Verwaltungsgericht Berlin:
Urteil vom 9. Oktober 2008
Aktenzeichen: 29 A 59.06

(VG Berlin: Urteil v. 09.10.2008, Az.: 29 A 59.06)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt als Zessionarin Entschädigung nach dem NS-VEntschG für einen 84,7 %igen Bruchteilseigentumsanteil an dem in Berlin-M. gelegenen, 638 m² großen Grundstück P.-Straße 1€.

Die Klägerin macht insoweit Ansprüche am Vermögen der Gemeinnützigen Heimstätten AG (GEHAG) geltend. Die GEHAG wurde 1924 gegründet. Bis September 1928 erhöhte sich das Aktienkapital in mehreren Schritten auf 1 Mio. RM. Anteilseigner waren bei Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft eine Reihe von Gewerkschaften, einige Wohnungsbauunternehmen und Baugenossenschaften sowie die AOK Neukölln, wobei an den Wohnungsbauunternehmen und Baugenossenschaften wiederum gewerkschaftliche Beteiligungen bestanden. Die unmittelbare Beteiligung von Gewerkschaften betrug zu diesem Zeitpunkt 61,7 %. Die Klägerin gibt den Anteil der freien Gewerkschaften unter Berücksichtigung der Beteiligungen an den anderen Anteilsinhabern mit 84,7 % an.

Im Mai 1933 wurden alle freien Gewerkschaften von den nationalsozialistischen Machthabern zerschlagen. Am 2. Mai wurden Gewerkschaftsgebäude und gewerkschaftliche Einrichtungen besetzt und führende Gewerkschaftsfunktionäre verhaftet. Durch eine Beschlagnahmeanordnung des Generalstaatsanwalts beim Landgericht Berlin vom 12. Mai 1933 verloren die freien Gewerkschaften faktisch ihr gesamtes Vermögen. Dieses wurde der Deutschen Arbeitsfront (DAF) zugewiesen und bildete deren Vermögensgrundstock.Die DAF führte die ehemaligen Gewerkschaftsunternehmen grundsätzlich fort. Allerdings setzte eine Konzentration auf die bedeutsamsten und wirtschaftlich wichtigsten Unternehmen ein. Einige Unternehmen wurden liquidiert oder verkauft, andere mit größeren Unternehmenseinheiten zusammengelegt. Die DAF fasste das den Gewerkschaften entzogene Vermögen in zwei im April 1934 gegründeten Gesellschaften, der Treuhandverwaltung für wirtschaftliche Unternehmen der DAF GmbH (TWU) und der Vermögensverwaltung der DAF (VVdDAF) zusammen, wobei die TWU die zuvor den Gewerkschaften weggenommenen Beteiligungen an wirtschaftlichen Unternehmungen im Auftrag der VVdDAF hielt.

Hinsichtlich der GEHAG unterfielen alle von den Gewerkschaften unmittelbar gehaltenen Aktien der Enteignungsaktion, während die übrigen Aktien Ende 1935von der DAF käuflich erworben wurden. Lediglich die Baugenossenschaft €Ideal€ blieb selbst im Besitz ihrer Aktien.

Bis Ende 1932 hatte die GEHAG in Berlin über 6.000 Wohnungen errichtet. Ferner betreute sie in dieser Zeit den Bau von mindestens weiteren 3.000 Wohnungen. Die DAF erweiterte das Betätigungsfeld der GEHAG auf das gesamte Deutsche Reich und machte diese Gesellschaft zu ihrem Hauptwohnungsunternehmen. Im Zuge dieser Entwicklung wurde das Grundkapital im Jahr 1936 um 1 Mio. RM und im Jahr 1938 um weitere 3 Mio. RM erhöht, so dass das Grundkapital per August 1939 5 Mio. RM betrug. Hiervon entfielen zu diesem Zeitpunkt 4,825 Mio. RM auf die TWU, 125.000 RM auf die €Neue Heimat€ € ein vor der Zerschlagung der Gewerkschaften fast vollständig in deren Eigentum stehendes Unternehmen - und 50.000 RM auf die Baugenossenschaft €Ideal€. 1941 fand die Verschmelzung mit einer anderen großen, überwiegend den Gewerkschaften gehörenden gemeinnützigen Bau- und Siedlungsgesellschaft, der Aktiengesellschaft €Heimat€ statt. Der Fusionsvertrag wurde abgeschlossen, nachdem die DAF im Zuge der Gewerkschaftsenteignungen bereits einen Großteil der 5 Mio. Reichsmark Aktien der €Heimat€ erworben hatte. Der Vertrag sah vor, dass die Aktionäre der €Heimat€ für jede Aktie eine GEHAG-Aktie erhalten sollten, was zu einer Erhöhung des Grundkapitals der GEHAG auf nunmehr 10 Mio. RM führte. Danach und per 8. Mai 1945 verteilten sich die GEHAG-Aktien wie folgt: 9,7403 Mio. RM entfielen auf die TWU, 50.000 RM auf die Baugenossenschaft €Ideal€ und 209.700 RM auf einzelne Mieter von Heimat-Wohnungen. In Berlin waren zu diesem Zeitpunkt 17.751 und im übrigen Reich 1.567 GEHAG-Wohnungen vorhanden.

