Landgericht Düsseldorf:
Urteil vom 29. April 1997
Aktenzeichen: 4 O 120/96

(LG Düsseldorf: Urteil v. 29.04.1997, Az.: 4 O 120/96)

Tenor

I.

Der Beklagte wird verurteilt,

1.

es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 500.000,- DM - ersatzweise Ordnungshaft - oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, zu unterlassen,

Herzschrittmacher mit Mitteln zur Signalaufnahme im Atrium und Ventrikel und Mit-teln zur Abgabe von Stimulationsimpulsen an das Atrium und den Ventrikel nach Escape-Intervallen, die gegebene zeitliche Abstände zwischen der Signalaufnahme auf eine Herzaktion hin und dem Stimulationszeitpunkt definieren, wobei die Stimulation gegebenenfalls durch eine entsprechende eigene Aktion des Herzens inhibiert wird, sowie mit Schaltmitteln zum Starten der Escape-Intervalle

anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,

bei denen die Schaltmittel zum Starten des Escape-Intervalls für das Atrium entwe-der einen ersten zeitlichen Abstand zu einer vorangehenden spontanen Aktion bzw. Stimulation des Atriums definieren oder aber einen zweiten zeitlichen Abstand zu einer vorangehenden spontanen Ventrikelaktion, wobei sich das Starten des Escape-Intervalls für das Atrium durch Ventrikelaktionen auf spontane Ventrikelaktionen beschränkt, welche zeitlich zwischen dem Ende der Refraktärzeit für die Signalaufnahme aus dem Ventrikel und dem Ende des letzten Escape-Intervalls für die Atriumaktion erscheinen, so daß die Schaltmittel auf sonstige spontane Ventrikelaktionen hin keine Synchronisation der die Escape-Intervalle steuernden Zeitgeber bewirken;

2.

der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu I. 1. be-zeichneten Handlungen seit dem 4. Juni 1983 begangen haben, und zwar unter Angabe

a)

der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und An-schriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,

b)

der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,

c)

der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

d)

der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

e)

der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

wobei

- sie die Verpflichtung zur Rechnungslegung für die Zeit vor dem 1. Mai 1992 auf Handlungen in dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in den bis zum 2. Oktober 1990 bestehenden Grenzen beschränkt;

- von dem Beklagten zu 2. sämtliche Angaben und von beiden Beklagten die Anga-ben zu e) nur für die Zeit seit dem 6. Januar 1990 zu machen sind;

- die Angaben zu a) nur für die Zeit seit dem 1. Juli 1990 zu machen sind;

- den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der Angebotsemp-fänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist.

II.

Es wird festgestellt,

1.

daß die Beklagte zu 1. verpflichtet ist, der Klägerin für die zu I. 1. bezeichneten, in der Zeit vom 4. Juni 1983 bis zum 5. Januar 1990 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen;

2.

daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I. 1. bezeichneten, seit dem 6. Januar 1990 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird, wobei sich die Verpflichtung zum Schadensersatz für die Zeit vor dem 1. Mai 1992 auf Handlungen in dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in den bis zum 2. Oktober 1990 bestehenden Grenzen beschränkt.

III.

Die Kosten des Rechtsstreits werden den Beklagten als Gesamtschuldnern auferlegt.

IV.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 5 Millionen DM vorläufig voll-streckbar. Die Sicherheit kann auch durch die unbedingte Bürgschaft einer in Deutschland ansässigen, als Zoll- und Steuerbürgin zugelassenen Bank oder Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand

Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des am 4. Mai 1982 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 4. Mai 1981 angemeldeten europäischen Patents 0 077 806 (Klagepatents; vgl. Anlage 1). Die Veröffentlichung der Anmeldung erfolgte am 4. Mai 1983. Die Bekanntmachung des Hinweises auf die Patenterteilung erfolgte am 6. Dezember 1989.

Das Klagepatent betrifft einen Herzschrittmacher. Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen Verletzung des Klagepatents auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung, Entschädigung sowie Schadensersatz in Anspruch.

Der hier in erster Linie interessierende Anspruch 1 des Klagepatents hat folgenden Wortlaut:

Herzschrittmacher mit Mitteln zur Signalaufnahme im Atrium und Ventrikel und Mitteln zur Abgabe von Stimulationsimpulsen an das Atrium und den Ventrikel nach Escape-Intervallen, die gegebene zeitliche Abstände zwischen der Signalaufnahme auf eine Herzaktion hin und den Stimulationszeitpunkt definieren, wobei die Stimulation gegebenenfalls durch eine entsprechende eigene Aktion des Herzens inhibiert wird, sowie mit Schaltmitteln zum Starten der Escape-Intervalle, dadurch gekennzeichnet, daß die Schaltmittel (213, 213a) zum Starten des Escape-Intervalls für das Atrium entweder einen ersten zeitlichen Abstand zu einer vorangehenden spontanen Aktion bzw. Stimulation des Atriums definieren oder aber einen zweiten zeitlichen Abstand zu einer vorangehenden spontanen Ventrikelaktion, wobei sich das Starten des Escape-Intervalls für das Atrium durch Ventrikelaktionen auf spontane Ventrikelaktionen beschränkt, welche zeitlich zwischen dem Ende der Refraktärzeit für die Signalaufnahme aus dem Ventrikel und dem Ende des letzten Escape-Intervalls (T ) für die Atriumaktion erscheinen, so daß die Schaltmittel auf sonstige spontane Ventrikelaktionen hin keine Synchronisation der die Escape-Intervalle steuernden Zeitgeber bewirken.

Wegen des Wortlauts der "insbesondere" geltend gemachten Unteransprüche 2 und 3 des Klagepatents wird auf den Inhalt der Klagepatentschrift (Anlage 1) Bezug genommen.

Die nachfolgend wiedergegebenen Figuren stammen aus der Klagepatentschrift und zeigen ein Ausführungsbeispiel der Erfindung. Figur 1 zeigt ein Blockschaltbild der den erfindungsgemäßen Schrittmacher bildenden Baugruppen unter besonderer Berücksichtigung der im Betrieb auftretenden logischen Verknüpfungen und Figur 2 zeigt ein Zeitdiagramm zur Erläuterung des Funktionsablaufs bei dem in Figur 1 dargestellten Schrittmacher.

- hier folgen zwei Bilder -

Gegen das Klagepatent ist von der US-amerikanischen Muttergesellschaft der Beklagten zu 1., der B GmbH 7000 Central Avenue, N.E., Minneapolis, Minnesota 55432, USA, mit Schriftsatz vom 29. Oktober 1996 Nichtigkeitsklage beim Bundespatentgericht erhoben worden (vgl. Anlagen A und C).

Die Beklagte zu 1., deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2. ist, bietet an und bringt in Verkehr Herzschrittmacher mit der Bezeichnung "Thera DR", deren Funktionsweise sich aus der von der Beklagten zu 1. für den Herzschrittmacher "Thera DR" herausgegebenen Gebrauchsanweisung ergibt, von der die Klägerin eine Ablichtung als Anlage 5 zur Akte gereicht hat.

