Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 28. März 1990
Aktenzeichen: 2 U 165/89

(OLG Köln: Urteil v. 28.03.1990, Az.: 2 U 165/89)

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das

Urteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Bonn vom 04. Juli 1989 (18 0 142/89) wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Urteilsbeschwer übersteigt 40.000,00 DM nicht.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit eines Beschlusses des Landeskongresses der beklagten Gewerkschaft, vom 3.12.1988 durch den der Beschluß des Landesvorstan­des der Beklagten vom 22.01.1988, den Klä­ger aus der Gewerkschaft auszuschließen, bestätigt wurde.

In der Sitzung des Landesvorstandes vom22.01.1988 war der Kläger, der Vorsitzendedes Bezirksverbandes B. und stellvertretender Vorsitzender der Beklagten war, durch mehrheitlichen Beschluß aus der Ge­werkschaft sowie allen Ämtern ausgeschlos­sen worden. Der Kläger legte gegen diese Entscheidung mit Schreiben vom 30.01.1988 beim Bundesausschuß der Gewerkschaft Be­schwerde ein, nahm diese aber mit Schrei­ben vom 02.09.1988 wieder zurück. Während des noch laufenden Beschwerdeverfahrens wurde der Kläger vom Beklagten wie ein be­reits ausgeschlossenes Mietglied behan­delt. Er erhielt daher keine formelle Ein­ladung zum Landeskongress des Beklagten am 09.04.1988 und konnte an dieser Versamm­lung nicht teilnehmen, da er den kurzfri­stig verlegten Tagungsort nicht in Erfah­rung brachte. Auf seine Klage hin stellte das Landgericht die Unwirksamkeit der Be­schlüsse bezüglich Entlastung und Neuwahl des Landesvorstandes sowie der Wahl der Kassenprüfer wegen fehlender Einladung des Klägers zum Landeskongress vom 09.04.1988 fest. Der Kläger sei zu dieser Zeit noch Gewerkschaftsmitglied und ladungsberech­tigter Amtsinhaber gewesen, da der Aus­schlußbeschluss vom 22.01.1988 infolge Un­zuständigkeit des Landesvorstands keine Wirkung entfaltet habe. Gegen dieses Ur­teil legte die beklagte Gewerkschaft Beru­fung ein. Während des noch schwebenden Be­rufungsverfahrens rief die Beklagte für den 03.12.1988 unter Hinzufügung einer aus neun Punkten bestehenden Tagesordnung ei­nen außerordentlichen Landeskongress ein, der laut Einladung dem Ziel dienen sollte, "Unklarheiten, die sich aus angeblichen formellen Fehlern des letzten Landeskon­gresses ergeben haben sollen, auszuräu­men". Bezüglich der- angekündigten Bera­tungsgegenstände wird auf die Tagesordnung Bezug genommen. Ein Tagesordnungspunkt betreffend den Ausschluß des Klägers war nicht vorgesehen. Im Verlauf der Versamm- lung vom 03.12.1988, bei der bis auf einen Delegierten sämtliche teilnahmeberechtig­ten Mitglieder des Beklagten anwesend wa­ren, kam es zu einer Debatte über die Stimmberechtigung des Klägers. Daraufhin stellte ein Delegierter den Antrag, den Ausschlußbeschluss des Landesvorstands vom 22.01.1988 zu bestätigen. Dieser Antrag wurde in geheimer Abstimmung mit 23 Ja -, 4 Neinstimmen und 5 Enthaltungen angenommen. Der auf dem Landeskongress fehlende Dele­gierte hat inzwischen mit Schreiben vom 06.10.1989 seine Zustimmung zur Beschluß­fassung über einen Ausschluß des Klägers und seiner Stimmabgabe entsprechend der Mehrheit für den hypothetischen Fall sei­ner Anwesenheit erklärt.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, daß der Beschluß des Landeskongresses des Beklagten vom 03.12.1988, den Beschluß des Landes­vorstandes des Beklagten vom 22.01.1988 zu bestätigen, insofern unwirksam ist, als er hierdurch aus dem Beklagten ausgeschlossen wurde.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat der Klage stattgege­ben. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Beklagten. Von einer wei­teren Sachdarstellung wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Der Zulässigkeit der Feststellungsklage steht nicht entgegen; daß sie erst am 06.04_1989 eingereicht worden ist. § 246 AktG ist auf Vereinsbeschlüsse nicht entsprechend anzuwenden (vgl. BGH NJW 1973, 235; Palandt-Heinrichs, 49. Aufl., § 32 Anm. 4). Das gilt auch für Gewerkschaften, die, unbeschadet ihrer aktiven Parteifähigkeit im Zivilprozess, als nichtrechtsfähige Vereine anzusehen sind.