Das streitgegenständliche Grundstück wurde von der GEHAG im Rahmen eines Kaufvertrags vom 11. Juni 1942 erworben, mit dem die Gesellschaft insgesamt 40.962 m² Bauland zu einem Quadratmeterpreis von 3,00 RM/m² erwarb. Das Areal wurde noch mit Kaufvertrag vom 13. September 1944 zum selben Quadratmeterpreis an eine Leipziger Unternehmung weiterveräußert, die Eigentumsumschreibung erfolgte am 20. Februar 1945.

Die Käuferin wurde - ebenso wie die GEHAG selbst - besatzungshoheitlich enteignet. Das Streitgrundstück stand daher im Eigentum des Volkes. Es wurden dingliche Nutzungsrechte verliehen, zuletzt im Jahr 1974 an die Eheleute T..

Die Aktien der GEHAG unterlagen gemäß rechtskräftigem Beschluss des Landgerichts Berlin vom 11. August 1950 vollständig der Wertpapierbereinigung.

In einem Rückerstattungsverfahren in Berlin entschied die €Berliner Kommission für Ansprüche auf Vermögenswerte nach der Kontrollratsdirektive Nr. 50€ mit Schlussentscheidung vom 20. Januar 1951 über die Rechte aus den Aktien der GEHAG wie folgt: Je 34 % der Rechte seien auf die Vermögensverwaltungs- und Treuhandgesellschaft des DGB GmbH und die Vermögensverwaltung der DAG GmbH; die Rechte aus den restlichen 32 % auf das Land Berlin zu übertragen. Diese Quoten entsprachen einer zwischen den drei Begünstigten ausgehandelten Einigung. Die Kommission hatte keine Bedenken, diesen Anträgen zu entsprechen. Zur Begründung hieß es: Der Vermögenswert, den die Beteiligung der Arbeitsfront an der GEHAG darstellt, rührte einmal aus einem Raub früherer gewerkschaftlicher Anteilsrechte her, weiter aus dem Ankauf von Aktien aus Privathand und von nicht gewerkschaftlichen Organisationen und schließlich aus der Wertsteigerung, die die Arbeitsfront durch Ausdehnung des Wohnungsunternehmens geschaffen habe. Soweit früheres Gewerkschaftsvermögen vorliege, könne an der Anspruchsberechtigung der beiden Gewerkschaftsunternehmen kein Zweifel bestehen.Soweit die Vermögenswerte aus Ankäufen stammen und soweit die Werte €originär nazistisch€ seien, sei das Land Berlin anspruchsberechtigt. Infolge der Einigung habe die Kommission nicht selbst über die prozentuale Verteilung der Anteile entscheiden müssen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Deutsche Angestelltengewerkschaft (DAG) haben unstreitig rechtzeitig vermögensrechtliche Ansprüche auf die in Ost-Berlin gelegenen Grundstücke angemeldet, die im Eigentum der GEHAG standen. Die beiden Gewerkschaftsdachverbände haben diese Ansprüche durch notariell beurkundete Erklärungen an die Klägerin, ein gewerkschaftliches Beteiligungsunternehmen, abgetreten.

