Bundespatentgericht:
Beschluss vom 20. April 2004
Aktenzeichen: 14 W (pat) 703/03

(BPatG: Beschluss v. 20.04.2004, Az.: 14 W (pat) 703/03)

Tenor

Das Patent 195 34 420 wird widerrufen.

Gründe

I Die Erteilung des Patents 195 34 420 mit der Bezeichnung

"Verfahren zur Herstellung einer von verwerfungsbedingten optischen Störungen freien Verbundsicherheitsglasscheibe, Verwendung einer Trägerfolie und Trägerfolie"

ist am 12. Mai 1999 veröffentlicht worden.

Gegen dieses Patent ist am 12. August 1999 Einspruch erhoben worden. Der Einspruch ist auf die Behauptung gestützt, die spezielle Ausbildung der patentgemäßen Trägerfolie für die Durchführung des beanspruchten Verfahrens zur Herstellung von Verbundsicherheitsglasscheiben sei insbesondere unter Berücksichtigung der

(5) US 5 091 258 A am Anmeldetag bekannt, zumindest aber naheliegend gewesen. Die Einsprechende hat geltend gemacht, dass die Umrechnung der in (5) angegebenen Schrumpfwerte mittels der von ihr schriftsätzlich vorgelegten Umrechnungsformeln Werte ergebe, die im vorliegend beanspruchten Bereich lägen.

Zur Stütze ihrer Argumentation, dass die von ihr dargelegte Umrechnung von einem Fachmann auf Grund seines Fachwissens ohne Weiteres entwickelt und abgeleitet werden könne, hat sie ua auf folgende Druckschriften verwiesen:

(6) Auszug aus Encyclop. of Polym. Schience and Eng. Vol 12 S 199 (7) ASTM D1204 - 94

(8) ASTM D 2732 - 83

(9) DIN 55 543 - Teil 4.

Die Einsprechende beantragt, das Patent zu widerrufen, hilfsweise der Patentinhaberin aufzugeben, die Druckschrift (5) in der Beschreibung zu diskutieren.

Die Patentinhaberin beantragt, das Patent beschränkt aufrechtzuerhalten auf der Grundlage der Patentansprüche 1 bis 16 und der daran angepassten Beschreibung, jeweils eingegangen am 15. April 2004, hilfsweise erklärt sie die Teilung des Patents und beantragt, das Restpatent aufrechtzuerhalten.

Ferner regt sie die Zulassung einer Rechtsbeschwerde an.

Sie ist der Ansicht, dass der Druckschrift (5) eine gänzlich andere Aufgabe zu Grunde liege, so dass der Fachmann eher abgehalten sei, diese Entgegenhaltung zur Lösung der vorliegend gestellten Aufgabe heranzuziehen. Der Stand der Technik offenbare im Übrigen in Bezug auf die Dicke der Trägerfolie so weite Spannen, dass die beanspruchte Trägerfolie demgegenüber eine Auswahlerfindung darstelle. Unter Verwendung einer Trägerfolie im patentgemäßen Dickenbereich und den offenbarten Grenzen für ihren Wärmeschrumpf entstehe überdies eine Verbundsicherheitsglasscheibe mit überraschend überlegenen Eigenschaften. Die Umrechnung der in (5) angegebenen Schrumpfwerte unter Anwendung der Umrechnungsformeln stelle eine unzulässige expost Betrachtung dar. Die gesamte Umrechnung beruhe lediglich auf Überlegungen der Einsprechenden, sei nicht zum Stand der Technik zu zählen und dürfe deshalb nicht berücksichtigt werden. Für den Fall der Berücksichtigung durch den Senat regt sie die Zulassung der Rechtsbeschwerde an.

