Hessisches Landessozialgericht:
Beschluss vom 10. September 2009
Aktenzeichen: L 2 SF 222/09 E

(Hessisches LSG: Beschluss v. 10.09.2009, Az.: L 2 SF 222/09 E)

Tenor

I. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Bewilligung vonProzesskostenhilfe für das vorliegende Beschwerdeverfahren wirdabgelehnt.

II. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gießenvom 14. April 2009 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Streitig ist die Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung für den im Rechtsstreit S 24 R 450/08 (QI./Deutsche Rentenversicherung Hessen) für den Kläger nach den Vorschriften der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt (Erinnerungsführer und Beschwerdeführer). Das Ausgangsverfahren wurde auf der Grundlage schriftlicher Prozesserklärungen der Beteiligten durch außergerichtlichen Vergleich erledigt und das Vergleichsergebnis in einem feststellenden Beschluss des Kammervorsitzenden vom 10. März 2008 festgehalten. Mit Kostennote vom 25. März 2008 beantragte der Antragsteller gemäß § 45 RVG Gebühren und Auslagen in Höhe von 827,47 Euro festzusetzen, darunter auch eine Terminsgebühr (VV 3106) in Höhe von 200,00 Euro. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle setzte insgesamt 589,47 Euro fest und begründete seine Festsetzung vom 8. August 2008 damit, dass eine Terminsgebühr nicht entstanden sei. Keine der drei Alternativen der Nr. 3106 VV RVG sei erfüllt, die Nr. 3104 VV RVG sei nicht anwendbar. Die Korrektur eventueller redaktioneller Versehen bei der Formulierung der Nachbemerkung zu Nr. 3106 VV RVG obliege dem Gesetzgeber. Die Erinnerung des Antragstellers, der der Urkundsbeamte nicht abgeholfen hat, wurde vom Sozialgericht durch Beschluss vom 14. April 2009 zurückgewiesen. Eine sogenannte fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3106 Ziffer 1 VV RVG sei nicht angefallen. Danach entstehe eine Terminsgebühr auch, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben sei, im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden werde. Die Voraussetzungen seien hier nicht gegeben. Eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung sei nicht ergangen. Vielmehr habe das Verfahren durch eine Erledigungserklärung des Antragstellers im Rahmen eines außergerichtlichen Vergleichs geendet, die als Rücknahme auszulegen gewesen sei. Eine analoge Anwendung der Nr. 3106 Ziffer 1 VV RVG scheide in Ermangelung einer planwidrigen Regelungslücke aus. Dem Beschluss ist die Rechtsmittelbelehrung beigefügt, dass Beschwerde innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung eingelegt werden kann.

Gegen den ihm am 23. April 2009 zugestellten Beschluss richtetet sich die vom Antragsteller am 20. Mai 2009 eingelegte Beschwerde. Für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens hat er Prozesskostenhilfe beantragt. Anhand der Rechtsprechung zahlreicher Sozialgerichte werde deutlich, dass der Gesetzgeber tatsächlich in diesem Fall übersehen habe, dass keineswegs bewusst die Terminsgebühr in gerichtsfreien sozialgerichtlichen Verfahren ausgeschlossen werden sollte. Es sei zu erwarten, dass dieser redaktionelle Fehler bei nächster Gelegenheit behoben werde, der nicht zu Lasten der Anwaltschaft gewertet werden könne. Auch wenn der Staat knappere Ressourcen habe, führe eine angemessene Vergütung der Rechtsanwaltschaft letztlich auch zu einer Entlastung der Justiz. Im Übrigen bestehe im vorliegenden Fall für eine restriktive Auslegung der gesetzlichen Regelung kein Rechtschutzbedürfnis, da letztendlich sozialgerichtliche Verfahren langwierig und für die Anwaltschaft kostenintensiv bei minimalen Gebühren seien.

Der Antragsteller und Beschwerdeführer beantragt (sinngemäß),

ihm für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens unter seiner Beiordnung Prozesskostenhilfe zu gewähren, ferner den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 14. April 2009 aufzuheben und seine Gebühren und Auslagen für das Ausgangsverfahren auf insgesamt 827,47 Euro festzusetzen.

Der Antrags- und Beschwerdegegner beantragt (sinngemäß),

den Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zurückzuweisen und die Beschwerde gegen den Beschluss vom 14. April 2009 zurückzuweisen.