Mit Bescheid des Bundesamtes für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen vom 26. Juli 2006 ist der Antrag der Klägerin auf Einräumung von Bruchteilseigentum an dem Streitgrundstück abgelehnt worden. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Durch den Entzug der Verfügungsmacht über ihre Anteile im Mai 1933 seien die gewerkschaftlichen Anteilsinhaber im Sinne von § 1 Abs. 6 VermG €auf andere Weise€ geschädigt worden. Die Entscheidung der Berliner Kommission vom 20. Januar 1951 entspreche einer Unternehmensrückgabe im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG. Deshalb komme grundsätzlich ein vermögensrechtlicher Anspruch im Wege des Durchgriffs gemäß § 3 Abs. 1 Satz 4 ff. VermG in Betracht. Die Einräumung von Bruchteilseigentum scheide jedoch schon nach § 4 Abs. 2 VermG aus, weil die Eheleute T. das dingliche Nutzungsrecht am Grundstück redlich erworben hätten. Der Klägerin stehe jedoch auch kein Entschädigungsanspruch zu. Denn § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG sei vom Sinn und Zweck her nicht anwendbar auf so genannte durchlaufende Grundstücke, d.h. Grundstücke, die - wie hier - nach der Schädigung angeschafft, jedoch von dem Unternehmen noch vor dem 8. Mai 1945 weiterveräußert worden sind. Denn in diesen Fällen bestünde keine Wiedergutmachungslücke, zu deren Schließung § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG ausschließlich geschaffen worden sei. Durch den Verkauf des Grundstücks im Jahr 1944 sei der Gegenwert jedoch in Form des Kauferlöses bereits wieder im Unternehmen enthalten gewesen. Das Unternehmen aber sei durch die Entscheidung der Berliner Kommission vom 20. Januar 1951 bereits zurückübertragen worden. Damit sei auch der Gegenwert des Grundstücks rückübertragungsrechtlich bereits entschädigt worden.

Mit der am 26. August 2006 eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie begründet die Klage im Wesentlichen wie folgt:

Soweit die Beklagte die Ablehnung nunmehr auch darauf stütze, dass der Anwendungsbereich vom § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG bei erheblichen Veränderungen der Kapitalstruktur nicht gegeben sei, weil dann die Vermögenswerte nicht mehr €mit Mitteln des Unternehmens€ angeschafft seien, stehe dem bei der GEHAG entgegen, dass die hier in Rede stehenden Kapitalerhöhungen im Wesentlichen ohne Mittelzuflüsse €von außen€ erfolgt seien. Die dritte Kapitalerhöhung sei ohnehin ausschließlich Folge der Verschmelzung mit der €Heimat AG€ gewesen, einem weiteren reinen Gewerkschaftsunternehmen. Aber auch bei der ersten und zweiten Kapitalerhöhung seien die Mittel ausschließlich aus dem Vermögen der DAF selbst aufgebracht worden. Die DAF aber sei praktisch mit dem im Mai 1933 €geraubten€ Gewerkschaftsvermögen gleichzusetzen, das sie in der Folgezeit weiter verwaltet habe. Dies unterscheide den vorliegenden Fall wesentlich von dem inzwischen vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall der GAGFAH, bei der die Mittel für Kapitalerhöhungen von einer Dritten, nämlich der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte, aufgebracht worden seien. Der rückerstattungsrechtliche Grundsatz der größtmöglichen Wiedergutmachung gebiete eine Auslegung des Begriffs €mit Mitteln des Unternehmens€ dahin, dass hierzu zumindest auch nachträglich eingeflossene Mittel der geschädigten Gewerkschaften zählen. Wenn die Beklagte geltend mache, dies führe zu einer Doppelentschädigung, weil die eingeflossenen Mittel bereits bei den anderen Gewerkschaftsunternehmen entschädigt würden, müsse sie dies konkret belegen.

Die Problematik der Kapitalaufstockungen stelle sich vorliegend auch gar nicht, da das der GEHAG von den Gewerkschaften zur Verfügung gestellte Kapital zur Finanzierung der Anschaffungen nach 1933 inBerlinausreichend gewesen sei. Dies ergebe sich aus einem Schreiben des Niedersächsischen Landesamts für die Beaufsichtigung gesperrten Vermögens vom 25. August 1951 (Bl. 137/139 der Gerichtsakte).

Im Übrigen tritt die Klägerin der Rechtsauffassung der Beklagten und des Bundesverwaltungsgerichts, wonach eine Restitution nach einer Vervielfachung des Grundkapitals generell ausgeschlossen ist, weiterhin grundsätzlich entgegen. Die Einführung von § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG sei gerade vor dem Hintergrund erfolgt, dass die NS-Geschädigten hinsichtlich der ostdeutschen Vermögenswerte aufgrund des Zeitablaufs und der vermögensrechtlichen Ausschlussgründe ohnehin schlechter gestellt seien, weil eine Rückübertragung der Unternehmen in Natur regelmäßig nicht in Betracht komme. Umso mehr dürfe hier keine einschränkende Auslegung vorgenommen werden. Zumindest aber müsse berücksichtigt werden, dass auch in den Investitionen nach den Kapitalerhöhungen noch anteilig Kapital der ursprünglichen GEHAG bzw. deren durch €organisches Wachstum€ erworbenes Vermögen enthalten gewesen sei. Dies müsse ggf. durch Zusprechen einer prozentualen Quote ausgeglichen werden.