Die Klägerin sieht hierin eine wortsinngemäße Verletzung des Klagepatents. Sie macht insbesondere geltend, daß es patentrechtlich ohne Belang sei, daß der Herzschrittmacher der Beklagten eine zusätzliche Einrichtung, nämlich eine sog. "Wenckebach-Begrenzung" aufweise, die für einen besonderen Fall vorübergehend dafür sorge, daß das sog. AA-Intervall nicht konstant gehalten werde. Für den Fall, daß keine besonderen Belastungen in der Person des Trägers des Herzschrittmachers aufträten, d.h. wenn keine vorzeitigen spontanen Atriumaktionen festgestellt würden, was dem Normalfall entspreche, seien die patentgemäßen Mittel bei der angegriffenen Ausführungsformen nämlich wirksam. Vorzeitige herzeigene Atriumaktionen träten bei normalen Belastungen nicht auf. Träten hohe Belastungen auf, werde bei der angegriffenen Ausführungsform zwar die angesprochene Sicherheitsfunktion wirksam, die zeitweilig eine andersartige Arbeitsweise initiiere. Es sei jedoch gewährleistet, daß der angegriffene Herzschrittmacher unabhängig davon, ob die hohe Belastung noch andauere, bestrebt sei, zu der "normalen Arbeitsweise" - entsprechend der Lehre des Klagepatents - zurückzukehren, und diese auch endgültig wieder durchführe, wenn die vorübergehende hohe Belastung aufhöre. Sobald der Herzschrittmacher der Beklagten mit der sog. "Wenckebach-Begrenzung" arbeite, sei damit zwar die patentgemäße Arbeitsweise aufgehoben. Sinke die atriale Rate nach Beendigung der körperlichen Anstrengung wieder unter die Maximalrate, kehre der Herzschrittmacher der Beklagten jedoch zu seinem "Normalverhalten" zurück. Die Maximalrate sei quasi der obere Anschlag des Frequenzspielraumes, den der Schrittmacher dem Herzen zur Verfügung stelle, um sich der aktuellen körperlichen Belastung optimal anzupassen. Dieser "obere Anschlag" sei bei vernünftiger Programmierung des Schrittmachers so gewählt, daß er nur bei extremer Belastung erreicht werde. Solange eine solche Belastung nicht auftrete, zeige der vernünftig programmierte Schrittmacher kein "Wenckebach-Verhalten".

Die Klägerin beantragt,

zu erkennen, wie geschehen, insbesondere, wenn zugleich die Merkmale der Unteransprüche 2 und 3 des Klagepatents erfüllt sind.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit bis zur Entscheidung über die von der Muttergesellschaft der Beklagten zu 1. gegen den deutschen Teil des Klagepatents erhobene Nichtigkeitsklage auszusetzen;

ihnen für den Fall ihrer Verurteilung zur Rechnungslegung über den gewährten Wirtschaftsprüfervorbehalt nach ihrer Wahl auch vorzubehalten, die Namen und Anschriften ihrer Abnehmer statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, zur Verschwiegenheit gegenüber der Klägerin verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern sie dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen, der Klägerin darüber Auskunft zu geben, ob eine bestimmte Lieferung, ein bestimmter Abnehmer in der Rechnungslegung enthalten ist.

Die Beklagten stellen eine Verletzung des Klagepatents in Abrede. Sie tragen vor, daß das Prinzip der Lehre des Klagepatents darin bestehe, daß das sog. AA-Intervall grundsätzlich konstant gehalten werde und eine Neu-Synchronisation des Atriums, d. h. eine Veränderung des AA-Intervalls nur im Falle einer ventrikulären Extrasystole (VES) erfolge, und machen diesbezüglich geltend, daß die angegriffene Ausführungsform diesem Prinzip nicht entspreche. Bei ihrem Herzschrittmacher erfolge eine Neu-Synchronisierung des Atriums, d. h. eine Veränderung des AA-Intervalls nämlich nicht nur im Falle einer ventrikulären Extrasystole, sondern auch im Falle einer vorzeitigen spontanen Aktion des Atriums. Wenn - was nicht selten vorkomme - das Herz schneller zu schlagen beginne und eine spontane Aktion des Atriums innerhalb einer bestimmten Zeit nach dem vorangegangenen Ventrikelereignis stattfinde, werde bei der angegriffenen Ausführungsform ein gegenüber dem nominalen AV-Intervall verlängertes AV-Intervall in Gang gesetzt.

Dies habe zur Folge, daß dann, wenn während des verlängerten AV-Intervalls keine spontane Ventrikelaktion erfolge, der Ventrikel stimuliert und gleichzeitig das nominale VA-Intervall in Gang gesetzt werde. Das verlängerte AV-Intervall und das nominale VA-Intervall zusammen seien länger als die Summe des nominalen AV-Intervalls und des nominalen VA-Intervalls. Bei der angegriffenen Ausführungsform sie das AA-Intervall damit entgegen der Lehre des Klagepatents nicht konstant, sondern variabel; die Länge des AA-Intervalls hänge davon ab, ob und gegebenenfalls zu welchem Zeitpunkt eine spontane Aktion des Atriums stattfinde. Erfolge während der Verlängerung des AV-Intervalls eine spontane Ventrikelaktion, dann setze diese das nominale VA-Intervall in Gang und starte damit das Escape-Intervall für das Atrium. Auch in diesem Fall sei das AA-Intervall aber nicht konstant, sondern variabel. Die Länge des AA-Intervalls hänge in diesem Fall davon ab, wann die spontane Ventrikelaktion stattfinde. Das Escape-Intervall für das Atrium werde in diesem Fall außerdem durch eine spontane Ventrikelaktion gestartet, die zeitlich nicht zwischen dem Ende der Refraktärzeit für die Signalaufnahme aus dem Ventrikel und dem Ende des letzten Escape-Intervalls für die Atriumaktion liege.

Die bei ihrem Herzschrittmacher vorhandene "Wenckebach-Begrenzung" werde im übrigen nicht etwa nur beim Auftreten hoher Belastungen relevant. Vielmehr sei die "andersartige Arbeitsweise" ihres Schrittmachers, von der die Klägerin spreche, ganz normal.

Die Beklagten sind darüber hinaus der Auffassung, daß das Klagepatent nicht rechtsbeständig sei und nehmen diesbezüglich auf die Ausführungen der Muttergesellschaft der Beklagten zu 1. im Nichtigkeitsverfahren (2 Ni 47/96) Bezug. Hieraus ergebe sich, so die Beklagten, daß die im Klagepatent beanspruchte Lehre neuheitsschädlich vorweggenommen sei.

Die Klägerin tritt diesem Vorbringen entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze der Parteien und der von ihnen überreichten Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Der Klägerin stehen die gegenüber der Beklagten geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Rechnungslegung, Auskunftserteilung, Leistung einer angemessenen Entschädigung und Schadensersatz zu, weil die Beklagten das Klagepatent schuldhaft benutzt haben, §§ 9, 139 Abs. 1 und Abs. 2, 140 b Abs. 1 und Abs. 2 Patentgesetz (PatG), Artikel II § 1 a Abs. 1 des Gesetzes über Internationale Patentübereinkommen (IntPatÜG), §§ 242, 249 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Eine Zuerkennung der Unteransprüche 2 und 3 des Klagepatents ist entsprechend der ständigen Rechtsprechung der Kammer, die auch vom Oberlandesgericht Düsseldorf (vgl. Urt. v. 23. Januar 1997 - 2 U 73/95 - S. 36) gebilligt wird, entbehrlich, weil diese nicht in Kombination zum Hauptanspruch, sondern lediglich "insbesondere" geltend gemacht werden. Zu einer Aussetzung der mündlichen Verhandlung wegen der anhängigen Nichtigkeitsklage der US-amerikanischen Muttergesellschaft der Beklagten zu 1. besteht keine hinreichende Veranlassung.