2)

Der Zulässigkeit der Klage steht auch nicht entgegen, daß der Kläger einen vereinsinternen Rechtsweg noch nicht ausgeschöpft hat (vgl. BGHZ 47, 172 (174)). Der in § 5 Ziff. 1 der ab 09.04.1988 geltenden Satzung in Bezug genommene § 8 Ziff. 3 der Bundessatzung sieht die Anrufung des Bundesausschusses nur gegen Ausschlußbeschlüsse des Landesvorstandes, nicht aber gegen Entscheidun­gen des Landeskongresses vor. Es kann daher dahin­stehen, ob. der Versuch des Klägers, eine Entschei­dung des Bundesausschusses herbeizuführen geschei­tert, da der Bundesausschuß mit Schreiben vom 18.02.1989 mitgeteilt hat, daß er für derartige Entscheidungen nicht zuständig sei. Da der Kläger die Klage im Frühjahr 1989 (6.4.1989) bei Gericht eingereicht hat, ist die Klageerhebung auch dann rechtzeitig, wenn man für die Zulässigkeit der An­fechtungsklage unabhängig von der Anwendung des § 246 AktG verlangt, daß sie in einem gewissen zeitlichen Zusammenhang mit dem Geschehenen einge­reicht werden muß.

3)

Dem Feststellungsinteresse des Klägers steht auch nicht entgegen, daß er bereits durch Beschluß vom 22.01.1988 wirksam aus der beklagten Gewerkschaft ausgeschlossen worden wäre. Der Senat hat schon in seinem Beschluß vom 15.03.1989 im Vorprozeß (2 U 125/88) im einzelnen dargelegt, daß die Sat­zungsbestimmung, die den Ausschluß dem Vorstand überläßt, sich im Zweifel nur auf einfache Mitglie­der, nicht aber auf Vorstandsmitglieder selbst be­zieht (BGH 90, 92 ff.; OLG Celle, OLGZ 1980, 359; KG Rechtspfleger 1978, 133). Da die Wahl der Landesvorstandsmitglieder satzungsmäßig dem Landeskon­gress obliegt und diese Stelle mangels anderweiti­ger Bestimmung gemäß § 27 Abs. 1, Abs. 2 BGB auch für den Widerruf der Bestellung zu­ständig ist, konnte der Vorstand allein, über den Ausschluß des Klägers nicht entscheiden.

Der Verstoß gegen zwingende Gesetzesvorschriften macht den Vereinsbeschluss nichtig (BGHZ 59, 369 ff.; BGH NJW 1975, 2101; OLG Köln; OLGZ 1983, 269). Es kann dahinstehen, ob in analoger Anwendung der §§ 241 ff. AktG zwischen nichtigen und nur an­fechtbaren Beschlüssen auch im Vereinsrecht unter­schieden werden muß (vgl. Schmidt, Festschrift für Stimpel, Seite 217, .241 ff.; Reichert-Dannecker­Kühr, Handbuch des Vereins- und Verbandsrechts, 4. Auflage, Rdnr. 815 ff; MK-Reuter, 2. Auflage, § 32 Rdnr. 33 f). Eine analoge Anwendung der Vorschrif­ten über die Anfechtbarkeit, scheidet jedenfalls dann aus, wenn anstelle der zuständigen Mitglieder­versammlung ein anderes Organ entschieden hat.

Angesichts der Nichtigkeit des Ausschlußbeschlusses kann auch keine Heilung durch Nichteinlegung eines vereinsinternen Rechtsbehelfs, bzw. durch dessen Rücknahme eintreten. Die Rechtsfolge einer Heilung tritt nicht ein bei Entscheidungen durch ein unzuständiges Vereinsorgan, wobei außerdem darauf hin­zuweisen ist, daß in der Satzung diese Folge der Nichteinlegung eines vereinsinternen Rechtsbehelfs nicht vorgesehen ist (vgl. BGHZ 47, 172 f; RG 1935, 2632).

II.

Das Landgericht hat die Klage auch mit Recht als begründet angesehen.

1)

Der Landeskongressbeschluß vom 03.12.1988 entfaltet wegen Verstoßes gegen 32 Abs. 1 Satz 2 BGB keine rechtliche Wirkung, denn der Ausschluß des Klägers ist als Beratungsge­genstand weder auf der Tagesordnung noch in sonsti­ger Weise im Vorfeld der Versammlung rechtzeitig angekündigt worden.