Die Auffassung der Beklagten, für den Anspruch nach § 3 Abs. 1 Satz 4 ff. VermG müsse der Vermögenswert bis zum 8. Mai 1945 im Eigentum des in Rede stehenden Unternehmens geblieben sein, bei so genannten durchlaufenden Grundstücken greife die Norm folglich nicht ein, sei unzutreffend. Es sei unerheblich, aus welchem Grund das Grundstück wieder ausgeschieden ist. Nur im Falle des § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG, dessen Voraussetzungen hier aber nicht vorliegen würden, sei eine Rückgabe in den fraglichen Fällen ausgeschlossen.

Soweit die Beklagte nunmehr einwende, ein Anspruch sei insoweit jedenfalls auf der Entschädigungsebene gem. § 1 Abs. 2 Satz 2 NS-VEntschG ausgeschlossen, weil der Gegenwert bereits mit der Rückgabe des Unternehmens durch die Entscheidung der Berliner Kommission vom 20. Januar 1951 zurückgeflossen sei, sei dies ebenfalls nicht zutreffend. Denn zum Einen sei damals nur zu 68 % an die Gewerkschaften restituiert worden. Zum anderen seien Vermögenswerte in der DDR nicht erfasst worden. Auch insoweit fehle es an konkreter Darlegung, worin die Wiedergutmachung bestanden habe.

Die Klägerin hat ausdrücklich klargestellt, dass sie den Bescheid vom 26. Juli 2006 nicht angreife, soweit darin ein redlicher Erwerb der Eheleute T. festgestellt werde.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen vom 26. Juli 2006 mit Ausnahme der Entscheidung zum redlichen Erwerb gemäß § 4 Abs. 2 VermG zu verpflichten, festzustellen, dass die Klägerin hinsichtlich eines Anteils von 84,7 % gemäß § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG Berechtigte an dem Grundstück P. (Flur 2€, Flurstück 2€, Größe 638 m²) in Berlin-M. ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält an dem Bescheid fest und hat ihre Begründung wie oben angedeutet ergänzt. Aus den zwei Kapitalerhöhungen und der Verschmelzung mit der €Heimat€ AG, folge zwingend, dass das Grundstück nicht im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG € mit Mitteln des Unternehmens€ angeschafft worden sei. Dies ergebe sich mittelbar auch aus der eine gütliche Einigung übernehmenden Entscheidung der Berliner Kommission vom 20. Januar 1951, bei der den beiden Gewerkschaften zusammen lediglich 68 % des Kapitals der GEHAG übertragen worden sei, weil es sich im Übrigen infolge der Unternehmensentwicklung um €originär nazistisches Vermögen€ gehandelt habe. Anderenfalls würde es zu Doppelentschädigungen kommen. Denn die Vermögenswerte anderer Gewerkschaftsunternehmen, mit denen € dies unterstellt € die Kapitalerhöhungen der GEHAG bestritten wurden, würden ihrerseits Wiedergutmachungsansprüche hinsichtlich dieser Unternehmen auslösen. Auf die genaue Höhe der gewerkschaftlichen Anteile, die noch nicht abschließend geklärt sei, komme es daher nicht an.