Der geltende Patentanspruch 1 und die diesem nebengeordneten Ansprüche 9 und 13 lauten:

1. "Verfahren zur Herstellung einer von verwerfungsbedingten optischen Störungen im reflektierten und/oder durchfallenden Licht freien gebogenen, insbes. Komplex gebogenen Verbundsicherheitsglasscheibe mit einer ersten Glasscheibe, einer entsprechenden zweiten Glasscheibe und einer mehrschichtigen Zwischenlage, welche Zwischenlage in Form eines Folienlaminates aus einer ersten Verbundfolie, einer mit einem Dünnschichtsystem versehenen, biaxial verstreckten thermoplastischen Trägerfolie und einer zweiten Verbundfolie besteht, mit den Merkmalen:

1.1) Auf die erste Verbundfolie wird eine mit dem Dünnschichtsystem versehene Trägerfolie aufgelegt, die 1.11) eine Dicke von 30 bis 70 µm und 1.12) in den beiden Verstreckungsrichtungen einen Wärmeschrumpfungsgrad von 0,3 bis 0,6% gemessen nach einer Wärmebehandlung von 20 sek bei 120¡C, aufweist, -und auf die Trägerfolie wird die zweite Verbundfolie aufgelegt, 1.2) die Folien gemäß Merkmal 1.1) werden faltenfrei zwischen den beiden Glasscheiben angeordnet und unter Anwendung von Druck und Wärme verpresst sowie mit den Glasscheiben verbunden, wobei im Rahmen der Maßnahmen gemäß 1.1) und/oder 1.2) zumindest eine Entlüftung durchgeführt wird.

9. Verwendung einer mit einem Dünnschichtsystem versehenen Trägerfolie aus verstrecktem thermoplastischem Kunststoff, die eine Dicke von 30 bis 70 µm sowie eine biaxiale Verstreckung aufweist, für die Herstellung von Verbundsicherheitsglasscheiben, insbesondere zur Herstellung von verwerfungsbedingten optischen Störungen im reflektierten und/oder durchfallenden Licht freien Verbundsicherheitsglasscheiben mit einer ersten Glasscheibe, einer entsprechenden zweiten Glasscheibe und einer mehrschichtigen Zwischenlage in Form eines Folienlaminates aus einer ersten Verbundfolie, der biaxial verstreckten Trägerfolie und einer zweiten Verbundfoliemit der Maßgabe, dass die Trägerfolie in den beiden Verstrekkungsrichtungen einen Wärmeschrumpfungsgrad von 0,3 bis 0,6%, gemessen nach einer Wärmebehandlung von 20 Sekunden bei 120¡C, aufweist.

13. Mit einem Dünnschichtsystem versehene, verstreckte Trägerfolie aus thermoplastischem Kunststoff für die Durchführung des Verfahrens nach einem der Ansprüche 1 bis 8, die eine Dicke von 30 bis 70 µm und in den beiden Verstreckungsrichtungen einen Wärmeschrumpfungsgrad von 0,3 bis 0,6%, gemessen nach einer Wärmebehandlung von 20 Sekunden bei 120¡C, aufweist."

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten, insbesondere zum Wortlaut der geltenden Ansprüche bis 8, 10 bis 12 und 14 bis 16, wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II 1. Über den Einspruch ist gemäß § 147 Abs 3 Satz 1 Ziff 2 PatG durch den Beschwerdesenat des Bundespatentgerichts zu entscheiden.

2. Der Einspruch ist frist- und formgerecht erhoben und mit Gründen versehen, somit zulässig. Er führt zum Widerruf des Patents.

3. Die Zulässigkeit des geltenden Anspruchs 13 ist unbestritten. Sie bedarf keiner näheren Erörterung, da dieser Anspruch ohnehin an mangelnder Patentfähigkeit scheitert.

4. Es kann unentschieden bleiben, ob dem Patentgegenstand nach geltendem Anspruch 13 im Hinblick auf die Druckschrift (5) noch die Neuheit zugesprochen werden kann. Der mit einem Dünnschichtsystem versehenen, verstreckten Trägerfolie nach Anspruch 13 mangelt es nämlich an einer erfinderischen Tätigkeit.

5. Dem Streitpatent liegt das technische Problem zu Grunde, ein einfaches und für die industrielle Serienfertigung geeignetes Verfahren anzugeben, mit dem gebogene Verbundsicherheitsglasscheiben des beschriebenen Aufbaus hergestellt werden können, die optische Störungen im reflektierten und/oder durchfallenden Licht nicht aufweisen (Sp 2 Z 16 bis 22).

Die Aufgabe soll mit einem Verfahren nach geltendem Anspruch 1 gelöst werden, wobei Kern des patentgemäßen Verfahrens der Einsatz einer Trägerfolie mit den Merkmalen des geltenden Anspruchs 13 ist, mittels derer das beanspruchte Verfahren durchgeführt werden soll.