I.

Das Klagepatent betrifft einen Herzschrittmacher mit folgenden Merkmalen:

1.

Herzschrittmacher mit

1.1

Mitteln zur Signalaufnahme im Atrium und Ventrikel

1.2

und Mitteln zur Abgabe von Stimulationsimpulsen an das Atrium und den Ventrikel nach Escape-Intervallen,

1.2.1

die gegebene zeitliche Abstände zwischen der Signalaufnahme auf eine Herzaktion hin und dem Stimulationszeitpunkt definieren,

1.2.2

wobei die Stimulation gegebenenfalls durch eine entsprechende eigene Aktion des Herzens inhibiert wird,

1.3

sowie mit Schaltmitteln zum Starten der Escape-Intervalle.

Die Klagepatentschrift führt in ihrer Einleitung aus, daß derartige Herzschrittmacher beispielsweise aus der GB-A 2 026 870 bekannt seien. Bei Herzschrittmachern mit den vorgenannten, im Oberbegriff des Patentanspruchs 1 genannten Merkmalen handelt sich um Herzschrittmacher, die in beiden Kammern des Herzens (Atrium und Ventrikel) sowohl Stimulationsimpulse abgeben als auch Herzaktionen detektieren können und nach dem sog. Demand-Prinzip arbeiten, d.h. die nur dann einen Stimulationsimpuls abgeben, wenn nach festgestellter Herzaktion und dem Ablauf einer vorgegebenen Zeit keine weitere herzeigene Aktion festgestellt worden ist. Erfolgt hingegen innerhalb der vorgegebenen Zeit eine Herzaktion, wird der Stimulationsimpuls unterdrückt (inhibiert). Der vorgegebene Zeitraum, innerhalb dessen eine Herzaktion erwartet wird, wird als "Escape-Intervall" bezeichnet, weil in dieser Zeit das Herz einem künstlichen Impuls durch eine Eigenaktion "entkommen" kann.

Gemäß den vorgenannten Merkmalen ist der hier in Rede stehende Herzschrittmacher ein solcher, der nach dem gebräuchlichen Code in der Betriebsart "DDD" arbeitet oder arbeiten kann. Der erste Buchstabe dieses Codes gibt die Kammer an, die stimuliert wird. Der zweite Buchstabe verwendet die gleichen Bezeichnungen; er gibt an, ob Herzeigenaktionen nur im Ventrikel oder nur im Atrium oder in beiden Kammern wahrgenommen werden. Der dritte Buchstabe des Codes bezeichnet das Ansprechverhalten des Herzschrittmachers.

Die Funktionsweise eines Herzschrittmachers der genannten Art ist dabei vor dem nachfolgend geschilderten physiologischen Hintergrund zu sehen. Das Herz weist den linken und rechten Vorhof (Atrium) und den sich jeweils hieran anschließenden linken und rechten Ventrikel auf. Die aufgrund eines zellulären chemischen Prozesses verursachte Erregung des Herzens geht von dem sog. Sinusknoten aus, der dem Atrium zugeordnet ist. Die von dem Sinusknoten erzeugten Erregungen werden auf den sog. Atrioventrikularknoten übergeleitet, der zwischen dem Atrium und dem Ventrikel liegt. Von ihm werden die Erregungen auf die Ventrikelmuskulatur weitergeleitet. Demgemäß geht die Kontraktion des Atriums, durch die das Blut in den Ventrikel gepumpt wird, der ventrikulären Kontraktion zeitlich voraus. Im Durchschnitt folgt das ventrikuläre Ereignis der Atriumkontraktion in einer Zeitspanne von etwa 120 bis 160 ms nach. Man spricht deshalb auch davon, daß das Atrium den Ventrikel führt.

Die vom Sinusknoten über den AV-Knoten zum Ventrikel laufenden Erregungen, die als elektrische Entladungen der Herzmuskelzellen, d.h. als Spannungsausgleich, betrachtet werden können, können nur in bestimmten zeitlichen Abständen erfolgen. Während einer Erregung und kurze Zeit danach ist die betreffende Zelle gegen eine neue Erregung unzugänglich (refraktär). Die Zeit, während der die Unerregbarkeit besteht, wird als sog. "Refraktärzeit" bezeichnet. Diese Refraktärzeit ist jedoch nicht absolut in dem Sinne zu verstehen, daß der Übergang zur normalen Erregbarkeit sich plötzlich vollzieht. Nur in einem ersten Abschnitt der Refraktärzeit ist der Herzmuskel fast völlig unerregbar. Der Übergang zur normalen Erregbarkeit vollzieht sich also über eine Phase der verminderten Erregbarkeit (relative Refraktärzeit). In dieser Zeit ist zwar die Schwelle der Erregbarkeit höher gesetzt. Folgt jedoch ein diese Schwelle übersteigender Impuls, können die vermindert erregbaren Zellen erneut erregt werden, ohne daß die Erholungszeit völlig abgeklungen ist. In diesem Fall kann es zu schwerwiegenden Rhythmusstörungen kommen.

Der Erregungsverlauf gestaltet sich dabei so (vgl. hierzu Anlage 2), daß eine sog. P-Welle, die - verhältnismäßig schwach ausgebildet ist, von der atrialen Kontraktion ausgelöst wird. In einem zeitlichen Ablauf von etwa 120 bis 160 ms folgt die sog. R-Zacke, die von der Ventrikelkontraktion hervorgerufen wird. Hieran schließt sich - ebenfalls schwächer ausgebildet - die sog. T-Welle an, die der Ausdruck des Erregungsrückganges im Ventrikel ist. Der letzte Teil der T-Welle wird auch als "vulnerable Phase" bezeichnet. Die T-Welle liegt zwar noch in der Refraktärzeit; jedoch sollte eine erneute durch einen entsprechend hohen Impuls ausgelöste Ventrikelstimulation nicht in die vulnerable Phase fallen, um nicht die vorerwähnten schwerwiegenden Rhythmusstörungen auszulösen.

Es kann im physiologischen Ablauf vorkommen, daß nach der Refraktärzeit im Ventrikel vorzeitig eine erneute Erregung des Ventrikels und damit eine Kontraktion auftritt. Eine solche Erregung wird als "ventrikuläre Extrasystole" (VES) bezeichnet. Eine solche natürliche Extrasystole kann unterschiedliche physiologische Ursachen haben. Sie hat normalerweise keine schädlichen Auswirkungen auf den Herzrhythmus, weil regelmäßig auf eine Extrasystole eine postextrasystolische Pause ("kompensatorische Pause") folgt. Der ventrikulären Extrasystole folgt ebenfalls eine vulnerable Phase nach.