Zur Ergänzung des Sachverhalts und des Vorbringens der Parteien wird neben der Verwaltungsstreitakte auf den Verwaltungsvorgang Bezug genommen, der vorgelegen hat und - soweit erheblich - Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen ist.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 26. Juli 2006 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Feststellung ihrer Berechtigung hinsichtlich eines Miteigentumsanteils an dem Streitgrundstück (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Anspruchsgrundlage für das klägerische Begehren ist § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG. Danach kann der Berechtigte verlangen, dass ihm an den in dieser Norm näher bezeichneten Vermögensgegenständen im Wege der Einzelrestitution in Höhe der ihm entzogenen Beteiligung Bruchteilseigentum eingeräumt wird. Voraussetzung ist dabei, dass diese Vermögensgegenstände mit einem nach § 1 Abs. 6 i.V.m. § 6 VermG zurückzugebenden oder einem nach diesem oder einem anderen nach dem 8. Mai 1945 ergangenen Gesetz bereits zurückgegebenen Unternehmen entzogen oder von ihm später angeschafft worden sind. Der Anspruch auf Bruchteilsrestitution besteht auch, wenn - wie hier - eine Beteiligung an einem Unternehmen Gegenstand der Schädigung nach § 1 Abs. 6 VermG ist und das Unternehmen zum Zeitpunkt der Schädigung nicht von Maßnahmen nach § 1 VermG betroffen war (§ 3 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 2 VermG). Weiterhin müssen diese Gegenstände aus irgendwelchen Gründen nicht mehr zum Vermögen des Unternehmens gehören. Insoweit liegen die Tatbestandsvoraussetzungen unstreitig vor.

Zudem müssen die Gegenstände, die von dem Unternehmen bis zum 8. Mai 1945 angeschafft worden sind, mit Mitteln des Unternehmens erworben worden sein. Diese letzte Voraussetzung geht unmittelbar aus § 3 Abs. 1 Satz 6 VermG hervor, der zum Zwecke der Beweiserleichterung eine Vermutungsregelung aufstellt und zugleich das Tatbestandsmerkmal, dessen tatsächliches Vorliegen vermutet werden soll, näher umschreibt, nämlich den Erwerb "mit Mitteln des Unternehmens". Aus der Vorschrift des § 3 Abs. 1 Satz 6 VermG folgt somit, dass in der materiellrechtlichen Anspruchsnorm in § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG bereits das Merkmal des Erwerbs mit Mitteln des Unternehmens enthalten ist. Für die Prüfung der Anspruchsvoraussetzung des § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG hat das zur Folge, dass schon bei Fehlen eines Erwerbs mit Mitteln des Unternehmens ein Anspruch nach dieser Norm ausscheidet (BVerwG, Urteil vom 2. April 2008 € 8 C 7.07 €, ZOV 2008, 160).

Insoweit folgt die Kammer der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts und hält die von der Klägerin weiterhin erhobenen grundsätzlichen Einwendungen für unbegründet. Zwar ist die Vermutungsregelung des § 3 Abs. 1 Satz 6 VermG erst nachträglich in das Gesetz eingefügt worden, um Beweisschwierigkeiten der NS-Geschädigten Rechnung zu tragen. In der zitierten Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts liegt jedoch keine vom Gesetzgeber nicht gewollte Schlechterstellung dieses Personenkreises. Es liegt in der Natur der Sache und versteht sich von selbst, dass die Anschaffung eines Vermögenswertes mit Mitteln des Unternehmens, wozu Satz 6 eine Beweisregelung trifft, bereits als Tatbestandsmerkmal in Satz 4 der Norm enthalten ist. Denn es ist allgemeiner Grundsatz des Wiedergutmachungsrechts, dass der Geschädigte nicht weniger, aber auch nicht mehr zurück erhalten soll, als er verloren hat. Dem entsprachen auch die Regelungen des Rückerstattungsrechts. Nach Art. 29 Abs. 3 USREG (= § 25 Abs. 3 BrREG) erstreckt sich im Fall der Entziehung eines Unternehmens der Erstattungsanspruch auf die €nach der Entziehung für das Unternehmen neu beschafften Vermögensgegenstände, es sei denn, dass der Rückerstattungspflichtige nachweist, dass die Neubeschaffung nicht mit Mitteln des Unternehmens erfolgt ist€. Aber auch bei der Anteilsschädigung, bei der die Rückerstattungsgesetze - anders als § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG - keinen Durchgriff auf nicht mehr zum Unternehmen gehörende Vermögenswerte vorsahen, konnte und musste wesentlichen Änderungen des Unternehmens, insbesondere seiner Kapitalstruktur, Rechnung getragen werden. Entweder hatte die Wiedergutmachungskammer dem gemäß Art. 22, 23 USREG (= Art. 18, 19 BrREG) bei der konkreten Ausgestaltung der Rückübertragung der Anteile Rechnung zu tragen, wobei ihr eine weitgehende gesetzliche Ermächtigung zu schöpferischer Rechtsgestaltung erteilt war (von Godin, Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände in der amerikanischen und britischen Besatzungszone und in Berlin, 2. Aufl. 1950, 4. zu Art. 23 USREG), oder diese Veränderungen waren im Rahmen einer Schadensersatzleistung gemäß Art. 26 USREG (= Art. 22 BrREG) zu berücksichtigen. Die von der Klägerin in diesem Zusammenhang angestellten allgemeinen Erwägungen rechtfertigen auch nach Auffassung der Kammer kein Abrücken von diesem klaren systematischen und historischen Auslegungsbefund. Soweit die Klägerin meint, mit dieser Rechtsprechung werde ein Wertungswiderspruch zu § 2 der Unternehmensrückgabeverordnung geschaffen, so trifft dies nicht zu. Denn die Unternehmensrückgabeverordnung regelt einen gänzlich anderen Fall, nämlich die Frage der Rückgabe des Unternehmens selbst, während es hier um den Durchgriff auf Vermögenswerte geht, die nicht mehr zum Unternehmen gehören.

