Verwaltungsgericht München:
Urteil vom 4. März 2008
Aktenzeichen: M 2 K 06.4134

(VG München: Urteil v. 04.03.2008, Az.: M 2 K 06.4134)

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 5. Juli 2005 wird aufgehoben, soweit der Kostenfestsetzungsantrag des Klägers vom 27. Oktober 2003 und 24. November 2003 abgelehnt wurde.

II. Die Beklagte wird verurteilt, die dem Kläger im Widerspruchsverfahren gegen den Vorausleistungsbescheid vom 27. Oktober 1999 entstandenen Rechtsanwaltskosten auf 164,34 € festzusetzen.

III. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.

IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger wurde mit Bescheid der Beklagten vom 27. Oktober 1999 als Miteigentümer des Grundstücks FlNr. ..., Gemarkung ..., zu einer Vorausleistung auf den Straßenausbaubeitrag für die ... Straße in Höhe von 2.468,40 DM herangezogen. Hiergegen ließ der Kläger durch seine Bevollmächtigten am 22. November 1999 Widerspruch einlegen. Die Bevollmächtigten des Klägers wurden von 13 weiteren Anliegern der ... Straße beauftragt, gegen die jeweiligen Vorausleistungsbescheide Widerspruch einzulegen. Die Bevollmächtigten des Klägers erhoben daraufhin 13 weitere, jeweils voneinander getrennte Widersprüche im Auftrag der weiteren 13 Mandanten. In Abstimmung mit der Beklagten wurde von der Widerspruchsbehörde zunächst nur über einen der anhängigen Widersprüche entschieden; in diesem €Musterverfahren€ wurde das Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht München (M 2 K 02.6031) nach übereinstimmender Erledigungserklärung eingestellt. Die Kosten des Verfahrens wurden der Beklagten auferlegt. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wurde für notwendig erklärt. In den Kostenfestsetzungsbeschlüssen vom 23. Oktober 2003 und 19. November 2003 wurden (im €Musterverfahren€) die der Beklagten auferlegten durch die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen unter Zugrundelegung einer 7,5/10 Geschäftsgebühr und einer 7,5/10 Besprechungsgebühr festgesetzt.

Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 27. Oktober 2003 erklärte der Kläger im Hinblick auf das obengenannte Musterverfahren das Widerspruchsverfahren in der Hauptsache für erledigt und beantragte mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 27. Oktober 2003 und 24. November 2003, die von der Beklagten zu tragenden Kosten des Widerspruchsverfahrens auf insgesamt 210,55 € festzusetzen (unter Zugrundelegung einer Geschäftsgebühr von 7,5/10 und einer Besprechungsgebühr von ebenfalls 7,5/10 aus dem Gegenstandswert von 1.262,07 €).

Mit Bescheid vom 5. Juli 2005, zugestellt am 7. Juli 2005, lehnte die Beklagte den Antrag auf Übernahme der Rechtsanwaltskosten aus dem Gegenstandswert für jeden einzelnen Mandanten im Widerspruchsverfahren ab (Ziffer I.) und übernahm die Rechtsanwaltskosten mit jeweils 7,5/10 Geschäftsgebühr und 7,5/10 Besprechungsgebühren aus dem Gesamtbeitragswert (Ziffer II.).

Eine Einzelstreitwertabrechnung sei hier nicht gerechtfertigt, da alle Widerspruchsbegründungen den gleichen Inhalt aufwiesen. Es sei deshalb davon auszugehen, dass der bevollmächtigte Rechtsanwalt in derselben Angelegenheit tätig geworden sei, so dass die Werte der einzelnen Beiträge zu addieren und daraus die Anwaltsgebühr zu ermitteln sei.

Mit Schreiben vom 14. Juli 2005, bei der Beklagten eingegangen am gleichen Tag, erhoben die Bevollmächtigten des Klägers hiergegen Widerspruch.

Da die Beitragsbescheide im Auftrag des jeweiligen Mandanten gesondert angefochten worden seien, und eine Verbindung der Widerspruchsverfahren nicht stattgefunden habe, könnten die für verschiedene Mandanten betriebenen Widerspruchsverfahren nicht als €eine Angelegenheit€ betrachtet werden, so dass auch eine einheitliche Abrechnung nicht in Betracht komme.

Über den Widerspruch wurde nicht entschieden.

Mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2006, bei Gericht eingegangen am 3. November 2006, ließ der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten beim Verwaltungsgericht München Klage erheben und zuletzt beantragen,

den Bescheid der Beklagten vom 5. Juli 2005 aufzuheben, soweit der Kostenfestsetzungsantrag des Klägers vom 27. Oktober 2003 und 24. November 2003 abgelehnt wurde und die Beklagte zu verurteilen, die dem Kläger im Widerspruchsverfahren gegen den Vorausleistungsbescheid vom 27. Oktober 1999 entstandenen Anwaltskosten mit insgesamt 164,34 € festzusetzen.

Zur Klagebegründung wurde das Vorbringen im Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft. Es wurde nochmals darauf hingewiesen, dass eine Verbindung der Widerspruchsverfahren zu keinem Zeitpunkt stattgefunden habe. Im Übrigen könnten auch durch eine Verbindung bereits entstandene Gebühren nachträglich nicht verändert werden, da der Gebührenanspruch jeweils mit der ersten Verwirklichung des Gebührentatbestands entstehe (§ 13 Abs. 4 BRAGO).

