Bundespatentgericht:
Beschluss vom 9. Oktober 2000
Aktenzeichen: 11 W (pat) 102/99

(BPatG: Beschluss v. 09.10.2000, Az.: 11 W (pat) 102/99)

Tenor

Auf die Beschwerde der Einsprechenden wird der Beschluß der Patentabteilung 26 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 14. September 1999 dahingehend abgeändert, daß das Patent beschränkt aufrechterhalten wird mit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Ansprüchen 1 - 4 nach Hilfsantrag und den übrigen erteilten Unterlagen.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Auf die am 2. November 1987 unter Inanspruchnahme der Voranmeldung in der Bundesrepublik Deutschland vom 6. November 1986 (AZ DE 36 37 866.6) beim Deutschen Patentamt eingereichte Patentanmeldung ist das Patent 37 37 122 mit der Bezeichnung "Verfahren zum Positionieren eines Faden-Abwickelanfangsstückes und Vorrichtung zum Durchführen des Verfahrens" erteilt und die Erteilung am 2. Mai 1996 veröffentlicht worden. Auf einen Einspruch hin hat die Patentabteilung 26 des Deutschen Patent- und Markenamts das Patent mit Beschluß vom 14. September 1999 aufrechterhalten. Die Lehre des erteilten Anspruchs 1 sei in den ursprünglichen Unterlagen hinreichend offenbart. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 sei gegenüber dem im Verfahren genannten Stand der Technik neu und beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit. Gleiches gelte für den nachgeordneten Vorrichtungsanspruch 6.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Einsprechenden. In den ursprünglichen Unterlagen sei zwingend offenbart, daß das Verfahren nach Patentanspruch 1 in einer auf die der die Kreuzspule herstellenden Maschine nachfolgenden Position durchgeführt werde. Der erteilte Anspruch 1 weise dieses einschränkende Merkmal nicht auf und lasse deshalb zu, daß das Verfahren auch in der die Kreuzspule erzeugenden Maschine Anwendung finden könne. Dies stehe im Widerspruch zum Inhalt der ursprünglichen Unterlagen und stelle somit eine unzulässige Änderung (Erweiterung) des Schutzgegenstandes dar. Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 beruhe zudem nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, da er lediglich eine Vereinfachung des aus der DE-OS 23 05 260 (4) bekannten Verfahrens betreffe.

Die Einsprechende stellt den Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent beschränkt aufrechtzuerhalten mit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Ansprüchen 1 - 4 gemäß Hauptantrag bzw gemäß Hilfsantrag und jeweils mit den übrigen erteilten Unterlagen.

Der Fachmann erkenne aus dem Gesamtinhalt der ursprünglichen Unterlagen, daß der Erfindungskern die Festlegung eines Fadenendstücks an einer Kreuzspule allgemein betreffe und nicht nur auf Maßnahmen in einer der spulenerzeugenden Maschine nachfolgenden Position beschränkt sei. Keines der Ausführungsbeispiele in den ursprünglichen Unterlagen erwähne eine derartige, der Spulenerzeugung nachgeordnete Einrichtung. Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 sei auch aus dem genannten Stand der Technik weder vorbekannt, noch werde er durch diesen nahegelegt. Er stelle vielmehr gegenüber dem Bekannten eine deutliche Vereinfachung des Verfahrens dar, mit dem eine sichere Verlegung des Fadenendes an der Spulenperipherie erreicht werde.

Der Anspruch 1 nach dem Hauptantrag lautet:

"Verfahren zum Positionieren eines Faden-Abwickelanfangsstücks an einer Kreuzspule, wobei der Faden (1) seitlich über die Spulenkante (3) hinweg geführt wird, dadurch gekennzeichnet, daß der Faden (1) nach dem Hinwegführen über die Spulenkante (3) längs der Spulenstirnfläche (5) gelegt wird, der Faden (1) anschließend wieder über die Spulenkante (3) zur Spulenperipherie (2) gelenkt wird, und daß der Faden (1) durch Auflegen der Fadenspitze (6) auf der Spulenperipherie (2) gesichert wird."

