Amtsgericht Büdingen:
Beschluss vom 8. Februar 2008
Aktenzeichen: 53 F 884/07 - PKH 2, 53 F 884/07

(AG Büdingen: Beschluss v. 08.02.2008, Az.: 53 F 884/07 - PKH 2, 53 F 884/07)

Tenor

Auf die Erinnerung der Verfahrensbevollmächtigten des Beklagten vom 16. Januar 2008 hin wird die Festsetzung vom 7. Januar 2008 über die ihr aus der Landeskasse zu zahlenden Vergütung dahin gehend abgeändert, dass die der Verfahrensbevollmächtigten des Beklagten aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung auf insgesamt 1.157,88 € festgesetzt wird.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache wird die Beschwerde zugelassen.

Gründe

Mit Beschluss vom 21. November 2007 wurde dem Beklagten rückwirkend Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug bewilligt und Frau Rechtsanwältin XXX, beigeordnet, wobei die Prozesskostenhilfe auf den Vergleichsabschluss erstreckt wurde.

Mit Schreiben vom 21. November 2007 begehrte die Verfahrensbevollmächtigte die Festsetzung einer Vergütung in Höhe von 1.157,88 €, einschließlich Fahrtkosten in Höhe von 9,00 € und einem Abwesenheitsgeld in Höhe von 20,00 €. Mit Festsetzung vom 7. Januar 2008 setzte das Amtsgericht Büdingen die Vergütung auf 1.123,35 € fest, da Reisekosten und Abwesenheitsgelder einem örtlich zugelassenen Anwalt nicht zu ersetzen seien. Mit Schreiben vom 16. Januar 2008 hat die Verfahrensbevollmächtigte Erinnerung eingelegt.

Die nach § 56 RVG zulässige Erinnerung ist begründet.

Auslagen, insbesondere Reisekosten werden nach § 46 Abs. 1 RVG nur dannnichtvergütet, wenn sie zur sachgemäßen Durchführung der Angelegenheitnichterforderlich waren. Dass im Rahmen einer sachgerechten anwaltlichen Vertretung eine Teilnahme an mündlichen Verhandlungen erforderlich ist, bedarf eigentlich keiner weiteren Ausführung. Wie soll ein Rechtsanwalt das ihm übertragene Mandat sachgerecht ausüben, wenn er nicht an einer mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht teilnimmt.

Entgegen der Ansicht des Bezirksrevisors kann § 46 Abs. 1 RVG auch nicht einschränkend dahin gehend ausgelegt werden, dass Reisekosten und Abwesenheitsgelder einem örtlich zugelassenen Rechtsanwalt nicht erstattet werden können.

Weder der Wortlaut des Gesetzes noch Sinn und Zweck der Regelung lassen eine derartige Auslegung zu. Vielmehr spricht alles dafür, dass auch ein örtlich zugelassener Rechtsanwalt nach § 46 Abs. 1 RVG Reisekosten beanspruchen kann.

So hat der Gesetzgeber in der Vorbemerkung zu Teil 7 der Anlage 1 zum RVG in Abs. 2 ausdrücklich geregelt, dass eine Geschäftsreise dann vorliegt, wenn das Reiseziel außerhalb der Gemeinde liegt, in der sich die Kanzlei oder die Wohnung des Rechtsanwalts befindet. Hätte der Gesetzgeber die noch in § 126 Abs. 1 S. 2 BRAGO enthaltene Einschränkung, dass Mehrkosten eines beim Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwaltes, die dadurch entstehen, dass der Rechtsanwalt seinen Wohnsitz oder seine Kanzlei nicht an dem Ort hat, an dem sich das Prozessgericht befindet, nicht erstattungsfähig sind, übernehmen wollen, hätte er die Definition einer Geschäftsreise entsprechend gestalten können.

Auch aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber zur Begründung der Nichtübernahme von § 126 Abs. 1 Satz 2 BRAGO ausführt (BT-Drs. 15/1971 S. 200):

€Die Regelung des § 126 Abs. 1 Satz 2 BRAGO soll nicht übernommen werden, weil diese Vorschrift wegen § 121 Abs. 3 ZPO entbehrlich erscheint. Nach dieser Vorschrift kann ein bei dem Prozessgericht nicht zugelassener Rechtsanwalt nur beigeordnet werden, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen.€

kann nicht geschlossen werden, der Gesetzgeber habe an der bestehenden Rechtslage nichts ändern wollen.