Bei Herzschrittmachern nach dem Stand der Technik, von dem die Klagepatentschrift ausgeht, wird das Erscheinen eines Impulses im Atrium oder im Ventrikel benutzt, um dasjenige Intervall zu starten, nach dessen Ablauf in der anderen Herzkammer (Ventrikel oder Atrium) ein Stimulationsimpuls abgegeben wird, wenn dort nicht vorher eine Eigenaktivität festgestellt wird. Das nach dem Erscheinen eines Ereignisses im Atrium vorgegebene Intervall, nach dessen Verstreichen im Ventrikel ein Stimulationsimpuls erfolgt, wird AV-Intervall genannt. Umgekehrt wird das Intervall, dessen Beginn mit dem Auftreten eines Ereignisses im Ventrikel festgelegt wird, als VA-Intervall bezeichnet. Beide zusammen, also AV + VA, ergeben das sog. AA-Intervall, d.h. den zeitlichen Abstand zwischen zwei Stimulationsimpulsen im Atrium. Da beim natürlichen Herzrhythmus der herzeigene Impuls im Ventrikel zeitlich kürzer einem atrialen Impuls nachfolgt als der atriale Impuls dem ventrikulären Ereignis, ist bei Herzschrittmachern das AV-Intervall zeitlich kürzer als das VA-Intervall vorgegeben.

Herzschrittmacher nach dem in der Patentschrift mitgeteilten Stand der Technik arbeiten damit nach folgendem Prinzip: Das Wahrnehmen eines natürlichen Atriumimpulses oder das Auftreten eines erzeugten Atriumstimulationsimpulses dient dem Start des AV-Intervalls. Während des AV-Intervalls kann der ventrikuläre Sensor einen natürlich auftretenden ventrikulären Impuls wahrnehmen. Erfolgt eine solche Wahrnehmung, wird das VA-Intervall eingeleitet, an dessen Ende ein Atriumimpuls erzeugt wird, sofern nicht eine herzeigene Atriumaktivität angezeigt wird. Wenn das AV-Intervall abläuft, ohne daß eine R-Welle (ventrikulärer Impuls) wahrgenommen wird, beginnt das VA-Intervall am Ende des AV-Intervalls.

Daran wird in der Klagepatentschrift als nachteilig beanstandet, daß die Festlegung der Stimulisationszeit für das Atrium aufgrund der Aktivität im Ventrikel dem physiologischen Herzverhalten widerspreche und aufgrund von Ventrikelaktivitäten, welche zeitlichen Schwankungen unterlägen, Stimulisationsimpulse im Atrium erzwungen würden, die sich nicht in Synchronität zum vorliegenden physiologischen Sinusrhythmus befänden.

Hiervon ausgehend liegt dem Klagepatent das technische Problem ("die Aufgabe") zugrunde, einen Herzschrittmacher der vorgenannten Gattung anzugeben, welcher unter Vermeidung dieser Nachteile die weitgehende Aufrechterhaltung des herzeigenen Rhythmus auch dann ermöglicht, wenn Ventrikelaktivitäten vorhanden sind, die nicht in natürlicher Zeitrelation zu den Atriumaktivitäten auftreten (Extrasystolen).

Dieses Problem soll erfindungsgemäß durch einen Herzschrittmacher der eingangs genannten Art mit folgenden weiteren Merkmalen gelöst werden:

2.

Die Schaltmittel (213, 213a) zum Starten des Escape-Intervalls für das Atrium definieren

2.1

entweder einen ersten zeitlichen Abstand zu einer vorangehenden spontanen Aktion bzw. Stimulation des Atriums

2.2

oder aber einen zweiten zeitlichen Abstand zu einer vorangehenden spontanen Ventrikelaktion,

2.2.1

wobei sich das Starten des Escape-Intervalls für das Atrium durch Ventrikelaktionen auf spontane Ventrikelaktionen beschränkt, die

- die zwischen dem Ende der Refraktärzeit für die Signalaufnahme aus dem Ventrikel

- und dem Ende des letzten Escape-Intervalls (T ) für die Atriumaktion erscheinen,

2.2.2

so daß die Schaltmittel auf sonstige spontane Ventrikelaktionen hin keine Synchronisation der die Escape-Intervalle steuernden Zeitgeber bewirken.

Die Patentschrift erläutert die Erfindung dahin, daß es besonders vorteilhaft sei, daß das Atrium weitgehend die Führung für die sich bei der Stimulation einstellende Herzrate behalte, so daß einer Veränderung der Sinusrate ohne Zeitverzögerung gefolgt werde. Zeitliche Verschiebungen der durch Eigenüberleitungen hervorgerufenen Aktionen des Herzens im Ventrikel führten daher nicht zu einer Phasenverschiebung nachfolgender Vorhofstimulationen. Diese Betriebsweise entspreche dem natürlichen Herzverhalten auch deswegen, weil das Herz Veränderungen in der zeitlichen Aufeinanderfolge von P- und U-Impulsen durch kompensatorische Pausen auszugleichen suche.

Trotz einer damit gegebenen relativen Starrheit der Ankopplung der Schrittmachersteuerung an den Sinusknoten seien die erfindungsgemäßen Schaltmittel in der Lage, diese Kopplung gegebenenfalls aufzuheben und auf die jeweils optimale zeitliche Kopplung überzugehen. Im Zusammenhang mit den im Ausführungsbeispiel der Patentschrift dargestellten Mitteln zur Umschaltung von Betriebsarten des Schrittmachers in Abhängigkeit mit im Atrium bzw. Ventrikel festgestellten Stör- oder Tachykardiezuständen und Extrasystolen könne bei derart irregulärer Signalaufnahme im Atrium kurz- oder längerfristig die Führung der Stimulation auch dem Ventrikel übertragen werden. Insbesondere bei vorzeitigen Ventrikelkontraktionen werde die Synchronisation nachfolgender Atriumaktivitäten an den Zeitpunkt der Ventrikelaktivität geknüpft, weil insoweit dieses Ereignis auch bei der physiologischen Eigensteuerung des Herzens bedeutungsmäßig überwiege und somit durch entsprechende Synchronisation des Atriums auch die zeitliche Steuerung des künstlichen Schrittmachers sich an der nachfolgend zu erwartenden ebenfalls entsprechend vorzeitig erscheinenden Ventrikelaktivität orientieren müsse.

II.

Mit der angegriffenen Ausführungsform machen die Beklagten von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch.

Der von der Beklagten zu 1. vertriebene Herzschrittmacher verwirklicht die Merkmale 1 bis 1.3 wortlautgemäß. Der angegriffene Herzschrittmacher wird auf der Titelseite der von der Klägerin vorgelegten Gebrauchsanweisung der Beklagten zu 1. gemäß Anlage 5 als "Frequenzvariabler Zweikammer-Schrittmacher (DDDR)" bezeichnet. Die Angabe des Herzschrittmachercodes "DDDR" impliziert, daß der Schrittmacher Signalaufnahmemittel und Stimulationsmittel sowohl für das Atrium als auch für den Ventrikel aufweist. Ferner kann dem genannten Herzschrittmachercode entnommen werden, daß der Schrittmacher der Beklagten nach dem Demand-Prinzip arbeitet, also Stimulationsimpulse lediglich dann abgibt, wenn innerhalb eines bestimmten Intervalls nach einer vorangegangenen Herzaktion keine natürliche Herzaktion detektiert wird. Die Stimulationsimpulse werden jeweils nach Escape-Intervallen erzeugt, die gegebene zeitliche Abstände zwischen der Signalaufnahme auf eine Herzaktion hin und dem Stimulationszeitpunkt definieren.

Nach dem Demand-Prinzip führt die Detektion einer natürlichen Herzaktion vor Ablauf des Escape-Intervalls zu einer Unterdrückung des Stimulationsimpulses. Das Escape-Intervall wird jeweils auf eine Herzaktion ausgelöst. Eine solche Herzaktion setzt also in dem Herzschrittmacher einen Zeitgeber in Gang, was geeignete Schaltmittel voraussetzt, deren konkrete Realisierung hier nicht weiter interessiert. All das ist zwischen den Parteien im übrigen auch unstreitig, weshalb es insoweit keiner weiteren Erläuterungen bedarf.