Der Anspruch 4 lautet:

"Vorrichtung zur Durchführung der Verfahrens nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 3 mit einer Vorrichtung bestehend aus einer Saugdüse oder dergleichen zum Lösen des Fadens (1) von der Spulenperipherie (2), dadurch gekennzeichnet, daß die Saugdüse zur Seite führbar ausgestaltet ist, zum Herabführen des Fadens (1) von und zum Zurückführen des Fadens (1) auf die Spulenperipherie (2)."

Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag unterscheidet sich von dem des Hauptantrags dadurch, daß im Oberbegriff nach "wobei der Faden (1)" das Merkmal "nach dem Auffinden an der Spulenperipherie (2)" eingefügt ist.

Nach beiden Anträgen liegt sinngemäß die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren und eine Vorrichtung zu dessen Durchführung anzugeben zum griffbereiten Vorlegen des Faden-Abwickelanfangs bei einer Kreuzspule, bei dessen Anwendung das Abwickelanfangsstück fest an der Spule haftet und zugleich ohne weiteres zu finden, zu greifen und abzuziehen ist.

Bezüglich des Wortlauts der für beide Anträge gleichlautenden Ansprüche 2 und 3, des auf eine Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens gerichteten Anspruchs 4 sowie des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Einsprechenden ist nur teilweise begründet und führt zur beschränkten Aufrechterhaltung des Patents nach Hilfsantrag.

Fachmann ist ein Ingenieur des Textilmaschinenbaus mit mindestens Fachhochschulabschluß, der besondere Kenntnisse auf dem Gebiet der Spinnereitechnik und Handhabung von Garnen besitzt.

Zum Hauptantrag Der geltende Anspruch 1 ist nicht zulässig, da sein Gegenstand eine unzulässige Änderung gegenüber den ursprünglich beim Deutschen Patentamt eingereichten Unterlagen darstellt.

Dem Anspruchswortlaut des geltenden Anspruchs 1 ist nicht zu entnehmen, an welcher Stelle der Spulenherstellung das patentierte Verfahren Anwendung finden soll. Er läßt somit offen, worauf die Einsprechende zurecht hingewiesen hat, ob es nicht am Ende des Aufwickelns auch an der die Spule herstellenden Maschine erfolgen kann und unter Schutz gestellt ist. Diese Möglichkeit steht jedoch im Widerspruch zur ursprünglichen erfindungswesentlichen Beschreibung (vgl. Offenlegungsschrift), in der mehrfach und deutlich hervorgehoben ist, daß die Schritte des erfindungsgemäßen Verfahrens in einer Position erfolgen sollen, die auf die Kreuzspule herstellende Maschine, Sp 2 Z 61-62, Sp 3 Z 12-17 und 43-53 folgt beispielsweise in einer Transporteinrichtung, Sp 1 Z 8-10 und Sp 3 Z 18-22 und Z 28-30 und daß es gerade nicht an der genannten Maschine selbst sein soll. Dies sei zwar möglich, soll aber vermieden werden, da es zu Nachteilen führe, Sp 3 Z 2-11. Damit geht der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 über den ursprünglichen Anmeldungsgegenstand hinaus, was nach PatG § 38 nicht zulässig ist.

Den Ausführungen der Patentinhaberin und der Patentabteilung, daß der Fachmann den ursprünglichen Unterlagen entnehmen könne, daß das patentgemäße Verfahren an beliebiger Stelle bei der Herstellung der Spulen angewendet werden könne, da bei der Beschreibung der Ausführungsbeispiele jeglicher Hinweis auf eine bestimmte Maschine oder Einrichtung fehle, vermochte sich der Senat nicht anzuschließen. Bei sorgfältigem Lesen der Anmeldungsunterlagen erhält der Fachmann schon im Anspruch 1 den Hinweis darauf, daß das Verfahren in einer auf die Kreuzspule herstellenden Maschine folgenden Position durchzuführen sei. Diese Bedingung wird durch die bereits genannten Fundstellen in der Beschreibung erhärtet, die den Fachmann lehren, den Anmeldungsgegenstand getrennt nach der die Spulen herstellenden Maschine anzuwenden. Deshalb kann der Fachmann auch die Ausführungsbeispiele und Figuren nur so verstehen. Eine nachträgliche Verallgemeinerung dieser Lehren, die auch die Anwendung des Verfahrens auf der die Spulen herstellenden Maschine umfassen würde, erweitert den Anmeldungsgegenstand, zumal ursprünglich davon sogar abgeraten wird (Sp 3 Z 2-11) und Vorteile hervorgehoben werden, die nur bei Anwendung des Verfahrens an einer zentralen Stelle - also für mehrere spulenherstellende Maschinen gemeinsam - auftreten (Sp 3 Z 43-53). Dabei soll erfindungsgemäß das griffbereite Fadenvorlegen in einer der Herstellmaschine folgenden Position wie zum Beispiel in einer Transporteinrichtung erfolgen. Nur so ist der Erfindungsgegenstand zu verstehen.

