Bundespatentgericht:
Beschluss vom 12. Februar 2007
Aktenzeichen: 30 W (pat) 63/05

(BPatG: Beschluss v. 12.02.2007, Az.: 30 W (pat) 63/05)

Tenor

Die Beschwerde der Widersprechenden wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Eingetragen am 24. September 2002 unter der Nummer 302 10 993 für die Waren Pharmazeutische Erzeugnisse und Substanzenist die Wortmarke OSSIVERTIL.

Widerspruch wurde erhoben aus der am 30. Oktober 1980 unter der Nummer 1 009 933 für die Waren Arzneimittel zur Behandlung von Knochenerkrankungen, insbesondere der Osteoporoseeingetragenen Wortmarke Ossofortin.

Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat die jüngere Marke zunächst gelöscht, auf die Erinnerung der Inhaberin der jüngeren Marke den Erstbeschluss aufgehoben und den Widerspruch wegen fehlender Verwechslungsgefahr mit Beschluss zurückgewiesen. Bei identischen Waren und durchschnittlicher Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sei der zu fordernde deutliche Abstand noch eingehalten. Trotz gleicher Silbenzahl und ähnlichem Sprech- und Betonungsrhythmus verfügten die Marken über eine andere Vokalfolge. Wegen des beschreibenden Wortbeginns werde der weitere Wortteil mit dem abweichenden Konsonanten in jedem Fall beachtet. Kollisionsmindernd wirke auch der Hinweis auf "forte" in der Widerspruchsmarke. Aufgrund der typischen Umrisscharakteristik sei eine Verwechslungsgefahr im Schriftbild ausgeschlossen.

Hiergegen hat die Widersprechende Beschwerde eingelegt und im Wesentlichen ausgeführt, es bestehe Übereinstimmung im stärker beachteten Wortanfang "Oss", die Unterschiede in der Wortmitte würden durch die ähnlichen konsonantischen Verknüpfungen verwischt und auch die zweiten Worthälften wiesen eine nicht unerhebliche Ähnlichkeit auf.

Sie beantragt, den Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 1. März 2005 aufzuheben und die Löschung der Marke 302 10 993 anzuordnen.

Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie weist darauf hin, dass der Wortanfang "Oss" insbesondere bei Mitteln zur Behandlung von Knochenmarkserkrankungen verbraucht sei. Er präge deshalb beide Markenwörter nicht und der Verkehr, der bei Waren der vorliegenden Art größere Aufmerksamkeit aufbringe, achte mehr auf die weiteren Wortteile. Diese seien indessen deutlich unterschiedlich.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Zwischen der angegriffenen Marke und der Widerspruchsmarke 1 009 933 besteht nicht die Gefahr von Verwechslungen im Sinne von § 9 Absatz 1 Nr. 2 MarkenG, so dass die Beschwerde der Widersprechenden zurückzuweisen war.

Die Frage der Verwechslungsgefahr ist unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der zueinander in Wechselbeziehung stehenden Faktoren der Ähnlichkeit der Marken, der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren sowie der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke zu beurteilen, wobei insbesondere ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Marken durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Waren ausgeglichen werden kann und umgekehrt (BGH in st. Rspr. vgl. GRUR 2005, 513 - MEY/Ella May; GRUR 2004, 865, 866 - Mustang; GRUR 2004, 598, 599 - Kleiner Feigling; GRUR 2004, 783, 784 - NEURO-VIBO-LEX/NEURO-FIBRAFLEX).

Nach diesen Grundsätzen ist hier die Gefahr von Verwechslungen zu verneinen.