Entgegen der Auffassung der Beklagten sind auch die kennzeichnenden Merkmale des Patentanspruchs 1 verwirklicht.

Das Prinzip der Lehre des Klagepatents, das sich aus Merkmal 2 in Verbindung mit den Untermerkmalen 2.1 und 2.2. ergibt und in dem Untermerkmal 2.2.2. bekräftigt ist, besteht darin, daß das AA-Intervall grundsätzlich konstant gehalten wird und eine Neu-Synchronisation des Atriums, d.h. eine Veränderung des AA-Intervalls, nur im Falle einer ventrikulären Extrasystole (VES) erfolgt. Das Merkmal 2.2 läßt das Starten des Escape-Intervalls auf eine spontane Ventrikelaktion hin zu. Hierbei handelt es sich jedoch um ganz bestimmte Ventrikelaktionen, nämlich solche, die nach dem Ender der Refraktärzeit des Ventrikels und vor der nächsten Atriumaktion auftreten. Bei solchen Ventrikelaktionen handelt es sich um die bereits beschriebenen ventrikulären Extrasystolen (VES). Durch die Synchronisierung des Atriums mit einer derartigen ventrikulären Extrasystole wird die auf die ventrikuläre Extrasystole folgende Atriumaktion zeitlich verschoben.

Von genau diesem Prinzip macht die angegriffene Ausführungsform (auch) Gebrauch. Ihre Schaltmittel arbeiten nämlich patentgemäß, solange nicht - wie auf Seite 151 der Gebrauchsanweisung der Beklagten zu 1. gemäß Anlage 5 im Abschnitt "Wenckebach-Begrenzung" formuliert - die wahrgenommene atriale Frequenz über der programmierten maximalen Synchronfrequenz liegt. Ist dies nicht der Fall, haben die in der angegriffenen Ausführungsform vorhandenen Mittel exakt die im Anspruch 1 des Klagepatents beschriebenen Eigenschaften und Wirkungen.

In wortsinngemäßer Verwirklichung des Merkmals 2 starten die Schaltmittel bei der angegriffenen Ausführungsform das Escape-Intervall für das Atrium entweder auf eine spontane oder stimulierte Atriumaktion oder auf eine spontane Ventrikelaktion hin.

Was das Merkmal 2.1 anbelangt, ergibt sich dessen Verwirklichung aus dem Inhalt der Gebrauchsanweisung gemäß Anlage 5. Dort heißt es auf Seite 143 unter "DDD-Betriebsart":

"… Liegt kein herzeigener Rhythmus vor, stimuliert der Schrittmacher beide Kammern mit der programmierten Interventionsfrequenz. Atrial stimulierte Ereignisse lösen einen PAV-Intervall aus; mit Ablauf des PAV wird ein VA-Intervall ausgelöst. Ein nichtrefraktär wahrgenommenes atriales Ereignis löst einen SAV-Intervall aus; bei Beendigung eines SAV wird wieder ein VA-Intervall ausgelöst (siehe auch Wenckebachbegrenzung)".

Dem ist zu entnehmen, daß bei der angegriffenen Ausführungsform bei einer natürlichen Atriumaktion ein (S = "Sensed") AV-Intervall ausgelöst wird, das von einem VA-Intervall gefolgt wird. Nach Ablauf dieses VA-Intervall wird im Atrium stimuliert. Das Intervall für das Atrium ist in diesem Fall gleich der Summe aus (S) AV-Intervall + VA-Intervall und beginnt mit einer natürlichen Atriumaktion (AA-Intervall). Bei einer stimulierten Atriumaktion wird ein (P = "Paced") AV-Intervall ausgelöst, das ebenfalls von einem VA-Intervall gefolgt wird. Nach Ablauf des VA-Intervalls wird dann wiederum im Atrium stimuliert. Das AA-Intervall setzt sich damit in diesem Fall aus dem (P) AV-Intervall und dem VA-Intervall zusammen. In beiden vorgenannten Fällen erfolgt die Stimulation des Atriums nach Ablauf einer vorgegebenen Zeitspanne (= AA-Intervall) nach einer vorangegangenen natürlichen bzw. stimulierten Aktion des Atriums, wobei sich das AA-Intervall aus dem (S) bzw. (P) AV-Intervall und dem VA-Intervall zusammensetzt. Die Merkmale 2 und 2.1 sind damit insoweit wortsinngemäß verwirklicht.

Auch das Merkmal 2.2 mit seinen Untermerkmalen 2.2.1 und 2.2.2 wird von der angegriffenen Ausführungsform verwirklicht. In der den angegriffenen Herzschrittmacher betreffenden Gebrauchsanweisung gemäß Anlage 5 heißt es auf Seite 139 unter der Überschrift "A-A Zeitsteuerung bei Zweikammerbetriebsarten" (Ziffer 4.2):

"Zur Gewährung einer konstanten atrialen Stimulationsfrequenz erfolgen die VA-Intervall-Anpassungen in den DDDR-, DDIR-, DVIR-, DOOR-, DDD-, DDI, DVI und DOO-Betriebsarten von Plus zu Plus ( A-A-Zeitsteuerung). …"

Hieraus folgt, daß das VA-Intervall bei dem angegriffenen Herzschrittmacher der Beklagten so angepaßt wird, daß eine konstante atriale Herzrate erreicht wird. Die Summe aus AV-Intervall (SAV oder PAV) und VA-Intervall wird konstant gehalten. Eine Anpassung des VA-Intervalls ist dabei dann notwendig, wenn während des AV-Intervalls ein natürliches ventrikuläres Ereignis stattfindet. "Anpassung" bedeutete insoweit, daß das VA-Intervall um den zeitlichen Betrag verlängert wird, um den das AV-Intervall infolge des Auftretens einer natürlichen Ventrikelaktion abgekürzt wird. Das Auftreten eines natürlichen ventrikulären Ereignisses beeinflußt folglich die Konstanz des AA-Intervalls insoweit nicht.

Auf Seite 139 der Anlage 5 heißt es im vorgenannten Abschnitt ferner:

"… Die AA-Zeitsteuerung spiegelt einen natürlichen Sinusrhythmus wider; sie wird in den DDI- bzw. DDIR-Betriebsarten nur durch atriale Extrasystolen (AES) und in anderen Zweikammer-Stimulationsbetriebsarten nur durch ventrikuläre Extrasystolen (VES) unterbrochen".

Hiernach wird die AA-Zeitsteuerung bei der angegriffenen Ausführungsform beim Auftreten einer ventrikulären Extrasystole unterbrochen. Eine Anpassung des VA-Intervalls zwecks Erreichung einer konstanten atrialen Stimulationsrate erfolgt nicht. Vielmehr bestimmt in diesem Fall das VA-Intervall den Zeitabstand der folgenden Stimulation im Atrium. Da die VES nach der Refraktärzeit der vorangegangenen Ventrikelaktion und vor der nachfolgenden Atriumaktion liegt, durchbricht nur eine zwischen dem Ende der Refraktärzeit des Ventrikels und dem Ende des zuletzt gestarteten Escape-Intervalls für das Atrium erfolgte VES die AA-Zeitsteuerung und synchronisiert die folgende atriale Aktion. Im letzteren Fall endet das Escape-Intervall für das Atrium damit nach einem zeitlichen Abstand zu der VES. In anderen Fällen einer natürlichen Ventrikelaktion, die keine VES ist, wird das VA-Intervall dagegen angepaßt und die atriale Herzrate konstant gehalten. Das Starten des Escape-Intervalls für das Atrium beschränkt sich bei der angegriffenen Ausführungsform mithin auf solche Ventrikelaktionen, bei denen es sich um ventrikuläre Extrasystolen handelt.