Aus der weiteren Begründung zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (Kostenrechtsmodernisierungsgesetz € KostRMoG) ergibt sich nämlich, dass der Gesetzgeber ganz bewusst die alte Differenzierung zwischenbei dem Gericht zugelassenenundnicht zugelassenen Rechtsanwältenaufgegeben hat. Durch das Gesetz wurde unter anderem auch § 91 ZPO geändert. So lautete § 91 Abs. 2 S.2 ZPO vor dem Kost-RMoG wie folgt: €Der obsiegenden Partei sind die Mehrkosten nicht zu erstatten, die dadurch entstehen, daß der bei dem Prozeßgericht zugelassene Rechtsanwalt seinen Wohnsitz oder seine Kanzlei nicht an dem Ort hat, an dem sich das Prozeßgericht oder eine auswärtige Abteilung dieses Gerichts befindet.€ Zu der ersatzlosen Streichung dieses Satzes hat der Gesetzgeber ausgeführt (BT-Drs. 15/1971 S. 233):

€Gemäß § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO sind die Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht bei dem Prozessgericht zugelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, nur insoweit zu erstatten, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Dagegen sind nach § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO die Mehrkosten nicht zu erstatten, die dadurch entstehen, dass der bei dem Prozessgericht zugelassene Rechtsanwalt seinen Wohnsitz und seine Kanzlei nicht an dem Ort hat, an dem sich das Prozessgericht oder eine auswärtige Abteilung des Gerichts befindet. Diese Unterscheidung ist seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des RABerufsRNEUOG vom 17. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2448) mit Wirkung zum 1. Januar 2000, mit dem das Lokalisierungsprinzip für Rechtsstreitigkeiten mit Anwaltszwang vor dem Landgericht oder Amtsgericht (Familiengericht) abgeschafft wurde, nicht mehr sachgerecht. Die unterschiedlichen Erstattungsregelungen tragen noch der bis zum 1. Januar 2000 lokalisiert begrenzten Postulationsfähigkeit der Rechtsanwälte Rechnung. Diese zog es nach sich, dass bei Verfahren mit Anwaltszwang beide Parteien regelmäßig durch einen vor Ort zugelassenen Rechtsanwalt vertreten wurden, so dass in der Regel für beide Parteien die gleichen Vorschriften für die Erstattung von Reisekosten Anwendung fanden. In Anbetracht des Wegfalls der Beschränkung der Postulationsfähigkeit hängt es nunmehr ausschließlich von der Wahl des Rechtsanwalts durch die Partei ab, ob sich für den postulationsfähigen Rechtsanwalt einer Partei die Erstattung der Reisekosten nach § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO oder nach § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO richtet. Diese unterschiedliche Erstattungsfähigkeit von Reisekosten für Rechtsanwälte wird durch die Streichung des § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO beseitigt.€

Aus diesen Ausführungen lässt sich schließen, dass der Gesetzgeber aus dem gleichen Grund die in § 126 Abs. 1 S. 2 BRAGO enthaltene Differenzierung zwischenbeim Gericht zugelassenenundnicht zugelassenen Rechtsanwältenbewusst aufgehoben hat. Aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich daher, dass die Regelung des § 126 Abs. 1 S. 2 BRAGO nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebersnichtweiter gelten solle.

Auch die weitere Begründung des Gesetzgebers zu § 46 RVG spricht für eine Erstattungsfähigkeit der Reisekosten. So hat der Gesetzgeber ausgeführt (BT-Drs. 15/1971 S. 230):

€Im Zweifel ist die Notwendigkeit der Auslagen anzuerkennen. Es ist nicht Aufgabe des Urkundsbeamten oder des auf die Erinnerung entscheidenden Gerichts, seine eigene Auffassung an die Stelle der Meinung des Rechtsanwalts zu setzen. Der Rechtsanwalt hat den Rechtsstreit geführt; nur er ist für die sachgemäße Wahrnehmung der Interessen der Partei verantwortlich.€

Selbst wenn der Gesetzgeber die Einschränkung des § 126 Abs. 1 S. 2 BRAGO nur versehentlich gestrichen hätte, ist kein sachlicher Grund ersichtlich, der für eine Weitergeltung dieser Beschränkung sprechen würde.

Aus verfassungsrechtlichen Erwägungen heraus spricht vielmehr einiges gegen eine derartige Beschränkung. Aus § 46 RVG ergibt sich zunächst, dass der Gesetzgeber grundsätzlich Reisekosten eines beigeordneten Rechtsanwaltes für erstattungsfähig erklärt hat. Die §§ 44 ff. RVG regeln nämlich den Vergütungsanspruch eines beigeordneten Rechtsanwaltes.

Aus welchem Grund sollte nun ein beim Prozessgericht zugelassener Rechtsanwalt insoweit anders behandelt werden als ein nicht zugelassener Rechtsanwalt. Spätestens seit Wegfall der anwaltlichen Zulassungsbeschränkungen ist ein sachlicher Grund für eine der-artige Differenzierung nicht mehr ersichtlich, so dass eine diesbezügliche Einschränkung gegen Art. 3 Abs. 3 GG verstoßen würde. Dies wird besonders am Beispiel des Familiengerichtsbezirks Büdingen deutlich. So gehört zum Familiengerichtsbezirk des Amtsgerichts Büdingen auch die Stadt Hungen, die ca. 35 KM vom Amtsgericht Büdingen entfernt ist. Aus welchem sachlichen Grund soll ein Rechtsanwalt aus der nur ca. 15 KM entfernten, aber nicht mehr zum Familiengerichtsbezirk Büdingen gehörenden Stadt Gelnhausen (die auch außerhalb des hiesigen Landgerichtsbezirk liegt) die Reisekosten erstattet bekommen, während ein Rechtsanwalt aus H. die ihm tatsächlich entstehenden Aufwendungen selbst tragen soll (wegen § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO könnte der Rechtsanwalt diese Aufwendungen auch nicht von seinem Mandaten ersetzt verlangen).