"Mittel des Unternehmens" sind die im Zeitpunkt der Entziehung der Beteiligung vorhandenen Mittel und die finanziellen Möglichkeiten, die sich auf der Grundlage dieses Kapitals im Rahmen eines organischen Zuwachses des Unternehmens (z.B. Gewinne) ergeben haben. Eine wesentliche Änderung der Kapitalstruktur des Unternehmens führt dazu, dass der Erwerb nicht mehr mit den ursprünglichen Mitteln des Unternehmens vorgenommen wurde. Dies gilt auch für den Erwerb im Wege eines Kredits. Maßgebend ist, dass Grundlage für die Gewährung des Kredits die wesentlich erhöhte Kapitalausstattung des Unternehmens war. Auch insoweit folgt die Kammer der Rechsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 2. April 2008 € 8 C 7.07 € a.a.O.), die wiederum der rückerstattungsrechtlichen Terminologie angenähert ist (vgl. von Godin, a.a.O., 12. zu Art. 29 USREG €durch neue Einlagen nicht oder nicht wesentlich vermehrt€).

Daran, dass jedenfalls nach der zweiten Kapitalerhöhung im Jahr 1938, nach der das ursprüngliche Eigenkapital der GEHAG sich von 1 Mio. RM auf nunmehr 5 Mio. RM erhöht hatte, eine solche wesentliche Änderung der Kapitalstruktur erfolgt war, können keine Zweifel bestehen. Nach diesem Zeitpunkt von dem Unternehmen angeschaffte Vermögensgegenstände sind nicht mehr im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 4, 6 VermG €mit Mitteln des Unternehmens€ erworben. Denn eine solche Vervielfachung des Eigenkapitals führt dazu, dass die Verbindung zu den ursprünglichen Mitteln des Unternehmens gelöst ist. Damit tritt eine qualitative Veränderung ein, die eine Zurechnung zu den ursprünglichen Mitteln des Unternehmens ausschließt (BverwG, Urteil vom 2. April 2008, a.a.O.).