Soweit die angegriffene Ausführungsform hiernach in wortsinngemäßer Verwirklichung sämtlicher Merkmale des Anspruchs 1 des Klagepatents mit patentgemäßen Mitteln arbeitet, gilt dies allerdings nur für den Fall, daß die wahrgenommene atriale Frequenz nicht über der programmierten maximalen Synchronfrequenz des angegriffenen Herzschrittmachers liegt. Ist letztere Voraussetzung nicht erfüllt, liegt die wahrgenommene atriale Frequenz also über der programmierten maximalen Synchronfrequenz, ist die Neu-Synchronisation des Atriums, d.h. eine Veränderung des AA-Intervalls, bei der angegriffenen Ausführungsform - wie zwischen den Parteien unstreitig ist - nicht nur auf ventrikuläre Extrasystolen beschränkt. Eine Neu-Synchronisierung des Atriums kann dann vielmehr auch bei einer vorzeitigen spontanen Aktion des Atriums stattfinden. Wenn das Herz schneller zu schlagen beginnt und eine spontane Aktion des Atriums innerhalb einer bestimmten Zeit nach dem vorangegangenen Ventrikelereignis stattfindet, wird - wie die Beklagten dargelegt haben - insoweit ein gegenüber dem nominalen AV-Intervall verlängertes AV-Intervall in Gang gesetzt. Dieses geschieht derart, daß dann, wenn während des verlängerten AV-Intervalls keine spontane Ventrikelaktion erfolgt, der Ventrikel stimuliert und gleichzeitig das nominale VA-Intervall in Gang gesetzt wird. Das verlängerte AV-Intervall und das nominale VA-Intervall zusammen sind länger als die Summe des nominalen AV-Intervalls und des nominalen VA-Intervalls. Das AA-Intervall ist in diesem Fall nicht konstant, sondern variabel. Die Länge des AA-Intervalls hängt davon ab, ob und gegebenenfalls zu welchem Zeitpunkt eine spontane Aktion des Atriums stattfindet. Erfolgt während der Verlängerung des AV-Intervalls eine spontane Ventrikelaktion, setzt diese das nominale VA-Intervall in Gang und startet damit das Escape-Intervall für das Atrium. In diesem Fall ist das AA-Intervall ebenfalls nicht konstant. Seine Länge hängt jetzt davon ab, wann die spontane Ventrikelaktion stattfindet.

Der Grund dafür, daß das AA-Intervall bei der angegriffenen Ausführungsform unter der genannten Voraussetzung nicht konstant gehalten wird, liegt dabei darin, daß der Herzschrittmacher der Beklagten eine sog. "Wenckebach-Begrenzung" aufweist, durch die die Stimulationsrate des Herzschrittmachers nach oben begrenzt wird. Sobald die natürliche atriale Rate die den Ratenbegrenzungsintervall entsprechende Maximalrate bei der angegriffenen Ausführungsform überschreitet, die "Wenckebach-Begrenzung" also in Funktion tritt, arbeitet der angegriffene Herzschrittmacher zwar damit nicht (mehr) mit den (auch weiterhin vorhandenen) patentgemäßen Schaltmitteln. Dies steht indes einer Verletzung des Klagepatents entgegen der Auffassung der Beklagten nicht entgegen.

Entscheidend und ausreichend ist nämlich, daß der angegriffene Herzschrittmacher dann, wenn keine vorzeitigen spontanen Atriumaktionen erfolgen, mit patentgemäßen Schaltmitteln arbeitet, wobei dahinstehen kann, ob dies den "Normalfall" darstellt, wie die Klägerin geltend macht, oder ob die nicht patentgemäße Arbeitsweise umgekehrt "ganz normal" ist, wie dies die Beklagten vorbringen. Aus patentrechtlicher Sicht kommt es allein darauf an, daß der angegriffene Herzschrittmacher immer zwei "Betriebsmodi" bzw. "Betriebsarten" zur Verfügung stellt, die streng getrennt voneinander verschiedenen Zwecken dienen. Die erste "Betriebsart" kommt bei der Behandlung von Zuständen ohne vorzeitige spontane Atriumaktionen zum Einsatz. Bei ihr sind patentgemäße Mittel wirksam; es wird von der Lehre des Klagepatents Gebrauch gemacht. Die zweite "Betriebsart" dient dagegen der Behandlung von Zuständen mit vorzeitigen spontanen Atriumaktionen. Befindet sich der Schrittmacher in dieser "Betriebsart", arbeitet er nicht mit "patentgemäßen" Mitteln.

Für beide "Betriebsarten" existiert dabei ein klares "Umschaltkriterium", nämlich das Auftreten und die Detektion vorzeitiger spontaner Atriumaktionen, d.h. ihr zu frühes Eintreten nach einer Ventrikelaktion. Der Zeitraum, welcher als in diesem Sinne zu früh zu betrachten ist, steht mit der Herzschlagrate in Zusammenhang und hängt wohl von medizinischen Gesichtspunkten ab. In jedem Falle bedarf dieser Zeitraum aber der vorherigen Definition. In der Gebrauchsanweisung der Beklagten zu 1. gemäß Anlage 5 wird in diesem Zusammenhang auf Seite 139 ausgeführt, daß die maximale Synchronfrequenz als die höchste Stimulationsfrequenz "programmierbar" ist. Die "programmierbare" maximale Synchronfrequenz ist in der Übersicht auf Seite 120 der Anlage 5 mit 80 - 180 minֿ¹, die nominale Synchronfrequenz ist auf Seite 126 der Anlage 5 mit 120 minֿ¹ angegeben. Wie auf Seite 151 der Anlage 5 unter "Wenckebach-Begrenzung" ausgeführt wird, kann die "Wenckebach-Begrenzung" des Schrittmachers immer dann auftreten, wenn die wahrgenommene atriale Frequenz über der "programmierten maximalen Synchronfrequenz" liegt. Steht der Zeitraum, innerhalb dessen das Eintreten einer vorzeitigen spontanen Atriumaktion nach einer Ventrikelaktion als zu früh angesehen wird, einmal aufgrund entsprechender Programmierung fest, definiert er für den Herzschrittmacher eindeutig, welche der beiden "Betriebsarten" in der jeweiligen Situation gewählt wird.

Die beiden in Frage kommenden "Betriebsarten" greifen dabei auch nicht ineinander. Sie arbeiten vielmehr jeweils nach ihren eigenen, der jeweiligen Herzsituation angepaßten Prinzipien. Dabei besteht das Prinzip der ersten Betriebsart darin, die zeitliche Konstanz des AA-Intervalls grundsätzlich zu gewährleisten und im Ausnahmefall ventrikuläre Extrasystolen so zu handhaben, daß diese im Zusammenhang mit der Reaktion des Schrittmachers nicht zu Herzrhythmusstörungen führen. Dies wird mit den durch das Klagepatent gelehrten Mitteln erreicht.