Ohne zulässigen Hauptanspruch können auch die Unteransprüche nicht bestehen bleiben. Der Hauptantrag kann daher keinen Erfolg haben.

2. Zum Hilfsantrag 2.1. Der hierzu geltende Anspruch 1 ist neu. Das neu aufgenommene Merkmal "nach dem Auffinden an der Spulenperipherie" schreibt vor, das Verfahren an einer Stelle bzw Einrichtung anzuwenden die der Spulenherstellung dienenden Maschine nachgeordnet ist. Wie die Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung erläutert hat und wie dies auch durch die Ausführungen in der Beschreibung gestützt wird, ist die Position des Fadenendes (auch Fadenspitze genannt) im Bereich der die Spule herstellenden Maschine bekannt und festgelegt, so daß es nicht gesucht zu werden braucht. Erst wenn die Spule diese Maschine verläßt und einem nachgeordneten Gerät, wie einer Transporteinrichtung oder einem Spulenhandler, zugeführt wird, ist die Lage des Fadenendes nicht mehr definiert und muß gesucht werden, bevor weitere Verfahrensschritte durchgeführt werden können. Durch die Einfügung des obengenannten, einschränkenden Merkmals ist somit festgelegt, daß das erfindungsgemäße Verfahren stets in einer Position durchzuführen ist, die auf die Maschine folgt, mit der die Kreuzspule hergestellt wird. Dies steht im Einklang mit den ursprünglichen Unterlagen, wie bereits zum Hauptantrag dargelegt wurde, und mit den Ausführungen in der Patentschrift Sp 1 Z 42 bis Sp 2 Z 7.

Im übrigen beruht der geltende Anspruch 1 auf den erteilten Ansprüchen 1, 2 und 5, die dem Ausführungsbeispiel gemäß Fig. 1 mit zugehöriger Beschreibung vom Anmeldetag entsprechen.

2.2. Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 ist neu, denn keine der im Verfahren genannten Entgegenhaltungen beschreibt ein Verfahren mit sämtlichen in diesem Anspruch aufgeführten Merkmalen wie unter anderem ein zweimaliges Legen des Fadens über die Spulenkante mit Sicherung der Fadenspitze auf der Spulenperipherie. Dies gilt auch für die Druckschrift (4), da ua bei dem dort beschriebenen Verfahren der Faden nicht an der Spulenperipherie abgelegt wird, sondern mittels eines Klebeetiketts am Garnträger, zB einer Hülse fixiert wird.

2.3. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist zweifellos gewerblich anwendbar. Ihm liegt auch eine erfinderische Tätigkeit zugrunde.

Aus (4) ist ein Verfahren zum Positionieren des Endes eines Garns, was dem "Faden-Abwickelanfangsstück" des Patents entspricht, an einem Kop bekannt, wobei das Garn zum wiederfindbaren Positionieren nach dem Auffinden an der Spulenperipherie erst seitlich über zumindest eine Spulenkante geführt wird. Vgl. hierzu insbesondere die Fig. 1, 5 und 6 mit zugehöriger Beschreibung. Zwar ist in den Figuren und der Beschreibung ausschließlich ein "Kop" gezeigt bzw genannt, aber da bereits im ersten Absatz der Beschreibung dargelegt ist, daß unter einem Kop Garnträger und Garnwicklungskörper gleichgültig welcher Art zu verstehen sein sollen, ist es für den Fachmann klar, daß hiermit auch Kreuzspulen gemeint sein könnten. Kreuzspulen unterscheiden sich von den in (4) dargestellten Kops mit jeweils schrägen Endflächen hauptsächlich nur darin, daß sie im wesentlichen gegenüber der Spulenachse bzw Hülse senkrechte Stirnflächen besitzen. Damit weist das Verfahren nach (4) sämtliche Merkmale wie im Oberbegriff des Patentanspruchs 1 auf,. In (4), S 4 Abs 2, ist auch ausgeführt, daß das Verfahren zweckmäßiger Weise erst nach der Abnahme des Kopses von der Maschine vorgenommen werden soll, die vorangehend den kompletten Garnwicklungskörper auf den Garnträger aufwand, so daß auch hierin Übereinstimmung besteht.