Unerheblich für den Eintritt dieser Rechtsfolge ist, ob die Mittel für die Kapitalerhöhungen von €ganz Außenstehenden€ aufgebracht worden sind (wie im Fall der GAGFAH durch die Reichsversicherungsanstalt) oder ob die Mittel von anderen Unternehmen stammten, die ihrerseits ganz oder überwiegend im Eigentum desselben Berechtigten - hier der freien Gewerkschaften, nunmehr repräsentiert durch Klägerin - standen und deren Anteile ebenfalls im Mai 1933 den Gewerkschaften geraubt worden waren. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift, der rein €unternehmensbezogen€ ist und wird bestätigt durch folgende systematische Überlegung, auf die die Beklagte zu Recht hinweist: In dem von der Klägerin geltend gemachten Fall müssen die Kapitalerhöhungen aus Vermögenswerten bestritten worden sein, die im Mai 1933 anderen gewerkschaftlichen Unternehmen geraubt wurden. In diesem Fall aber sind dieselben Mittel zwingend Gegenstand der Wiedergutmachung für diese anderen Unternehmen. Würde man die Grundstücke, die die GEHAG mit diesen Geldern finanziert hat, (anteilig) an die Gewerkschaften restituieren bzw. insoweit Entschädigung leisten, würden die Gewerkschaften eine doppelte Wiedergutmachung erhalten. Sie erhielten zunächst Wiedergutmachung für die ihren anderen Unternehmen geraubten Vermögenswerte und dann zusätzlich (anteilig) die Grundstücke, die mit denselben Vermögenswerten finanziert worden sind. Besonders deutlich wird dies, wenn man den Fall annimmt, dass bei der Kapitalerhöhung der GEHAG Mittel eines anderen, vollständig im Gewerkschaftseigentum stehenden Unternehmens verwendet wurden, welches seinen Sitz im späteren Beitrittsgebiet hatte. In diesem Fall würde die Wiedergutmachung für die Entziehung dieses anderen Unternehmens erst jetzt nach dem Vermögensgesetz und dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz erfolgen. Wenn das Unternehmen - wie regelmäßig - nicht mehr existiert, wäre Entschädigung nach § 2 Satz 2 ff. NS-VEntschG i.V.m. § 4 Abs. 2 bis 4 EntschG zu leisten. Maßgeblicher Zeitpunkt wäre der Zeitpunkt der Schädigung, hier also Mai 1933. Das zu diesem Zeitpunkt dem anderen Unternehmen gehörende Vermögen, mit dem bzw. aus dessen Surrogation später bei der Kapitalerhöhung GEHAG-Aktien gekauft worden sind, wäre dann zwingend Bestandteil der Bemessungsgrundlage für die Entschädigung dieses anderen Unternehmens, sei es, dass es sich im Einheitswert oder Ersatzeinheitswert anteilig ausdrückt, sei es, dass es bei einer Reinvermögensermittlung oder Schätzung zu beziffern wäre. Da die Mittelverlagerungen nicht mehr aufklärbar sind, können sie auch rein tatsächlich schon nicht durch eine Reduzierung der Bemessungsgrundlage des anderen Unternehmens berücksichtigt werden. Aber auch in anderen Fallkonstellationen hätten entweder früher rückerstattungsrechtliche Ansprüche bestanden oder waren nunmehr vermögensrechtliche Ansprüche entstanden, die denselben Vermögenswert, der später bei der Kapitalerhöhung der GEHAG eingesetzt wurde, wertmäßig umfassten. Daraus ergibt sich zwingend zumindest die Gefahr doppelter Entschädigung. Dies genügt, um es bei der Wortlautauslegung des Begriffs €Unternehmen€ zu belassen. Es muss nicht geprüft oder gar - wie die Klägerin meint - von der Beklagten nachgewiesen werden, ob im vorliegenden Einzelfall tatsächlich entsprechende Wiedergutmachungen geleistet worden sind. Auch der Frage, ob die Behauptung der Klägerin, die Kapitalerhöhungen bei der GEHAG seien ausschließlich oder zumindest ganz überwiegend aus anderem geraubten Gewerkschaftseigentum durchgeführt worden, zutrifft, was Voraussetzung für eine solche konkrete Prüfung der jeweiligen Wiedergutmachungsleistungen wäre, brauchte insoweit nicht nachgegangen zu werden. Die Prüfung dieser beiden Fragen im Einzelfall wäre heute auch in vielen Fällen gar nicht mehr möglich.

Anders verhielte es sich nur, wenn die GEHAG bei den Kapitalerhöhungen - teilweise - neue Aktien aus eigenen Mitteln erworben hätte. Für eine solche Kapitalerhöhung gemäß §§ 207 ff. AktG ist jedoch nichts vorgetragen oder ersichtlich. Dagegen spricht schon, dass nach dem Vortrag der Klägerin die GEHAG die Einkünfte aus ihrem Altvermögen in neue Bauvorhaben investiert hat. Dagegen spricht auch, dass eine solche Vorgehensweise den früheren gesetzlichen Bestimmungen über gemeinnützige Wohnungsunternehmen widersprochen und die Gesellschaft dadurch den Verlust dieses Status riskiert hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Dezember 1978 € 8 C 24.78 €, BVerwGE 57, 158).