Dabei ist es unerheblich, ob in der zweiten "Betriebsart" andere Prinzipien mit anderen Mitteln verwirklicht sind, weil beide "Betriebsarten", funktional gesehen, völlig separiert voneinander wirken. Hierbei kommt es auch nicht etwa darauf an, ob diese funktional definierten "Betriebsarten" konstruktiv ineinandergreifend oder streng getrennt voneinander realisiert sind, was beides jeweils mittels entsprechender Hardware bzw. Software möglich ist. Maßgebend ist allein ihre Trennung aus funktionaler Sicht.

Diese Situation ist vergleichbar mit einer mechanischen Vorrichtung mit verschiedenen interdependend wirkenden mechanischen Teilen, von denen zumindest eines patentgemäß ausgebildet ist. Das Vorhandensein und die Ausgestaltung der anderen mechanischen Teile einer solchen Vorrichtung ist für die Frage der Patentverletzung irrelevant. Dies ist hier nicht anders. Es kann insoweit keinen Unterschied machen, ob bei einer Vorrichtung je nach "Anforderung" eines von zwei diskreten Vorrichtungsteilen arbeitet oder ob - wie hier - mittels entsprechender Software beide Funktionen von einer Vorrichtung erfüllt werden können.

Nach alledem macht die angegriffene Ausführungsform von der Lehre des Klagepatents Gebrauch.

III.

Aus der Verletzung des Klagepatents ergeben sich folgende Rechtsfolgen:

1.

Da die Beklagten den Gegenstand des Klagepatents rechtswidrig benutzt haben, sind sie der Klägerin zur Unterlassung verpflichtet, § 139 Abs. 1 PatG.

2.

Die Beklagten haben der Klägerin außerdem Schadensersatz zu leisten, § 139 Abs. 2 PatG. Denn als Fachunternehmen hätte die Beklagte zu 1. die Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können, § 276 BGB, und das gleiche gilt für den Beklagten zu 2., der als ihr gesetzlicher Vertreter für die Beachtung absoluter Rechte Dritter Sorge zu tragen hatte und nach § 840 Abs. 1 gesamtschuldnerisch mit der Beklagten zu 1. haftet. Da es hinreichend wahrscheinlich ist, daß der Klägerin durch die rechtsverletzenden Handlungen der Beklagten ein Schaden entstanden ist, der von der Klägerin jedoch noch nicht beziffert werden kann, weil sie den Umfang der rechtsverletzenden Benutzungshandlungen ohne ihr Verschulden nicht im einzelnen kennt, ist ein rechtliches Interesse der Klägerin an einer Feststellung der Schadensersatzverpflichtung anzuerkennen, § 256 ZPO.

Entsprechendes gilt für den sich aus Artikel II § 1 a Abs. 1 des Gesetzes über Internationale Patentübereinkommen ergebenden Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 1. auf Leistung einer angemessenen Entschädigung für die Benutzung der europäischen Patentanmeldung, von der ihr Geschäftsführer, der Beklagte zu 2., wußte oder jedenfalls hätten wissen müssen.

3.

Außerdem sind die Beklagten zur Rechnungslegung verpflichtet, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch beziffern zu können, § 242 BGB. Denn die Klägerin ist auf die zuerkannten Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt, und die Beklagten werden durch die von ihnen verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.

4.

Gemäß § 140 b PatG haben die Beklagten schließlich über Herkunft und Vertriebsweg der rechtsverletzenden Erzeugnisse Auskunft zu erteilen. Die nach Absatz 2 dieser Vorschrift geschuldeten Angaben sind in der Urteilsformel zu I. 2 mit den Angaben zusammengefaßt, die zum Zwecke der Rechnungslegung zu machen sind.

Dem Begehren der Beklagten, ihnen über den aufgrund des entsprechenden Einverständnisses der Klägerin eingeräumten Wirtschaftsprüfervorbehalt auch nachzulassen, die Namen und Anschriften ihrer gewerblichen Abnehmer einem vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, kann die Kammer nicht entsprechen. Der Anspruch auf Angabe der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer ergibt sich aus § 140 b PatG, und der Zweck des in dieser Vorschrift normierten erweiterten Auskunftsanspruchs, dem Verletzten weitere als Beteiligte an der Schutzrechtsverletzung in Betracht kommende Personen namhaft zu machen, zu denen auch die gewerblichen Abnehmer gehören, verlangt es, daß der Verletzte ihrer Namen und Anschriften unmittelbar und ohne Zwischenschaltung eines Wirtschaftsprüfers mitgeteilt bekommt. Andernfalls müßte er sich die Namen und Anschriften von dritter Seite besorgen und könnte beim Wirtschaftsprüfer lediglich nachfragen, ob die von ihm anderweitig recherchierten Angaben in der Rechnungslegung enthalten sind. Gerade an dieser Stelle soll der erweiterte Auskunftsanspruch die Lage des verletzten Schutzrechtsinhabers verbessern. Die Beklagten hätten deshalb Gründe dafür darlegen müssen, weshalb die Mitteilung der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer im Streitfall unverhältnismäßig ist.

Nichts anderes gilt, soweit die in die Rechnungslegung der Beklagten aufzunehmenden Verletzungshandlungen vor Inkrafttreten des erweiterten Auskunftsanspruches nach § 140 b PatG begangen worden sind. Insoweit ergibt sich der Rechnungslegungsanspruch zwar nach wie vor aus § 242 BGB, wobei sich der Umfang der geschuldeten Rechnungslegung nach Treu und Glauben bestimmt. Nachdem der erweiterte Auskunftsanspruch aber nunmehr über fünf Jahre besteht und dem Verletzer in aller Regel abverlangt, seine aktuellen Kundenbeziehungen offenzulegen, soweit er diese Kunden mit der Verletzungsform beliefert hat, besteht auch im Rahmen des § 242 BGB keine Veranlassung mehr, dem Verletzten die Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer aus noch länger zurückliegenden Liefergeschäften vorzuenthalten, es sei denn, der Verletzer legt im Einzelfall Gründe dar, aus denen für ihn die Offenbarung dieser Angaben unzumutbar ist. Derartige Gründe haben die Beklagten hier jedoch nicht mitgeteilt. Allein der Umstand, daß es sich bei den Beklagten um Wettbewerber handelt, ist dafür nicht hinreichend. Schließlich haben die Beklagten auch überhaupt nicht behauptet, daß ihnen die Benennung ihrer aktuellen und/oder ehemaligen Abnehmer nicht zuzumuten sei.

IV.

Zu einer nach § 148 ZPO möglichen Aussetzung der Verhandlung besteht keine hinreichende Veranlassung. Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer (Mitt. 1988, 91 - Nickel-Chrom-Legierung; B1PMZ 1995, 121 - Hepatitis-C-Virus), die auch vom Oberlandesgericht Düsseldorf (GRUR 1979, 188 - Flachdachabläufe) und vom Bundesgerichtshof (GRUR 1987, 284 - Transportfahrzeug) gebilligt wird, stellen ein Einspruch gegen das Klagepatent oder die Erhebung einer Nichtigkeitsklage als solche noch keine Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen, da dies faktisch darauf hinauslaufen würde, dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beizumessen, die dem Gesetz fremd ist (§ 58 Abs. 1 PatG). Die Interessen der Parteien sind vielmehr gegeneinander abzuwägen, wobei grundsätzlich dem Interesse des Patentinhabers an der Durchsetzung seines erteilten Patents Vorrang gebührt. Die Aussetzung kommt deshalb nur in Betracht, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Widerruf oder eine Vernichtung des Klagepatents zu erwarten ist. Dies wiederum kann regelmäßig dann nicht angenommen werden, wenn der dem Klagepatent am nächsten kommende Stand der Technik bereits im Erteilungsverfahren berücksichtigt worden ist oder wenn neuer Stand der Technik lediglich belegen soll, daß das Klagepatent nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, sich jedoch auch für eine Bejahung der Erfindungshöhe, die von der wertenden Beurteilung der hierfür zuständigen Instanzen abhängt, zumindest noch vernünftige Argumente finden lassen.