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte habe zu Recht angenommen, dass sich die Rechtsanwaltsgebühren nach dem Gegenstandswert richten, der sich aus einer Zusammenfassung der Werte für die einzelnen Widersprüche ergebe, da es sich bei diesem Widerspruchsverfahren um €dieselbe Angelegenheit€ im Sinne von § 7 Abs. 2 BRAGO handle. Nach der Rechtsprechung führten mehrere Aufträge oder Auftraggeber nicht zwingend zur Annahme mehrerer Angelegenheiten. Vielmehr liege gleichwohl dieselbe Angelegenheit vor, wenn ein innerer Zusammenhang bestehe und die Aufträge sowohl inhaltlich als auch in der Zielrichtung so weitgehend übereinstimmten, dass von einem €einheitlichen Rahmen€ der Tätigkeit gesprochen werden könne. Für die Bestimmung des Begriffs €derselben€ Angelegenheit sei insbesondere der Arbeitsaufwand des Rechtsanwalts maßgeblich. Dieser sei insoweit durch eine ex-post-Betrachtung zu ermitteln (OVG Sachsen-Anhalt vom 15.4.1999 - A 2 S 377/97 -). Insoweit komme hier zum Tragen, dass alle Widersprüche Begründungen mit exakt dem gleichen Inhalt aufgewiesen hätten und unter demselben Datum der Beklagten zugeleitet worden seien. Eine einzelfallorientierte Bearbeitung habe mithin nicht stattgefunden.

Mit Beschluss des Gerichts vom 11. Juli 2007 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen (§ 6 Abs. 1 VwGO).

Am 4. März 2008 fand die mündliche Verhandlung statt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Niederschrift über die öffentliche mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.

Gründe

Die (nach § 75 VwGO) zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 5. Juli 2005 ist im angefochtenen Umfang rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat Anspruch auf Festsetzung der ihm im Widerspruchsverfahren gegen den Vorausleistungsbescheid vom 27. Oktober 1999 entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe der geltend gemachten Restforderung in Höhe von 164,34 € (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Im vorliegenden Fall ist unter den Parteien allein die Frage streitig, ob die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 BRAGO vorliegen, wonach in derselben Angelegenheit die Werte mehrerer Gegenstände zusammengerechnet werden.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bedeutet die Angelegenheit den Rahmen, innerhalb dessen sich die anwaltliche Tätigkeit abspielt, wobei im Allgemeinen der dem Anwalt erteilte Auftrag entscheidet (BGH, MDR 72, 765). Dieselbe Angelegenheit liegt danach dann vor, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: Ein Auftrag, ein Rahmen der Tätigkeit sowie ein innerer Zusammenhang (Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, BRAGO, 15. Aufl., § 13, RdNr. 5).

Im vorliegenden Fall fehlt es an einem einheitlichen Auftrag, da für die Erhebung aller Widersprüche getrennte Aufträge erteilt wurden und diese offenbar auch nach dem Willen der Auftraggeber einzeln verfolgt werden sollten. Es fehlte auch an einem einheitlichen Rahmen, da die Widersprüche nicht etwa in einem Schriftsatz gemeinsam behandelt wurden. Ebenso wenig ist eine innerliche Zusammengehörigkeit der verschiedenen Gegenstände erkennbar, da die Zielrichtung von Rechtsbehelfen im Straßenausbaubeitragrecht grundsätzlich eine unterschiedliche ist und zwar schon im Hinblick auf die Grundstücksbezogenheit des Beitragstatbestandes, der auf die jeweiligen beitragsrechtlich relevanten, individuellen Gegebenheiten des zum Beitrag herangezogenen Grundstücks abhebt, wie z.B. vorteilsrelevante Inanspruchnahmemöglichkeit, Art und Maß der Grundstücksnutzung usw. Auch eine verfahrensrechtliche Verbindung der Widerspruchsverfahren hat hier - worauf der Kläger zu Recht hinweist - nicht stattgefunden (vgl. hierzu BayVGH vom 23.1.2008 - 6 C 07.238 -). Der vorliegende Fall liegt deshalb insoweit anders als in dem von der Beklagten im angegriffenen Bescheid zitierten Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 21. Oktober 2003 - RN 3 K 02.2225 - u.a., da in dem dort entschiedenen Fall eine Verfahrensverbindung (§ 93 VwGO) stattgefunden hatte.

Vor diesem Hintergrund erscheint es auch nicht sachgerecht, allein aus der konkreten Auftragsausführung - hier: durch gleichlautende Widerspruchsbegründungen - im Wege einer ex-post-Betrachtung (vgl. OVG Sachsen-Anhalt vom 15.4.1999 - A 2 S 377/97 -) eine innerliche Zusammengehörigkeit der unterschiedlichen Gegenstände herzuleiten. Eine derartige ex-post-Betrachtung kollidiert auch - jedenfalls, wenn die verschiedenen Gegenstände nicht gemeinschaftlich verfolgt werden - mit dem gebührenrechtlichen Grundsatz, dass der Gebührenanspruch bereits mit der ersten Tätigkeit des Rechtsanwalts, z.B. mit der Entgegennahme der Information, entsteht (Gerold u.a., a.a.O., § 1, RdNr. 18). Gesetzliche Ausnahmen (z.B. § 13 Abs. 5 Satz 2 BRAGO) berühren noch nicht den genannten Grundsatz als solchen (andere Ansicht wohl OVG Sachsen-Anhalt, a.a.O., in einem - hier nicht vorliegenden - Fall eines einzigen Auftraggebers).

Nach alledem lag hier nicht dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 7 Abs. 2 BRAGO vor, so dass die Werte der Gegenstände nicht zusammengerechnet werden durften.

Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO).

Beschluss

Der Streitwert wird auf EUR 164,34 festgesetzt (§ 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz -GKG-).






VG München:
Urteil v. 04.03.2008
Az: M 2 K 06.4134


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/1272b6219654/VG-Muenchen_Urteil_vom_4-Maerz-2008_Az_M-2-K-064134




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share