Gemäß Fig. 6 mit zugehöriger Beschreibung wird das Garn nach dem Hinwegführen über die erste Spulenkante (Pfeil 40) längs der Spulenstirnfläche gelegt und anschließend wieder über diese Spulenkante zur Spulenperipherie (obere Hälfte von Pfeil 41) gelenkt. Weiter wird das Garn über die zweite (in Figur 6 die untere) Spulenkante und die andere schräge Stirnfläche (unterer Teil von Pfeil 41) bis zur Hülse 18 geführt, die dann mehrfach umwickelt wird (Pfeil 42), und schließlich wird dort das Garn mittels eines selbstklebenden Haftetiketts 45 befestigt.

Hiervon unterscheidet sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 dadurch, daß der Faden bereits nach dem Rückführen von der ersten Spulenstirnfläche zur Spulenperipherie durch Auflegen der Fadenspitze auf die Spulenperipherie gesichert wird. Durch diese Maßnahme entfallen nicht nur die in Figur 6 von (4) durch den unteren Teil von Pfeil 41 und Pfeil 42 bezeichneten Verfahrensschritte, sondern auch die Fixierung des Fadenendes an der Hülse durch ein Klebeetikett. Dies bedeutet eine wesentliche Beschleunigung und Vereinfachung des beanspruchten Verfahrens, wofür es einer erfinderischen Tätigkeit bedurfte. (4) selbst gibt keinerlei Anregung hierzu.

Auch die JP-AS 51 25854 (5) führt nicht in Richtung der Erfindung. Zwar sind in ihr Kreuzspulen gezeigt (s Fig. 1-5 mit zugehöriger Beschreibung (deutsche Übersetzung S 2 Abs 2), aber die Fadenenden werden zunächst zur Fixierung über die Spulenkante hinweg um die Spulenhülse 7 gewickelt und dann zur Wicklung weiterer Spulenlagen auf den Spulenumfang zurückgeführt (Figuren 2 bis 4). Schließlich werden die stirnseitigen Fadenschlaufen an der Spulenhülse aufgeschnitten, so daß die Fadenspitzen 1a, 1b stirnseitig neben der Spulenwicklung frei sind, vergleiche Figur 5. Die Fadenspitze wird somit nicht an der Peripherie der Spule abgelegt wie beim Verfahren nach dem Patent. Hierfür kann (5) schon deswegen keine Anregung geben, weil es dort um das Aufwickeln von mehreren Garnstücken verschiedener Länge auf einer Kreuzspule geht und nicht um die Fixierung des Endes eines Fadens auf einer solchen Spule.

Die übrigen im Verfahren genannten Entgegenhaltungen, die DE 29 47 834 A1 (1), DE 25 06 930 A1 (2), CH-PS 507 151 (3) liegen noch weiter vom Patentgegenstand ab, als die bereits genannten Druckschriften. Sie haben im Beschwerdeverfahren keine Rolle mehr gespielt und können auch nach Feststellung des Senats die Patentfähigkeit des Anspruchs 1 nicht in Frage stellen.

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 erfüllt demnach alle für die Patentierbarkeit geforderten Kriterien. Der Anspruch 1 nach dem Hilfsantrag hat somit Bestand.

Die Ansprüche 2 und 3 betreffen vorteilhafte und nicht selbstverständliche Fortbildungen des Gegenstands des Anspruchs 1. Sie haben daher zusammen mit dem Anspruch 1 Bestand. Auch der auf eine Vorrichtung zur Durchführung des Verfahren nach den Ansprüchen 1 bis 3 gerichtete Anspruch 4 wird von den Merkmalen des Verfahrens nach Anspruch 1 getragen und hat demnach ebenfalls Bestand.

Niedlich Dr. Henkel Hotz Skribanowitzprö






BPatG:
Beschluss v. 09.10.2000
Az: 11 W (pat) 102/99


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