Gemäß § 32 Abs. 1 Satz 2 BGB sind die Gegenstände der Beschlußfassung bei der Versammlungseinberufung derart konkret zu bezeichnen, daß den Mitgliedern ausreichende Vorbereitungszeit verbleibt und ihre Überrumpelung durch überraschende Anträge während der Sitzung verhindert wird (vgl. BGH WM 1987, 373; OLG Frankfurt WM 1985, 1466. ff.; OLG Köln OLGZ 1984, 401, 404). Eine diesen Anforderungen genügen­de Ankündigung des Mitgliederausschlusses ist im Vorfeld des ordentlichen Landeskongresses vom 03.12.1988 nicht erfolgt. Zwar mögen verschiedene Delegierte angesichts der Bemerkungen in der Einla­dung damit gerechnet haben, daß es vielleicht zu einer Aussprache über die Probleme mit dem Kläger kommen werde, aber weder die Einladung noch die konkret abgefaßte Tagesordnung gaben Anlaß zu der Annahme, es sei eine - erneute oder erstmalige- Ab­stimmung über die Mitgliedschaft des Klägers in der Gewerkschaft geplant. Die Beschlußfassung erfolgte vielmehr aufgrund eines in der Versammlung situa­tionsbedingt gestellten Spontanantrags. Vor einem derartigen Vorgehen soll § 32 Abs. 1 Satz 2 BGB je­doch gerade schützen.

Eine - gemäß § 40 BGB grundsätzlich mögliche - wirksame Abbedingung des § 32 Abs. 1 Satz 2 BGB durch die Bestimmungen der Vereinsverfassung liegt nicht vor. Die Satzung des Beklagten vom 09.04.1988 wiederholt in ihrem § 8 Ziff. 5 lediglich die ge­setzlichen Anforderungen, in dem sie vorschreibt, daß Landeskongresse spätestens einen Monat vor dem Termin unter Angabe der Tagesordnung einzuberufen sind. Eine Beschlußfassung außerhalb der Tagesord­nung ist nicht ausdrücklich vorgesehen. Zwar kann als Rechtsquelle für die Verfassung eines Vereins neben der geschriebenen Satzung auch eine Vereins­observanz herangezogen werden (vgl. OLG Frankfurt WM 1985, 1466, 1468; Reichert-Dannecker-Kühr, a. a. 0., Rdnr. 311 f). Die Behauptung des Beklagten, im Gewerkschaftsbereich sei die Stellung von Initia­tivanträgen elementares Wesensmerkmal der Mitglie­derversammlung reicht hierfür jedoch nicht aus. Ei­ne Vereinsobservanz setzt nämlich - auch bei Ge­werkschaften - eine anhand der Gepflogenheiten des jeweiligen Verbandes zu prüfende, lang andauernde und gleichmäßige Behandlung eines bestimmten Tatbe­standes bei entsprechendem Rechtsgeltungswillen des handelnden Organs voraus (vgl. OLG Frankfurt a. a. 0.). Schon dafür fehlt es an hinreichend substanti iertem Sachvortrag. Ein weiterer Hinweis war inso­weit jedoch nicht geboten, da die Zulassung von In­itiativanträgen in dem vom Beklagten behaupteten Umfang nicht Gegenstand einer wirksamen Vereinsob­servanz sein könnte. Die Vereinsverfassung, die von rechtzeitigen Mitteilungen der Tagesordnung Ausnahmen macht, muß trotzdem dem Schutz der Versamm­lungsteilnehmer und dem Grundgedanken ausreichender Vorbereitung im Interesse der Gesamtwillensbildung angemessen Rechnung tragen (BGH WM 1987, 373; Soergel-Hadding, 12. Auflage, § 32 Rdnr. 13; MK-Reuter, 2. Aufl., § 32 Rdnr. 12). Die Satzung kann daher ohne vorherige Ankündigung nur eine Beratung von Dringlichkeitsanträgen und Anerkennung der Dring­lichkeit durch eine bestimmte Delegiertenmehrheit für zulässig erklären. Hier waren die Schwierigkei­ten zwischen den Parteien seit längerer Zeit be­kannt und von einer besonderen Dringlichkeit, die sich erst aufgrund der Ereignisse in der Versamm­lung ergeben hätte und spontan aufgetreten wäre, kann keine Rede sein. Es wäre ohne weiteres möglich gewesen, den - erstmaligen oder erneuten - Aus­schluß des Klägers auf die Tagesordnung zu setzen.