Nach dem Wegfall der lokalen Begrenzung der Postulationsfähigkeit für Rechtsanwälte ist auch kein sachlicher Grund mehr für ein zusätzliches €Sonderopfer€ neben der Gebührenbeschränkung nach § 49 RVG ersichtlich. Nach der Systematik des RVG werden die Reisekosten durch die Gebührennichtabgedeckt. Aus welchem Grund also sollen beigeordnete Rechtsanwälte die ihnen tatsächlich entstandenen Reisekosten selber tragen€ Ein derartiges €Sonderopfer€ wäre kaum mit der grundgesetzlich geschützten Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und dem grundgesetzlich geschützten Eigentum (Art. 14 GG) vereinbar, nachdem die Zulassung in einem Landgerichtsbezirk durch den Wegfall der lokalen Begrenzung der Postulationsfähigkeit keinen Vorteil mehr darstellt.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Entscheidungen der Oberlandesgerichte Hamm (FamRZ 2006, 350) und Braunschweig (FamRZ 2006, 1855). Bei beiden Entscheidungen ging es ausschließlich um die Frage, ob eine Beiordnung zu den €Bedingungen eines Rechtsanwaltes mit Sitz am Ort des Prozessgerichts€ nach dem KostRMoG noch möglich ist. Unabhängig davon, ob insoweit diesen Entscheidungen zu folgen ist oder nicht (das Gericht steht insoweit auf dem Standpunkt, dass nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 121 Abs. 3 ZPO eine derartige Beschränkung allenfalls bei Rechtsanwälten, die nicht beim Prozeßgericht zugelassen sind, möglich ist), ergibt sich aus beiden Entscheidungen, dass im Falle einerunbedingtenBeiordnung Reisekosten nach § 46 RVG zu erstatten sind. Es kommt also zunächst auf den Bewilligungsbeschluss an und dieser enthielt im vorliegenden Verfahren keine Beschränkung nach § 121 Abs. 3 ZPO, da diese nach Auffassung des Gerichts auch unzulässig gewesen wäre. Dass der Vergütungsanspruch sich in erster Linie nach dem Bewilligungsbeschluss bestimmt, ist im Übrigen auch in § 48 Abs. 1 RVG ausdrücklich geregelt.

Nach Nr. 7003 der Anlage 1 zum RVG (VV 7001) sind pro Kilometer 0,30 € erstattungs-fähig. Bei einer Entfernung von 15 Kilometern zwischen dem Kanzleisitz der Verfahrensbevollmächtigten und dem Amtsgericht Büdingen ergeben sich somit Fahrtkosten in Höhe von 2 * 15 * 0,30 € = 9,00 €. Nach Nr. 7005 kann bei einer Geschäftsreise von nicht mehr als 4 Stunden ein Tage-und Abwesenheitsgeld in Höhe von 20,00 € geltend gemacht werden, so dass die gesamten Reisekosten sich auf 29,00 € belaufen. Für das Hauptsacheverfahren ergibt sich somit eine Vergütung in Höhe von insgesamt 842,50 € (festgesetzte 813,50 € + 29,00 €). Diese Vergütung ist nach Nr. 7008 umsatzsteuerpflichtig und somit um 160,08 € auf insgesamt 1.002,58 € zu erhöhen. Hinzu kommt die festgesetzte Vergütung für das einstweilige Anordnungsverfahren in Höhe von 155,30 €, also insgesamt 1.157,88 €.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 56 Abs. 2 RVG.

Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Sache war nach den §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 RVG die Beschwerde zuzulassen, obwohl der Beschwerdewert nicht erreicht wird. Ob § 46 RVG einschränkend ausgelegt werden kann oder nicht, betrifft eine Vielzahl von Fällen und ist für die betroffenen Rechtsanwälte aufgrund der Masse der Fälle auch von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung. Darüber hinaus hat das Amtsgericht Gießen mit Beschluss vom 10. Januar 2008 entschieden, dass Reisekosten eines im Bezirk zugelassenen Rechtsanwaltes nicht erforderlich seien im Sinne des § 46 RVG, so dass die Zulassung der Beschwerde auch einer einheitlichen Rechtsprechung im hiesigen Landgerichtsbezirk dient.






AG Büdingen:
Beschluss v. 08.02.2008
Az: 53 F 884/07 - PKH 2, 53 F 884/07


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