Unter Beachtung dieser Grundsätze besteht im Entscheidungsfall keine hinreichende Veranlassung zu einer Aussetzung der mündlichen Verhandlung. Die deutsche Offenlegungsschrift 27 01 104, mit der die Beklagte eine neuheitsschädliche Vorwegnahme der Erfindung geltend macht, ist bereits im Erteilungsverfahren berücksichtigt worden. Unter Würdigung und Abwägung des wechselseitigen Vorbringens der Parteien im Nichtigkeitsverfahren sowie in der mündlichen Verhandlung erscheint es der Kammer weder zwingend noch überwiegend wahrscheinlich, daß die Lehre des Klagepatents nach dessen Anspruch 1 durch diese Entgegenhaltung, nämlich deren Figur 2 und die dazugehörige Beschreibung, vorweggenommen ist. Insoweit ist nämlich nicht sicher, ob sich aus der Figur 2 und der Beschreibung dieser Ausführungsform in der Offenlegungsschrift 27 01 104 tatsächlich ergibt, daß der Zeitgeber (86) für das Atrium bei der in der Druckschrift dargestellten - gegenüber der ersten Ausführungsform gemäß Figur 1 abgewandelten - Ausführungsform im Falle eines spontanen ventrikulären Ereignis nachgetriggert wird, wie dies die Beklagten geltend machen. Zwar könnten die von den Beklagten zitierten Textstellen in der besonderen Beschreibung (Seiten 22 und 23 der Druckschrift) für ihr diesbezügliches Vorbringen sprechen. Angesichts der entgegenstehenden Darlegungen der Klägerin erscheint der Kammer dies jedoch nicht zwingend. Denn die Klägerin hat dargelegt, daß der von dem Zeitgeber 84 (Figur 2) nach Ablauf des AV-Intervalles über die Leitung 91 abgegebene Impuls den Signalpegel am Eingang des Kondensators 93 nicht ändere, weil zu diesem Zeitpunkt am Eingang des Kondensators noch der Impuls der Eingangsschaltung 90 anliege, und demzufolge auch nicht zu einer Nachtriggerung des Zeitgebers 86 für das Atrium führe.

Zudem ist hinsichtlich der Neuheitsprüfung zu beachten, daß eine Druckschrift nur mit ihrem tatsächlichen Offenbarungsgehalt, den sie einem Durchschnittsfachmann ohne weiteres vermittelt, der Neuheitsprüfung zugrunde gelegt werden kann (vgl. BGH, GRUR 1979, 148, 149 - Stromversorgungseinrichtung). Maßgebend für den Offenbarungsgehalt ist, was der Durchschnittsfachmann dem Inhalt der Druckschrift unmittelbar entnehmen kann. In einer Druckschrift ist alles das unmittelbar offenbart, was sie dem Durchschnittsfachmann an Kenntnissen vermittelt, ohne daß er sich nähere Gedanken machen muß. Bei der Ermittlung des Offenbarungsgehaltes einer Druckschrift dürfen einzelne Aussagen einer Druckschrift nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden, in dem sie nach dem Gesamtinhalt der Druckschrift stehen (BGH, GRUR 1979, 148, 149 - Stromversorgungseinrichtung). Wenn es aber maßgeblich auf den Gesamtinhalt der Druckschrift ankommt, ist im Entscheidungsfall zu beachten, daß die Offenlegungsschrift 27 01 104 zur Lösung der in ihr bezeichneten Aufgabe (vgl. Seite 3 der Druckschrift) einen elektrischen Herzschrittmacher mit Schaltmitteln zur Erkennung und gegebenenfalls Stimulation von Herzkammeraktionen sowie mit Schaltmitteln zur Stimulation von Vorhofaktionen vorschlägt, der gekennzeichnet ist durch Schaltmittel zur Erkennung einer Herzvorhofaktion sowie durch weitere Schaltmittel zum Auslösen einer Kammerstimulation, falls nicht innerhalb einer vorbestimmten ersten Zeitspanne nach entweder erkannter spontaner oder bereits durch Stimulation hervorgerufener Vorhofaktion eine spontane Kammeraktion folgt, und Schaltmittel zum Auslösen einer Vorhofaktion, falls nicht innerhalb einer vorbestimmten zweiten Zeitspanne nach entweder erkannter spontaner oder durch Stimulation hervorgerufener Kammeraktion eine spontane Vorhofaktion folgt. Gemäß diesem erfindungsgemäßen Prinzip führen aber auch innerhalb der AV-Überleitungszeit auftretende natürliche Ventrikelereignisse zu einer Synchronisierung des Zeitgebers für das Atrium, wohingegen das Klagepatent lehrt, daß nur solche natürlichen Ventrikelereignisse einen Einfluss auf die Zeitsteuerung für das Atrium haben, die nach dem Ende der ventrikulären Refraktärzeit, also nach Ablauf der AV-Überleitungszeit auftreten. Hinsichtlich der Figur 2 der Offenlegungsschrift 27 01 104, auf die die Beklagten hinweisen, wird in der Druckschrift ausgeführt, daß es sich um eine Schaltanordnung mit integrierten Schaltungen handele, die "prinzipiell derjenigen nach Fig. 1" entspreche (vgl. Seite 19, dritter Absatz, der Druckschrift). In Figur 1 wird aber das vorgenannte erfindungsgemäße Prinzip der Offenlegungsschrift dargestellt, weshalb Figur 2 lediglich als Weiterführung der Figur 1 in bezug auf die Anordnung integrierter Schaltungen erscheint. Unter diesen Umständen sieht es die Kammer jedenfalls nicht als überwiegend wahrscheinlich an, daß die deutsche Offenlegungsschrift 27 01 104 als neuheitsschädliche Vorwegnahme des Gegenstandes des Anspruchs 1 des Klagepatents zu werten ist.

Mit den übrigen Entgegenhaltungen wollen die Beklagten lediglich die Erfindungshöhe in Frage stellen. Gegen die dazu erforderlichen Kombinationen lassen sich aber, wie die Erwiderung der Klägerin im Nichtigkeitsverfahren zeigt (vgl. Anlage 15), beachtliche Argumente finden, weshalb eine Aussetzung der Verhandlung nicht gerechtfertigt ist.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709 Satz 1, 108 ZPO.

Der Streitwert wird im Hinblick auf die wirtschaftliche Bedeutung des Klagepatents auf 5 Millionen DM festgesetzt.

A B C






LG Düsseldorf:
Urteil v. 29.04.1997
Az: 4 O 120/96


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/0f89b3ffc08d/LG-Duesseldorf_Urteil_vom_29-April-1997_Az_4-O-120-96




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