Die Trägerfolie gemäß Anspruch 13 weist folgende Merkmale auf:

a. Sie ist mit einem Dünnschichtsystem versehen, b. verstreckt und aus thermoplastischem Kunststoff, c. hat eine Dicke von 30 bis 70 µm undd. in beiden Verstreckungsrichtungen einen Wärmeschrumpfungsgrad von 0,3 bis 0,6% gemessen nach einer Wärmebehandlung von 20 Sekunden bei 120¡C.

Die Entgegenhaltung (5) befasst sich -entgegen der Auffassung der Patentinhaberin- mit einer vergleichbaren Aufgabe, nämlich mit der Beseitigung der infolge von sogenannten "Applesauce"-Verwerfungen auftretenden optischen Defekte (Sp 1 Z 43 bis 50, 62 bis Sp 2 Z 10 und Z 16 bis 20; Sp 9 Z 33 bis 36). Auch patentgemäß soll der hier sogenannte Orangenhauteffekt vermieden werden (Sp 6 Z 17 bis 20 der Patentschrift), so dass von einer völlig unterschiedlichen Aufgabenstellung nicht die Rede sein kann.

Zur Lösung der Aufgabe ist in Entgegenhaltung (5) nicht nur vorgesehen, eine mit einem Dünnschichtsystem versehene Folie aus thermoplastischem Kunststoff gemäß den Merkmalen a. und b. des Streitpatents einzusetzen (Sp 3 Z 54 bis 64 iVm Sp 4 Z 41 bis 48). Auch die Dicke der eingesetzten Trägerfolie kann gemäß (5) zwischen 13 und 200 µm liegen, wobei eine Dicke zwischen 25 und 100 µm bzw 50 µm bevorzugt wird (Sp 3 Z 54 bis 57). Damit ist auch Merkmal c. von Anspruch 13 des Streitpatents in (5) vorbeschrieben.

Ein Wärmeschrumpfungsgrad von 0,3 bis 0,6% für eine mit einem Dünnschichtsystem versehene Trägerfolie, gemessen bei 120¡C nach 20 sec in PEG, ist in (5) nicht wörtlich offenbart, sondern lediglich ein Wärmeschrumpfungsgrad kleiner 2% in beiden Verstreckungsrichtungen für eine unbeschichtete Trägerfolie, gemessen bei 150¡C über 30 min.

Die Entgegenhaltung (5) vermittelt dem Fachmann, hier einem Diplomingenieur oder Diplomchemiker mit besonderen Kenntnissen in der Herstellung von Trägerfolien und deren Verwendung in Verbundsicherheitsglas, somit die Lehre, bei den dort beschriebenen Folien möglichst geringe Schrumpfwerte vorzusehen. Die optimalen Schrumpfwerte kann der Fachmann anhand weniger routinemäßiger Versuche ermitteln.

Der Umstand, dass die vorliegend beanspruchten Schrumpfwerte bei 120¡C über 20 sec in PEG und in beschichtetem Zustand, die Schrumpfwerte gemäß (5) dagegen bei 150¡C über 30 min in Luft sowie in unbeschichtetem Zustand ermittelt worden sind, ändert an dieser Beurteilung nichts. Wie der Fachmann weiß, besteht nämlich ein qualitativer Zusammenhang zwischen den bei unterschiedlichen Behandlungstemperaturen und ebenso zwischen den für beschichtete und unbeschichtete Folien ermittelten Schrumpfwerten. Ihm ist ferner geläufig, dass die Schrumpfwerte mit sinkender Behandlungstemperatur bei der Wärmebehandlung absinken (vgl hierzu (6) Fig 2) und dass auch eine Beschichtung zu einer Absenkung des Schrumpfwertes gegenüber der unbeschichteten Folie führt.

Diesen qualitativen Zusammenhang hat die Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung auch nicht grundsätzlich in Abrede gestellt. Sie hat lediglich die Auffassung vertreten, dass sich ein quantitativer Zusammenhang nicht ohne Weiteres herleiten lasse und auch nicht zum allgemeinen Fachwissen des Durchschnittsfachmannes gehöre. Auf diesen quantitativen Zusammenhang kommt es hier indessen nicht an.