Eine anteilige Berücksichtigung der ursprünglichen Mittel der GEHAG ist nicht möglich. Zwar spricht das - in dem von der Klägerin vorgelegten Schreiben des Niedersächsischen Landesamts für die Beaufsichtigung gesperrten Vermögens vom 25. August 1951 teilweise wiedergegebene - Gutachten eines Dr. Bodien, welches für die seinerzeitigen Rückerstattungsansprüche der GEHAG erstellt wurde, dafür, dass die GEHAG im Zeitpunkt 1933 nennenswerte Überschüsse aus ihrem - sich bis dahin auf Berlin beschränkenden - Wohnungsbestand erzielte. Denn hieraus sollen nach den dortigen Angaben weitere Wohnungsbauinvestitionen nach der Nazifizierung finanziert worden sein. Damit spricht manches dafür, dass in den Erwerbungen der GEHAG auch nach den Kapitalerhöhungen 1936 und 1938 noch Mittel der ursprünglichen GEHAG im Sinne der Definition des €organischen Zuwachses€ enthalten waren. Dieser Gesichtspunkt lässt sich in dem hier allein möglichen rechtlichen Rahmen des § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG jedoch nicht berücksichtigen. Die von der Klägerin in diesem Zusammenhang angedeutete €regionale Betrachtungsweise€ verbietet sich von vornherein. Die Klägerin hat insoweit darauf verwiesen, dass nach dem soeben zitierten Schreiben vom 25. August 1951 das in der GEHAG in Berlin bis zur Schädigung investierte Vermögen ausgereicht habe, um in Berlin auch den Bau solcher Wohnungen zu finanzieren, die nach dem Übergang der GEHAG auf die DAF dort gebaut worden sind. Die DAF hat jedoch die Grundstücksankauf- und Bautätigkeit der GEHAG auf das gesamte Deutsche Reich erstreckt und die - zu unterstellenden - Überschüsse aus dem schon vorhandenen Berliner Wohnungsbestand sind fortan in diese reichsweiten Aktivitäten eingeflossen. Eine Aussage dahin, dass Erträgnisse der ursprünglichen GEHAG ausschließlich in Berlin investiert wurden, ist daher nicht möglich. Aber auch eine prozentuale Berücksichtigung des Anteils der ursprünglichen GEHAG an nach den Kapitalerhöhungen durchgeführten Investitionen ist bei der vermögensrechtlichen Konstruktion des Durchgriffs auf die später angeschafften Grundstücke selbst nicht möglich. Auch insoweit folgt die Kammer der zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. April 2008, wonach nach einer wesentlichen Kapitalerhöhung die Verbindung zu den ursprünglichen Mitteln - endgültig - gelöst ist. Dahinter dürfte die Überlegung stehen, dass sich regelmäßig nicht feststellen lässt, inwieweit ein später angeschaffter Gegenstand mit Mitteln aus €organischem Wachstum€ des ursprünglichen Unternehmens oder aus neu hinzugekommenen Mitteln bezahlt worden ist. Diese Problematik bestand im Übrigen auch schon im Rückübertragungsrecht: €Leider hat der Gesetzgeber es € den Auslegern überlassen, zu ermitteln, wie denn nun eigentlich festzustellen ist, welche von den bei der Entziehung noch nicht vorhandenen € Gütern € Gegenstand des Rückerstattungsanspruchs sind (und) welche Eigentum des Pflichtigen. Leider bleibt auch den Auslegern nichts anderes übrig, als die rauchenden Köpfe zu schütteln und resigniert zu erklären, dass sie zu dieser Frage, die nicht zu lösen ist, passen€ (von Godin, a.a.O., 12. am Ende zu Art. 29 USREG). Eine €weitgehende gesetzliche Ermächtigung zu schöpferischer Rechtsgestaltung€ in entsprechender Anwendung von Art. 22 bis 24 USREG aber enthält das Vermögensgesetz nicht.

Vorliegend kann dahin stehen, ob eine wesentliche Kapitalerhöhung, die ausschließlich im Wege einer Verschmelzung erfolgt ist, anders zu bewerten ist und wie bejahendenfalls in einem solchen Fall zu verfahren ist. Denn hier lag der entsprechende Verschmelzungsvorgang mit der €Heimat-AG€ 1941 zeitlich nach den beiden Kapitalerhöhungen, die bereits zu einer so wesentlichen Veränderung der Kapitalstruktur geführt hatten, dass die Verbindung zu dem ursprünglichen Unternehmen gelöst war. Im Übrigen sind €Mittel des Unternehmens€ die Mittel im Zeitpunkt der Unternehmensschädigung 1933 und nicht die Mittel des verschmolzenen Unternehmens im Jahr 1941.

Auf die Anrechnungsvorschrift des § 1 Abs. 2 Satz 2 NS-VEntschG kommt es ebenfalls nicht an.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Berufung ist ausgeschlossen (§ 37 Abs. 2 Satz 1 VermG). Die Revision war nicht zuzulassen, weil die dafür vorgesehenen gesetzlichen Gründe nicht vorliegen (§ 135 i.V.m. § 132 Abs. 2 VwGO).






VG Berlin:
Urteil v. 09.10.2008
Az: 29 A 59.06


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