1. Bei seiner Entscheidung hat der Senat mangels anderer Anhaltspunkte eine normale Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke in ihrer Gesamtheit zugrunde gelegt. Zwar lassen sich beschreibende Anklänge in den Bestandteilen "Osso" an "os" (lateinisch für Knochen) sowie in "-fortin" an "fortis" (lateinisch für stark) erkennen, wodurch ein gewisser Hinweis auf das Anwendungsgebiet der Widerspruchswaren erkennbar wird. Im Arzneimittelbereich sind jedoch häufig mehr oder weniger deutliche Sachhinweise in den Zeichen enthalten, die aber regelmäßig nicht zu einer Kennzeichnungsschwäche der Gesamtmarke führen, wenn diese insgesamt eine ausreichend eigenständige Abwandlung einer beschreibenden Angabe darstellt (vgl. BGH GRUR 1998, 815 - Nitrangin). Das ist vorliegend der Fall, da die Widerspruchsmarke in ihrer Kombination eine ausreichende schutzbegründende Eigenprägung aufweist.

2. Ausgehend von der Registerlage können die Vergleichsmarken wegen der weitreichenden Warenoberbegriffe der angegriffenen Marke zur Kennzeichnung identischer Waren verwendet werden. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass bei den vorliegenden pharmazeutischen Erzeugnissen und Substanzen und den Arzneimitteln zur Behandlung von Knochenerkrankungen eine Rezeptpflicht in den Warenverzeichnissen nicht festgeschrieben ist, so dass allgemeine Verkehrskreise uneingeschränkt zu berücksichtigen sind. Dabei ist aber davon auszugehen, dass grundsätzlich nicht auf einen sich nur flüchtig mit der Ware befassenden, sondern auf einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher abzustellen ist, dessen Aufmerksamkeit je nach Art der Ware unterschiedlich hoch sein kann (vgl. BGH GRUR 2000, 506 ATTACHÉ/TISSE-RAND) und der insbesondere allem, was mit der Gesundheit zusammenhängt, eine gesteigerte Aufmerksamkeit beizumessen pflegt (vgl. BGH GRUR 1995, 50 - Indorektal/Indohexal).

3. Der unter diesen Umständen gebotene deutliche Markenabstand wird von der angegriffenen Marke eingehalten.

Die Ähnlichkeit von Wortzeichen ist anhand ihres klanglichen und schriftbildlichen Eindrucks sowie ihres Sinngehalts zu ermitteln. Dabei kommt es auf den jeweiligen Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Zeichen an. Dies entspricht dem Erfahrungssatz, dass der Verkehr Marken regelmäßig in der Form aufnimmt, in der sie ihm entgegentreten und sie nicht einer analysierenden, zergliedernden, möglichen Bestandteilen und deren Bedeutung nachgehenden Betrachtung unterzieht. Dabei bleibt auch ein beschreibender Bestandteil bei der Feststellung des Gesamteindrucks nicht außer Betracht, sondern ist mit zu berücksichtigen. Zudem ist bei der Prüfung der Verwechslungsgefahr grundsätzlich mehr auf die gegebenen Übereinstimmungen der zu vergleichenden Zeichen als auf die Unterschiede abzustellen (vgl. BGH a. a. O. NEURO-VIBOLEX/NEURO-FIBRAFLEX).

Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass die sich gegenüberstehenden Marken in ihrem klanglichen Gesamteindruck ausreichende Unterschiede aufweisen.

So stimmen die Marken zwar bei gleicher Silbenzahl sowie gleichem Sprech- und Betonungsrhythmus in der Anfangssilbe "Os-" sowie dem nachfolgenden ersten Konsonanten "-s-" der zweiten Silbe "-so-/-si-" überein. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass die Übereinstimmung in dem Anfangsbestandteil "Oss-" bei der Beurteilung des jeweiligen Gesamteindrucks und der Markenähnlichkeit weniger ins Gewicht fällt, als dies bei einem reinen Phantasiebestandteil der Fall wäre. Bei dem Wortelement "Oss-" handelt es sich um einen - zumindest für den neben den allgemeinen Verkehrskreisen auch angesprochenen Fachverkehr - beschreibenden und damit kaum individualisierend und kennzeichnend wirkenden Hinweis auf das lateinische Wort "os" für "Knochen", der zum einen Eingang in die deutsche (Fach)sprache gefunden hat (vgl. Os, Ossa = Knochen, in Duden-Deutsches Universalwörterbuch, 6. Aufl. Mannheim 2006 - CD-ROM), zum anderen in Marken für Produkte aus dem Pharmabereich neben dem Bestandteil "osteo" (Wortbildungselement mit der Bedeutung Knochen vgl. Duden a. a. O.) zur Behandlung von Knochenerkrankungen häufig verwendet wird (vgl. Rote Liste 2006).

