neuen Rechtslage zu erfolgen hat; zudem ist die angegriffene Marke erst mit Zeitrangverschiebung auf den 1. Januar 1995 angemeldet worden (vgl BGH WRP 2002, 1152, 1154 - DKV/OKV mwN). Konkrete Schutzhindernisse bezüglich der Buchstabenfolge "DSM" oder auch des Bestandteils "SM" sind nicht feststellbar und auch von den Beteiligten nicht vorgetragen.

Die Marken TSM und DSM sind im klanglichen Gesamteindruck, der bei den beiderseitigen Waren und Dienstleistungen nicht nur von untergeordneter Bedeutung ist, so stark angenähert, daß eine hinreichend sichere Unterscheidung nicht gewährleistet ist. Die jeweils aus drei Buchstaben bestehenden, wortmäßig nicht aussprechbaren Buchstabenmarken stimmen in den Buchstaben SM überein; bei den sehr klangverwandten Anfangskonsonanten T bzw D klingen in der Aussprache "te" bzw "de" das "t" bzw "d" nur kurz an. Dies führt dazu, daß die Marken in ihrer Gesamtheit nahezu identisch klingen. Unter diesen Umständen bedarf es eines deutlichen Abstandes im Bereich der sich gegenüberstehenden Waren und Dienstleistungen, um die Verwechslungsgefahr verneinen zu können. Ein derart deutlicher Abstand liegt nicht vor.

Bei der Beurteilung der Warenähnlichkeit ist entscheidend, ob die beiderseitigen Waren in Berücksichtigung aller erheblichen Faktoren, die ihr Verhältnis zueinander kennzeichnen - insbesondere ihrer Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- oder Erbringungsart, ihrem Verwendungszweck und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung, ihrer Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Produkte und Leistungen - so enge Berührungspunkte aufweisen, daß die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein könnten, sie stammten aus denselben oder wirtschaftlich verbundenen Unternehmen, sofern sie mit identischen Marken gekennzeichnet sind (vgl Althammer/Ströbele MarkenG, 6. Aufl, § 9 Rdn 41 mwN).

Die maßgeblichen Waren der Klasse 9 auf Seiten der angegriffenen Marke können aber Berührungspunkte in dem genannten Sinn zu den Waren der Widerspruchsmarke aufweisen. Denn im Warenverzeichnis der angegriffenen Marke enthaltenen Oberbegriffe wie zum Beispiel "Elektrische Apparate und Instrumente soweit in Klasse 9 enthalten" und "Geräte zur Aufzeichnung, Übertragung und Wiedergabe von Daten, Ton und Bild" sowie "Datenverarbeitungsgeräte und Computer; Computerprogramme" können die speziellen elektrischen Nachrichten- und Datenaufnahme-, -verarbeitungs-, -sende-, -übertragungs-, -vermittlungs-, -speicher- und -ausgabegeräten und Datenverarbeitungsprogrammen zur ausschließlichen Verwendung auf dem Gebiet der Kommunikationstechnik der Widerspruchsmarke zum Gegenstand haben, so daß insoweit von identischen Waren auszugehen ist.

Aber auch alle weiteren, bei der angegriffenen Marke speziell genannten Waren wie zum Beispiel "Sender, Sendeempfänger, Empfänger, Schifffahrts-, Meß-, Rettungsapparate, Gepäckidentifizierungssysteme" stehen nach den oben angeführten Kriterien den Waren der Widerspruchsmarke durchaus nahe. Daß die Waren der Widerspruchsmarke zur ausschließlichen Verwendung auf dem Gebiet der Kommunikationstechnik bestimmt sind, führt nicht aus dem Ähnlichkeitsbereich heraus; auch all diese Waren der jüngeren Marke beinhalten in technischer Hinsicht Kommunikationstechnik, das heißt sie ermöglichen oder erleichtern Gewinnung, Übertragung und Verarbeitung von Informationen. Der Verwendungszweck liegt daher nahe beieinander; auch Überschneidungen bei den Herstellungsbedingungen sowie im Vertrieb kommen in Betracht. Auf Grund dieser Umstände können die beteiligten Verkehrskreise zu der Meinung gelangen, die Waren stammten aus denselben oder wirtschaftlich verbundenen Unternehmen. Ebenso besteht zwischen den Behältern und Gehäusen und Teilen aller Waren einerseits und den Geräten andererseits Ähnlichkeit (vgl Richter/Stoppel, Die Ähnlichkeit von Waren und Dienstleistungen, 12. Aufl, S 150 Stichwort "Gehäuse" sowie Stichwort "Datenverarbeitungsgeräte" S 104f).