Prozesskostenhilfe stehe dem Antragsteller für die Verfolgung seiner Gebührenansprüche in eigenem Namen und Interesse nicht zu. Verfahren der Erinnerung und der Beschwerde gemäß § 56 Abs. 2 RVG seien gebührenfrei und auch (außergerichtliche) Kosten des Erinnerungs- oder Beschwerdeverfahrens könnten danach nicht erstattet werden. Der angefochtene Beschluss vom 14. April 2009 sei im Ergebnis zutreffend, aber in der Begründung unvollständig. Soweit das Begehren des Antragstellers auf die Konstruktion eines Gebührensachverhalts im Sinne der Anmerkung 3 zu Nr. 3106 VVG-RVG Erledigung durch angenommenes Anerkenntnis € oder (hilfsweise) im Sinne einer analogen Heranziehung der für Gebühren nach dem Gegenstandswert in Nr. 3104 VVG RVG enthaltenen gesetzlichen Regelung gerichtet gewesen sei, komme eine fiktive Terminsgebühr nicht in Betracht. Wegen des Vorbringens im Einzelnen wird auf die Schriftsätze vom 18. Juni 2009 und 14. Juli 2009 Bezug genommen.

II.

Der Senat hat die Beschwerde durch seine Berufsrichter entschieden, nachdem der Berichterstatter das Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung nach §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 2 RVG auf den Senat übertragen hatte. Die Beschwerde gegen die Festsetzung der Rechtsanwaltsgebühren ist nach §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 RVG statthaft. Der Auffassung, dass die Beschwerde ausgeschlossen ist ( so z.B. LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 7. April 2008, L 2 B 47/08 SB, LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. Dezember 2006, L 8 B 4/06 SO SF, LSG Berlin, Beschluss vom 28. Februar 2005, L 9 B 166/02 KR, aufgeführt in juris) ist der Senat nicht gefolgt (Beschluss vom 25. Mai 2009, L 2 SF 50/09 E mit weiteren Nachweisen). Auch der Beschwerdeausschluss in § 178 Satz 1 SGG, der nach seinem Wortlaut auch die Kostenfestsetzungen des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle betreffen würde, wird von der spezielleren Regelung des § 73a Abs. 1 SGG verdrängt. Darin werden nicht nur §§ 114 ff. ZPO angesprochen, sondern auch der daraus abgeleitete Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwalts gemäß § 45 ff. RVG wird einbezogen (siehe auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 9. August 2007, L 20 B 91/07 AS). Die §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 RVG enthalten damit eigenständige Verfahrensregelung über mögliche Rechtsbehelfe.

Vorliegend übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes auch 200,00 Euro. Zwar ist dies allein der Betrag für die im Streit stehende Terminsgebühr, die (davon abhängige) Umsatzsteuer ist aber ebenfalls zu berücksichtigen (Hartmann, Kostengesetze, 37. Auflage 2006, § 33 RVG, Rdnr. 20), denn sie stellt einen Teil der Gesamtvergütung dar (Nr. 7008 VV RVG).

Die Beschwerde ist auch rechtzeitig eingelegt. Zwar wurde die 2-Wochen-Frist der §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 3 RVG nicht eingehalten, jedoch war die Rechtsmittelbelehrung im Beschluss des Sozialgerichts fehlerhaft, denn die dort aufgeführte 4-Wochen-Frist widerspricht der gesetzlichen Regelung des § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG mit der Folge, dass die Jahresfrist nach § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG Anwendung findet.

Das Sozialgericht hat in der Sache mit dem angefochtenen Beschluss zu Recht neben der Verhandlungs- und Einigungsgebühr keine Terminsgebühr anerkannt. Diese war nicht angefallen, denn das Ausgangsverfahren wurde durch außergerichtlichen Vergleich aufgrund entsprechender schriftlicher Prozesserklärungen der Beteiligten beendigt. Durch die in der Sozialgerichtsbarkeit häufig abgeschlossenen außergerichtlichen Vergleiche werden Verfahren an sich nicht beendet, denn in § 101 Abs. 1 SGG ist nur der gerichtliche Vergleich aufgeführt. Auch wenn die Beteiligten dadurch materiell gebunden sind, bedarf es grundsätzlich noch einer weiteren Prozesshandlung (Klagerückname, Erledigungserklärung). In der sozialgerichtlichen Praxis wird regelmäßig von einer übereinstimmenden Erledigungserklärung ausgegangen. Auf eine mögliche Protokollierung wird verzichtet, weil jedenfalls eine beteiligte Behörde ohne dienstaufsichtsrechtliche Maßnahmen das Ergebnis umsetzen wird. Eine Feststellung des Verfahrensergebnisses durch Beschluss nach § 278 Abs. 6 ZPO oder nach § 106 Abs. 2 VwGO ist im sozialgerichtlichen Verfahren nicht erforderlich. Zur Bestimmung der Terminsgebühr verweist die grundsätzlich auch für das sozialgerichtliche Verfahren maßgebliche Vorschrift der Nr. 3104 VV RVG für solche sozialgerichtlichen Verfahren, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, auf die Regelungen der Nr. 3106 VV RVG. Zur Begründung einer Terminsgebühr kann dabei die Vorbemerkung des Abs. 3 zu VV Teil 3 Vorbemerkung 3 im vorliegenden Fall nicht herangezogen werden. Danach entsteht die Terminsgebühr für die Vertretung in einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin oder die Wahrung eines von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumten Termins oder die Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichts. Diese tatbestandlichen Voraussetzungen liegen hier ebenso wenig vor wie die der Nr. 3106 VV RVG. Danach entsteht eine Terminsgebühr auch, wenn

1. in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden wird,

2. nach § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden wird oder

3. das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet.