Auch wenn derartige beschreibende und kennzeichnungsschwache Zeichenelemente bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr nach dem Gesamteindruck angemessen mit zu berücksichtigen sind, so bewirken sie doch eine Verlagerung der Aufmerksamkeit auf die übrigen Markenteile "- ofortin" und "- ivertil", so dass die hier vorhandenen Unterschiede um so eher wahrgenommen werden.

Des Weiteren wird der allgemeine Verkehr, der nicht über ausreichende Kenntnisse der lateinischen Sprache verfügt, den jeweiligen Wortanfang der Vergleichsmarken nicht nur in der ersten übereinstimmenden Silbe "Os-" der Markenwörter sehen, sondern als Folge des naheliegenden Sprechrhythmus die jeweils unterschiedliche zweite Silbe miteinbeziehen, woraus sich die bereits unterschiedlichen Wortanfänge "Osso-/Ossi-" ergeben. Die hinzukommenden Unterschiede in der dritten und vierten Silbe der Vergleichsmarken, nämlich in "-fortin/-vertil" sind trotz des gemeinsamen Vokals "i" in der letzten Silbe hinreichend deutlich. So wird das Klangbild der Widerspruchsmarke insgesamt bestimmt durch die in den ersten drei Silben aufeinanderfolgenden dunklen Vokale "ooo-", in der angegriffenen Marke hingegen durch die dem Anfangsvokal nachfolgenden hellen Vokale "-iei-". Gegenüber diesen deutlichen Unterschieden fällt das klanglich ähnliche Konsonantengerüst weniger ins Gewicht.

In schriftbildlicher Hinsicht halten die Vergleichsmarken in allen üblichen Wiedergabeformen ebenfalls einen noch ausreichenden Abstand ein. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Marken im Schriftbild erfahrungsgemäß mit etwas größerer Sorgfalt wahrgenommen werden als im eher flüchtigen Klangbild, das häufig bei mündlicher Benennung entsteht (vgl. BPatG GRUR 2004, 950, 954 - ACE-LAT/Acesal). Zudem steht beim schriftlichen Markenvergleich der Fachverkehr, der aufgrund seiner beruflichen Praxis und Erfahrung im Umgang mit Arzneimittelmarken über ein erhöhtes Unterscheidungsvermögen verfügt, im Vordergrund (vgl. BGH a. a. O. Indorektal/Indohexal). Unter diesen Voraussetzungen reichen auch bei einer schriftlichen Wiedergabe die Abweichungen zwischen den Buchstaben "(Oss)ofo(rti)n" und "(Oss)ive(rt)il" aus, um eine Unterscheidbarkeit der Marken zu gewährleisten.

Wie die Markenstelle zutreffend festgestellt hat, trägt zur Unterscheidbarkeit der Marken schließlich auch der Begriffsgehalt in dem Bestandteil "fortin" der Widerspruchsmarke bei im Sinne von "Stärkung", der auch für den allgemeinen Verkehr erkennbar ist und der in der angegriffenen Marke mit "vertil" nicht nur keine Entsprechung hat, sondern für Fachleute möglicherweise einen fernen Anklang an "vertebra", "vertebralis" (= Wirbel der Wirbelsäule, vgl. Duden a. a. O.) gibt.

Anhaltspunkte dafür, dass aus sonstigen Gründen die Gefahr von Verwechslungen bestehen könnte, sind nicht dargelegt und auch nicht ersichtlich.

Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bietet der Streitfall keinen Anlass (§ 71 Abs. 1 MarkenG).






BPatG:
Beschluss v. 12.02.2007
Az: 30 W (pat) 63/05


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/11d95a5ff72b/BPatG_Beschluss_vom_12-Februar-2007_Az_30-W-pat-63-05




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share