Auch zwischen den Waren der Widerspruchsmarke und den angegriffenen Dienstleistungen ist unter den gegebenen Umständen Ähnlichkeit zu bejahen. Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit von Waren und Dienstleistungen ist zwar der grundlegende Unterschied zwischen der Erbringung einer unkörperlichen Leistung einerseits und der Herstellung bzw dem Vertrieb einer körperlichen Ware andererseits zu beachten. Besondere Umstände können aber die Annahme einer Ähnlichkeit nahe legen. Solche Umstände liegen hier vor. Entscheidend ist nämlich, dass die Hauptfunktion der Marke darin besteht, dem Verbraucher oder Endabnehmer die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu garantieren (vgl EuGH GRUR 1998, 922, 923 - Canon; auch BGH GRUR 2002, 544f - BANK 24). Maßgeblich in diesem Zusammenhang ist, ob bei den angesprochenen Verkehrskreisen der Eindruck aufkommen kann, Dienstleistung und Ware unterlägen der Kontrolle desselben Unternehmens, sei es, dass der Dienstleistungsbetrieb sich selbständig auch mit der Herstellung oder dem Vertrieb der Ware befasst, sei es, dass der Warenhersteller oder -händler sich auch auf dem entsprechenden Dienstleistungsbereich selbständig gewerblich betätigt. Nur wenn der Verkehr zu der Auffassung gelangt, die miteinander in Berührung kommenden Dienstleistungen und Waren könnten auf einer selbständigen Tätigkeit desselben oder eines wirtschaftlich verbundenen Unternehmens beruhen, kann er zu einer unzutreffenden Vorstellung über deren betriebliche Zuordnung gelangen. Dabei kann auch die Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Dienstleistungen oder Waren ein für die Beurteilung der Ähnlichkeit beachtliches Kriterium darstellen (vgl EuGH aaO - Canon; vgl auch Althammer/Ströbele, MarkenG, 6. Aufl, § 9 Rdn 67 mwN zur Ähnlichkeit von Dienstleistungen und Waren).

Zumindest durchschnittliche Ähnlichkeit besteht unter diesen Voraussetzungen zwischen den maßgeblichen, beanspruchten Dienstleistungen der angegriffene Marke und den für die Widerspruchsmarke registrierten Waren. Sämtliche Dienstleistungen betreffen in der Sache Telekommunikation und Datenverarbeitung. Hersteller und Händler von einschlägigen technischen Apparaten, Instrumenten, DV-Geräten sowie -Programmen mit derart spezialisiertem technischen Verwendungszweck aber bieten regelmäßig auch als wirtschaftlich selbständige Leistung die zugehörige technische Beratung für deren Einsatz und Anwendung an. Die Waren und die hierauf bezogenen Dienstleistungen verlangen hier dasselbe spezifische Knowhow, sprechen dieselben Verbraucherkreise an und sind auch nicht herkömmlich voneinander abgegrenzt (anders zB bei Autos/Werkstätten). Auch zwischen den auf Vermietung bezogenen Dienstleistungen und Datenverarbeitungsgeräten und -programmen besteht Ähnlichkeit (vgl Richter/Stoppel aaO S 105 Datenverarbeitungsgeräte=Vermietung, Installation und Wartung von Computern; Datenverarbeitungsprogramme=Erstellen von Datenverarbeitungsprogrammen und =Vermietung von Datenverarbeitungsprogrammen).

Zu einer Auferlegung von Kosten aus Billigkeitsgründen besteht keine Veranlassung (§ 71 Abs 1 Satz 1 MarkenG).

Dr. Buchetmann Winter Schramm Hu






BPatG:
Beschluss v. 13.08.2002
Az: 30 W (pat) 202/01


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