Der Verstoß gegen § 32 Abs. 1 Satz 2 BGB macht den gefaßten Beschluß nichtig (BGH WM 1987, 373; OLG Köln OLGZ 1984, 401, 404).

2)

Der Einberufungsmangel ist auch nicht infolge eines konkludenten Verzichts sämtlicher Vereinsmitglieder im Rahmen der Vollversammlung geheilt worden (OLG Frankfurt WM 1985, 1466 (1472)). Dagegen können schon dann Bedenken bestehen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, daß bei rechtzeitiger Infor­mation der Mitglieder Diskussion und Abstimmung ei­nen anderen Verlauf genommen hätten. Ob das der Fall war, kann hier dahinstehen, da außerdem ein Delegierter auf dem Landeskongress vom 03.12.1988 fehlte. Seine nachträgliche Zustimmung zur Be­schlußfassung kann keine Berücksichtigung finden. Sie erfolgt unter ganz anderen Bedingungen als de­nen der Versammlung selbst, so daß der Schutz des durch die Beschlüsse Betroffenen nicht mehr gewähr­leistet ist. Es bleibt denkbar, daß der Delegierte unter den konkreten Bedingungen der Verhandlung vom 03.12.1988 anders abgestimmt hätte und seine dama­lige Haltung die Kongressteilnehmer beeinflußt ha­ben könnte.

Aus diesem Grunde scheidet auch eine Unbeachtlich­keit des Verfahrensfehlers infolge mangelnder Kau­salität für das Beschlußergebnis aus. Es läßt sich nicht feststellen, daß das Abstimmungsresultat auch bei formell ordnungsgemäßem Verfahren ebenso ausge­fallen wäre. Der Nachweis fehlender Kausalität scheitert schon dann, wenn sich ein Einfluß des Verfahrensmangels auf das Abstimmungsergebnis nicht gänzlich ausschließen läßt (BGHZ 59, 369, 375; Rei­chert-Dannecker-Kühr, Rdnr. 803, 812). Insoweit muß beachtet werden, daß der Beschlußfassung eine Dis­kussion vorausgeht, deren Inhalt durch die Vorbe­reitung bei rechtzeitiger Kenntnis der Tagesordnungspunkte beeinflußt werden kann. Vom Inhalt dieser Diskussion kann wiederum das Abstimmungsverhal­ten beeinflußt werden.

3)

Im übrigen ist der Ausschlußbeschluß vom 03.12.1988 auch deshalb nichtig, weil die Umstände, aus denen sich die Unzumutbarkeit der Fortführung des Mit­gliedschaftsverhältnisses ergeben würden, nicht eindeutig und konkret und in gerichtlich nachprüf­barer Weise festgestellt worden sind. Der bloße allgemeine Hinweis auf "gewerkschaftsschädigendes Verhalten" reicht dazu nicht aus. Zwar ist in § 5 Abs. 3 der Satzung vom 09.04.1988 geregelt, daß der Ausschluß eines Mitgliedes wegen "gewerkschafts­schädigenden Verhaltens" oder grober Mißachtung der satzungsmäßigen Pflichten durch den Landesvorstand erfolgen kann und in § 5 Abs. 1 ist für das Erlö­schen der Mitgliedschaft im übrigen auf § 8 der Bundessatzung Bezug genommen. Dennoch liegt im Aus­schließungsgrund "gewerkschaftsschädigendes Verhal­ten" kein im einzelnen bezeichneter Grund, der eine nähere Substantiierung im Sinne einer gerichtlichen Nachprüfbarkeit überflüssig machen würde (vgl. BGH NJW 1990, 40 f). Der Ausschließungsgrund "gewerk­schaftsschädigendes Verhalten" ersetzt eine nähere Substantiieung schon deshalb nicht, weil es kein abstraktes gewerkschäftsschädigendes Verhalten gibt, sondern dies nur das Ergebnis einer Wertung konkreter Einzelhandlungen sein kann. Diese müssen dann jedenfalls in ihrem wesentlichen Kern im Aus­schließungsbeschluß beschrieben werden, damit eine Grundlage für die gerichtliche Nachprüfbarkeit ge­schaffen ist.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10 ZPO.

Streitwert für die Berufungsinstanz: 10 000,00 DM






OLG Köln:
Urteil v. 28.03.1990
Az: 2 U 165/89


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