Der Fachmann kann -wie oben dargelegt- die optimalen Schrumpfwerte mit den Angaben in (5) anhand weniger Versuche ermitteln. Aus dem dargelegten qualitativen Zusammenhang ergibt sich, dass diese ermittelten Schrumpfwerte zahlenmäßig niedrigeren Werten - gemessen bei 120¡C und in beschichtetem Zustand - entsprechen und somit im vorliegend beanspruchten Bereich liegen.

Im Übrigen ist das angegebene Messverfahren, hier eine Wärmebehandlung über 20 Sekunden bei 120¡C, mit dem im angegriffenen Erzeugnisanspruch 13 eines der Merkmale, nämlich der Wärmeschrumpfungsgrad der beschichteten Trägerfolie in beiden Verstreckungsrichtungen definiert ist (Merkmal d.), nicht von Belang. Der Fachmann kennt verschiedene Methoden zur Ermittlung der Wärmeschrumpfung. Dies hat die Einsprechende durch Vorlage der Normen (7) bis (9) letztlich zweifelsfrei belegt. Ihre Anwendung ist in sein Ermessen gestellt; er muss die Bedingungen, unter denen er seine Messung vornimmt, lediglich dokumentieren ((7) Nr 3.2; (8) Nr 4.1, 4.2 5.1.1, 8.3 und 8.4). Jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass das Messverfahren eine den Gegenstand der patentgemäßen Lehre einschränkende, weitergehende Bedeutung haben sollte.

In einem solchen Fall ist bei Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nur zu prüfen, ob es nach dem Stand der Technik nahelag, solche Stoffe zu verwenden, die objektiv der gewählten Definition entsprechen ("Tablettensprengmittel", GRUR 1992, 375).

Dies ist vorliegend der Fall.

Im Ergebnis konnte der Fachmann wie ausgeführt, ausgehend von (5) ohne erfinderisch tätig werden zu müssen, optimale Wärmeschrumpfungswerte für eine Trägerfolie im beschichteten Zustand mittels weniger Versuche ermitteln.

Selbst wenn der Einsatz der vorliegend beanspruchten Trägerfolie zu Verbundsicherheitsglas mit verbesserten optischen Eigenschaften führt, ändert dies im Ergebnis nichts. Dieser Effekt stellt sich nämlich zwangsläufig als Folge der aus den angeführten Gründen nahegelegten Vorgehensweise ein.

Nach alledem beruht der Gegenstand des Patenanspruchs 13 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, so dass dieser Anspruch keinen Bestand hat.

6. Die Ansprüche 1 bis 12 und 14 bis 16 teilen das Schicksal des Patentanspruchs 13 ("Elektrisches Speicherheizgerät", GRUR 1997, 120).

7. Der Anregung der Einsprechenden zur Zulassung der Rechtsbeschwerde konnte nicht gefolgt werden, da weder eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden ist noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfordert (§ 100 Abs 2 PatG).

8. Nachdem dem Hauptantrag der Patentinhaberin auf beschränkte Aufrechterhaltung des Patents kein Erfolg beschieden ist, ist auf Grund der hilfsweise abgegebenen Teilungserklärung das Patent geteilt.

Da nach Entscheidung des Bundesgerichtshofs ("Sammelhefter", GRUR 2003, 47) ein gegenständlich bestimmter Teil des Patents nicht mehr definiert werden muss, ist eine Entscheidung über das Restpatent sofort möglich, ohne eine Schwebefrist abzuwarten. Der Widerruf des Patents, in der Fassung gemäß Hauptantrag, erfasst auch den Widerruf des Restpatents, da durch die vorliegende Teilungserklärung, die nicht auf einen bestimmten Gegenstand gerichtet ist, das Restpatent nicht "gemindert" wurde, sondern die Teilungserklärung nur zum Ziel hat, dass ein neues Verfahren für eine Teilanmeldung eröffnet wird.

Für die durch die Teilung des Patents entstandene Teilanmeldung ist das DPMA zuständig (BGH "Informationsträger" GRUR 1999, 148 III.1.d.).

Dr. Schröder Dr. Wagner Harrer Dr. Schuster Na






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Beschluss v. 20.04.2004
Az: 14 W (pat) 703/03


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