Die dargestellten tatbestandlichen Voraussetzungen der Nr. 3106 VV RVG unterscheiden sich von der der Nr. 3104 Abs. 1 Ziffer 1 VV RVG. Danach fällt eine Terminsgebühr auch an, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgesehen ist, ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird. Eine solche Regelung enthält die Nr. 3106 VV RVG nicht. In der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/1971, Seite 212) wird zu Nr. 3106 VV RVG auf die Begründung zur Nr. 3102 VV RVG verwiesen. Dort ist ausgeführt, dass für die Sozialgerichtsbarkeit die allgemeine Gebührenstruktur auch dann anzuwenden ist, wenn Betragsrahmengebühren vorgesehen sind. Anders als zu § 116 Abs. 1 BRAGO soll ein Prozessbevollmächtigter Verfahrens- und Terminsgebühr getrennt erhalten: €Die Terminsgebühr soll sich nach Nr. 3106 VV RVG-E bestimmen€. Angesichts dieser Gesetzesbegründung vermag der Senat sich nicht der Auffassung anzuschließen, der Gesetzgeber habe versehentlich keine der Nr. 3104 VV RVG entsprechende Regelung für schriftliche Vergleiche in Nr. 3106 VVG RVG aufgenommen. Die Regelung der Nr. 3104 Abs. 1 Ziffer 1 VVG RVG zeigt vielmehr, dass das Fehlen einer Regelung für schriftliche Vergleiche in Nr. 3106 VVG RVG für das sozialgerichtliche Verfahren bewusst erfolgt ist, auch wenn durch die Gesetzesbegründung zur Terminsgebühr ein gegenteiliger Eindruck erweckt wird (vgl. BT-Drs. 15/1971, Seite 208). Danach soll gegenüber der früheren Verhandlungs- und Erörterungsgebühr auch die Terminsgebühr in ihrem Anwendungsbereich erweitert werden. €Der Anwalt soll nach seiner Bestellung zum Verfahrens- oder Prozessbevollmächtigten in jeder Phase des Verfahrens zu einer möglichst frühen, der Sach- und Rechtslage entsprechenden Beendigung des Verfahrens beitragen. Deshalb soll die Gebühr auch schon verdient sein, wenn der Rechtsanwalt an auf die Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichts mitwirkt, insbesondere, wenn diese auf den Abschluss des Verfahrens durch eine gütliche Regelung zielen. Solche Besprechungen sind bisher nicht honoriert worden. In der Praxis wird deshalb ein gerichtlicher Verhandlungstermin angestrebt, in dem ein ausgehandelter Vergleich nach €Erörterung der Sach- und Rechtslage€ protokolliert wird (damit entsteht die Verhandlungs- bzw. Erörterungsgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 2 bzw. 4 BRAGO). Den Parteien wird durch den vorgeschlagenen erweiterten Anwendungsbereich der Terminsgebühr oft ein langwieriges und kostspieliges Verfahren erspart bleiben.€ Entgegen diesen allgemeinen Vorbemerkungen gilt aber die Nr. 3106 VV RVG nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes nicht für sozialgerichtliche Verfahren, in denen eine Betragsrahmengebühr anfällt (ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. August 2006, L 20 B 137/06 AS; LSG Thüringen vom 19. Juni 2007, L 6 B 80/07 SF, LSG Schleswig-Holstein vom 8. März 2006, L 1 B 88/06 SF SK, Sächsisches LSG vom 17. Juni 2006, L 6 B 168/06 KO). Der gegenteiligen Auffassung (z.B. SG PZ., Beschluss vom 22. September 2008, S 11 R 526/08 KE), die ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers unterstellt und Abs. 1 der Anmerkung zu Nr. 3104 VV RVG beim Vergütungstatbestand Nr. 3106 VV RVG analog anwendet, kann der Senat wegen des klaren Wortlauts des Vergütungstatbestandes nicht folgen. Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 19. Dezember 2006, 1 BvR 2091/06), das wegen des Beschlusses des Sächsischen LSG vom 17. Juni 2006 angerufen worden war, hat jedenfalls keine verfassungsrechtlichen Bedenken wegen der Ablehnung der Zahlung einer Terminsgebühr in sozialgerichtlichen Verfahren nach Abschluss eines €schriftlichen Vergleichs€ gesehen hat. Der Senat teilt in diesem Zusammenhang die Auffassung (vgl. Mayer in AnwBl. 3/2009 S 164, 165/6), dass eine Synchronisierung der Terminsgebühren nach Nr. 3104 VV RVG und Nr. 3106 VV RVG durch den Gesetzgeber erforderlich ist.

Die Beschwerde ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG).

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).






Hessisches LSG:
Beschluss v. 10.09.2009
Az: L 2 SF 222/09 E


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